Kommentar | EM 2021 – Wir ziehen Resümee

Pooo-po-po-po-po-poooo-pooooooo…

// Bettina Conci //
Der Freudentaumel über die EM 2021 hat sich gelegt, das Fußballfieber ist abgeklungen. Wir ziehen Resümee – mit einem wohlwollenden Blick auf den steigenden Frauenanteil bei der Fußballberichterstattung und Erstaunen über die Kritik an Frauenstimmen im Journalismus: zu laut, zu viel, zu schrill.
Immer noch topaktuell: Die Grafik des ZDF 2018 zu weiblichen Kommentatorinnen im Sport. © Twitter/ZDF Heute-Show
Frau hat es schwer. Das ist nichts Neues. Die ultimative Challenge ist aber, wenn Frauen sich in Männerdomänen einmischen und sich partout nicht von dort vertreiben lassen. Fast schon amüsant mutet das Spektakel um die weiblichen Sportmoderatorinnen und -journalistinnen bei der EM 2020, ausgetragen im Sommer 2021, an. Die gute Nachricht: Es werden langsam, aber stetig mehr. Die schlechte: Je bedrohter sich die paar Neandertaler fühlen, denen das missfällt, umso unflätiger werden die Reaktionen.
Paola Ferrari, Urgestein der RAI-Sportredaktion, Gesicht der Domenica Sportiva und Moderatorin der Berichterstattung zur EM 2020, trotzt erfolgreich allen sexistischen Anfeindungen und Diskreditierungsversuchen: Sie wird von der breiten Masse des italienischen Publikums für ihre Arbeit geschätzt. Genderübergreifend. Was den Shitstorm nicht verhindern konnte, den es nach dem Auftakt Frankreich gegen Deutschland gab. Vor dem Spiel hatte Frau Ferrari es gewagt, trotz Abendkleid die Beine in „Basic Instinct“-Manier übereinanderzuschlagen und dabei ihr Höschen hervorblitzen zu lassen, danach fiel sie durch die eigenwillige Aussprache einiger Spielernamen auf. Ihr Landsmann Giacomo Capuano, dem beim Match Holland – Österreich derselbe Fauxpas passierte (die Aussprache, nicht das Höschen-Gate), wurde kaum namentlich erwähnt. Nicht einmal nach dem viralen Twitter-Videoclip dazu.
Bei den nördlichen Nachbarn dürfen Frauen nicht nur moderieren, sondern sogar kommentieren, wie die Grazerin Anna Lallitsch als erste Reporterin live bei einem EM-Spiel im ORF. Nicht ohne sofort eine klassische Sexismus-Attacke abzukriegen: Der alte weiße Mann, der sich ihrer annahm, war Sportmoderator Othmar Peer, der in einem blamablen Tweet irgendwas von Ärgernis für seine Ohren und gepresster, schriller Stimmlage delirierte, ihr aber immerhin Attraktivität und Kompetenz (natürlich in dieser Reihenfolge) bescheinigte. Eine Frauenstimme, die Fußball kommentiert, so nervig wie eine Vuvuzela im empfindlichen Männerohr? Was erlauben?
Deutschland gibt sich frauenfreundlich, die Riege der Sportstudio- und Fußballmoderatorinnen und auch Kommentatorinnen ist so breit aufgestellt wie die Verteidigung der italienischen Nationalmannschaft in den Neunzigern. Und halb so fad. Trotzdem gibt es sie auch hier, die Shitstorms, die mancher und manchem vielleicht unbedeutend scheinen, aber doch dem einen Zweck dienen, den Frauen eine hart erkämpfte Position abspenstig zu machen. Katrin Müller Hohenstein und Claudia Neumann, um nur zwei der weiblichen Profis in der Fußballberichterstattung zu nennen, sehen sich Anfeindungen im Netz ausgesetzt, von denen die harmloseste die ist, dass Frauen einfach nur Frauensportveranstaltungen moderieren oder kommentieren sollen.
Nun gut. Dann sollten wir vielleicht in Zukunft auch nur Frauenkleider designen, Frauen unterrichten, Frauenprodukte herstellen und vor allem: für Frauen arbeiten.
„Frauen sind heute ganz selbstverständlich in allen Sportarten aktiv, und genau so normal sollten […] Frauen als Expertinnen und Journalistinnen in wirklich allen Sportarten sein.“
DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe und Vorsitzende des Journalistinnenbundes Rebecca Beerheide

Think

Don’t call them Quotenfrauen

// Bettina Conci //
Kaum hatte die Debatte über Frauenquoten begonnen (das war in den Achtzigern), wurde der Begriff „Quotenfrau“ auch schon negativ besetzt. Im Jahr 2021, in dem sich Frauen vom Kaliber einer Kamala Harris oder Ursula von der Leyen selbst so bezeichnen, ist es Zeit, der negativen Konnotation des Begriffs den Kampf anzusagen.
50:50 auf allen Ebenen: Ein Traum, der nicht so unrealistisch ist, wie man uns weismachen will. © Unsplash / Brooke Lark
Quotenfrauen steigern den Erfolg eines Unternehmens. Kritische Stimmen halten dem entgegen, dass es keine eindeutigen Beweise für diese These gibt, woraufhin Befürworterinnen und Befürworter der Frauenquote einräumen, dass ein hoher Frauenanteil und höhere Gewinne vielleicht nur zufällig Hand in Hand gehen, es aber genügend andere schlagkräftige Argumente für eine verpflichtende Frauenquote in der Wirtschaft gibt (wie sie in Italien seit 2012 in Kraft ist, zumindest für börsennotierte Unternehmen und Firmen mit staatlicher Beteiligung).
Laut einer Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2020 haben Unternehmen mit diversen Führungsteams eine 9 Prozent höhere Gewinnmarge und einen 20 Prozent höheren Umsatzanteil durch Innovationen als ihre Mitbewerber mit höherem Männeranteil. Eine „Mixed Leadership“ mit mindestens 30 Prozent Frauenanteil führt laut verschiedenen Langzeituntersuchungen zu einer höheren Leistung einer Organisation als Ganzes. Die Gründe dafür: Einbringung verschiedener Perspektiven, Steigerung der Gruppenintelligenz, bessere Arbeitskultur, genauere Vorbereitung, besseres Risiko-, Krisen- und Kommunikationsmanagement.
Frauen sind nicht schlechter qualifiziert oder weniger mutig und redegewandt
Auch das Argument, qualifizierte weibliche Arbeits- und vor allem Führungskräfte seien so schwer zu finden, ist hinfällig, wenn man sich die Zahlen der Personen mit Hochschulabschluss anschaut. In Deutschland haben die Frauen in allen für Führungspositionen in großen Unternehmen relevanten Fächergruppen (außer Ingenieurwissenschaften) mit 52 Prozent die Nase vorn. In Italien waren im Jahr 2019 57 Prozent der Uni-Abgängerinnen weiblich. Interessant dabei: Schaut man sich die Karrieren innerhalb des Universitätsbetriebs an, schaffen es selbst dort nur wenige Frauen nach ganz oben: Von den ordentlichen Professoren waren 2018 laut der Plattform scienzainrete.it nur mehr 24 Prozent Frauen.
Und hier liegt auch schon die Wurzel des Übels: Frauen sind nicht schlechter qualifiziert, schlechter organisiert oder weniger mutig und redegewandt. Sie sehen sich auf ihrem Weg auf der Karriereleiter nur mit mehr Hindernissen konfrontiert als Männer. Und dazu muss man nicht einmal die Totschlagargumente Kinder, Haushalt und Pflege anführen. Es gibt auch subtilere Knüppel, die man uns in den Weg legt. So zeigt eine 2018 veröffentlichte Harvard-Studie Missstände wie die bewusste Ausgrenzung von Frauen von wichtigen Informationsnetzwerken, härtere Bestrafung für Fehler und geringe Förderung von Frauen innerhalb der Unternehmen auf. Und in der Politik?
Gesetzesentwurf für eine Frauenquote auf Gemeindeebene
In den Parlamenten sämtlicher Mitgliedsstaaten der EU überwiegen die Männer. Einige Länder wie Italien, Frankreich und Portugal haben in den vergangenen 15 Jahren dank einer Quotenregelung aufgeholt, sind aber immer noch ziemlich weit entfernt von den skandinavischen Ländern, welche die Rangliste anführen (Tabellenführer Schweden sogar ohne Quote). Nicht einmal im EU-Parlament werden die 50 Prozent erreicht.
Schaut man sich an, wie es in Südtirol aussieht, ist das Ergebnis ernüchternd. Im Landtag ist der Frauenanteil seit den letzten Wahlen von elf auf neun geschrumpft. Eine Frauenquote nach dem Modell der Landtagswahlen wird nun auch für die Gemeinderatswahlen gefordert. Dazu haben die Grünen einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der auf die vergangene Legislaturperiode zurückgeht und endlich, nach langem Hin und Her, im September im Regionalrat behandelt werden soll. Der Zuwachs an Frauen, allen voran was das Amt der Bürgermeisterin betrifft, war zuletzt alles andere als berauschend.
Vielleicht sollten wir uns in Südtirol ein Beispiel an der deutschen Gleichstellungsinitiative ProQuote nehmen, welche die 50-Prozent-Quote an Frauen in journalistischen Organisationen fordert. Diese hat nämlich den Hashtag #ReframingQuotenfrau ins Leben gerufen, unter dem der Begriff „Quotenfrau“ in den sozialen Medien positiv besetzt werden soll.
Sind Sie eine Quotenfrau?
Brigitte Foppa © Manuela Tessaro
Brigitte Foppa, seit 2013 Grünen-Chefin im Südtiroler Landtag: „Natürlich bin ich eine Quotenfrau. Ohne die zweite Vorzugsstimme, die wir vor sieben Jahren parteiintern eingeführt haben, wäre ich nicht zur Spitzenkandidatin gewählt worden und nicht in den Landtag eingezogen. Die Bezeichnung Quotenfrau hat mich während der ganzen Kampagne und auch in der ersten Zeit im Landtag verfolgt. Mittlerweile hat sich das gelegt. Die abwertende Bezeichnung finde ich immer noch schrecklich.“
Jasmin Ladurner © Elisabeth Prieth
Jasmin Ladurner, seit 2018 Landtagsabgeordnete der SVP: „Ich glaube, auch in der Politik braucht es die Quotenregelung, damit wir als Frauen die kritische Masse erreichen. Schrieben die Listen nicht einen Frauenanteil von (immerhin!) einem Drittel vor, säße sicher nicht ich im Landtag, sondern ein Mann. Persönlich finde ich, dass Frauen selbstbewusster mit dem Begriff der Quotenfrau umgehen sollten. Damit er in Zukunft positiv besetzt ist, damit eine Quote irgendwann überflüssig ist, und um den Weg für unsere Töchter und Enkeltöchter zu ebnen.“
Warum es eine Frauenquote braucht © Bettina Conci