Was ist eigentlich Sicherheit?

Couch-Komfort

// Kathinka Enderle //
© Suhyeon Choi - unsplash
Giulia, Chiara und ich konnten das Wochenende kaum erwarten. Nach einer Prüfungsphase, die sich anfühlte, als würden wir jeden Tag dasselbe Déjà-vu voller Hausarbeiten und Klausuren erleben, war der Frühlingstag wie eine Befreiung. Wir durchstreiften die Gassen Bozens, wie drei echte Shopping-Queens – auch wenn unsere Geldbeutel laut protestierten. Wir waren bereit, uns für die stressige Zeit zu belohnen: und wie erfolgreich das war! Trotz der warnenden Summen unserer Bankkonten füllten wir unsere Taschen mit neuen Outfits, stolz wie sonst was. Giulia und ich ließen uns bei mir zuhause mit einem zufriedenen Seufzen auf dem Sofa nieder, umgeben von zahlreichen Einkaufstüten. Doch während wir uns über unsere neuen Kleider freuten, fiel uns auf, dass Chiara still war, obwohl sie vorher das freudige Energiebündel war, das wir kennen.
Vielleicht hilft ein Exorzist?
Chiara blickte nervös auf ihr Handy und begann, an ihrer Haut zu zupfen – eine Angewohnheit, die sie oft in stressigen Momenten zeigte.
„Hey, alles okay bei dir?“, fragte ich behutsam, während Giulia die Stirn runzelte und ergänzte: „Du siehst gerade so aus, als würdest du dein Handy am liebsten gegen die Wand werfen wollen.“ Ein leichtes Schmunzeln spielte sich auf Chiaras Lippen ab, doch sie zögerte in ihrer Antwort. „Also, ich mach ja aktuell mein Praktikum in dieser riesigen Firma, und eigentlich läuft alles wirklich gut. Aber da ist dieser Typ, der einfach nicht lockerlässt. Und jetzt hat er mir auch noch privat geschrieben. Als ob ich nicht schon genug Stress hätte...“

Giulia hob besorgt ihre Augenbraue. „Okay, aber was meinst du mit ‚nicht lockerlassen‘?“ Chiara seufzte schwer. „Nun ja, er ist ziemlich aufdringlich, fast wie eine Klette. Er fragt ständig nach Dates, tauchte letztens sogar auf einer Party auf, auf der ich auch war, weil er wissen wollte, wie ich mein Wochenende verbringe. Schon gruselig, oder? Am Anfang hätte ich noch gesagt, dass er nett wäre, aber mittlerweile finde ich es einfach nur unangenehm.“

Ein Kloß bildete sich in meinem Magen. „Hast du ihm klar kommuniziert, dass er dich in Ruhe lassen soll?“ Giulia fügte aufheiternd hinzu: „Vielleicht könnten wir ihm eine Lektion erteilen – auf die harte Tour oder so?“ Sie zwinkerte dabei. Chiara nickte bedächtig. „Ja, habe ich. Aber der Typ hat anscheinend eine Hartnäckigkeitsstufe von 1000. Kommunikation hilft da nicht mehr, vielleicht aber ein Exorzist?“ Sie scherzte, doch unter dem Humor lag eine ernste Situation, die Chiara lösen musste.
Der Grundstein für eine Utopie?
„Also, ich finde es absurd, dass wir Frauen immer noch damit kämpfen müssen, uns am Arbeitsplatz sicher zu fühlen. Es wäre toll, wenn wir alle einfach unsere Arbeit machen könnten, ohne ständig über unsere Schulter zu schauen, als ob wir in einem schlechten Actionfilm wären. Ist doch egal, ob durch Kund*innen, Arbeitskolleg*innen oder Chefitäten“, Giulia warf dabei einen nachdenklichen Blick in die Luft. „Aber was bedeutet Sicherheit überhaupt? Ist es nur die Abwesenheit von physischer und psychischer Gefahr, oder steckt noch mehr dahinter?“ Wir lehnten uns zurück und dachten drüber nach.
meinte Chiara. „Das klingt ja fast wie der Grundstein für eine Utopie“, lachte ich, „aber im Ernst, wir leben in einer Gesellschaft, die Geschlechtsstereotype und -gewalt so normalisiert, dass es für viele zur täglichen Realität wird. Ich hatte letztens auch so ein Erlebnis, als ich abends nach Hause ging und plötzlich von einem Typen verfolgt wurde. Das kanns doch nicht sein“, erzählte ich mit einem resignierten Seufzen. „Echte Sicherheit kann nur erreicht werden, wenn jeder die Freiheit hat, einfach so zu sein, wie man ist – egal ob bei Tag oder bei Nacht, ohne Angst haben zu müssen“, meinte Giulia.
Sicherheit als Verpflichtung
„Im Endeffekt ist Sicherheit keine Endstation, sondern ein Prozess, der von jeder Seite und jedem Menschen kontinuierliche Aufmerksamkeit und Anstrengung erfordert. Es ist wie unsere Prüfungsphase gerade, die gefühlt nie endet, außer wenn die Professor*innen endlich das Zeitlimit setzen. Sicherheit ist kein fertiges Puzzle, es darf aber auch nicht nur ein Ziel sein, sondern muss zur Verpflichtung für das Leben werden. Und hey, das kann ganz schön ermüdend sein“, werde ich von Giulia unterbrochen, „vor allem wenn man dabei von einem Kerl verfolgt wird oder wenn der Mitarbeiter anbietet, sich zum schlechten Witz zu machen…“ Chiara lacht endlich wieder. „Nicht jeder Mann ist so, das wissen wir, aber es ist nicht schön.“ „Wisst ihr, was aber wichtig ist? Wir sind nicht allein in dieser Situation. Wir haben einander, haben unsere Freundschaft. Also, cheers auf uns und auf eine bessere Welt.“ „Und, wenn alles schief geht, können wir sein Haus immer noch mit Klopapier bewerfen“, lacht Giulia.


Ein Nachkommentar von Chiara
„Ich bin froh, dass ich Sicherheit in den warmen Gesprächen und der Unterstützung meiner Freundinnen finden kann. In ihren Umarmungen und den gemeinsamen Momenten finde ich Verständnis und die Gewissheit, dass ich nie allein bin. Dafür bin ich dankbar. Ein Gespräch zwischen meiner Praktikumsmentorin, meinem Arbeitskollegen und mir hat das gelöst. Das war auch nur möglich, weil ich nach einem fruchtlosen Gespräch mit ihm endlich den Mut hatte, mich einer dritten Person anzuvertrauen und dort ernst genommen wurde. Also, wenn ihr euch unsicher fühlt, redet darüber. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen.“

Getrieben von Furcht

Wenn die Schatten näherkommen

// Kathinka Enderle //
© Chad Madden - unsplash
Das unsichtbare Leid - Verfolgt von der Vergangenheit
Lenas Geschichte
„Ich war damals 20, er 25. Anfangs lief alles gut. Langsam, fast unmerklich, begann er sich zu verändern. Am Anfang war er ein Traummann, mit der Zeit wurden selbst kleine Diskussionen intensiv. Sein Temperament explodierte, Möbel wurden gerne zu Opfern seiner Wutausbrüche. Er isolierte mich langsam, aber immer mehr. Den Kontakt mit meinen Eltern wollte er mir verbieten.Ich war blind vor Liebe oder vielleicht vor der Lüge, die er mir erzählte. Nach fast einem Jahr wollte ich ausbrechen, nichtsahnend dass das der Anfang von Vielem war. Monate des Stalkings mit Drohnachrichten, Anrufen und Briefen folgten. Ich blockierte ihn, aber er fand neue Wege. Versuche, den Kontakt zu unterbinden und an sein Verständnis zu appellieren, scheiterten. Nach Monaten ließ er mich sein. Seine „Abschiedsnachricht“ war wie ein Schlag ins Gesicht. Er datete eine neue Frau, während er mich stalkte. Sein letzter Satz lautete: „Man sieht sich immer zweimal im Leben, dann sicherlich als Freunde.“ Wie könnte ich je nach so viel Leid und Trauma mit so einem Menschen befreundet sein?“
Gibt es bestimmte Momente oder Orte, an denen du dich besonders unsicher fühlst?
„Jeder Ton auf meinem Handy löste lange Zeit Panik in mir aus. Sogar in meinem Heim fühlte ich mich nicht mehr sicher, da er mir angedroht hatte, er würde kommen, um mir Schaden zuzufügen. Seitdem habe ich Vertrauensprobleme und starke Angst. Um mich sicher zu fühlen, wechselte ich meinen Wohnort. Selbst jetzt, Jahre später, lasse ich niemanden mehr schnell in mein Leben. Ich bin in Therapie und arbeite daran, diese Erfahrung zu überwinden. Aber auch bei Fortschritten bleibt ein mulmiges Gefühl. Narben des Traumas müssen heilen.“
Sprichst du über deine Erfahrungen oder bevorzugst du es, lieber darüber zu schweigen?
„Lange Zeit war es mein Geheimnis, das nur meine Familie wusste. Als ich das erste Mal davon erzählte, war es ein Notfallplan, falls mir etwas passieren sollte. Danach schwieg ich. In der Therapie spreche ich darüber, aber kaum außerhalb der Sitzungen. Vielleicht ist es die Scham, die Angst vor der Meinung anderer... Oder das Gefühl, dass kaum jemand verstehen kann, was ich durchgemacht habe. Aber Schweigen ist keine Lösung. Es ist ein Teil meiner Heilung, langsam aber sicher, auch anderen davon zu erzählen und offener damit umzugehen.“
Wie denkst du, beeinflusst Geschlecht die Art und Weise, wie du von deinem Stalker belästigt wurdest?
„Sein Denken war von einem konservativen Weltbild geprägt. Für ihn gehörte die Frau in die vier Wände, unsichtbar für die Welt, und vor allem gehörte sie ihm. Das wurde erst später klar. Frauen mussten sich unterwerfen und Männern gehorchen. Sein Verhalten und sein Versuch, mich zu kontrollieren und zurückzuholen, bestätigten das. Es war, als würde er versuchen, mich in eine Rolle zu drängen, die er für mich vorgesehen hatte. Das war nicht nur beängstigend, sondern auch demütigend.“
Gibt es Ressourcen oder strukturelle Unterstützungsangebote, die du dir wünschen würdest?
„Ich hatte nie das Selbstvertrauen, um zu meinen Grenzen zu stehen, das machte mich anfällig für Manipulation. Ich würde mir wünschen, dass so etwas Kindern beigebracht werden würde. Ich wusste auch nicht, dass Einrichtungen mir helfen könnten. Ich ging nicht zur Polizei, weil ich dachte, es würde nichts bringen. Im Nachhinein weiß ich es besser. Leider kommen einem diese Ressourcen oft nicht als erstes in den Sinn, wenn man in dieser Situation steckt. Ich fände es gut, wenn es mehr Information darüber gebe, dass es Hilfe gibt.“
Zwischen Bedürfnis und Bedrohung – Im Mittelpunkt der Obsession
Hannahs Geschichte
„Ich lernte einen Mann meines Alters über eine Dating-Plattform kennen, leider gingen meine Gefühle nicht über Freundschaft hinaus. Das habe ich deutlich gemacht und er schien es zu akzeptieren. Bald erzählte er mir, dass er eine instabile Kindheit hatte, ohne richtige Elternrollen. Er sehnte sich im extremen Maß nach Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit –für ihn war ich das perfekte Objekt dafür. Es entwickelte sich schnell zur Obsession. Ich musste 24/7 für ihn in Bereitschaft sein. Antwortete ich nicht gleich, begann er mich mit Anrufen und Nachrichten zu überfluten. Er entschuldigte sich jedes Mal, wenn ich auf meine Grenzen verwies, änderte sein Verhalten aber nicht. Nach einer Weile brach ich den Kontakt ab. Anfangs wäre ich bereit gewesen, eine freundschaftliche Rolle zu übernehmen, aber definitiv nicht die einer Mutter, eines strengen Vaters oder einer Partnerin. Ich blockierte ihn, aber er versuchte mich über alle meine Social-Media-Profile zu kontaktieren, irgendwann auch bei meiner Familie und Arbeit. Schließlich rief ich ihn ein letztes Mal an und sagte ihm klar und direkt, was Sache ist. Er war schockiert und verletzt, aber ich denke, er hat verstanden, wie ungesund sein Verhalten war, schließlich ging das über Jahre so.“
Gibt es bestimmte Momente oder Orte, an denen du dich besonders unsicher fühlst?
„Nein, eigentlich nicht. Unsicherheit entstand weniger in Momenten oder an Orten, sondern mehr durch die intensive Kontakt-Dynamik mit ihm. Er beanspruchte überdimensionale Aufmerksamkeit und verursachte ‚zachen‘ Stress. Wenn ich ihm keine Zeit widmete, drohte er damit, sich selbst etwas anzutun. Es war also eher seine Persönlichkeit, durch die ich mich unsicher fühlte, und die Frage, wie ich angemessen reagieren sollte.“
Sprichst du über deine Erfahrungen oder bevorzugst du es, lieber darüber zu schweigen?
„Zu sprechen fällt mir leicht. Meine Freunde wussten davon und halfen mir. Ich erkannte, dass ich nicht die Verantwortung für ihn trage. Ich habe versucht zu helfen, aber ich bin weder Psychologin noch Psychiaterin und kann seine Traumata nicht aufarbeiten – noch möchte ich sie auf mich übertragen lassen. Ich empfinde Mitgefühl für ihn, aber mein Wunsch, dass er Hilfe bekommt, überwiegt.“
Wie denkst du, beeinflusst Geschlecht die Art und Weise, wie du von deinem Stalker belästigt wurdest?
„Mein Geschlecht als Frau hat ihn sicher beeinflusst. Meine Weiblichkeit wurde zu einer Projektionsfläche für seine unerfüllten Bedürfnisse nach Liebe, Fürsorge und Aufmerksamkeit – Gefühle, die er von seiner Mutter nie bekommen hatte. Die Liebe aber auch die Strenge, auf den Tisch zu hauen, war etwas, was er sich gewünscht hatte, aber nie erlebt hat. Er projizierte Sehnsüchte auf mich und versuchte so, die Lücken seiner Kindheit zu füllen. Es wäre für ihn besser gewesen, professionelle Hilfe zu suchen, anstatt elterliche Rollen in anderen.“
Gibt es Ressourcen oder strukturelle Unterstützungsangebote, die du dir wünschen würdest?
„Ich erinnere mich daran, dass während meiner Schulzeit oft Vertreter der Polizei kamen, um den sicheren Umgang mit dem Internet aufzuklären. Ich denke, eine ähnliche Aufklärung von professionellen Fachkräften bezüglich Stalking wäre für Schüler*innen hilfreich.“