Im völlig falschen Film

ME/CFS

// Hannah Lechner //
Noch vor zwei Jahren war ME/CFS nicht Teil meines Wortschatzes. Dann erkrankte eine enge Freundin und konnte, nach einiger Zeit mit leichteren Symptomen, die niemand einzuordnen vermocht hatte, plötzlich nicht mehr aufstehen. Was ME/CFS ist, warum eine Psychosomatisierung gefährlich ist, Schwerbetroffene nicht übersehen werden dürfen und was ME/CFS zur politischen Krankheit macht1.
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Die Myalgische Enzephalomyelitis bzw. das Chronische Fatigue Syndrom (kurz ME/CFS) ist eine komplexe Multisystemerkrankung, der vermutlich eine starke Fehlregulation des Nervensystems, des Immunsystems und des Stoffwechsels zugrunde liegt. Betroffene leiden an einer schweren körperlichen Erschöpfung (der sog. Fatigue), die mit einer Reihe anderer körperlicher und kognitiver Symptome einhergeht – etwa mit grippeähnlichen Symptomen, mit unterschiedlichsten Schmerzen, mit Herzrasen, Schlaf- und Verdauungsstörungen, mit Konzentrationsschwierigkeiten, einer extremen Reizempfindlichkeit oder einem starken Gefühl des ‚benebelt‘-Seins (dem sog. Brain Fog). Welche Symptome genau und in welcher Stärke sie auftreten, unterscheidet sich von Person zu Person: ME/CFS kann bedeuten, nur noch halbtags statt ganztags arbeiten zu können oder für eine Zeit lang gar nicht, sie kann bedeuten, dass einem der Weg um den eigenen Block und das Einkaufen zu anstrengend werden und man das Haus nur noch selten verlässt, sie kann bedeuten, an manchen Tagen auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, um sich fortzubewegen und nicht mehr Autofahren zu können, weil selbst zum Drücken der Kupplung die Kraft fehlt, sie kann bedeuten, immer wieder für mehrere Stunden oder Tage in einem leisen, abgedunkelten Raum liegen zu müssen, weil Licht und Geräusche unerträglich werden oder aber sie kann – in ihrer schwersten Form – bedeuten, das Bett gar nicht mehr zu verlassen, sich nur für wenige Minuten oder gar nicht unterhalten zu können, den Knopf seiner elektrischen Zahnbürste nicht mehr selbstständig drücken zu können und, selbst um sich umzudrehen, zu waschen, zu essen auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Charakteristisch für ME/CFS ist die sogenannte Postexertionelle Malaise (kurz PEM). PEM meint eine anhaltende Verstärkung der Symptome, die durch geringe körperliche oder geistige Anstrengung ausgelöst wird und meist zeitversetzt am nächsten Tag eintritt. Je nach Schweregrad der Erkrankung kann PEM durch einen Termin außer Haus, durch eine zu lange Unterhaltung oder aber durchs Haare waschen, die bloße Anwesenheit einer Person im selben Raum, die vielleicht kurz zu laut gesprochen hat, oder das Rauschen des Staubsaugers im Nebenzimmer ausgelöst werden. „Klassische“ Reha, in der daran gearbeitet wird, die eigenen Belastungsgrenzen durch kontinuierliche Anstrengungssteigerung nach und nach wieder zu dehnen, ist demnach der völlig falsche Ansatz – das wichtigste Element des Symp­tommanagements heißt vielmehr Pacing. Pacing bedeutet, innerhalb der durch die Krankheit vorgegebenen Belastungsgrenze zu bleiben, also sich körperlich und kognitiv zu schonen, um keine PEM und damit keine Zustandsverschlechterung auszulösen. Wie diese Schonung ausschaut, hängt vom Schweregrad der Erkrankung ab. Die für ME/CFS typische Symptomatik tritt typischerweise plötzlich nach einer Infektion mit einem Virus oder Bakterium auf, ab einem Anhalten der Symptome von sechs Monaten spricht man von Myalgischer Enzephalomyelitis bzw. Chronischem Fatigue Syndrom. Einer von vielen möglichen Auslösern ist das Corona-Virus – bis zu 50 Prozent der Long COVID-Erkrankten erfüllen nach sechs Monaten die Kriterien für ME/CFS, wodurch die Anzahl der Betroffenen durch die Pandemie weltweit drastisch angestiegen sein dürfte. Laut der Organisation ME/CFS Südtirol leben allein in Südtirol zwischen 2.000 und 4.500 Betroffene, über 70 Prozent davon sind nicht in der Lage zu arbeiten oder ihrer Ausbildung nachzugehen, 25 Prozent können das Haus oder Bett nicht verlassen, über 90 Prozent leben ohne bzw. mit falscher Diagnose. Denn: Wie genau ME/CFS ausgelöst wird und was genau dabei im Körper passiert, ist nach wie vor unklar.


Forschungslücke & Psychosomatisierung
„ME/CFS gehört zu den letzten großen Krankheiten, die kaum erforscht sind“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS auf ihrer Website und vergleicht den Forschungsstand mit jenem zu Multipler Sklerose vor 40 Jahren. Ein sogenannter Bio-Marker, also ein nachweisbares und für die Krankheit charakteristisches Merkmal (etwa im Blut), das diese eindeutig erkennbar macht und eine Diagnose damit sehr viel einfacher, wurde bisher nicht gefunden. Auch für ME/CFS zugelassene Medikamente gibt es bisher keine. Zur Symptomlinderung werden versuchsweise Medikamente für andere Erkrankungen (etwa sehr niedrig dosierte Neuroleptika und Opioid-Antagonisten) eingesetzt (sogenannter Off-Label-Use), ohne dabei ganz genau zu wissen, warum diese eine Wirkung zeigen – der Weg zur Verschreibung und Finanzierung dieser Medikamente ist für die Betroffenen dementsprechend mühsam und lang.
Sich mit ME/CFS auseinanderzusetzen, ist ein Wechselbad aus Ungläubigkeit darüber, dass der Körper eines (jungen) Menschen plötzlich einfach nicht mehr mitmacht, aus Verunsicherung und Verzweiflung ob fehlender Informationen und erst jetzt langsam voranschreitender Forschung, und aus Wut über Respektlosigkeit und die große Ungerechtigkeit, die viele Betroffene erleben – es ist das Gefühl, im völlig falschen Film zu sein. Denn obwohl die Krankheit schon seit den 50er-Jahren bekannt ist, gibt es in Deutschland etwa erst seit 2020 erste öffentliche Forschungsförderungen, die wenige in Italien existente Forschung wird größtenteils durch private Spendengelder finanziert. ME/CFS wurde von der Medizin jahrzehntelang in die psychosomatische Ecke geschoben – auch wenn im Laufe der Zeit eine Reihe organischer Auffälligkeiten gefunden wurden, die auf einen körperlichen Ursprung der Symptome hinweisen. Psychosomatische Krankheitsmodelle, wie beispielsweise noch 2011 von der sogenannten PACE-Studie, der bisher größten und einflussreichsten wissenschaftlichen Studie zu ME/CFS, postuliert, gehen davon aus, dass die Symptome nicht durch krankhafte Prozesse im Körper entstehen und aufrechterhalten werden, sondern vielmehr durch sogenannte „dysfunktionale Überzeugungen“ der Betroffenen. Zustandsverschlechterungen werden vor diesem Hintergrund als Folge einer negativen Erwartungshaltung interpretiert, Pacing nicht als überlebensnotwendiges Energie- und Symptommanagement, sondern als ängstliche Vermeidung von Aktivität. Die PACE-Studie gilt, unter anderem aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Qualität, mittlerweile zwar als Skandal und unterschiedliche körperliche Vorgänge, etwa während der PEM, konnten inzwischen mess- und damit objektivierbar gemacht werden – der „schlechte Ruf“ von ME/CFS als psychosomatisches Leiden bröckelt allerdings nur langsam: Wie auch in Bezug auf viele andere schlecht erforschte und damit wenig bekannte Krankheiten, die im Medizinstudium häufig gar nicht vorkommen, sind psychosomatische Krankheitsmodelle selbst unter Ärzt*innen nach wie vor weit verbreitet. Die psychosomatische Zuschreibung der Symptome und psychosomatische Fehldiagnosen, mit denen Betroffene oft jahrelang leben müssen und gegen die sich zu „wehren“ noch immer ein Kraftakt ist, führen zum einen dazu, dass Therapieversuche in Form von gesteigertem körperlichem und kognitivem Training den Zustand vieler Betroffener nachhaltig verschlechtern und somit das Gegenteil bewirken. Sie erschweren außerdem die Anerkennung von Erwerbsminderung und Pflegegrad, so dass Betroffene häufig sehr lange und oft vergeblich um pflegerische und soziale Leistungen kämpfen müssen, die sie benötigen würden.
Meist sind sie darauf angewiesen, dass Pflegearbeit und finanzielle Unterstützung vom privaten Umfeld übernommen werden – ein Umstand, der die Frage nach dem Wohlbefinden von Menschen mit ME/CFS auch und unmittelbar zu einer Frage sozialer Privilegiertheit macht.
Neben gesundheitlichen Schäden und großen Hürden in Bezug auf Unterstützungsleistungen, führte und führt die Psychosomatisierung von ME/CFS zu einer großen Stigmatisierung der Betroffenen: Der weit verbreitete Glaube, die Symptome wären durch das eigene Verhalten beeinflussbar, wenn man nur genug „will“, verschiebt deren Verbesserung in den individuellen Verantwortungsbereich. Durch unerfüllbare Erwartungen und damit einhergehende Schuldzuschreibungen, Verständnislosigkeit, respektlose Äußerungen und Umgangsformen und das ständige Konfrontiert-Sein damit, nicht ernst genommen zu werden, kommt so für viele Betroffene zum körperlichen Leiden ein großer psychischer Leidensdruck, der die Situation zusätzlich verschärft.


ME/CFS ist politisch
ME/CFS ist ein Kampf. Um Sichtbarkeit, um dringend erforderliche Forschung und gegen Psychosomatisierung, um (rechtliche) Anerkennung und die notwendige Unterstützung, um eine Diagnose und die richtige Therapie, gegen soziale Stigmatisierung und Ausgrenzung und darum, ernst genommen und respektvoll behandelt zu werden – vom eigenen sozialen Umfeld, vom medizinischen Personal, von der Politik. Die sozialen Bedingungen, in denen er stattfindet, machen diesen Kampf politisch, der damit einhergehende Energieaufwand macht die Hürden für Schwerbetroffene umso größer und diese am unsichtbarsten. Dass es sich bei ME/CFS um eine Krankheit handelt, von der zu zwei Dritteln Frauen2 betroffen sind, ist in diesem Kontext wenig überraschend und noch weniger zufällig. Die Psychosomatisierung und Unsichtbarmachung von „Frauenleiden“ hat eine lange Geschichte – denken wir nur an das Krankheitskonzept der Hysterie. Dieses kam auch in Bezug auf ME/CFS zum Einsatz: Noch in den 70er-Jahren wurde die Krankheit im British Medical Journal von zwei Psychiatern als „epidemische Hysterie“ beschrieben, da vor allem Frauen bzw. Krankenschwestern daran erkrankten. Inzwischen wurde der Hysteriebegriff aus der Internationalen Klassifikation der Krankheiten zwar gestrichen und geistert nur noch als Relikt eines zutiefst sexistischen „Krankheitsbildes“ durch unseren Alltagswortschatz – medizinische Ungleichbehandlung ist damit aber längst nicht Geschichte. Forschung zu anderen Krankheiten, die hauptsächlich oder ausschließlich Menschen mit biologisch weiblichen Geschlechts- und Reproduktionsorganen betreffen wie etwa Endometriose, zeigt, dass nicht objektiv messbare, sondern nur durch individuelle Erfahrungsberichte erfassbare Symptome, wie etwa die Stärke von Schmerzen, bei Frauen tendenziell als geringer eingestuft und sehr viel später ernst genommen werden als bei Männern. Auch Herzinfarkte werden bei Frauen im Durchschnitt schlechter und später erkannt, weil diese jahrzehntelang systematisch aus der medizinischen Forschung ausgeschlossen wurden, ihre Symptome aber von jenen von Männern abweichen. Sicherheit im medizinischen Kontext bedeutet die Sicherheit, ernst genommen zu werden und das Recht auf eine sichere Diagnose und Behandlung. All das ist für Frauen nach wie vor alles andere als selbstverständlich. Und auch nicht für Menschen mit ME/CFS.
1 Dieser Text beruht auf meinen eigenen Erfahrungen und dem Wissen, das ich mir im Laufe der vergangenen zwei Jahre angeeignet habe. Als Quelle für medizinische und statistische Hintergrundinformationen dienten außerdem die Webseiten der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und des Fatigue Centrums der Berliner Charité.
2 Wenn im medizinischen Kontext die Reden von Frauen ist, sind sehr oft eigentlich AFAB (assigned female at birth) Personen gemeint, was sowohl cis Frauen als auch trans Männer und nicht binäre Personen einschließt, die bei ihrer Geburt als weiblich zugewiesen worden sind.

Per tutto e di più

Una giornata mondiale

// Tilia //
Quando sono a casa la radio è quasi sempre accesa. Ormai da tempo ho notato che si dedicano sempre più spazi, o addirittura intere trasmissioni, alla “Giornata mondiale del...”. Praticamente ogni giorno dell’anno si celebra o si ricorda qualcosa.
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Mentre scrivo questa rubrica, oggi 19 marzo, è la festa del papà. Ma curiosando online ho scoperto che oggi è anche la Giornata mondiale del Servizio Sociale, importantissimo, e di Azione per il Clima, il movimento dei giovani ispirato da Greta Thunberg. Sempre più incuriosita ho dato un’occhiata all’elenco annuale delle Giornate mondiali e... mi si è aperto un mondo! Ogni giorno è dedicato a temi diversi o a più tempi contemporaneamente, dalle cause sociali alle celebrazioni di eventi storici, dalla salute al benessere, dall’ambiente alla cultura.

In aprile, per esempio, mese di uscita del primo numero di ëres del 2024, si ricordano: il 2/4 la sensibilizzazione sull’autismo, il 4/4 è la giornata mondiale contro le mine, il 7/4 della salute. Proseguendo, il 12/4 è, insieme, la giornata mondiale del criceto (mai avrei pensato ne esistesse una) e dei viaggi dell’uomo nello spazio. Poi il 14/4 dei delfini, il 21/4 della creatività e dell’innovazione, 22/4 della Terra (Earth day), 23/4 del libro e del diritto d’autore, della lingua inglese e spagnola, 24/4 giornata contro la meningite e giornata del multilateralismo e della diplomazia per la Pace (ONU). Il 25 aprile è la festa nazionale della liberazione, ma ho scoperto essere anche la giornata mondiale dei pinguini e della malaria. E ancora il 26/4 è giornata della proprietà intellettuale e di commemorazione del disastro di Chernobyl.

Si arriva così al 28 aprile, in cui si celebra la giornata internazionale per la sicurezza sul lavoro, tema questo, della sicurezza, a cui è proprio dedicato il numero di ëres. In occasione dello scorso 8 marzo, EU-OSHA (Agenzia Europea per la salute e la sicurezza sul lavoro) ha ricordato come sia sacrosanto il diritto delle donne e delle ragazze di vivere e lavorare senza subire violenze, sia online sia offline. Il datore di lavoro deve valutare i rischi sulla base della differenza di genere, mettendo in pratica le corrette misure di prevenzione e protezione per garantire un luogo di lavoro sicuro. EU-OSHA ha varato anche un documento che delinea i quadri politici dell’UE e nazionali formulando suggerimenti concreti sulle misure da adottare negli ambienti di lavoro per individuare le donne a rischio e offrire sostegno alle vittime di tali violenze. Non va dimenticato l’impatto della violenza domestica sul luogo di lavoro: gli abusi incidono sulla salute, sul benessere e sulla produttività delle vittime, comportando spesso interruzioni di carriera e possibilmente ripercuotendosi sui colleghi e datori di lavoro. La sicurezza sul lavoro sì che si dovrebbe ricordare e soprattutto salvaguardare ogni giorno, ogni ora, ogni minuto e ogni secondo di tutto l’anno.