Die Zutaten werden dafür vornehmlich in den Sommer- und Herbstmonaten schon für die Folgemonate vorbereitet und haltbar gemacht. Wurzelgemüse lagert Magnus Ek in Sand oder in Erde; so hält es seine Qualität über Monate hinweg. Auf den Teller bringt er dann eine Scheibe von in Heu ausgebackener Roter Bete, die in einem tief aromatischen, fermentierten Sud von Ackerbohnen serviert wird. Hinzu kommen hauchdünne marinierte Scheibchen Kohlrabi und würzige Noten von getrocknetem Liebstöckel. Ein Kaisergranat wird auf Schwarzkohl gebettet, mit münzgroßen Apfelscheiben belegt und mit etwas Rauchöl und getrocknetem Kohlpulver beträufelt und bestreut. Interessant: Ein süßes Element wird nicht hinzugefügt, wodurch die Eigensüße des Krustentiers voll zur Geltung kommt.
Traditionelle Techniken des Haltbarmachens
Räuchern, Salzen, Säuern, Trocknen, Einlegen in Laken und Marinaden: Das sind die traditionellen Techniken, derer sich Ek und sein Team gern bedienen. Vor allem das Fermentieren mittels Bakterien, Hefen und Pilzen geriet durch die nordische Avantgarde zu einer völlig neuen Disziplin innerhalb der Kochzunft. Aber auch durch die unterschiedliche Bearbeitung einer einzigen Zutat lassen sich Spannungsbögen in Gerichten aufbauen: Jakobsmuscheln werden im „Oaxen Krog“ beispielsweise als dünne Scheiben und zeitgleich als Sud serviert. Diese zwei Elemente bilden die Basis des Zwischengangs. Kontrast schaffen leicht angekohlte Zwiebeln, ein Maispüree und eingelegte, feinsäuerliche Blüten vom Bärenklau. Drei Komponenten, die der Kreation Süße, Säure und Herbe beisteuern, aber (je nach Jahreszeit) beliebig ausgetauscht werden können.
Frittierte Fischblasen und Sauerrahm aus Fichtennadeln
Den Grundstein zu seiner Naturküche legte der Schwede bereits 1994. Auf der Insel Oaxen im Süden Schwedens betrieb Magnus Ek mit seiner Lebensgefährtin Agneta Green das Restaurant „Oaxen Skärgårdskrog“. Die Warenanlieferung gestaltete sich schwierig, weswegen der Koch die Umgebung nach verwertbaren Produkten abtastete. Ek begann mit Moos, Wurzeln und Flechten zu experimentieren. Er räucherte mit Gräsern und Hölzern, sammelte Beeren und Kräuter im Wald. Zudem arbeitete der Koch mit allen Teilen von Tieren, frittierte Fischblasen oder stellte einen Sauerrahm aus Fichtennadeln her. Nur einmal in der Woche bekam er eine Warenlieferung vom Festland, bei deren Bezug er allerdings schon auf die Herkunft achtete. Bald wurde sein Restaurant so zu einem Geheimtipp für Feinschmecker. Zehn Jahre bevor in Kopenhagen also das Restaurant „Noma“ gegründet wurde, legte Magnus Ek bereits den Grundstein zur New Nordic Cuisine, für deren Festschreibung als weltweiter Küchentrend heute vor allem René Redzepi und Claus Meyer bekannt sind. Das stört Magnus Ek allerdings nicht – im Gegenteil. Im Grunde müsse er seinen Kollegen danken, erklärt der zurückhaltende und besonnene Koch, denn er hätte diese Küchenphilosophie niemals so lautstark in die Welt getragen. Dazu trug vor allem auch ein Zehn-Punkte-Manifest bei, wie es 2004 unter Initiator Claus Meyer von Spitzenköchen aus mehreren Ländern Skandinaviens unterzeichnet wurde, in welchem die Küchenphilosophie der Neuen Nordischen Küche – die Idee von Raum und Zeit, Region und Saison – nochmals festgeschrieben wurde.
Das nordische Küchenmanifest
2004, ein Jahr nach der Eröffnung des Restaurants „Noma“ in Kopenhagen, veröffentlichten die Gründer René Redzepi und Claus Meyer ein Zehn-Punkte-Manifest zur „Neuen Nordischen Küche“. Die skandinavische Kultur, Geografie und Geschichte sollte sich fortan im Küchenstil widerspiegeln, weswegen die Köche erklärten, nur noch Erzeugnisse aus lokalem, nachhaltigem Anbau zu verwenden. Moschusochse, Pferdemuscheln oder Birkensaft, Beeren, Flechten, Wurzeln oder Gräser landeten plötzlich in den Kochtöpfen der jungen Avantgarde. Außerdem verschrieben sie sich der Saison, wodurch vor allem Formen der Haltbarmachung von Lebensmitteln durch alte, traditionelle Techniken wie Räuchern, Fermentieren oder Pökeln wieder populär und im Laufe der Jahre vertieft wurden. Durch die Beschränkung der Köche auf „Raum und Zeit“ ist ein kreativer und einzigartiger Küchenstil entstanden, dem sich viele skandinavische Köche anschlossen.
Ein Boot als Hotel
Trotz der steigenden Aufmerksamkeit für den neuen Küchentrend – das „Oaxen Krog“ war sogar fünfmal auf der Liste der 50 besten Restaurants der Welt vertreten – kamen aber dennoch zu wenige Gäste auf die entlegene Insel Oaxen, weshalb Magnus Ek und Agneta Green im Jahr 2014 an einen ganz besonderen Platz in Stockholm umzogen. Den Gastronomiebetrieb, zu welchem das gemütlich eingerichtete Gourmetrestaurant „Oaxen Krog“ und das Bistro „Oaxen Slip“ (dort hängen drei Boote von der Decke) gehören, etablierten sie in einem ehemaligen Gebäude der Bootswerft. Direkt davor ankert das Hotel des Paares: Ein Boot namens „Prince van Orangiën“ mit seinen sechs heimeligen Kabinen.
Eingelegte Blüten verfeinern den Hauptgang
Wer allerdings denkt, der umtriebige Koch hätte durch den Umzug in die schwedische Metropole seinen Kontakt zur Natur verloren, der irrt. Das Restaurant liegt im Stadtteil Djurgården, einem regelrechten Naherholungsgebiet inmitten von Stockholm, mit vielen Wiesen und Wäldern. Kaum beginnt die Saison, streifen die Köche dort durch die Gegend und sammeln essbare Blumen, Süßdolde oder Knoblauchsrauke und weitere Kräuter, die beispielsweise zum Lammtatar serviert werden.
Allerhand Blüten werden eingelegt und im Winter als säuerliche Komponenten zum Hauptgang serviert. Zu einem Mangalitza-Schwein etwa, das das Restaurant als ganzes Tier kauft und nach dem Nose-to-Tail-Prinzip voll verwertet. Der geschmorte Nacken wird mit feinem Haselnussgrieß serviert, das Filet mit Kieferncreme. Da steht außer Frage, dass sich das innovative Restaurant auch in puncto alkoholfreier Getränkebegleitung (85 Euro) entsprechend aufgestellt hat. Zum Hauptgang wird etwa eine würzig-warme Pilzbrühe serviert. Es gibt aber auch einen eisgekühlten Sud von Roter Bete und Hagebutte.
Als Aperitif lockt gar ein eiskalter Drink aus den Blättern der schwarzen Karotte, und verfeinert mit wildem Rosmarin. Es gibt einen Saft von fermentierten Tomaten, von Dill und Salat. Wer lieber Wein trinkt, hat natürlich trotzdem die Auswahl (Weinbegleitung: 150 bis 270 Euro). Ins Glas kommen dann gute Tropfen aus Frankreich, Spanien oder Deutschland. Denn bei diesem Thema wird die Regionalwaren-Dogmatik ausnahmsweise beendet, und die Bezugsgrenzen werden über Skandinavien hinaus erweitert.