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„Wir müssen sie wollen, die Macht“

Die Journalistin, Autorin und ehemalige Europaabgeordnete Lilli Gruber machte 2019 mit dem Buch „Basta! Il potere delle donne contro la politica del testosterone“ von sich reden, in dem sie den Status quo analysiert, was die Gleichstellung von Frauen und Männern betrifft.
Journalistin Lilli Gruber © Federico Guberti per La Presse
ëres: In einem Artikel vom Juli 2020 für die Online-Ausgabe von „Io Donna“ stellen Sie fest, dass „die Mechanismen der männlichen Kooptation im Lauf der Jahrhunderte verfeinert wurden, während jene der Frauen sich noch warmlaufen müssen. Aber die Dinge ändern sich.” Worauf gründet dieser Optimismus, der auch in ihrem Buch „Basta” zutage tritt?
Lilli Gruber: Er gründet auf Tatsachen. Frauen sind sich der Notwendigkeit, Netzwerke zu bilden und andere Frauen zu unterstützen, zunehmend bewusst: Viele aus meiner Generation, die harte Feminismus-Schlachten ausgefochten haben, versuchen heute, den Jüngeren zu helfen, weiterzukommen. Auch die Herren in den Schaltzentralen der Macht fangen an zu verstehen, dass die reinen Männerclubs inakzeptabel sind, ihre Mitglieder schlecht dastehen lassen und nicht funktionieren. Last but not least haben smarte Firmen begriffen, das größere Diversität größeren Umsatz bedeutet. Denken wir nur an eine Vereinigung wie Valore D: Der italienische Unternehmerverband wurde 2009 gegründet, um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern, und ist heute ein Netzwerk aus über 260 Firmen. Auf institutioneller Ebene ist zu erwähnen, dass Italien 2020 der Equal Pay International Coalition beigetreten ist, und im Juni 2021 hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes die Rechtswidrigkeit des Gender Pay Gap unterstrichen, des geschlechtsspezifischen Lohngefälles, einer skandalösen Diskriminierung. Kurz: Die Schritte nach vorne werden gemacht, und sie sind auch zu sehen. Aber man darf nichts als selbstverständlich hinnehmen, niemals.
Und welche Frauen bestärken Sie in dieser Denkweise?
All jene, die keine Angst davor haben, sich in den Vordergrund zu stellen. Das ist nämlich eines der Übel, die es auszurotten gilt: den Drang vieler Frauen, sich zurückzuhalten, weil sie befürchten, nicht gut genug zu sein, nicht qualifiziert genug für eine Aufgabe, für die Teilnahme an einem Panel, für den Eintritt in eine Kommission. Mir fällt das auf, zum Beispiel wenn ich sie in meine Sendung „ Otto e mezzo” einlade und viele „kein gutes Gefühl“ dabei haben, während die Männer immer ein gutes Gefühl haben, auch wenn sie nicht vorbereitet sind. Ich verstehe, dass die Versuchung sich „zu verstecken“ groß sein kann angesichts einer medialen Landschaft, in der es hitzig zugeht, und der Aggressivität, die in den sozialen Medien herrscht – und die sich besonders heftig gegen Frauen richtet. Aber wir dürfen ihr nicht nachgeben. Nur so erlangen wir Sichtbarkeit, auch für andere Frauen.
In Ihrem Buch geht es um die sogenannten “starken Männer”, um Populisten wie Salvini, Trump, Putin, die sich ihr eigenes Grab schaufeln mit ihrem anachronistischen Verhalten. Wie denken Sie über Giorgia Meloni? Kann sie trotz ihres definitiv populistischen Handlungsansatzes etwas zum Feminismus beitragen?
Giorgia Meloni ist die einzige weibliche Parteichefin Italiens, das ist eine Tatsache. Sie wird einen Beitrag für unseren Kampf geleistet haben, sobald sich die italienische Linke dafür schämt, dass sie es nicht geschafft hat, eine weibliche Führungsspitze zu etablieren. Vor allem, weil die männliche sich nicht immer mit Ruhm bekleckert hat. Warum also nicht wenigstens mal dasselbe in weiblich versuchen?
Sie sind eine Verfechterin der Frauenquote. Was antworten Sie denen, die behaupten, Quotenregelungen seien kontraproduktiv, weil sie selbst wiederum eine Diskriminierung darstellen? Welche Taktik verwenden Sie, um die Skeptiker zu überzeugen?
Zu diesem Thema muss nicht lange herumgeredet werden. Die Zahlen sprechen für sich. Seit Einführung der Frauenquote in Italien mit dem Golfo-Mosca-Gesetz von 2011 ist der Frauenanteil in Verwaltungsräten und Gewerkschaftsvertretungen der öffentlich geführten und börsennotierten Gesellschaften (also jenen, die vom Gesetz betroffen sind) gestiegen. Vor 2011 betrug der Frauenanteil in den Unternehmensvorständen 7,4 Prozent, 2019 waren es 36,3 Prozent. Wäre das ohne Quote passiert? Nein. Das zeigt auch die Tatsache, dass diese Steigerung in den privaten Firmen, die vom Gesetz nicht betroffen sind, nicht stattgefunden hat: 13,8 Prozent vor 2011, 17,7 Prozent im Jahr 2019. Angesichts derartiger Zahlen ist die Wahrheit die: Wer der Frauenquote skeptisch gegenübersteht, will es einfach nicht verstehen.
Liest man auch nur einen kleinen Teil der Kommentare zu Ihrer Person in den sozialen Medien, wird auch gestandenen Frauen – und hoffentlich Männern – übel. Wie reagieren Sie auf „Hate Speech“ im Netz?
Ich halte mich nicht in den sozialen Medien auf, daher lese ich eventuelle Boshaftigkeiten nicht. Schon gar nicht verschwende ich Zeit darauf zu reagieren. Ich denke, dass wir das kommunikative Ökosystem verbessern, wenn wir den sozialen Medien etwas weniger Gewicht geben, die ein Instrument und daher naturgemäß weder gut noch böse sind: Es kommt darauf an, sie mit Hausverstand zu benutzen. „Hate Speech“, Aufforderung zur Gewalt, Diffamierung und Drohungen sind Straftaten und als solche mit der vollen Strenge des Gesetzes zu ahnden. Der ganze Rest ist die moderne Version des Stammtischgeredes in den Fünfzigern. Heute wie damals ist es möglich, Tisch zu wechseln.
Sie widmen den „Männerclubs“ ein Kapitel, in dem Sie wichtige Informationen im europäischen und globalen Kontext dazu liefern. Warum gibt es keine „Frauenclubs” oder warum haben sie keine so große Sichtbarkeit? Warum tun wir Frauen uns schwer damit, Lobbying zu betreiben? Es scheint fast, als würden wir es als etwas Unanständiges betrachten …
Das ist ein Vorurteil, das bekämpft werden muss. Wir Frauen sind nämlich sehr gut darin, Lobbys zu bilden, waren es schon immer. Von den Hexenzirkeln bis hin zu den Suffragetten, von den Amazonen bis zu den Mathematikerinnen der NASA-Raumfahrtprogramme in den 50er-Jahren haben es Frauengruppen stets geschafft, in die Geschichte einzugehen und Revolutionen zu starten. Über die Jahrhunderte hinweg wurde das weibliche Talent fürs Lobbying zunehmend auf das Umfeld beschränkt, in dem es am wenigsten Schaden anrichten konnte: die Familie. Hier ist auch der Ursprung des Mythos der blutrünstigen Rivalität und Missgunst unter Frauen zu suchen: Wir neigen nicht mehr als die Männer dazu, aber im engen Kreis einer Familie ist es unvermeidlich, dass sich Frust und Engstirnigkeit aufbauen. Auch aus diesem Grund ist es so wichtig, als Protagonistinnen im großen Spiel um Macht mitzumischen – und zu verstehen, dass es ein Mannschaftsspiel ist. Es geht nicht um die Eroberung des besten Sessels im Wohnzimmer, von dem es immer nur einen gibt. Es geht um die Eroberung der Schaltzentralen der Macht, von denen genügend für alle da sind.
Die negativen Auswirkungen des Klimawandels, die von Ihnen seit geraumer Zeit thematisiert werden, scheinen die notwendige Dringlichkeit erreicht zu haben, um in die politischen Agenden der Mächtigen Eingang zu finden. Kann diese Herausforderung eine Gelegenheit für uns Frauen sein, unsere Führungsfähigkeiten unter Beweis zu stellen und nach der Macht zu greifen?
Aber natürlich. Und das gleiche gilt für die Digitalisierung, den Kampf für wirtschaftliche Gerechtigkeit und Volksgesundheit auf der ganzen Welt, sowie für alle anderen Herausforderungen, an die es auch in Zukunft nicht fehlen wird. Aber wir müssen sie wollen, die Macht: für uns selber und für die anderen Frauen.

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Mut zur Macht

// Sabina Drescher //
Businesscoach Christine Bauer-Jelinek berät Männer, aber vor allem Frauen auf ihrem Weg zum Erfolg. Welche Mechanismen der Macht dabei wirken und worauf entsprechend zu achten ist, verrät sie im Interview.
Christine Bauer Jelinek ist Wirtschaftscoach, Keynote-Speakerin und Autorin zahlreicher Sachbücher, darunter „Die helle und die dunkle Seite der Macht und Die geheimen Spielregeln der Macht.“ © Thomas Backmann
ëres: Frauen sind in Machtpositionen immer noch in der Unterzahl. Wie kommt’s?
Christine Bauer-Jelinek: Dieses Thema wird von Frauenpolitikerinnen immer wieder vorwurfsvoll angesprochen, wohingegen ich es sehr pragmatisch sehe: Es sind erst seit kurzer Zeit genügend gut ausgebildete Frauen in einem entsprechenden Alter – nämlich 45 plus –, das sie für Top-Positionen überhaupt geeignet macht. In den kommenden Jahren werden wir einen rasanten Anstieg beobachten können. Zum einen, weil Unternehmen gezielt nach Frauen suchen, zum anderen, weil Frauen inzwischen mehr darüber wissen, wie sie mit Macht umgehen müssen.
Und zwar wie?
Vorausgeschickt: Frauen haben in Fragen der Machtkompetenz starken Nachholbedarf, weil sie erst seit etwa 50 Jahren auf Machtschauplätzen in Wirtschaft und Politik agieren. Sie waren lange Zeit – bis auf wenige Ausnahmen – zwar berufstätig, aber nicht in Toppositionen. In den kommenden Jahren wird sich hier einiges ändern. Frauen werden bemerken, dass sie mit ihren Werten und Verhaltensweisen, die sie aus der Familienarbeit, in sozialen Umfeldern und bei Jobs ohne Führungsverantwortung gelernt haben, nur bis zur gläsernen Decke kommen und nicht weiter. Ab dort gelten unabhängig von Fachkompetenz und Qualifikation andere Spielregeln: Man muss Machtspiele früh erkennen können und damit rechnen, immer mehr Neiderinnen und Neider zu haben, je weiter man nach oben gelangt. Das alte Sprichwort „Mitleid bekommt man umsonst, Neid muss man sich verdienen“ gilt hier vollumfänglich.
Wo sollten Frauen Ihrer Erfahrung nach am besten ansetzen, um die von ihnen beschriebene Machtkompetenz zu erlernen?
Lernen sollte man von denen, die Erfahrung an der Spitze von Organisationen haben, und das sind nun einmal Männer. Ich bin keine große Verfechterin davon, dass Frauen nur von Frauen lernen sollten, und wenn, dann von jenen mächtigen, die es selbst erfahren haben – davon gibt es aber noch sehr wenige.
Frauenbewegungen fordern häufig, das System müsse sich ändern. Was halten Sie davon?
Es handelt sich dabei um weitreichende politische Forderungen – von der Klimakrise über das Gesundheits- bis hin zum Arbeitssystem. Die zugrundeliegende Problematik betrifft jedoch die gesamte Gesellschaft und kann entsprechend nur von Frauen und Männern gemeinsam gelöst werden.
Können Frauenquoten ein Teil der Lösung sein?
Sie sind eine Möglichkeit, um Frauen sichtbar zu machen, werden jedoch auch oft als Alibi verwendet. Was passieren kann ist, dass Frauen so in Positionen gelangen, ohne alle dazu normalerweise nötigen Ebenen und Herausforderungen durchlaufen zu sein, wodurch sie schlecht vorbereitet sind. Das wäre, als wenn ein Sportler von der Landesliga direkt in die Topliga wechseln würde, ohne in der Kraftkammer trainiert zu haben.
Sie unterscheiden Frauenmacht von Männermacht, da Ihrer Theorie zufolge die beiden Geschlechter – noch – unterschiedlich mit Macht umgehen. Welche Entwicklung erwarten Sie hier?
Frauen erlernen bereits jetzt zunehmend die Männermacht, die historisch bedingt diesen Namen trägt. Es ist die Macht eines konkurrenzbasierten, kapitalistischen Wirtschaftssystems, die so funktioniert, dass man sich durchsetzen und andere ausstechen muss.
Umgekehrt gibt es aber auch immer mehr – insbesondere junge – Männer, die in Karenz gehen, in Teilzeit arbeiten, auf die Karriere verzichten zugunsten ihrer Work-Life-Balance. Macht wird mehr vom Charakter als vom Geschlecht bestimmt werden.
Wer mächtig sein will, sollte die zwei Sprachen der Macht beherrschen, die sie in Ihrem Buch „Die geheimen Spielregeln der Macht“ beschreiben, nämlich die Ergebnis- und die Beziehungssprache.
Genau. Beziehungssprache brauchen Führungskräfte etwa, um mit Kundinnen und Kunden zu sprechen oder das eigene Team zu motivieren und zu entwickeln. Gerade junge Talente erreicht man anders nicht, das kann sich in einem „War for Talents“ niemand leisten.
Wenn es um Ergebnisse geht, hilft die Beziehungssprache hingegen nicht weiter. In diesem Kontext waren Frauen lange Zeit unterlegen. Sie schrieben endlos lange E-Mails, kamen nicht zum Punkt. Ergebnistypen macht das extrem nervös.
Zusammengefasst ist Beziehungssprache wie ein Kriminalroman – spannend, blumig, mit vielen Charakteren und Befindlichkeiten, und man weiß erst am Ende, worum es geht. Sie lebt von Emotion und Chronologie. Die Grammatik ist geprägt von Warum- und Weil-Strukturen.
Die Ergebnissprache ist hingegen wie eine Headline im Journalismus. Sie spricht in der Gegenwart, ähnelt somit einem Lagebericht, zeigt Lösungen für die Zukunft auf, und benützt Wenn-Dann-Formulierungen.
Haben Sie Tipps für Bewerbungsgespräche und Gehaltsverhandlungen, in denen Frauen häufig zurückhaltender agieren als Männer?
Zunächst muss man wissen, dass die meisten Gehälter tatsächlich nicht nach Schema vergeben werden. Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich berichten, dass Frauen häufig andere Prioritäten setzen: einen kürzeren Arbeitsweg, gute Vereinbarkeit, ein angenehmes Arbeitsklima. Dabei müssten sie auch um Geld kämpfen. In unserer konkurrenzorientieren Wirtschaft gibt es einem kaum jemand freiwillig. Sie müssen das hart verhandeln.
Marktorientierte Männer sind da deutlich mutiger als Frauen. Die Zauberformel lautet, den Nutzen klar zu kommunizieren, den man dem Unternehmen bringt. Und nicht so wie in den 90er-Jahren aufzuzählen, was man alles kann und bisher gemacht hat.
Gilt dasselbe für Gehaltsverhand­lungen, wenn man bereits im Unternehmen ist?
Ja, ebenso für Boni, neue Projekte und so weiter. Die Statistik zeigt, dass Frauen um bis zu zwei Jahre später anfragen als Männer. Sie arbeiten sich ein, gehen in Vorleistung, während sehr viele machtbewusste Männer nach kürzerer Zeit vorfühlen, welche zusätzlichen Aufgaben sie übernehmen können – gegen höhere Bezahlung. Mit mehr Verantwortung verlangen sie mehr Geld.
Ich habe in Coachings zahlreiche Frauen erlebt, die über die Jahre immer mehr Verantwortung übernommen haben und darauf gewartet haben, dafür belohnt zu werden. Heute greift die Erkenntnis: Ich muss für meine Ziele auch kämpfen können.
Mehr Infos www.bauer-jelinek.at