7. Kapitel


Kognitive Reserve

Wer in Beruf und Freizeit geistig rege ist, hat ein geringeres Risiko, im Laufe seines Lebens an einer Demenz zu erkranken bzw. kann den Krankheitsausbruch hinausschieben. Geistige Aktivität regt den Stoffwechsel an und fördert die Bildung neuer Synapsen (= Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen). Wissenschaftler nennen den Aufbau zahlreicher synaptischer Verbindungen „kognitive Reserve“: Diese „Reserve“ sorgt dafür, dass man länger dem Alzheimer-Zellenabbau im Gehirn widersteht, ohne Symptome zu zeigen. In einer großangelegten Studie mit 600 Nonnen fand ein amerikanischer Professor heraus, dass einige der Glaubensschwestern post mortem (= in Untersuchungen nach dem Tod) zwar typische Alzheimer-Veränderungen im Gehirn hatten, kaum eine hatte vorher jedoch über Gedächtnis- oder Konzentrationsprobleme geklagt: Alle Nonnen waren als Lehrerinnen tätig gewesen, viele von ihnen bis zum Tod.
Zwar ist der Aufbau neuronaler Verbindungen ganz besonders stark in der Kindheit und Jugend, aber auch im Erwachsenenalter gilt für unsere Nervenzellen: Use it or lose it! (Benütze sie oder verliere sie!) Dabei muss es nicht Algebra sein – unsere grauen Zellen werden bei kulturellen Aktivitäten, im sozialen Austausch, durch kreative Hobbys und Knobeleien angeregt und gefordert. Denn Lernprozesse in jedem Alter führen zur Anpassung neuronaler Netze.
Bleibe sozial aktiv. Nimm dir Zeit für den Austausch mit anderen Menschen, für deine Hobbys, suche aktiv die Gesellschaft von Menschen, die dir gut tun. In Südtirol gibt es Organisationen, die regelmäßig gemeinsames Wandern, Turnen oder Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten (z.B.: KVW, Haus der Familie).
Bleibe geistig aktiv und verwende dein Gedächtnis: Nutze alle Sinneskanäle, höre aktiv zu, versuche aufmerksam zu bleiben, wiederhole Gedächtnisinhalte und assoziiere einzuprägende Dinge mit anderen (= baue Eselsbrücken).
Routinehandlungen bringen dem Gedächtnis nicht viel, die kennt es ja schon – ändere sie: Nimm beispielsweise gelegentlich einen anderen Weg nach Hause oder kauf in einem anderen Supermarkt ein. Erledige alltägliche Handlungen wie Frühstücken, Anziehen, Duschen und Zähneputzen in einer veränderten Reihenfolge.
Gesellschaftsspiele, Musizieren, Lesen, Malen, Spazierengehen oder ein Museumsbesuch bringt dem Gedächtnis mehr als TV schauen.
Als besonders effektiv gelten das Musizieren und das Tanzen, denn dabei werden die Konzentration und die körperliche Koordination gleichermaßen gefördert.
In Rente gehen sollte nicht eine „Zwangsstilllegung“ bedeuten: Auch nach dem aktiven Arbeitsleben solltest du versuchen, mit einer aktiven Freizeitgestaltung körperlich und geistig aktiv zu bleiben.
Vielleicht wolltest du schon immer an die Universität: Nach dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans immer noch!“ bietet die Universität Bozen ein „Studium Generale“ an, das allen offensteht, egal welchen Alters und ob mit oder ohne Matura. Informationen gibt es unter der Telefonnummer 0471 /  012803.
Wusstest du, dass…
… man früher glaubte, dass die sogenannte Neurogenese (=Bildung von neuen Nervenzellen) nur während der Embryonalentwicklung (also noch vor der Geburt) stattfindet? Inzwischen weiß man aber, dass die Neurogenese in bestimmten Hirngebieten ein Leben lang möglich ist, das konnte auch bei über 70-jährigen Probanden nachgewiesen werden.
Merk dir, dass…!
… Lernprozesse in jeder Altersstufe unsere neuronalen Verbindungen fordern und fördern.

8. Kapitel


Schädel-Hirn Traumata

Das Großhirn besteht aus zwei Hälften, die durch den sogenannten „Balken“ miteinander verbunden sind. Die Ausprägung bestimmter Funktionen und Fähigkeiten ist in unterschiedlichen Teilen des Gehirns unterschiedlich groß: Für die Sprache ist beispielsweise insbesondere die linke Großhirnhälfte, für Musikalität zumeist die rechte Hirnhälfte zuständig. Bei einer Verletzung des Gehirns durch einen Unfall kommt es darauf an, welche Regionen betroffen sind: Nach Grad und Stelle der Verletzung treten entsprechende Fehlfunktionen auf. Nach schweren Hirnschädigungen kann es neben anderen Ausfällen zu bleibenden Lern- und Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen kommen.
Tatsächlich konnte festgestellt werden, dass nach einem akuten Schädel-Hirn-Trauma – wie es beispielsweise Boxern beim sogenannten „Knock out“ (KO) widerfährt – zu einer erhöhten Bildung von beta-Amyloid, dem Grundbaustein der „Alzheimer-Plaques“ kommt. Ebenso wie bei einer Alzheimer- und einer frontotemporalen Demenz (= das ist eine Demenzform, die insbesondere den vorderen Teil des Gehirns betrifft und sich u.a. durch Verhaltensauffälligkeiten zeigt) kommt es durch wiederholte Schädel-Hirn-Traumata zur Anreicherung von „schädlichen“ Proteinen wie den Tau- und TDP-42-Proteinen. Diese Proteine sind in sehr vielen unterschiedlichen Demenzformen (z.B. Alzheimer-Demenz, frontotemporaler Demenz) zu finden und tragen zum Neuronenuntergang bei. Obwohl die genauen Zusammenhänge noch zu klären sind, deuten wissenschaftliche Studien darauf hin, dass wiederholte milde Schädel-Hirn-Traumata, die auch ohne Symptome einer Gehirnerschütterung einhergehen, zu neurodegenerativen (= Neuronen abbauenden) Veränderungen führen können. Eine Gehirnerschütterung ist in der Regel die Folge eines Unfalls oder Angriffs und damit nicht vorhersehbar, also kaum zu verhindern. Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen können das Risiko, den Kopf zu verletzen und das Gedächtnis zu beeinträchtigen, jedoch erheblich senken.
Richte dein Zuhause und deinen Garten „fallsicher“ ein und sichere oder entferne Stolperfallen wie Türschwellen, Teppichkanten, Kabel, rutschige Fliesen. Auch zu niedrige Toilettensitze und Betten erhöhen das Risiko, sich den Kopf irgendwo anzuschlagen.
Eine gute Beleuchtung zu Hause ist eine wichtige Maßnahme zur Sturzprävention: Auch nachts solltest du gut sehen können.
Verwende rutschfeste Socken oder Hausschuhe.
Schnall dich im Auto an. Kontrolliere, ob dein Airbag funktioniert.
Setz dich nicht ins Auto oder aufs Rad, wenn es dir nicht gut geht oder du unsicher oder unaufmerksam bist.
Trage einen Helm, wenn du sportliche Aktivitäten wie beispielsweise Radfahren, Reiten, Skifahren oder Inline-Skating machst.
Gesundheitliche Probleme wie Blutdruckschwankungen, mangelhafte Ernährung, Unterzuckerung und Krampfanfälle können die Gangsicherheit negativ beeinflussen. Im Falle eines akuten Gesundheitsproblems setze dich hin (zur Not auf den Boden) und warte, bis es dir besser geht oder versuche, andere Menschen auf deine Situation aufmerksam zu machen. Lege keine langen Strecken und schon gar keine Treppen oder Steigungen zurück, wenn du körperlich angeschlagen bist. Der Hausnotruf (siehe Kapitel 12) kann zusätzlich Sicherheit geben und im Notfall aktiviert werden.
Im Alter lassen Geschwindigkeit, Balance und Aufmerksamkeit nach, diese kann man mit regelmäßigen, einfachen Gleichgewichtsübungen aber sehr gut trainieren.
Suche nach einem Sturz oder einer Gewalteinwirkung auf deinen Kopf einen Arzt auf, selbst wenn dir keine schwerwiegenden Symptome auffallen.
Wer eine Gehirnerschütterung hat, sollte diese unbedingt vollständig auskurieren und sportliche oder sturzgefährdende Aktivitäten vermeiden: In den ersten sieben bis zehn Tagen nach einer Gehirnerschütterung reicht ein viel geringerer Stoß, um eine weitere Gehirnerschütterung auszulösen.
Wusstest du, dass…
… Kopfverletzungen bei Personen über 65 Jahre das Risiko einer Demenz um 20% erhöhen? (Gardner et al., 2014)
Wusstest du, dass…
… man nach Kopfverletzungen bei Personen über 50 Jahren um 60% mehr sogenannte „Eiweißablagerungen“ (Amyloid-β Plaques) findet, als bei unverletzten Kontrollpersonen (Roberts et al., 1994)? Diese Ablagerungen finden wir auch bei der Alzheimer-Demenz.
Wusstest du, dass…
… zehn bis zwanzig Prozent der Profiboxer unter anhaltenden Folgeekrankungen wie Zittern, Lähmungen, Demenz, Depression und Aggression leiden? Früher wurde diese Erkrankung als „Boxerdemenz“ bezeichnet, inzwischen ist die Bezeichnung „chronisch-traumatische Enzephalopathie“ (CTE) am gängigsten. Die World Medical Association (WMA) hat 2005 für ein generelles Boxverbot plädiert. Umgesetzt wurde das Verbot nicht.
Merk dir, dass…!
… nicht jeder leichte Sturz auf dem Kopf bedeutet, dass man Gedächtnisschwierigkeiten entwickeln wird. Aber wiederholte, leichte Kopfverletzungen, die sogar symptomfrei scheinen, können sich auf die geistige Gesundheit auswirken.