Aktuell

Schmerzen müssen nicht sein

Keine Angst vor Therapie mit Opiaten und Morphin. Vortrag von Dr. Wunibald Wallnöfer


Dreißig Jahre lang war er Hausarzt in Prad. In den ersten Jahren betreute er zwischen Sulden, Stilfs, Prad und Trafoi über 5.000 PatientInnen. Ein Hausarzt der alten Schule, der den engen Kontakt zu den Menschen gepflegt hat. Seit er in Pension ist, hält Dr. Wunibald Wallnöfer Vorträge und ist Berater zum Thema Patientenverfügung. Sein besonderes Interesse gilt der Palliativ- und der Schmerztherapie. Anfang März hielt er auf Einladung des Bezirks Vinschgau einen Vortrag in Schlanders. Das Publikum folgte seinen Ausführungen mit großem Interesse.
Statistiken belegen, so Dr. Wallnöfer, dass 40% der onkologischen SchmerzpatientInnen nicht die geeignete Verschreibung für ihre Schmerzzustände bekommen. Schmerz ist nicht nur eine Sache des Körpers, sondern hat auch psychische, soziale und spirituelle Auswirkungen. „Die ganze Person ist vom Schmerz betroffen, der Verlust der Arbeit, der sozialen Stellung, der Rolle in der Familie, das Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins und des Verlassenseins, Ängste und viele Fragen ohne Antworten können zusätzlich zu Depressionen führen.“ Dr. Wallnöfer weiß aus seiner dreißigjährigen Praxis wie PatientInnen sich fühlen. „Ein großes Problem für SchmerzpatientInnen sind bürokratische Probleme und unerreichbare oder indifferente ÄrztInnen!“
Schmerz lässt sich nicht messen wie Puls oder Blutdruck, Schmerz muss erfragt werden und dafür braucht es Zeit und Empathie, betont Dr. Wallnöfer. Mit seinen Vorträgen möchte er nicht nur mit der Gleichgültigkeit oder Verharmlosung der Situation der SchmerzpatientInnen brechen, er möchte auch den Vorurteilen gegen eine ganz bestimmte Kategorie von Schmerzmitteln entgegenwirken. Opiate oder Morphine werden immer noch fälschlicherweise als allerletzte Ratio angesehen und als Mittel, die den Patienten im letzten Stadium in einen Dämmerzustand versetzen.
Falsch, sagt Dr. Wallnöfer. Herkömmliche Schmerzmittel wie z. B. Voltaren oder Ibuprofen, funktionieren nach dem Lichtschalterprinzip – an oder aus – weil es sie nur in einer fixen Dosierung gibt. Sie sind nicht ungefährlich, können zu Darmblutungen führen und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle auf das Dreifache. Opiate hingegen funktionieren wie Schiebe-Regler. Die Dosierung ist nicht festgeschrieben und kann fast unbegrenzt erhöht werden. Tumorschmerzen können mit Opiaten bei 90% aller PatientInnen bis zur Erträglichkeit gelindert werden. Trotzdem, stellt Dr. Wallnöfer fest, gibt es Vorurteile gegen diese Mittel. Sie machten abhängig und bedingten körperliche und psychische Schäden, heißt es. Viele Patient-Innen und ihre Angehörige stellten sich aus diesen Gründen gegen eine Schmerztherapie mit Opiaten und Morphinen.
Drogenabhängige, erklärt Wallnöfer, „suchen den schnellen Kick und nehmen eine entsprechend hohe Dosis ein.“ Das führt dann zur Abhängigkeit, weil es immer mehr braucht, um diesen Kick zu erreichen. „Eine Schmerztherapie beginnt hingegen mit ganz kleinen Mengen und ist so austariert, dass sie den Schmerz in Waage hält. Eine Therapie mit Opiaten beschleunigt auch nicht den Tod, wie viele fälschlicherweise glauben“, unterstreicht Dr. Wallnöfer. „Im Gegenteil, Studien belegen, dass eine korrekte, gut eingestellte Schmerztherapie mit Morphin das Leben verlängert.“ Starker Dauer-Schmerz bewirkt Stress, eine zu starke Kortisonausschüttung, Sauerstoffmangel. „Gut eingestellte PatientInnen hingegen haben eine gute Lebensqualität, sind ausgeglichen.“ Opiate sind das sicherste und stärkste Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen auf die Organe, betont der ehemalige Hausarzt.
Es gibt allerdings auch bei Opiaten eine gewisse Toleranzentwicklung, der Körper gewöhnt sich an das Präparat und die Dosis muss entsprechen angepasst werden, aber das ist keine Sucht. Wichtig ist bei dieser Therapie das Vertrauensverhältnis zwischen Hausarzt und PatientInnen und die konstante Kontrolle und Einnahme. „Man kann sie nicht von heute auf morgen absetzen, sondern nur stufenweise.“
Von größter Bedeutung ist die Aufklärung von PatientInnen und Angehörigen vor Beginn der Therapie: In den ersten zwei Wochen können Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen auftreten. „Das müssen Betroffene, müssen Angehörigen wissen und dagegen kann man den PatientInnen auch geeignete Mittel verschreiben.“ Nach zwei Wochen verschwinden diese Nebenwirkungen. Eine weitere Nebenwirkung von Opiaten ist Verstopfung. „Diese Nebenwirkung bleibt, aber auch da gibt es Gegenmittel“, betont Wallnöfer.
Was Betroffene und ihre Angehörigen ebenso wissen müssen: Es kann immer wieder zu kurzen Phasen des Schmerzdurchbruches kommen. Für diesen Fall, erklärt Dr. Wallnöfer, muss den PatientInnen ein schnellwirkendes Opiat verschrieben werden, das nur in dieser Situation zusätzlich eingenommen werden muss.
Ein weiteres Kapitel seines Vortrages widmete Dr. Wunibald Wallnöfer dem Thema Schmerzpflaster. Auch hier würden die PatientInnen oft nicht ausreichend aufgeklärt. „Schmerzpflaster dürfen auf keinen Fall in Kinderhände kommen. Das könnte tödliche Folgen haben!“ Die Wirkung dieser Pflaster setzt erst nach 12 Stunden ein und sie wirken 12 Stunden nach. Auch das muss der Betroffene wissen, ebenso, dass Hitze die Wirkung unerwünscht verstärkt. „Deshalb nie mit einem Schmerzpflaster in die Sauna gehen, an einen warmen Ofen lehnen oder Wärmflaschen oder elektrische Wärmedecken verwenden.“
Opiate und Morphine sind wirksame Schmerzmittel bei starken Tumor-, aber auch bei starken rheumatischen, Gelenks- oder neurologischen Schmerzzuständen. Immer unter strenger ärztlicher Kontrolle. Was man nie tun sollte, warnt Dr. Wallnöfer, ist, irgendwelche Wundermittel im Internet kaufen, das Mittel, das der Nachbarin geholfen hat ohne Verschreibung und Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder Naturmittel ohne Rücksprache einnehmen. „Die Hausarztmedizin“, unterstreicht Dr. Wallnöfer, „ist eine sprechende Medizin. Ärzte müssen verständlich sprechen, müssen auf ihre PatientInnen eingehen und sich Zeit nehmen, diese zu verstehen und zu beraten. Basis ist gegenseitiges Vertrauen.“ Gut eingestellte und betreute PatientInnen können bei einem entsprechenden Umfeld auch in der Palliativphase zuhause bleiben, erklärt Dr. Wallnöfer, der zeitlebens Hand in Hand mit dem Pflegepersonal des Sprengels gearbeitet hat.
Nach dreißig Jahren als Hausarzt fällt es Dr. Wunibald Wallnöfer schwer, seinen Arztberuf ganz an den Nagel zu hängen. Im Rahmen der Corona-Impfung hatte er sich als ärztlicher Berater zur Verfügung gestellt und jetzt betreut er an zwei Tagen in der Woche die Bewohner des Altersheimes in Mals. In seiner Freizeit geht er seinen Lieblingsbeschäftigungen nach: Radfahren, Laufen und Zitherspielen.

Aktuell

Vom Fallen und Aufstehen

Meinhard Feichter und sein neues Leben – Gezählte Tage sind kostbare Tage


Ein Buch hat er schon geschrieben. Er hält Vorträge. Das Thema? Seine Geschichte, die auch die Geschichte vieler anderer ist und sein kann und viele kleine Wege. Mut machen. Vertrauen schaffen. All das vermitteln, was ihm auf seinem Weg geholfen hat. Leicht war er nicht, steil, mit vielen Stolpersteinen. Aber er ist ihn nicht alleine gegangen, sondern im Gleichschritt mit seiner Frau Bernadette und mit seinen Kindern. Vor elf Jahren änderten ein banaler Sturz und die daraus resultierende Diagnose sein Leben. Von heute auf morgen. Multiples Myelom im 3. Stadion. Knochenmarkkrebs. Unheilbar.
Ein Sturz im Sturz. Aus einem durch und durch organisierten Leben, einem vollen Terminkalender. Einem Leben, das erfüllt scheint. Mitten im Leben. Ein verantwortungsvoller Job, Geschäftsführer der Athesia-Buchhandlung in Bruneck. Drei Kinder und ein Sternenkind, eine Frau, mit der er alles teilt, auch den Traumberuf, Buchhändler, den er bis zu seiner Pension vor einem Jahr ausgeübt hat. Ein Freundeskreis. Sport. Reisen. Musik. Und dann eine gebrochene Wirbelsäule. Schmerzen jenseits der Schmerzgrenze. Im Krankenhaus. Eine Diagnose, die im ersten Augenblick nur verschreckt. Alles anders. Lebenserwartung vier bis fünf Jahre. Das Ende. Angst. Hadern.
Aufstehen. Und bei allem Leid, der Anfang von etwas Neuem. Ein Paradigmenwechsel. Etwas an sich Negatives kann sich zum Positiven wenden. Der Wert des Alltäglichen. Des Unspektakulären. Neue Horizonte, andere Horizonte. Andere Wege. Kleine Wege, wie Meinhard Feichter sie gerne nennt. Auswege. Seitenwege. Kreuzwege. Ein neues Zeitgefühl. Aber auch in der Krankheit bleibt Meinhard Feichter ein leistungsorientierter Mensch. Nur dass es jetzt andere Leistungen sind. Leistungen, die aus einem neuen, kreativen Denken entstehen. Der Buchhändler beginnt selbst mit Worten zu spielen. Sucht nach Worten, die Halt geben. Die es mit Leben zu erfüllen gilt. Und es gelingt ihm. Bewegung, Bildung, Beziehung sind solche Worte. Oder Leben, Lieben, Lachen, Leiden. Das Leben aufteilen in Körper, Geist, Soziales, Spirituelles.
Mittlerweile sind über elf Jahre vergangen. Meinhard Feichter fühlt sich als Teil eines kleinen Wunders. Er hat Glück gehabt. Eine Frau, die ihn auf seinen Wegen begleitet. Deren einzige Bedingung die Wahrheit ist. Immer. Dreimal schon gab es im rechten Augenblick eine neue Therapie, die neue Wege eröffnete. Zwei Nahtod-Erlebnisse erfuhr er als befreiend. Der Tod macht heute weniger Angst. Auf hohe Berge steigt er nicht mehr, dafür erobert er Weitwanderwege. Pilgerwege. Auch der Glauben und das daraus resultierende Vertrauen spielen eine wichtige Rolle in seinem neuen Leben.
Die ersten Monate nach der Diagnose standen im Zeichen der Trauer. Abschiednehmen von allem, was jetzt nicht mehr ging. Nach und nach gelang es Feichter seine Sichtweise zu ändern und sich auf das zu konzentrieren, was noch ging, was neu hinzukam. Es gelang ihm, seinen neuen Zustand zu akzeptieren und schließlich sogar die Chancen zu entdecken, die sich ihm durch die Krankheit boten, die schöpferische Kraft, die aus einer solchen Grenzsituation erwachsen kann. Neue Sichtweisen, neue Erkenntnisse. Auch Dankbarkeit gehört dazu. Wie Vertrauen ist sie für ihn heute eine tägliche Medizin für Zuversicht und Glücksempfinden.
Meinhard Feichter lebt mit der Krankheit, aber seine Krankheit ist nicht sein Leben. Er hat ihr nie erlaubt, Oberhand zu gewinnen. Sie bestimmt zum Teil seinen Tagesablauf, jede Woche ist er einen Tag im Day-Hospital in Bruneck, aber sie bestimmt nicht sein Denken. Er hat gelernt, die von ihr gesetzten Grenzen zu akzeptieren und hat innerhalb dieser viel Freiraum entdeckt. Raum zum Leben. Eine wichtige Rolle spielt auch der Begriff Manipulation in seinem Leben. Das eigene Denken steuern. „Ich fühle mich gesünder als ich bin, tue so, als sei ich fit und schmerzfrei, so geht es mir emotional besser.“ Und das gelingt. Nicht immer, aber meist. Und heute kann Meinhard Feichter zurückblickend sagen, dass er nicht sicher ist, ob er überhaupt zurück wollte in sein altes, von zu vielen Sachzwängen bestimmtes Leben.
Aus seiner Dankbarkeit heraus kommt auch der Wunsch, seine Erfahrungen zu teilen. Dies hat dazu geführt, dass er zusammen mit einem Freund, dem bekannten Dichter und Fotografen Ulrich Schaffer das Buch „Gezählte Tage sind kostbare Tage – Ein Erfahrungs- und Mutmachbuch“ geschrieben hat. Und dies bewegt ihn auch, seine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Um Mut zu machen, Angst zu nehmen, Zuversicht zu pflanzen. Manches, was er sagt, könnte abgehoben klingen, aus einem anderen Mund. Bei ihm ist es durch authentisches Leben belegt und dadurch glaubwürdig und Mut-machend.
Am 13. März hat Meinhard Feichter auf Einladung des Bezirks Unterpustertal der Südtiroler Krebshilfe einen Vortrag im Vereinshaus St. Georgen gehalten. Anstelle der erwarteten 20 – 30 Personen füllte sich der Saal, mehr als achtzig Personen folgten in gespannter Stille und mit großem Interesse seinen Ausführungen. Betroffene, Angehörige oder einfach am Thema interessierte Menschen. Viele nutzten im Anschluss die Möglichkeit zu einem direkten Gespräch mit Meinhard Feichter.