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Georg Pardeller

Reform ohne Zerstörung

Der ASGB ist beim Gesundheitswesen immer dafür eingetreten, dass gewachsene und im Territorium verwurzelte Strukturen nicht einer von oben aufgestülpten „Reform um jeden Preis" geopfert werden. Er ist dagegen, dass die bestehenden Gesundheitsbezirke zerstört werden, um einem einzigen landesumfassenden Gebilde Platz zu machen. Seit mehr als zwei Jahren ist nun diskutiert worden; viele Gespräche sind geführt, viele Fachleute (und auch solche, die es nicht sind) befragt worden. Der ASGB hat seinerseits eine Umfrage durchgeführt, welche deutliche Ergebnisse erbracht hat in dem Sinne, dass eine echte Reform nicht aus der Asche des Bisherigen hervorgehen kann. Letztlich hat nun, wie es den Anschein hat, doch ein Kompromissstandpunkt die Oberhand gewonnen. Zwar wird eine „übergeordnete" Landesstruktur gebildet, aber die bisher bestehenden Einrichtungen, auch die „Befehlsstrukturen", bleiben aufrecht, weil sie ohne Verlust von Qualität in der Administration und Leistung nicht ersetzt werden können. Es wird also dem Ganzen ein Dach übergestülpt, über dessen Sinnhaftigkeit man seine Bedenken haben, in das man aber auch ein gewisses Vertrauen setzen kann. Dies nur dann, wenn die Grundsätze, für die sich der ASGB von Anfang an eingesetzt hat, erhalten bleiben: Eingespart darf und soll dort werden, wo vereinheitlicht, fachlich ausgetauscht und landesweit besser kooperiert werden kann. Auf keinen Fall aber darf „blindes Sparen" zu einem Qualitätsverlust des Dienstes führen, auf keinen Fall darf das Sparen auf dem Rücken der Patienten, das heißt der hilfsbedürftigen Bevölkerung, abgewickelt werden, und auf keinen Fall darf die hohe Motivation, welche die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen an den Tag legen, gefährdet werden. Das könnte und würde der ASGB nicht zulassen. Alles muss einen Sinn und eine menschliche Dimension haben. Nur dann erfüllt es den Zweck.
Georg PardellerVorsitzender

Thema
Was der ASGB zum 1. Mai wünschte:

Ein waches soziales Gewissen, Festwiese fest in ASGB-Hand

Erster Mai 2006. Die Völser Festwiese bot bei strahlendem Frühjahrswetter ein sehr ähnliches Bild wie ein, zwei, drei, viele Jahre vorher am selben Tag. Sie sind auch dieses Jahr wieder gekommen: Unser Landeshauptmann Luis Durnwalder, Mitglieder der Landesregierung, Abgeordnete verschiedener Parteien, Gemeindevertreter, Freunde und viele Hunderte von ASGB-Mitgliedern mit Angehörigen, darunter sehr viele Kinder. Es wurde ein buntes Fest mit einigen ernsten Einlagen, mit viel Menschlichkeit, Unterhaltung, besonders für die Kinder, Spiele, gutes Essen und Trinken. Insgesamt waren es an die zweitausend Personen, die der Völser Festwiese, dem ASGB und damit wir uns selbst die Ehre gaben. Die Organisation lief, wie immer, hervorragend, Dank der erprobten Mitarbeit unserer vielen Helferinnen und Helfer.
Der 1. Mai steht jedes Jahr im Zeichen eines sinnträchtigen, zum Nachdenken anregenden Spruches. Dieses Jahr lautete er: „Für ein waches soziales Gewissen", und etwas von dieser Sinnhaftigkeit haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicher mit nach Hause und in die nächsten zwölf Monate Arbeit mitgenommen, bis zum 1. Mai 2007. Denn wo das soziale Gewissen wach ist und wach bleibt, wird der Mensch nicht vergessen.
Priska Auer begrüßte die vielen Erschienenen und leitete vom Mikrophon aus gekonnt durch den Tag, und sie gab das Mikrophon dem Landeshauptmann Luis Durnwalder weiter, der es sich in den letzten Jahren nie hat nehmen lassen, an diesem Tag beim ASGB zu sein, um mit ihm die Anliegen der Südtiroler Arbeiterschaft zu teilen, zu besprechen und seinerseits darauf hinzuweisen, dass die von ihm geführte Landesregierung sich die Sorgen und Nöte der Arbeiterschaft angelegen sein lässt. Auch dieses Jahr fand der Landeshauptmann kurze, aber zu Gemüte gehende Worte für die vielen Hunderte von ASGB-Mitgliedern.
Den Worten Durnwalders schloss sich die Grundsatzrede unseres Vorsitzenden Georg Pardeller an, der sehr eingehend auf das Tagesmotto zu sprechen kam und dabei eine Reihe von grundlegenden Aussagen tätigte, die hier kurz zusammengefasst seien. Er begann mit einem Dank an die Gäste: „Wir schätzen es, wenn die verantwortliche Politik durch ihre Anwesenheit ihre Teilnahme an dem zeigt, was uns wert und wichtig ist: Das Zusammenstehen für die sozialen Werte unserer Gesellschaft, die gegenseitige Solidarität und das wache soziale Gewissen, das wir zum Leitmotiv des heurigen Festes der Arbeit am 1. Mai gemacht haben."
Wach sein
Was heißt ein waches soziales Gewissen? „Wach sein ist das Gegenteil von schlafen. Heute müssen wir feststellen, dass unsere Gesellschaft der Müdigkeit in vielerlei Hinsicht immer noch oder schon wieder nicht Herr geworden ist. Müdigkeit ist es, wenn wir die Augen verschließen vor der sozialen Not, in der viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger heute leben müssen, wenn der Egoismus Einzelner oder einzelner Gruppen größer ist als die Verpflichtung, gemeinsam dafür einzustehen, dass Armut, Not und Elend in einer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen, und das in einer Gesellschaft, die sich reich und fortschrittlich nennt.
Als Gewerkschaft ist ein waches soziales Gewissen für uns Grundvoraussetzung, um unsere Aufgabe im Dienste der Mitglieder, aber darüber hinaus der gesamten Bevölkerung erfüllen zu können. Wach sein bedeutet in unserem Sinne eine ganze Menge: Das Auge schärfen für die Rahmenbedingungen, die ein gerechtes und würdiges Leben der Menschen fördern können. Politisch auf das Tagesgeschehen umgemünzt, könnte man sagen: Das wache Auge hat in Italien zu einer politischen Wende geführt; die Leute, die sehen, denken auch mit, handeln und entscheiden.
Ein waches Auge bedeutet den Frieden sehen und erhalten helfen, die Demokratie verteidigen und entsprechend handeln, die öffentlichen Mittel gerecht einsetzen und darüber wachen, mithelfen, um Fehlentscheidungen zu verhindern, überall dort, wo Entscheidungen getroffen werden, also auch in der Politik, auf die großen sozialen Herausforderungen wie Gesundheit, Pflegevorsorge, Altersabsicherung, Sicherung der Arbeit, Schutz der Familie, eingehen, die Gefahren der Globalisierung, des Wirtschaftsliberalismus, des unfairen Wettbewerbs, der brutalen Gewinnmaximierung zum Schaden der sozialen Sicherheit erkennen und dagegen auftreten."
Die Lage in Südtirol
Zur Situation in Südtirol erklärte Georg Pardeller unter anderem: „Wenn wir ein Jahr zurück rechnen, dann sehen wir, dass die letzten zwölf Monate uns einige Enthüllungen und Sorgen gebracht haben, die unsere gesamte Wachsamkeit erfordern: Die Anzahl der Familien in Not ist gewachsen, immer mehr Menschen kommen mit ihrem Lohn oder Gehalt nicht mehr ordentlich ans Monatsende. Die Sicherheit der Arbeit ist nicht gewachsen, sondern durch neue Formen der Arbeit kleiner geworden, die einem gefährlichen Wirtschaftsliberalismus und einem falschen Flexibilitätsbegriff entspringen. Die Jugend sieht ihre Zukunft unsicherer denn je, obwohl - auch das müssen wir ehrlich sagen - die Zustände in unserem Land weniger dramatisch sind als anderswo; weniger Arbeitslosigkeit, noch immer ein gewisser wirtschaftlicher Optimismus und auch ein breites, von der öffentlichen Hand solidarisch geführtes soziales Netz. Aber der mentale Abbau des Sozialstaates geht weiter. Die Teilung der Gesellschaft von oben nach unten geht weiter. Der Wert der sozialen Solidarität ist eher im Sinken begriffen. Die Menschlichkeit, die wir aus unserer christlichen Kultur ererbt haben, verflacht. Der Reiche teilt den Mantel mit dem Armen immer weniger gern oder gar nicht mehr.
Gegenüber all dem ist unsere soziale Wachsamkeit gefordert. Wir müssen uns noch stärker einsetzen, damit das Lohnniveau wieder steigt, damit die Arbeitsplätze nicht nur für die Arbeitgeber, sondern auch für die Arbeitnehmer, wieder rentabler werden. Die Umverteilung von oben nach unten wird zu einem Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Die Familien brauchen Hilfe, denn es ist ein schlechtes, ja dramatisches Zeugnis für eine Gesellschaft, wenn ihre Familien so in Bedrängnis kommen, dass sie keine Kinder mehr wollen oder sich leisten können.
Es hilft dem Arbeiter wenig, wenn ihm die Statistiken bescheinigen, dass es dem Durchschnitts-Südtiroler gut geht. Der Durchschnitt hilft dem Kleinen nicht, denn nicht der Durchschnitt darbt und leidet, sondern der, der am unteren Rand angesiedelt ist. Des Übrigen heißt ein guter Durchschnitt, dass es den oberen Schichten gut geht und diese Schichten stark sind. Das ist sicher gut, aber darüber dürfen jene nicht vergessen werden, die am unteren Rand zu leben haben. Ihnen muss geholfen werden."
„Sozial wachsam sein", sagte Pardeller weiter, „heißt, dass alle Menschen zur Mündigkeit, zur Selbstverantwortung und zum tätigen Handeln angehalten werden müssen und sich nicht apathisch der öffentlichen Hilfe allein anvertrauen. Dabei sind sie von der gesamten Gemeinschaft zu unterstützen. Wachsam und solidarisch. Eine gesunde Volkswirtschaft muss allen Leuten etwas bringen, und eine gesunde und gerechte Politik muss imstande sein, dafür zu sorgen, dass die öffentlichen Mittel ihren Zweck erfüllen, dass die Rahmenbedingungen stimmen und die Gemeinschaft ganz einfach mit der Solidarität rechnen und auch darauf aufbauen kann."
Pardeller wies auf die großen politischen Themen des Landes hin, die in den nächsten Monaten zur Behandlung anstehen und die aktive Mitbestimmung der Arbeiterschaft erfordern und verdienen: die Gesundheitsreform, die Einführung der Pflegevorsorge, das Inkrafttreten des Landessozialplans, die Festigung der Zusatzrente für möglichst viele Menschen im Land.
Der ASGB: Heute und morgen
Abschließend erklärte Pardeller: „Der ASGB hat in den vergangenen zwölf Monaten die große Aufgabe erfüllt, die er sich gestellt hat: Wir sind sozialpolitischer Bezugspunkt der arbeitenden Bevölkerung nicht nur geblieben, sondern haben diese Position ausgebaut. Wir haben uns immer und überall zu Wort gemeldet, wo es darum geht, die sozialen Rechte und Ansprüche der Arbeiterschaft zu vertreten und zu verteidigen.
Der ASGB ist nicht immer ein angenehmer Zeitgenosse. Das wollen und können wir auch nicht sein, denn in dem Augenblick, wo wir aufhören, sozial kritisch und hartnäckig bei der Verfolgung unserer sozialen Ziele zu sein, bleibt unser Ziel auf der Strecke. Soweit darf es nie kommen.
Die Arbeiterschaft ist eine große Familie, gebildet aus Jungen und Alten, aus Kindern und Rentnern, aus den Schichten, die es im Leben nie leicht haben. Als Familie spüren wir es, wenn es rund um uns herum schwierig wird, wenn die Probleme auf uns zukommen, uns bedrängen, wenn die Entwicklung droht, uns lebenswichtige Errungenschaften streitig zu machen, wenn wir uns um unsere Zukunft und um die Zukunft unserer Kinder sorgen müssen.
Heute befinden wir uns in einer solchen Lage. Der Abbau des Sozialstaates geht weiter, Arbeits- und Rentensicherheit werden geringer, Löhne und Gehälter stagnieren weiter, während die Lebenshaltungskosten steigen. Entbehrungen gehören zur Tagesordnung, die Angst vor Armut und Not wächst. Dem gegenüber steht eine vom Wirtschaftsliberalismus aufdiktierte Gewinnmaximierung, oft auf Kosten von Arbeitsplätzen, die uns Angst macht.
Es hat in letzter Zeit mehrere Versuche gegeben – von Seiten anderer Arbeiterorganisationen - den ASGB zu schwächen, seine im Rahmen des statutarischen Minderheitenschutzes errungene Position innerhalb der Volksgruppe in Frage zu stellen. Solche Angriffe weisen wir zurück. Wir verweisen gleichzeitig darauf, dass die deutsche und ladinische Arbeiterschaft sind noch mehr bewusst werden muss, wohin sie gehört und wer ihre Rechte wirklich und ohne Hintergedanken vertritt.
Der ASGB ist eine soziale Säule. Aber nicht nur das allein. Ich möchte das unserem Landeshauptmann offen sagen: Wir als ASGB sehen in erster Linie das Wohl der Arbeiterschaft. Zugleich wissen wir aber auch genau, dass dieses Wohl nicht allein aus sozialen und wirtschaftlichen Rechten besteht, auf die wir pochen und die wir verteidigen, sondern auch aus einer Muttersprache und Kultur, die uns allen Geborgenheit gibt, aus der Liebe zur eigenen Heimat, zur Tradition, zur Geschichte.
Wir sagen es mit Überzeugung: Eine ethnische Minderheit, in der die Arbeiterschaft zur Sache steht, ist stark und hat eine Zukunft. Wir möchten deshalb unsere verantwortliche Politik darauf hinweisen, dass die Förderung der sozialen Entwicklung in unserem Land, das Eingehen auf die sozialen Erfordernisse und Hoffnungen unserer Arbeiterschaft, auch eine Stärkung der Grundlagen bedeutet, auf denen unsere Existenz als Volksgruppe aufgebaut ist. Der ASGB arbeit auch in diesem Sinne.
Wir sind das Volk. Es lebe Südtirol, es lebe der ASGB!"