Schwerpunktthema

Die Welt im Umbruch

Folgerungen für das Management von Organisationen
Die Welt befindet sich – nicht erst seit wir in der postfaktischen Zeit mit ‹alternative facts› konfrontiert sind – im Umbruch. Zunehmende Komplexität führt zu einem Verlust an Steuerungsmöglichkeiten.
Es braucht ein anders ausgerichtetes Management. TA-Konzepte können dazu einen Beitrag leisten.
Dr. Michael Weber
wb@webermanagement.ch


Die Welt der Organisationen verändert sich grundlegend
Die Welt von heute ist zunehmend geprägt von Organisationen, die ihre Aufgaben in einem Umfeld erfüllen müssen, das sich grundlegend verändert hat. Die Zukunft wird immer unsicherer und weniger prognostizierbar. Weder die Entwicklung der Nachfrage, noch der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder der Zinssituation sind vorhersehbar, um nur einige Beispiele zu nennen. Einzig eines scheint sicher: Der Wettbewerb nimmt weiter zu, die Margen sind ständig unter Druck und Entscheidungen werden schwieriger. Zudem lassen sie sich häufig nicht mehr rückgängig machen.
Aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen, besser ausgebildeten und selbstbewussten Mitarbeitenden, einem rasanten technischen Fortschritt (Digitalisierung, Logistik etc.) sowie einer voranschreitenden globalen Öffnung der Volkswirtschaften hat die innere und äussere Komplexität, mit denen die Organisationen konfrontiert sind, massiv zugenommen. Kennzeichen dieser Komplexität sind eine explodierende Zahl von Faktoren, die in Entscheidungen einbezogen werden müssen, eine starke Vernetzung dieser Faktoren und eine sich beschleunigende Veränderungsdynamik. Die Zunahme der Ungewissheit mit widersprüchlichen, mehrdeutigen Informationen ist im Alltag eher die Regel als die Ausnahme.
Die Komplexitätsforschung zeigt, dass das Verhalten komplexer Systeme grundsätzlich nicht vollständig erfasst, analysiert und gesteuert werden kann (vgl. z.B. Büttner 2001, Malik 1996).Die benötigte Zeit für das Finden und Umsetzen von Entscheiden nimmt zu, während gleichzeitig die zur Verfügung stehende Reaktionszeit aufgrund der Dynamik abnimmt (Weber 2002). Viele Führungskräfte fühlen sich angesichts dieser Situation überfordert und paralysiert.
Konsequenzen für das Management
Die geschilderte Ausgangslage hat Konsequenzen für das Management von Organisationen: Die seit dem 20. Jahrhundert entwickelten Konzepte und Instrumente zur Gestaltung, Lenkung und Entwicklung von Organisationen erweisen sich für die neue Welt zunehmend als dysfunktional. Neue Ansätze für ein zukunftsgerichtetes Management von Organisationen sind gefragt. An Vorschlägen dafür mangelt es nicht. Vieles davon ist allerdings alter Wein in neuen Schläuchen. Im Folgenden wird versucht, einige grundsätzliche Gedanken für ein zukunftsgerichtetes Management von Organisationen darzulegen und auch Folgerungen für den Einsatz von Instrumenten abzuleiten.
Als Erstes ist festzuhalten, dass den direkten Einflussmöglichkeiten des Managements mit der zunehmenden inneren und äusseren Komplexität der Organisationen immer engere Grenzen gesetzt sind. Je weiter hierarchisch entfernt eine Organisationseinheit von der Führung ist, desto mehr ist sie nur noch eine ‹Black Box› (Christopher 2007). Für ein ‹Micro-Management› von weit oben fehlen den Führungskräften die notwendigen, kontextbezogenen Informationen und das entsprechende Handlungsrepertoire (vgl. z.B. Beer 2008). Im Weiteren braucht es aufgrund der Komplexität einen anderen Umgang mit der inhaltlichen Ausrichtung der Organisationen. Die früher so bewährte einfache Fortschreibung der Vergangenheit in die Zukunft funktioniert heute nicht mehr. Angesichts der Ungewissheit der Zukunftsentwicklung ist es auch gefährlich, weiterhin eine ausschliesslich an Effizienz orientierte Sichtweise einzunehmen. Das kann in einem stabilen wirtschaftlichen Umfeld funktionieren. In einem turbulenten Umfeld birgt das aber hohe Risiken. Alles auf eine Karte zu setzen, kann zwar hocheffizient sein, ist aber gefährlich, wenn die zugrunde gelegten Planungsannahmen nicht eintreffen.
Zweitens ist wichtig, dass sich die Führungsauffassung der Vergangenheit (Ausrichtung auf einen starken Macher, Trennung von Denken und Ausführung etc.) künftig kaum mehr bewähren wird. Die Führungskräfte sind stärker als früher angewiesen auf die aktive, konstruktive Mitarbeit der Geführten (vgl. z.B. Kruse 2013). So gesehen nimmt die Macht der Führungskräfte in komplexen organisatorischen Ausgangslagen markant ab (vgl. z.B. Bentele/Weber 2015). Der Einbezug der Mitarbeitenden, gute Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen gewinnen an Bedeutung. Dazu kommt, dass alle Mitarbeitenden den Sinn ihrer Arbeit verstehen und teilen wollen.
Drittens ist zu beachten, dass wir Menschen aufgrund unserer Wahrnehmungsfähigkeit nicht die Möglichkeit haben, unsere Umwelt unmittelbar und objektiv zu erfassen. Was wir wahrnehmen und für wahr halten, ist immer subjektiv (Wüthrich et al 2008).
Wo kann angesichts dieser Ausgangslage angesetzt werden? Hier scheinen insbesondere drei grundsätzliche Stossrichtungen zielführend sein:
1. Gestaltung von geeigneten Rahmenbedingungen, die die Führung von Organisationen mit hoher innerer und äusserer Komplexität erlauben. Im Zentrum stehen hier Metasteuerung und Förderung der Selbstorganisation.
2. Inhaltliche Ausrichtung der Organisation nach Prinzipien, die den Umgang mit Turbulenzen erleichtern.
3. Bewusstes Selbstmanagement und Gestaltung der Beziehungen zwischen den Menschen in der Organisation, die berücksichtigen, dass Menschen die Realität subjektiv wahrnehmen und dass einzelne Führungskräfte die hohe Komplexität nicht mehr alleine bewältigen können.
Metasteuerung und Selbstorganisation
Eine der wichtigsten Aufgaben des Managements von Organisationen wird künftig sein, geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten. Das heisst, das Management engagiert sich weniger im operativen Tagesgeschäft (Arbeit im System), sondern konzentriert sich vermehrt auf die Gestaltung des Rahmens: Arbeit am System (vgl. dazu z.B. Malik 1996, Kaduk et al 2013).
Das heisst, das System Organisation ist so zu gestalten, dass es nicht ‹aus den Schuhen kippt›, wenn Unvorhergesehenes eintritt und dass die Organisation genug offen ist, um neue Chancen zu erkennen und zu nutzen.
Konkret geht es dabei insbesondere um die aktive Auseinandersetzung mit Zwecken, Zielen, Aufgaben und Werten der Organisation. Damit wird ein Rahmen gestaltet, der Klarheit über die Grundidee und die Grundbedingungen der Organisation schafft. Gleichzeitig lässt er Spielraum für den Umgang mit dem Unerwarteten. Der klare Rahmen hilft den Akteuren in der Organisation bei der Entscheidungsfindung, ohne dass jede Entscheidung von den obersten Ebenen getroffen oder abgesegnet werden muss.
Auf der Basis eines so geklärten Rahmens können sämtliche Aspekte der Organisation so gestaltet werden, dass eine möglichst weitgehende Selbstorganisation der Einheiten und der Mitarbeitenden ermöglicht wird. Zu diesem Zweck gibt es ausgezeichnete Hilfsmittel wie beispielsweise das ‹Viable Sytem Model› von Stafford Beer (vgl. z.B. Christopher 2007, Malik 1996).
Auf Turbulenzen vorbereiten und mit Neuem experimentieren
Was die inhaltliche Ausrichtung von Organisationen betrifft, so ist es sinnvoll, zwei unterschiedliche Blickwinkel zu unterscheiden: Einerseits geht es um die sorgfältige Pflege von Erfolgspotenzialen, die die Organisation heute erfolgreich machen. Andererseits ist die Suche und Erschliessung neuer Erfolgspotenziale, die die längerfristige Lebensfähigkeit der Organisation sichern sollen, unbedingt nötig (Gälweiler 1990). Vereinfacht gesagt, kann man das auch als ernten und säen bezeichnen.
Aber was heisst das konkret, wenn das wirtschaftliche Umfeld eben nicht absehbar ist, wenn ich nicht weiss, welche unerwarteten wirtschaftlichen Ereignisse eintreten und was künftig erfolgversprechend sein wird? Zwei Handlungsfelder sind dabei für die inhaltliche Ausrichtung einer Organisation wichtig:
a) Die erfolgreichen Teile des bestehenden Geschäfts sind mit Blick auf bestehende Risiken zu analysieren. Es gilt zu ergründen, bezüglich welcher Risiken die Organisation im Fall wirtschaftlicher Schocks besonders verletzlich ist. Daraus lassen sich Massnahmen zur Risikovermeidung, -reduktion oder zum Risikotransfer ableiten. Die bestehenden Erfolgsgrundlagen werden damit gepflegt und gestärkt. Ein Aspekt ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Die Zeiten ausschliesslicher Konzentration der strategischen Bemühungen auf Fokussierung des Geschäfts und auf Effizienz sind vorbei. Wenn man nicht weiss, was künftig geschehen wird, können mehrere Standbeine und auch bewusst gestaltete Redundanzen im System lebenswichtig sein. Zu stark fokussierte und zu stark auf Effizienz getrimmte Organisationen sind bezüglich unerwarteter, rascher Veränderungen sehr verletzlich. Das Spannungsfeld zwischen Fokussierung/Effizienz und einer breiteren Aufstellung gewinnt angesichts dieser Ausgangslage an Bedeutung. Für das Abwägen zwischen den beiden Seiten gibt es keine Patentrezepte. Massgebend muss dabei der Blick auf die Möglichkeit der Organisation zum Abfangen wirtschaftlicher Turbulenzen sein. Das ist im Vergleich zu früher postulierten Schwerpunkten in der Managementlehre eine klare Prioritätenverschiebung.
b) Für die Suche nach künftigen Erfolgspotenzialen eignen sich die bisher angewandten Grundsätze und Methoden nur noch bedingt. Es kann gefährlich sein, alles auf eine Option der inhaltlichen Ausrichtung zu setzen, die vorgängig in einem ausgedehnten Planungsprozess bestimmt worden ist. Dabei läuft man Gefahr, ‹alle Eier in denselben Korb zu legen›. Wenn dann die getroffenen Annahmen über die Zukunft nicht eintreten, kann es sein, dass die getätigten Zukunftsinvestitionen vernichtet werden.
Deshalb ist die Suche nach erfolgversprechenden mittel- bis längerfristig wirksamen Erfolgspotenzialen viel stärker als bewusster Prozess von Versuch und Irrtum zu gestalten. Auf der Basis von klar definierten Zwecken, Zielsetzungen, Aufgaben und Werten (Metasteuerung) gilt es, eine Auswahl von verschiedenen Optionen der inhaltlichen Ausrichtung zu entwickeln und im Sinne von Experimenten in der Realität auszutesten – meist zuerst mit beschränkten Mitteleinsatz (z.B. Pilotprojekte). Diejenigen Experimente, die sich im Testumfeld – insbesondere im Markt – als erfolgreich erweisen, werden dann mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet. Die nicht erfolgreichen Projekte werden so früh wie möglich abgebrochen. Ein rascher und intensiver Such- und Lernprozess ist die Folge eines solchen Vorgehens.
Wer so handelt, muss sich auf den Vorwurf gefasst machen, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen aufgrund mangelnder Fokussierung verzettelt werden und nicht die höchste Effizienz erzielt werden kann (‹economies of scale›, Produktivität). Das stimmt. Dafür gibt es eine wesentlich höhere Chance, bereits dort mit einem ‹Experiment› aktiv zu sein, wo die Entwicklung hingeht. Damit ist die Unternehmung besser abgesichert für unterschiedliche wirtschaftliche Szenarien.
Das hier beschriebene Vorgehen zur inhaltlichen Ausrichtung der Organisation ist nicht einfach. Für die erfolgreiche Anwendung braucht es ein Bündel von Voraussetzungen (vgl. z.B. Beinhocker 2007, Taleb 2013):
Eingeständnis der Unsicherheit und Unprognostizierbarkeit der Zukunft
Bereitschaft, Lernen und Anpassung höher zu bewerten als Vorhersage und Planung (‹Lernende Organisation›)
Entwicklung eines gemeinsam getragenen Verständnisses der Führung zu Ausgangslage und angestrebten Zwecken/Zielsetzungen
Erarbeitung eines möglichst breit gestreuten Portfolios strategischer Optionen (Experimente, Pilotprojekte) mit unterschiedlichen Sprunglängen (inhaltliche und zeitliche Risikoverteilung)
Ein Selektionsverfahren für die verschiedenen Optionen, das erlaubt, möglichst in Echtzeit mit ‹marktnahen› Kriterien eine Beurteilung der Erfolgschancen vorzunehmen
Stärkung erfolgreicher Optionen durch Expansion und/oder Multiplikation (zusätzliche Ressourcenausstattung)
Konsequente Aufgabe von nicht erfolgreichen Optionen

Die aufgeführten Punkte zeigen, dass die Anwendung einer solchen evolutiven Denkweise für eine Organisation selber ein Lernprozess ist, denn die bisherigen mentalen Modelle und Instrumente sind noch stark verankert. Deshalb wird es für viele Organisationen zuerst darum gehen, auch mit dieser neuen Denkweise zu experimentieren und mit Pilotprojekten erste positive Erfahrungen zu sammeln. Der Lohn dafür ist ein bewusst gestalteter Umgang mit den Unsicherheiten des Umfeldes und eine inhaltliche Ausrichtung, die robuster ist für Risiken und Überraschungen.
Selbstmanagement und Beziehungsgestaltung
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass sich angesichts der aktuellen Ausgangslage von Organisationen auch das Führungsverständnis verändern muss. Die Führungskräfte benötigen erweiterte Kompetenzen aber auch Konzepte und Hilfsmittel, die ihnen bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe Unterstützung bieten können.
In erster Linie geht es darum, ein organisatorisches Umfeld zu gestalten, das den Mitarbeitenden erlaubt, bei ihrer Tätigkeit Sinn zu finden und vertrauensvoll miteinander umzugehen. Das ist nötig, weil Führungskräfte nicht mehr in der Lage sind, die Ausgangslage der Organisation objektiv wahrzunehmen und im Alleingang die richtigen Entscheidungen zu fällen. Es braucht mehr Einbezug von unterschiedlichen Personen mit verschiedenen Per­spektiven, Wissenshintergründen und Erfahrungen. Der Einbezug organisations­interner und -externer Perspektiven ist wichtig. Gerald Hüther spricht von der gemeinsamen Suche nach den besten Lösungen (2015).
Damit das gelingen kann, ist in zwei Richtungen zu denken (vgl. dazu z.B. Bentele/Weber 2015): Einerseits ist es mehr und mehr erforderlich, dass sich Führungspersonen mit sich selbst, ihren Werten, ihrem Menschenbild, ihren Zielen sowie ihren Stärken und Schwächen auseinandersetzen. Sie müssen sich als Person reflektieren und sich selber kennen (vgl. z.B. Drucker 1999). Das ist eine wichtige Basis zum Umgang mit Ambiguität und schwierigen Führungssituationen.
Andererseits braucht es eine bewusste Reflexion und Gestaltung der Beziehungsdynamik in der Organisation. Dazu gehört vor allem auch der Umgang mit schwierigen Führungssituationen. Gemäss Gerald Hüther haben Menschen vor allem zwei Bedürfnisse: Wachsen und dazu gehören. Im organisatorischen Kontext besteht die Herausforderung für Führungskräfte darin, entsprechende Aufgabenfelder und Gefässe zu schaffen, die das ermöglichen (Hüther 2015; ‹Supportive Leadership›: Einladen, ermutigen, inspirieren).
Die Transaktionsanalyse bietet eine Reihe von Konzepten an, die bei der Gestaltung und Entwicklung von Führungsbeziehungen in komplexen Ausgangslagen und bei der Selbstreflexion unterstützend wirken können. Im Folgenden wird eine beschränkte, sicherlich nicht abschliessende Auswahl von Konzepten erwähnt. Diese haben einerseits den Fokus auf die eigene Person der Führungskraft; andererseits sind sie wichtig für die Beziehungsgestaltung.
In Bezug auf die eigene Person hilft der Führungsperson zum Beispiel das Konzept der Grundpositionen, um sich zu hinterfragen und zu überprüfen bezüglich der eigenen Haltung gegenüber sich und anderen. Wichtig in der Selbstreflexion einer Führungsperson ist auch das Konzept der Antreiber. Es hilft, zu erkennen, welche Themen in Stresssituationen schwierig werden könnten. Zudem gibt es auch Hinweise, was hilft, um sich in Drucksitua­tionen adäquat verhalten zu können.
Bezüglich Beziehungsgestaltung hilft das Verhaltensmodell der Ich-Zustände situationsangemessenes Kommunikationsverhalten zu gestalten. In Konflikten kann die Sichtweise der Spiele hilfreich sein, um einerseits die Situation zu erfassen aber auch um Wege aus schwierigen Gesprächen oder Verwicklungen zu finden.
Ein weiteres hilfreiches Konzept ist der Bezugsrahmen. Führungskräfte können sich selber bewusst machen, was ihr eigener Bezugsrahmen ist. Zudem ist es wichtig, dass sie sich bewusst sind, dass ihre Vorgesetzten, ihre Kollegen oder ihre Mitarbeitenden andere Bezugsrahmen haben und dass sie Ideen dazu haben, wie sie mit unterschiedlichen Bezugsrahmen umgehen können.
Die erwähnten Konzepte sind hilfreich, um mit der bestehenden Komplexität adäquat umzugehen und um Muster zu erkennen. Ausserdem unterstützen sie auch dabei, angemessene Lösungsansätze oder Möglichkeiten im Umgang mit anspruchsvollen Führungssituationen zu finden. Und nicht zuletzt helfen sie Führungspersonen, sich selbst zu reflektieren und eine gute Balance zwischen all den oben erwähnten Anforderungen zu entwickeln.
Fazit
Trotz einem massiven Verlust an Steuerungsmöglichkeiten ist Management auch in Zukunft möglich und nötig, um die Lebensfähigkeit von Organisationen zu sichern. Die Prioritäten des Managements verändern sich aber grundsätzlich. Arbeit am System und an Beziehungsdynamiken gewinnen an Bedeutung. Besonders wichtig ist dabei eine bewusste und aktive Verbindung zwischen Organisation und Person sowie zwischen Hardfacts und Softfacts (Wilber 2001, Balling 2005).
Abschliessend gilt es noch einen Punkt besonders hervorzuheben: Die bisher eingesetzten Führungsinstrumente und -methoden verlieren zwar ihre Funktion als Lieferanten von eindeutigen, richtigen Antworten für das Management (‹Wahrheitslieferanten›). Das heisst aber nicht, dass sie nicht mehr nutzbringend eingesetzt werden können. Ihr Einsatz kann weiterhin sinnvoll sein, wenn sie mit einem anderen Charakter gesehen werden. Sie entwickeln sich immer mehr in Richtung Hilfsmittel, die den Dialog in Organisationen katalysieren und Informationen strukturieren helfen.
Literatur zum Text:
Balling R. (2005): Das Doppel-Spagat-Modell – die ganze Landschaft der Beratung. Handout.
Beer S. (2008): Diagnosing the System for Organizations. Malik Edition.
Beinhocker E.D. (2007): Die Entstehung des Wohlstands – Wie Evolution die Wirtschaft antreibt. mi.
Bentele M., Weber M. (2015): Macht und Komplexität – Führung verändert sich. info eins 15, S. 28 – 31.
Büttner S. (2001): Die kybernetisch-intelligente Unternehmung: Strukturen, Prozesse und ‹Brainpower› im Licht der organisationalen Komplexitätsbewältigungs-, Anpassungs-, Lern- und Innovationsfähigkeit. Haupt.
Christopher W.F. (2007): Holistic Management: Managing What Matters for Company Success. Wiley.
Drucker P. (1999): Management im 21. Jahrhundert. Econ.
Gälweiler, A. (1990): Strategische Unternehmungsführung. Campus.
Hüther G. (2015): Etwas mehr Hirn bitte – Eine Einladung zur Wiederentdeckung der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten. V&R.
Kaduk St., Osmetz D., Wüthrich H.A., Hammer D. (2013): Musterbrecher – Die Kunst, das Spiel zu drehen. Murmann.
Kurse P. (2013): Die Führungsmacht ist erschüttert – Interview mit Netzwerkforscher Peter Kruse. managerSeminare, Heft 190, Januar 2014.
Malik F. (1996): Strategie des Managements komplexer Systeme – Ein Beitrag zur Management-Kybernetik evolutionärer System. 5. Auflage. Haupt.
Taleb N.N. (2013): Antifragilität – Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen. Knaus.
Weber M. (2002): Strategisches Management in kleinen und mittleren Unternehmungen im schweizerischen Agribusiness. ETH Zürich.
Weber M. (2013): Strategiefindung in unsicheren Zeiten – sich auf Turbulenzen vorbereiten und mit Neuem experimentieren. Fachbeitrag.
Wilber K. (2001): Ganzheitlich handeln – Eine integrale Vision für Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität. Arbor.
Wüthrich H.A., Winter W., Philipp A.F. (2008): Die Rückkehr des Hofnarren – Einladung zur Reflexion, nicht nur für Manager. Gellius.

Schwerpunktthema
‹Entwicklungsstimmung erzeugen›

Zukunftsoptionen erschliessen mit
Ressourcenaktivierung und Transaktionsanalyse

Wie können Beraterinnen und Coaches so wirksam werden, dass ihre Klientinnen und Klienten sich Zukunftsoptionen erschliessen? Welche Wirkfaktoren lassen Beratungsprozesse also erfolgreich und nachhaltig werden und wie können wir sie in der Praxis mit Konzepten der Transaktionsanalyse verknüpfen?
Dr. Daniela Riess-Beger
PTSTA-P, Beratung Training Coaching
www.starnberg-coaching.de


Der Schweizer Neuropsychotherapieforscher Klaus Grawe hat in seiner Arbeit Wirkfaktoren für Psychotherapie evaluiert und in diversen Studien nachgewiesen. Sie gelten aus meiner Sicht auch für Beratungsprozesse und Coaching1. Der folgende Text stellt diese Wirkfaktoren – Komplementäre Beziehungsgestaltung, Ressourcenaktivierung, Motivationale Klärung, Problembewältigung und Problemaktualisierung – mit Bezug auf Grawe dar und beschreibt, welche Konzepte der Transaktionsanalyse diese Wirkfaktoren in Beratungsprozessen zur Geltung bringen. Schliesslich werfe ich einen Blick darauf, wo die Stärken der TA liegen und welche Perspektiven in der Transaktionsanalyse besonders dabei helfen, Zukunftsoptionen zu entwickeln.
Klaus Grawes Konzept der Wirksamkeitsfaktoren von Psychotherapie
Mit seinem Forschungsteam an der Universität Bern erforschte Klaus Grawe die Wirkmechanismen von Psychotherapie ohne ‹die unvernünftige Aufteilung in Therapieschulen› (Grawe 2004, S. 11 sowie Grawe 1998) und unter Hinzuziehung neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse. In seinem Buch ‹Neuropsychotherapie› legte er 2004 auf dieser Basis eine ‹Konzeption der Wirkungsweise von Psychotherapie› vor (Grawe 2004, 12).
Fünf Wirkfaktoren beschreibt Grawe:
1. Komplementäre Beziehungsgestaltung
2. Ressourcenaktivierung
3. Motivationale Klärung
4. Problembewältigung
5. Problemaktualisierung
Wirkfaktoren: Ressourcenaktivierung und komplementäre Beziehungsgestaltung
Ressourcenaktivierung ist der grundlegende Wirkfaktor, denn er stärkt funktionale Regelkreise von Zellverbänden im Gehirn. (Grawe 1998, S. 27 f.). Persönliche Ressourcen können inhaltlich sein (vgl. Behrendt 2012, S. 397):
Positive Einstellungen
Wahrnehmungsfähigkeiten
Helfende Gedanken
Positive Erinnerungen
Positive Erwartungen und Hoffnungen
Motivierende Ziele und Wünsche
Alle Stärken und Fähigkeiten der betroffenen Person
Externe Ressourcen (Unterstützer u.a.)
Neben der inhaltlichen Thematisierung von Ressourcen ist die prozessuale Aktivierung von Ressourcen in der Beziehungsgestaltung ein wesentlicher Wirkfaktor. Für die Coachingbeziehung hat Behrendt diesen Erfolgsfaktor erforscht und folgende drei Aspekte als besonders wirksam evaluiert (vgl. Behrendt 2012, 398 ff):
‹Eine wertschätzende und empathische Grundhaltung, die die vorhandenen Stärken, Ziele und Bedürfnisse des Klienten aufnimmt und verstärkt,
ein individuelles Vorgehen, das an die Erwartungen, Ziele und Fähigkeiten des Klienten angepasst wird, sowie
ein kompetentes Auftreten, das beim Klienten Vertrauen in Coach und Coaching erweckt und so Engagement für Veränderungen erzeugt.›
Diese drei Aspekte wirken auf der Prozess­ebene: sie beantworten – in der Sprache der Transaktionsanalyse – die Grundbedürfnisse des Klienten nach Struktur und Sicherheit sowie nach Zuwendung und Stimulation.
Wirkfaktor: Klärung
Klärung unterstützt den Klienten dabei, seine motivationalen Ziele und seine gegebene Situation zu verstehen. Hier geht es darum, relevante Ziele, Einstellungen, Werte und Gefühle für die Zielfindung her­auszuarbeiten durch sorgsame Vertragsarbeit. Grawe seinerseits betont zusätzlich den klaren Fokus jeder einzelnen Sitzung. In der Sprache der Transaktionsanalyse würde man von ‹Stundenverträgen› sprechen. (Grawe 2004, S. 438)
Wirkfaktor: Problembewältigung
Dieser Erfolgsfaktor unterstützt den Klienten dabei, seine Ziele zu erreichen. Wichtig ist es hier, in eine Handlungsorientierung zu kommen. Der Fokus ist, dass bei Klienten ‹die neu zu lernenden neuronalen Erregungsmuster auch unter Bedingungen der konkreten Lebensrealität aktiviert und gebahnt werden.› (Grawe 2004, S. 439) Dies kann auf verschiedenen Wegen geschehen: beispielsweise durch gedankliche Vorwegnahme von positiven Handlungsfolgen, durch ‹Hausaufgaben› mit der Einladung zum Experiment, durch Rollenspiele und Training. Wichtig ist die Orientierung auf Handeln und auf Veränderung. ‹Die Aktivierung eines Problems soll einmünden in eine konkrete Bewältigungs- und Klärungserfahrung.› (Grawe 2004, S. 438)
Wirkfaktor: Problemaktualisierung
Problemaktualisierung ist schliesslich der fünfte Faktor. Damit ist gemeint, dass ein Thema direkt und unmittelbar im Coaching erlebt werden kann. Denn viele Erfahrungsanteile sind im impliziten Gedächtnis gespeichert und dem bewussten Denken nicht unmittelbar zugänglich. Für eine nachhaltige Veränderung müssen erst die entsprechenden Gedächtnisanteile aus dem impliziten Gedächtnis aktiviert werden – sei es über den Bezug zu Körperempfindungen, über innere Bilder oder konkretes Erleben. Erlebnisorientierte Verfahren wie Rollenspiele, Psychodrama oder Stuhlarbeit sowie Körperarbeit tragen diesem Umstand Rechnung und können so kognitive Erkenntnisse um eine ‹einprägsame Erfahrung› (Behrendt 2012, S. 400) erweitern. Denn ohne eine entsprechende neuronale Aktivierung können Gedächtnisinhalte nicht verändert werden.
Problemaktualisierung für sich genommen besitzt nach Grawe eine Moderatorfunktion. Dieser Faktor ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Klärung und Bewältigung. Umgekehrt bewirkt Problem­aktivierung für sich genommen – also ohne eine Einbettung in die Aktivierung positiver Muster = Ressourcenaktivierung – keine positive Veränderung, im schlimmsten Fall werden alte neuronale Muster verstärkt (vgl. auch Behrendt 2012, S. 400).
Die Wirksamkeitsfaktoren und die Methoden der Transaktionsanalyse
In der Transaktionsanalyse stehen für die ressourcenorientierte Gestaltung der Coachingbeziehung verschiedene Konzepte zur Verfügung:
Als Erstes zu nennen ist die Grundhaltung von Transaktionsanalytikern: die OK/OK-Haltung, die die Basis für jede transaktionsanalytische Beratungsbeziehung bildet. Sie ist per se ressourcenorientiert, denn diese Haltung vertraut darauf, dass der Klient die Fähigkeit besitzt, sein Problem zu lösen.
Ein zweiter wesentlicher Baustein für ressourcenorientiertes Arbeiten auf Basis der Transaktionsanalyse ist das Stroke-Konzept. Es ermöglicht differenzierte Wertschätzung und Zuwendung auf verschiedenen Ebenen.
Richard Erskines Konzept der Beziehungsbedürfnisse, das emotionale Grundbedürfnisse von Individuen in Beziehungen konzeptionalisiert, ermöglicht es TA-Beratern, Therapeuten und Coaches, Bindungsbedürfnisse des Klienten im Prozess komplementär zu beantworten. Auch hier sehe ich eine wesentliche Ressource der Transaktionsanalyse.
Und schliesslich wird gerade in der Transaktionsanalyse-Ausbildung gros­ser Wert darauf gelegt, die individuellen Kompetenzen des Coaches zu stärken und so eine reflektierte Bewusstheit über die eigene Wirkmächtigkeit zu erarbeiten. Pat Crossman beschreibt diese ressourcenorientierte Grundhaltung mit den Begriffen Permission, Protection und Potency.

Auch für den Wirkfaktor Klärung hat die Transaktionsanalyse viel beizutragen: Konzepte wie das Ich-Zustandsmodell (Struktur- und Funktionsmodell), das Spielekonzept oder auch das Skriptkonzept unterstützen Klienten, in präzisen und bildhaften Modellen komplexe Zusammenhänge ihres intrapsychischen und sozialen Funktionierens so zu beschreiben, dass sich die innewohnende Struktur und Dynamik erschliesst. Dieses Verständnis für die eigene psychische Struktur und ihre Auswirkung in zwischenmenschlichen Beziehungen ist ein wichtiger Schritt zur Problemlösung. Dabei gibt die Transaktionsanalyse Klienten Modelle an die Hand, mit denen sie später eigenständig weiter arbeiten können.
Die Fokussierung eines Coaching- bzw. Beratungsprozesses auf ein Ziel hin – also die Fokussierung auf Erfahrungen der Problembewältigung wird in der Transaktionsanalyse zunächst durch die Vertragskonzepte erreicht. Bernes Frage: ‹Was willst Du heute verändern?› steht für diesen Zusammenhang. Verträge – transparente Vereinbarungen – ermöglichen zu jeder Zeit – im Dialog mit dem Klienten – den Beratungs- oder Coachingprozess zu steuern und auf die vereinbarten Ziele zu fokussieren. Diese klare Struktur gibt Sicherheit und Orientierung sowie die Möglichkeit, den eingeschlagenen Weg jederzeit in Zwischenschritten zu evaluieren.
In der Transaktionsanalyse wird der Bereich der Problemaktualisierung mit der phänomenologischen Diagnose der Ich-Zustände erfasst. Verschiedene Techniken aus der Geschichte der Transaktionsanalyse – wie etwa der Neuentscheidungsansatz von Bob und Mary Goulding – erreichen Problemaktualisierung durch Stuhlarbeit. Weitere Methoden für einen unmittelbaren Zugang zum Erleben könnten neben Rollenspielen oder Stuhlarbeiten beispielsweise Wahrnehmungsübungen sein – wie spüre ich Entspannung, wie spüre ich Anspannung – auch die Technik der Introversion scheint mir geeignet. (Dehner, Dehner 2015) Sie verknüpft Problemaktualisierung mit einer neuen ressourcenorientierten Achtsamkeitserfahrung. Ähnliches gilt aus meiner Sicht für das Arbeiten mit dem Zürcher Ressourcenmodell oder auch für Arbeiten mit imaginativen Methoden.
Zukunftsoptionen zu erschliessen beginnt also damit, vorhandene Ressourcen zu explorieren und zu stärken. Warum ist das so wichtig?
Ressourcenorientierung versetzt unser Gehirn in ‹Entwicklungsstimmung›: es aktiviert – so die aktuelle neurobiologische Forschung – den so genannten Annäherungsmodus. Dieser ‹Annäherungsmodus› macht unser Gehirn bereit für Lernen. Grawe nennt diesen Vorgang ‹positives Priming›. Positives Priming öffnet für Veränderungen. In der Praxis heisst das, dass ein Berater/Therapeut/Coach sich VOR der jeweiligen Sitzung selbst ‹positiv primet›, das heisst sich bewusst auf die Ressourcen der jeweiligen Klientin konzentriert: ‹Ressourcenpriming ist eine systematische Gesprächsvorbereitung für die beratende Person, sich selbst verstärkt auf die Ressourcen der hilfesuchenden Person zu fokussieren.› (Flückiger/Wüsten 2015, S. 17)2
Die Discounttabelle als ‹Ressourcentabelle›
Transaktionsanalytiker/-innen können hierzu auch die Discounttabelle als ‹Ressourcentabelle› nutzen. Die vier Ebenen der Discounttabelle bieten als ‹Ressourcentabelle› folgende Fragestellungen an:
Welche Ressource wird ausgeblendet und nicht wahrgenommen?
Was ist eine mögliche ressourcenaktivierende Bedeutung eines Signals oder eines Themas?
Worin liegen allgemeine ressourcenstärkende Entwicklungen dieses Themas?
Worin liegen persönliche ressourcenaktivierende Wahrnehmungen und alternative Optionen für den Klienten?
Die anspruchsvolle Spannung eines Therapie- oder Beratungsprozesses liegt zwischen Problembewältigung und Ressourcenaktiverung: Ein Klient kommt mit seinem Problem und möchte darin ernst genommen werden. (Auch dies empathisch zu tun, ist eine Ressource im Sinne der Beziehungsgestaltung!) Andererseits ist es die Aufgabe einer Therapeutin/Beraterin/Coach, die Ressourcen der Klientin gezielt in den Blick zu nehmen, um ‹Entwicklungsstimmung› zu erzeugen, also neurobiologisch den Boden zu bereiten für Lernen und Veränderung. Die Transaktionsanalyse bietet dafür eine solide Basis.
Fußnoten
1 vgl. hierzu auch die Forschungen von Behrendt, 2012
2 Für diesen Zweck bieten Christoph Flückiger und Günther Wüsten in ihrem Buch entsprechende Anleitungen und Arbeitsmaterialien an.
Literatur
Peter Behrendt (2006): Wirkung und Wirkfaktoren von psychodramatischem Coaching – eine experimentelle Evaluationsstudie. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 5 (1), S. 59–87
Peter Behrendt (2012): Freiburger Erfolgsfaktoren-Coaching. Vier Erfolgsfaktoren zur Etablierung von Konsistenz bei Coachees. Zeitschrift für Organisationsberatung – Supervision – Coaching, OSC 4/2012, S.391–404
Christoph Flückiger, Günther Wüsten (2015): Ressourcenaktivierung. Ein Manual für Psychotherapie, Coaching und Beratung. 2. aktualisierte Auflage Bern: Verlag Hans Huber
Christoph Flückiger, Martin Grosse Holtforth: Ressourcenaktivierung und motivorientierte Beziehungsgestaltung: Bedürfnisbefriedigung in der Psychotherapie. http://bit.ly/2n3Nhxv
Klaus Grawe (2004): Neuropsychotherapie, Göttingen: Hogrefe