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Raus aus der Komfortzone

// Sabina Drescher //
Sie sind erfolgreich – und weiblich. Sechs Südtirolerinnen aus Politik, Wirtschaft und Sport erzählen, wie sie es an die Spitze geschafft haben.
Nur rund ein Viertel der gehobenen Führungspositionen sind weltweit von Frauen besetzt. Die, die es nach oben schaffen, sind also rar. Die Wissenschaftlerin Bettina Al-Sadik-Lowinski hat 110 dieser Frauen aus fünf Ländern – Deutschland, Frankreich, Russland, China und Japan – befragt: Was sind ihre Erfolgsrezepte? Welchen Hindernissen mussten sie sich stellen? Und welche Sprungbretter konnten sie nutzen? Die Erkenntnisse ihrer Befragung schildert sie in ihrem Buch Der Aufstieg der Topmanagerinnen, das 2020 bei De Gruyter erschienen ist.
Die fünf Wirtschaftsnationen wählte Al-Sadik-Lowinski an der Spitze, im Mittelfeld und am unteren Ende des Weltrankings der Beteiligung von Frauen an Topführungsfunktionen aus (Women in Business, Thornton 2018).
Unter anderem stellte die Wissenschaftlerin fest, dass es zahlreiche Unterschiede zwischen den Ländern gibt. So ließen sich Russinnen unterschätzen, um am Ende mit ihrer Sachkompetenz Männer zu übertrumpfen, während Französinnen Situationen direkt angingen und bei Konflikten sofort angreifen würden, erklärt Al-Sadik-Lowinski gegenüber der Wirtschaftswoche. Chinesinnen würden durch extreme Flexibilität als Führungskräfte bestechen und durch ihre Fähigkeit, zwischen den Kulturen zu wandern. Die Japanerinnen seien leiser, aber sehr willensstark und innerlich frei. Sie wüssten genau, was sie wollen und würden sich dafür allen sozialen Normen entgegenstellen. Deutsche Topmanagerinnen seien überaus kompetent, aber manchmal etwas zögerlich.Neben diesen Unterschieden gibt es aber auch Gemeinsamkeiten, die darauf hindeuten, dass einige Zutaten für eine erfolgreiche Frauenkarriere weltweit gleich sind. Was Frauen an der Spitze auszeichnet, sind:
unbedingter Erfolgswille,
eine sportliche Einstellung zum Wettbewerb,
eine hervorragende Ausbildung,
bewusste Karriereplanung und
ein von gesellschaftlichen Normen unbeirrter beruflicher Aufstieg,
ein starkes Netzwerk sowie
hohe Flexibilität und
Veränderungsbereitschaft.
„Diese Frauen warten nicht darauf, dass sich Unternehmensumfelder ändern. Sie treffen bewusst eine Unternehmensauswahl und gehen direkt dahin, wo sie ihre Chancen sehen. Herausforderungen nehmen sie positiv an und Rückschläge begreifen sie als Lernchance“, sagt Al-Sadik-Lowinski in einem Interview mit der Wirtschaftswoche.
In Anlehnung an ihre Arbeit haben wir uns bei erfolgreichen Südtirolerinnen umgehört: Wie lautet ihr Erfolgsrezept? Welchen Hindernissen mussten sie sich stellen? Gibt es einen Fehler, aus dem sie besonders viel gelernt haben? Welcher Ratschlag war der beste, den sie bisher bekommen haben?
Marlies Dabringer, Geschäftsführerin bei Dabringer
Ich bin pflichtbewusst, kontaktfreudig und zielorientiert, habe Freude an der Arbeit und ein gutes Durchhaltevermögen.
Wenn mir jemand etwas nicht zugetraut hat, war das für mich ein Ansporn.
Aus Fehlern zu lernen, das habe ich bis heute versucht. „Fehler passieren, aber denselben Fehler sollte man möglichst nicht zweimal machen“, hat mein erster Chef zu sagen gepflegt.
Ratschläge können nützlich sein, aber letztendlich muss man eine Entscheidung treffen und dazu stehen. Grundsätzlich finde ich es besser selbst die Erfahrungen zu machen, da sie uns nachhaltig prägen.
Waltraud Deeg, Landeshauptmann-stellvertreterin
Meine berufliche Laufbahn fußt auf einer soliden Ausbildung. Besonders wichtig ist es, offen zu sein und Herausforderungen anzunehmen, auch wenn man nicht immer sicher ist, ob man es schafft. In derartigen Momenten muss man die eigene Angst überwinden und sich aufs Positive konzentrieren.
Manchmal scheitert man aber auch an den eigenen Ansprüchen. Ich selbst musste lernen, dass ich nicht immer alles zu 100 Prozent perfekt machen kann: spätestens als ich mit Mitte 20 Mutter wurde, gerade das Anwaltspraktikum absolvierte und einen Pflegefall in der Familie mitversorgte.
Debora Vivarelli, Tischtennis-Olympionikin
Das oberste Gebot, um erfolgreich zu sein, lautet für mich Konstanz. Ich habe viele Jahre hart für meine Ziele trainiert. Ohne meine Familie und meinen Partner hätte ich es aber nicht geschafft, sie zu erreichen. Sie haben alles für mich getan und waren immer an meiner Seite.
Wenn es Probleme gab, etwa eine Verletzung, bin ich danach meist stärker zurückgekommen. Durch derartige Hindernisse habe ich gelernt, was es heißt, die Zähne zusammenzubeißen.
Eines würde ich allerdings anders machen, und zwar würde ich mehr darauf achten, mich nicht von den falschen Menschen betreuen zu lassen.
Anna Ganthaler, Abteilungsleiterin bei TUI
Mein Erfolgsrezept besteht darin, konstante Leistung zu erbringen. Dagegen kann hart argumentiert werden, selbst wenn die Person jung und noch dazu weiblich ist. Weitergeholfen hat mir auch, dass ich ganz natürlich Verantwortung und Führung übernehme, wenn ich in einer Gruppe bin. Dazu kommen Fleiß und die Bereitschaft, viel zu investieren. Natürlich sollte der Spaß an der Sache nie verloren gehen, denn dann könnte man keine 100 Prozent mehr geben.
Einen Tipp, der mir immer mal wieder weitergeholfen hat, war in der Zusammenarbeit mit anderen darauf zu achten, meinem Gegenüber Antworten auf die Frage zu liefern: What’s in it for me?
Dorotea Mader, Gründerin von HUMAN&HUMAN
Ich habe nie auf eine bestimmte Position abgezielt, sondern mich auf meine Arbeit konzentriert. Weil ich die mit Überzeugung, Herzblut und Leidenschaft gemacht habe und noch immer mache, war ich dabei besonders authentisch – und dadurch erfolgreich.
Das Gefühl, als Frau weniger Chancen zu haben, kenne ich nicht, das liegt wohl an der Unternehmenskultur, die ich in der Schwarz-Unternehmensgruppe kennenlernen durfte. Mein Mentor dort hat mir mitgegeben, mich nicht in Kleinigkeiten zu verlieren. Think big. Traue dich aus deiner Komfortzone raus. Man muss eine Vision haben und versuchen, das Maximum zu erreichen, sonst bleibt man in der Mittelmäßigkeit stecken.
Patrizia Gufler, Software-entwicklerin
Ich denke, zu meinem Erfolg trägt vor allem meine Kontaktfreudigkeit bei. Ich habe kein Problem damit, Leute direkt anzusprechen. Zugleich teilen sich andere mir gerne mit. Am liebsten tausche ich mit Menschen aus, von denen ich etwas lernen kann. Es heißt nicht umsonst, man sei der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen man die meiste Zeit verbringt.
Aus einer Episode zu Beginn meines Studiums habe ich zudem gelernt, dass ich mir meine Grenzen nur selbst setzen kann. Ein Kommilitone sagte zu mir, mit meinen geringen Vorkenntnissen würde ich es nie schaffen. Er hatte unrecht.
Ein weiterer Schlüsselfaktor ist in meinen Augen die Neugierde.

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Können vor Quote

// Sabina Drescher //
Es muss endlich egal sein, welches Geschlecht ein Mensch hat, wenn es darum geht, Posten in Wirtschaft und Politik zu besetzen.
Damit mehr Frauen es schaffen, die gläserne Decke zu durchbrechen, müssen die richtigen Hebel in Bewegung gesetzt werden. © istockphoto
Nehmen wir an, es gäbe einen Ort, an dem Frauen im Top-Management zu besseren Gewinnen führen. An dem Frauen erfolgreiche Start-ups gründen. An dem Frauen in der Politik kooperativer führen, stärker auf Diversität achten und risikoaverser handeln.
Nun ist es so, dass es diesen Ort tatsächlich gibt. Eigentlich handelt es sich um eine Vielzahl von Orten, wichtig ist, dass sie allesamt im Hier und Jetzt zu finden sind, vor allem auch in westlichen Industrienationen. Studien belegen die genannten Annahmen, die in den Ohren mancher utopisch klingen mögen. Dennoch fehlen in den Führungsriegen der großen Unternehmen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts. Und obwohl einer Studie der Boston Consulting Group zufolge Gründerinnen pro investiertem Dollar 78 Cent erwirtschaften, Gründer hingegen 31 Cent, gründen Frauen deutlich seltener als Männer und bekommen obendrein meist weniger Kapital, wenn sie es doch wagen.
Dieser Zustand ist nicht nur unfair, sondern auch wettbewerbsschädigend – für Südtirol, für Italien, für die gesamte Europäische Union. Uns gehen unzählige schlaue Köpfe verloren, genauso viele Ideen, die vielleicht das Potenzial hätten, die Welt zu verändern. Langfristig können wir nur mithalten, wenn alle mitmachen (wollen, können, dürfen), nicht nur eine Hälfte der Gesellschaft.
Wir brauchen Macht – und wir verdienen sie
Im EU-Gleichstellungsindex 2020 liegt Italien auf Platz 14 (63,5/100 Punkten). In anderen Worten: Die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern ist hierzulande noch nicht einmal zu zwei Dritteln verwirklicht. Am meisten Handlungsbedarf besteht im Bereich „Macht“ (48,8/100 Punkten). Nur ein Drittel der Minister ist weiblich, ebenso ein Drittel der Parlamentsmitglieder. Auf regionaler und lokaler Ebene schaut es noch schlechter aus. Der Anteil weiblicher Vorstandsmitglieder in der Privatwirtschaft, dem Bankensektor, öffentlichen Rundfunk und in nationalen olympischen Sportorganisationen schwankt zwischen 13 und 37 Prozent.
Das Leid von zu wenigen Frauen in Spitzenpositionen kann jedoch nicht allein durch eine Quote kuriert werden, denn sie lindert nur Symptome, ohne Ursachen zu bekämpfen. Besser wäre es, die richtigen Hebel in Bewegung zu setzen, um Frauen – und Männer – von Anfang an in ihrer Karriere zu unterstützen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
Frauen verdienen Macht und Zugänge, Ressourcen, Gelder und alles andere, was für die meisten Männer selbstverständlich ist, aber nicht wegen irgendeiner Quote, durch die Kompetenzen und Engagement in den Hintergrund gedrängt werden, sondern wegen ihres Könnens. Gleichberechtigung herrscht erst, wenn das Geschlecht wirklich keine Rolle mehr spielt und jemand nur weiterkommt im Leben, weil sie oder er etwas besser kann als andere.
Uns sollte klar sein, dass Gleichberechtigung sich kaum durch Gesetze erzwingen lassen wird. Vielmehr müssen wir den nächsten Generationen neue Ansätze mitgeben, um sie so in unsere Gesellschaft zu tragen und sie dort zu verankern.