Er koche nicht besser als sein Vater, sagt Jan Hartwig - und sagt damit im Grunde alles über sich. Der Vater ist ein gelernter Koch, der mit der Mutter einen Waldgasthof in der Nähe von Braunschweig betreibt, sein Leben lang gutbürgerliches Essen auf den Tisch gebracht hat und dabei mit solcher Sorgfalt, Leidenschaft und Gewissenhaftigkeit ans Werk geht, dass sich sein Sohn niemals über ihn erheben würde, weil für ihn gute Küche keine Frage des Preises oder der Zutaten, sondern des Charakters ist.
Königsberger Klopse und Jägerschnitzel bekommt man bei Deutschlands neuem Drei-Sterne-Koch allerdings nicht, denn er hat dann doch einen anderen Weg als sein Vater eingeschlagen.
Sein Berufswunsch stand schon früh fest, etwa im Alter von sechs Jahren. Seine Lehre absolvierte er in einem der führenden Häuser in Braunschweig. 1982 dann drängte es den in Helmstedt geborenen Koch zu den Großmeistern seines Fachs, die damals zum Teil schon mit drei Michelin-Sternen dekoriert waren und es heute noch sind. Er kochte mit Christian Jürgens in Wernberg tief in der Oberpfalz, mit Klaus Erfort in Saarbrücken und fand dann mit Sven Elverfeld in Wolfsburg einen Lehrmeister und Freund. Sieben Jahre lang war er im „Aqua“, die meiste Zeit davon als Souschef. Von dieser Lebensphase schwärmt er mit einem solchen Überschwang, wie man es einem kühlen Niedersachsen gar nicht zutraut. Elverfeld sei „der neidfreiste Mensch, den ich kenne“, sagt Hartwig. Es spreche doch Bände, dass er ihn bei seinem Abschied zu einer gemeinsamen Reise nach New York inklusive Besuche der einschlägigen Drei-Sterne-Häuser eingeladen habe. Vor drei Jahren war die Zeit reif für ein eigenes Restaurant. Hartwig übernahm das „Atelier“ im Luxushotel Bayerischer Hof in München, das damals einen Michelin-Stern hatte, und verteidigte ihn nicht nur, sondern er kochte sich schon im Jahr darauf einen zweiten. Dass er den dritten Stern wiederum nur zwei Jahre später bekommen hat, ist eine Blitzkarriere, wie sie die Spitzengastronomie selten erlebt. Und selten ist sie gerechtfertigter gewesen, weil Hartwig der idealtypische Prototyp eines modernen deutschen Meisterkochs ist. Er wurde nicht von den Granden des deutschen Küchenwunders ausgebildet, die noch in der Tradition der klassischen französischen Haute Cuisine standen, sondern von deren Schülern, die sich kulinarisch emanzipiert und geschmacklich globalisiert haben. Er wurde nicht in den Küchendespotien alter Schule mit Kommandoton und fliegenden Pfannen groß, sondern in einem Ambiente gegenseitigen Respekts, das er nun selbst praktiziert. Und er findet eine Balance aus Selbstbewusstsein und Demut, Individualität und Kollegialität, Ehrgeiz und Gelassenheit, die der Garant ist für eine brillante Küche.
Die Jan-Hartwig-Küche ist inspiriert - wird aber nicht dominiert - von der Stilistik seiner Lehrer, respektiert den Katechismus der französischen Haute Cuisine, ohne ihn wie einen Rosenkranz herunterzubeten, bedient sich in der Aromenschatztruhe der weiten Welt und kreiert trotzdem kein austauschbares Geschmacks-Multikulti auf dem Teller. Bei Hartwig isst man Edamame, Kimchi und Kombu-Alge, ohne sich in einem fernöstlich-kulinarischen Souvenirgeschäft zu wähnen. Man bekommt Wirsing, Kohlrabi, Rieslingkraut und staunt, welche Finesse und Delikatesse Hartwig aus diesen groben Geschmacksburschen herauskitzelt. Und man wundert sich beglückt darüber, wie souverän dieser Koch sein Niveau hält, ganz gleich, ob er ein mikadostäbchenfeines Frühlingsröllchen mit Jerusalem-Artischocke füllt oder sündteuren weißen Alba-Trüffel mit gargantuesker Großzügigkeit über Eigelb und Lardo di Colonnata hobelt - und dabei trotzdem die Aromen in der Balance hält.
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