Thema
Demokratie ist kein Selbstläufer
Der ehemalige US-Präsident Abraham Lincoln erklärte Demokratie mit dem Ausspruch: „Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk.“

FOTO: Eurac Research
Doch regelmäßige Wahlen sind nicht das einzige Merkmal einer Demokratie. „Wahlen alleine machen noch keine Demokratie“, so Barack Obama. Demonstrieren gehen und sagen können, was man denkt, sind weitere Assoziationen zur Demokratie, der Herrschaft des Volkes, abgeleitet aus dem Griechischen, wobei in der Antike längst nicht alle zum Volk gehörten.
Was Demokratie heute ist oder sein soll, ist nicht einfach zu beantworten. Wir alle haben unterschiedliche Meinungen über die Ausformungen der Demokratie, über die Art und Weise, wie Politik gelingt oder gelingen soll, und über die Rolle und Teilhaberechte von Bürgerinnen und Bürger in einem gesellschaftspolitischen System.
Mehr als 3.500 Adjektive zur Beschreibung der Demokratie gibt es laut einer Studie des Demokratieforschers Jean-Paul Gagnon. Viele davon sind Teil des liberalen Demokratieverständnisses, das folgende Merkmale aufweist: die Achtung der Menschenrechte und der bürgerlichen Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit; die Gewaltenteilung, also das Prinzip, dass die staatlichen Funktionen der Legislative, Exekutive und Judikative von unterschiedlichen und unabhängigen Organen wahrgenommen werden, die sich gegenseitig kontrollieren; und das Rechtsstaatsprinzip, also der Grundsatz, dass staatliche Behörden und die gewählte Volksvertretung in ihrem Handeln an Gesetze gebunden sind; auch gelten laut dem Rechtsstaatsprinzip für alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen, sicheren Gesetze.
Einige der Adjektive verweisen aber auch auf Studien, die sich mit der Krise der Demokratie befassen. Der Befund lautet: wir leben in post-demokratischen Zeiten, in denen liberale Demokratien sterben oder enden. Die Krise der Demokratie auszurufen ist nichts Neues und – sofern nicht weiter ausgeführt – eine unzulässige Verallgemeinerung. Der Grund ist einfach: nicht die Demokratie steckt in der Krise, sondern ihr Regelwerk zur Organisation heterogener Gesellschaften und der Erneuerung diskursiver Infrastrukturen, die sachliche Dialoge zwischen Andersdenkenden fördern. Kurzum, einer funktionierenden Demokratie ist der Krisenmodus nicht fremd: sie lebt davon, Entscheidungen mittels kollektiver Verständigungs- und Aushandlungsprozesse zu treffen – auf jeglicher Regierungsebene und in jüngster Zeit unter Einsatz von Bürgerbeteiligungsmodellen, die die repräsentative Demokratie ergänzen, in Südtirol und weltweit.
Damit will ich keineswegs die gegenwärtige Krise liberaler demokratischer Systeme in Abrede stellen. Ganz im Gegenteil. Diese befinden sich in einem Trägheitsmoment. Studien zeigen, dass fast 70 Prozent der Weltbevölkerung in elektoralen und geschlossenen Autokratien lebt, also in Scheindemokratien, in der Elemente der Diktatur (stark) präsent sind. Außerdem hat laut dem Bertelsmann Transformationsindex in den letzten 10 Jahren fast jede fünfte Demokratie an Qualität eingebüßt, sodass das Demokratie-Niveau weltweit auf den Stand von 1989 gesunken ist.
Sicherlich, Messungen der Demokratie sind von unserer Krisenwahrnehmung nicht unabhängig. Auch stellt sich die Frage nach der Methode: wie misst man eine liberale Demokratie, die vermehrt durch die Partei der Nicht-Wähler geprägt ist, und so die Gewaltenteilung, die Menschen- und Grundrechte, die Unabhängigkeit der Justiz und die deliberative Qualität öffentlicher Debatten in Rechnung stellen möchte?
Fakt ist: Der Kampf um die Deutungshoheit von Demokratie ist in vollem Gange und eng verschränkt mit der Frage was Demokratien zusammenhält oder zusammenhalten soll. Demokratien waren und sind alles andere als statisch. Sie können sich zurückentwickeln, sie können angegriffen oder abgeschafft werden. Denn sie verfügen über keinen institutionellen Mechanismus, der verhindern könnte, dass sie von einer rechtmäßig gewählten Regierung, die sich an die konstitutionellen Regeln hält, untergraben werden. Oder, wie schon vor fünfzig Jahren vom Juristen Ernst-Wolfgang Böckenförde festgehalten: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“
Kurzum, Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie hängt von Menschen ab, die Demokratie leben und erlebbar machen. Ihre Qualität definiert sich über individuelle Demokratieverständnisse im Verbund mit jenen der anderen – bei Wahlen und fernab von Urnengängen.
Was Demokratie heute ist oder sein soll, ist nicht einfach zu beantworten. Wir alle haben unterschiedliche Meinungen über die Ausformungen der Demokratie, über die Art und Weise, wie Politik gelingt oder gelingen soll, und über die Rolle und Teilhaberechte von Bürgerinnen und Bürger in einem gesellschaftspolitischen System.
Mehr als 3.500 Adjektive zur Beschreibung der Demokratie gibt es laut einer Studie des Demokratieforschers Jean-Paul Gagnon. Viele davon sind Teil des liberalen Demokratieverständnisses, das folgende Merkmale aufweist: die Achtung der Menschenrechte und der bürgerlichen Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit; die Gewaltenteilung, also das Prinzip, dass die staatlichen Funktionen der Legislative, Exekutive und Judikative von unterschiedlichen und unabhängigen Organen wahrgenommen werden, die sich gegenseitig kontrollieren; und das Rechtsstaatsprinzip, also der Grundsatz, dass staatliche Behörden und die gewählte Volksvertretung in ihrem Handeln an Gesetze gebunden sind; auch gelten laut dem Rechtsstaatsprinzip für alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen, sicheren Gesetze.
Einige der Adjektive verweisen aber auch auf Studien, die sich mit der Krise der Demokratie befassen. Der Befund lautet: wir leben in post-demokratischen Zeiten, in denen liberale Demokratien sterben oder enden. Die Krise der Demokratie auszurufen ist nichts Neues und – sofern nicht weiter ausgeführt – eine unzulässige Verallgemeinerung. Der Grund ist einfach: nicht die Demokratie steckt in der Krise, sondern ihr Regelwerk zur Organisation heterogener Gesellschaften und der Erneuerung diskursiver Infrastrukturen, die sachliche Dialoge zwischen Andersdenkenden fördern. Kurzum, einer funktionierenden Demokratie ist der Krisenmodus nicht fremd: sie lebt davon, Entscheidungen mittels kollektiver Verständigungs- und Aushandlungsprozesse zu treffen – auf jeglicher Regierungsebene und in jüngster Zeit unter Einsatz von Bürgerbeteiligungsmodellen, die die repräsentative Demokratie ergänzen, in Südtirol und weltweit.
Damit will ich keineswegs die gegenwärtige Krise liberaler demokratischer Systeme in Abrede stellen. Ganz im Gegenteil. Diese befinden sich in einem Trägheitsmoment. Studien zeigen, dass fast 70 Prozent der Weltbevölkerung in elektoralen und geschlossenen Autokratien lebt, also in Scheindemokratien, in der Elemente der Diktatur (stark) präsent sind. Außerdem hat laut dem Bertelsmann Transformationsindex in den letzten 10 Jahren fast jede fünfte Demokratie an Qualität eingebüßt, sodass das Demokratie-Niveau weltweit auf den Stand von 1989 gesunken ist.
Sicherlich, Messungen der Demokratie sind von unserer Krisenwahrnehmung nicht unabhängig. Auch stellt sich die Frage nach der Methode: wie misst man eine liberale Demokratie, die vermehrt durch die Partei der Nicht-Wähler geprägt ist, und so die Gewaltenteilung, die Menschen- und Grundrechte, die Unabhängigkeit der Justiz und die deliberative Qualität öffentlicher Debatten in Rechnung stellen möchte?
Fakt ist: Der Kampf um die Deutungshoheit von Demokratie ist in vollem Gange und eng verschränkt mit der Frage was Demokratien zusammenhält oder zusammenhalten soll. Demokratien waren und sind alles andere als statisch. Sie können sich zurückentwickeln, sie können angegriffen oder abgeschafft werden. Denn sie verfügen über keinen institutionellen Mechanismus, der verhindern könnte, dass sie von einer rechtmäßig gewählten Regierung, die sich an die konstitutionellen Regeln hält, untergraben werden. Oder, wie schon vor fünfzig Jahren vom Juristen Ernst-Wolfgang Böckenförde festgehalten: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“
Kurzum, Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie hängt von Menschen ab, die Demokratie leben und erlebbar machen. Ihre Qualität definiert sich über individuelle Demokratieverständnisse im Verbund mit jenen der anderen – bei Wahlen und fernab von Urnengängen.
Elisabeth Alber

leitet die Forschungsgruppe Partizipation und Innovationen am Eurac Research Institut für vergleichende Föderalismusforschung. Sie lehrt an verschiedenen Universitäten zum Thema Föderalismus, Demokratie und partizipative Governance, ist Beraterin in internationalen Projekten in Asien und dem Osten Europas und gibt Politika – Das Südtiroler Jahrbuch für Politik mit heraus.
TEXT: Elisabeth Alber
TEXT: Elisabeth Alber