Häufige Fragen und Antworten

3. In Europa gilt die Diphtherie als sehr seltene Krankheit: Bedeutet dies, dass die verantwortlichen Bakterien verschwunden sind?

Vor der Einführung der Diphtherie-Impfung war die Erkrankung sehr häufig, sie zählte zu den häufigsten Todesursachen im Kindesalter.
Ab 1892 behandelte man die Diphtherie sowohl in den USA als auch in Europa mit dem Antitoxin. Dadurch ging die Todesrate durch Diphtherie in vielen Ländern zwischen Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zurück. Dabei sprechen wir hier vom Antitoxin, nicht von der Impfung. Hier handelt es sich um ein Konzentrat aus Antikörpern tierischen Ursprungs, welches das Diphtherietoxin bekämpft.
Diese Antikörper schützen nicht vor der Krankheit, sondern dienen zu deren Behandlung, da sie das Diphtherie-Toxin neutralisieren. Die Impfung besteht hingegen aus Diphtherie-Antitoxin (bzw. Diphtherie-Toxoid), einer nicht toxischen Variante des Diphtherietoxins, durch die unser Immunsystem spezielle Antikörper bildet, die vor der Krankheit schützen.
Durch den Einsatz des Antitoxins nahmen die Todesfälle durch Diphtherie stark ab.
Wenn man über Krankheiten spricht, die durch eine Impfung vermieden werden können, ist die Todesrate allein noch nicht aussagekräftig genug. Es müssen nämlich auch die Komplikationen der Diphtherie mitberücksichtigt werden: Besonders schlimm sind jene für das Herz (Herzmuskelentzündung), das Nervensystem (Lähmung) und die Atemwege (Einengung aufgrund der Pseudomembranen im Rachen). In den Industrieländern gehört die Diphtherie seit geraumer Zeit zu den seltenen Krankheiten. Trotzdem kam es 1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Nachfolgestaaten zu einer großen Epidemie. Insgesamt wurden 200.000 Diphtherie-Fälle gemeldet, die fast 6.000 Tote forderten. Allein zwischen 1992 und 1995 wurden in der ehemaligen Sowjetunion über 125.000 Diphtherie-Fälle mit 4.000 Toten registriert (Dittmann 1997).
Die Infektion erfolgt durch Personen, die das Corynebacterium diphtheriae (den Krankheitserreger) im Rachenbereich tragen. Die Träger selbst weisen keinerlei Symptome der Krankheit auf. Die Übertragung erfolgt über die Atemwege. Eine weitere Form ist die Haut-Diphtherie, bei der die Ansteckung durch den direkten Kontakt mit erkrankten Menschen erfolgt.
Auch wenn die Diptherie in Europa als sehr seltene Krankheit gilt, weiß man laut einer Studie, dass der Erreger der Diphterie immer noch in Europa verbreitet ist, besonders in einigen Ländern Osteuropas (Lettland und Litauen), in denen dieselbe Bakterienart entdeckt wurde, welche die Epidemie in Russland verursachte: Es handelt sich dabei um eine besonders ansteckende und aggressive Variante des Corynebacterium diphtheriae (Wagner 2011).
Die Verbreitung der Diphtherie-Bakterien in Europa wird ausschließlich durch die hohe Durchimpfungsrate eingeschränkt. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass sich die Diphtherie-Bakterien durch einen natürlichen Vorgang von einem fast harmlosen Erreger, der die oberen Atemwege besiedelt, in einen aggressiven Killer verwandelt. Dieser Vorgang wird durch Beta-Prophagen ausgelöst, die ihre Gene in die Zelle des Corynebacterium diphtheriae einbauen. Diese veränderten Bakterien produzieren daraufhin das Diphtherietoxin. Die Bakterienstämme, die das Diphtherietoxin produzieren, erlangen einen selektiven Vorteil, da sie von Mensch zu Mensch schneller übertragen werden. Die Diphtherie-Impfung bekämpft das Toxin: Dadurch verliert das Corynebacterium diphtheriae bei einer hohen Durchimpfungsrate der Bevölkerung den zuvor erlangten selektiven Vorteil, und die Anzahl der Stämme, die das Toxin produzieren, sinkt konstant, bis sie beinahe verschwinden. Sollten die Impfungen unterbrochen werden, könnten die zurückgebliebenen Stämme wieder aktiv werden (Guilfoile 2009).
Erst kürzlich sind zwei Kinder in der EU an Diphtherie gestorben:
Im Mai 2015 kam es bei einem sechsjährigen Jungen in Spanien zu einer Infektion der Atemwege, die sich rasch verschlimmerte. Die Laboruntersuchungen bestätigten, dass es sich um Diphtherie handelte. Zwar wurde der Junge mit dem Antitoxin behandelt, aufgrund von Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Medikamentes setzte die Therapie aber zu spät an und konnte das Kind nicht retten (ECDC 2015).
Da die Diphtherie eine seltene Krankheit ist, haben nur wenige Länder das Antitoxin lagernd. Um innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der systemischen Symptome mit der Behandlung beginnen zu können, hätte das Antitoxin noch am selben Tag der Labordiagnose verabreicht werden sollen. Die Eltern hatten sowohl den Jungen als auch seine Geschwister nicht impfen lassen. Die Mitschüler und Freunde des Jungen waren hingegen geimpft worden. Sie wurden einem Rachenabstrich unterzogen, um die Bakterien, die das Diphtherietoxin produzieren, nachzuweisen. In 8 Fällen war der Abstrich positiv. Das bedeutet, dass 8 Kinder einen Stamm in sich trugen, jedoch kerngesund waren: Die Impfung hatte sie vor der Diphtherie geschützt.
Im März 2016 wurde eine dreijährige Belgierin, die nicht gegen Diphtherie geimpft war, wegen einer Infektion der Atemwege ins Krankenhaus eingeliefert: Die Laboruntersuchungen ergaben, dass es sich um Diphtherie handelte. In kurzer Zeit kam es zu einer Herzkomplikation, und das Mädchen verstarb trotz Verabreichung des Antitoxins (ECDC 2016).

Häufige Fragen und Antworten

4. Ist Tetanus (Wundstarrkrampf) eine Alterserkrankung?

Tetanuserreger gibt es überall; die besondere Überlebenskraft dieser Bakterien geht auf deren Sporenbildung zurück, die sowohl widerstandsfähig gegen herkömmliche Desinfektionsmittel, als auch hitzebeständig sind.
Wenn eine Spore in eine noch so kleine Wunde eindringt, in der Sauerstoffmangel herrscht (wie es bei Nekrosen oder schwach durchblutetem Gewebe der Fall ist), öffnet sie sich. Ab dem Moment produziert die Bakterie ein äußerst starkes Toxin, nämlich das Tetanustoxin, das Muskelzuckungen und Krämpfe verursacht, die in 50% der Fälle mit dem Tod enden. In manchen Fällen ist die Eintrittswunde so klein, dass es nicht möglich ist, sie am Körper des Erkrankten auszumachen. Das Ausrotten dieser Infektion ist unmöglich, weil die Sporen nicht aus dem Boden bzw. aus unserem Umfeld ausgemerzt werden können.
Häufig hört man, Tetanus sei eine Alterskrankheit und für Kinder demnach keine Gefahr.
Dieser Behauptung zufolge erkranken ältere Menschen leichter als Kinder, weil das Immunsystem im fortgeschrittenen Alter schwächer ist. Als Beweis dafür wird angeführt, dass derzeit fast ausschließlich ältere Menschen an Tetanus erkranken.
Wenn diese Behauptung der Wahrheit entspräche, hätten vor der Einführung der Impfpflicht für Kinder (1968) ebenfalls mehr ältere Menschen als Kinder und junge Menschen an Tetanus erkranken müssen. Auch in diesem Fall gilt es, die entsprechenden Daten unter die Lupe zu nehmen. Welchen Altersklassen gehörten die Menschen an, die vor der Impfkampagne (1968) an Tetanus erkrankten? Die nachstehende Grafik zeigt die Anzahl der in Italien zwischen 1961 und 1966 gemeldeten Fälle (Albano Salvaggio, 1987), also wenige Jahre vor der Einführung der Impfpflicht für Kinder.
Aus der Grafik geht hervor, dass es zahlreiche Fälle unter Kindern und jungen Menschen gab, während die älteren Menschen eine Minderheit darstellen.
Dies bedeutet, dass Tetanus keine Alterskrankheit ist. Dass heutzutage vorrangig ältere Menschen an Tetanus erkranken, ist auf die Verbreitung der Impfung zurückzuführen: Vor 1968 wurden nur bestimmte Kategorien geimpft, z.B. Arbeiter, die einem Risiko ausgesetzt waren, an Tetanus zu erkranken und dem Militär zugehörige Personen.
Viele ältere Menschen sind heute nicht geimpft oder haben die Auffrischimpfung nicht mehr vorgenommen. Deshalb sind gerade diese Personen am häufigsten betroffen. Ein weiterer Beweis besteht darin, dass unter den älteren Menschen hauptsächlich Frauen an Tetanus erkranken: 69% der zwischen 1971 und 2000 gemeldeten Erkrankten über 64 Jahren sind Frauen (Mandolini 2002). Dafür gibt es einen einfachen Grund: Früher hatten Frauen kaum die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, da sie vom Militär ausgeschlossen waren und nur selten Arbeiten verrichteten, bei denen das Risiko einer Tetanusinfizierung hoch war.


Vor der Einführung der Impfpflicht erkrankten zahlreiche Kinder an Tetanus, und auch die Anzahl an Todesopfern zwischen 0 und 14 Jahren war beträchtlich, wie die nachstehende Grafik zeigt (Quelle: ISTAT).
Allein im Jahr 1968 starben 32 Kinder an Tetanus, obwohl bereits in den Jahren vor 1968 ein Rückgang der Todesfälle durch Tetanus zu verzeichnen war. Dieser ging wahrscheinlich auf eine stärkere Sensibilisierung sowie eine verstärkte Postexpositionsprophylaxe (Impfung und Immunglobulin) nach einer Verletzung zurück. Ab 1968 kam es dank der Impfung zu einem raschen Rückgang der Erkrankungs- und Todesfälle.
Gibt es eine natürliche Immunität gegen Tetanus?
Ein Laborbefund mit einem Titer (Antikörper-Menge pro ml im Blut), der den schutzgewährenden Grenzwert erreicht oder leicht überschreitet, belegt keinen angemessenen Schutz. Im Gegenteil: eine derartige Annahme kann gegebenenfalls Schaden anrichten, da dadurch Eltern aufgrund eines Laborbefundes mit einem theoretisch genügend hohen Titer fälschlicherweise glauben, ihr Kind sei angemessen geschützt.
Das Tetanus-Toxin ist in der Regel nicht imstande, eine Immunantwort im Organismus hervorzurufen. Dies gilt auch für Menschen, die bereits an Tetanus erkrankt und wieder geheilt sind: Auch sie müssen nach der Genesung geimpft werden.
Mit einer Impfung und den Auffrischimpfungen wird ein ausreichend hoher Antikörper-Titer erzielt, um den angemessenen Schutz gegen Tetanus zu gewährleisten. Wer anstelle einer Antikörper-Zählung die Impfung und die Auffrischimpfungen vornehmen lässt, sichert so einen fortlaufend hohen Titer und damit die wirksame Tetanusvorbeugung (Borrow 2007).
In Italien gibt es jährlich immer noch etwa sechzig Fälle, vor allem bei älteren Menschen, die nicht oder unvollständig geimpft sind. In den 1970er Jahren starben 50-60% der Betroffenen; in den 1990er Jahren sank dieser Anteil wahrscheinlich dank moderner intensivmedizinischer Techniken auf 40% (Mandolini 2002).
Zwischen 1998 und 2000 wurden 292 Fälle gemeldet; bei 181 (62%) der Betroffenen sind Informationen über den Impfstatus vorhanden. Lediglich 9,9% davon wurden geimpft (Mandolini 2002), wobei aber nicht bekannt ist, wie lange die letzte Auffrischimpfung zurücklag. Diese Information spielt aber eine entscheidende Rolle, da bei Tetanus eine Auffrischung im Zehn-Jahres-Abstand notwendig ist, damit der Schutz erhalten bleibt.