Aktuell

Die neue Patientenverfügung

Interview mit Dr. Herbert Heidegger,
Präsident des Landesethikkomitees zur Patientenverfügung
Dank den Fortschritten der modernen Medizin können heute viele Krankheiten geheilt oder zumindest in ihrem Verlauf positiv beeinflusst werden. Wenn Maßnahmen aber nur das Leiden und den Sterbeprozess verlängern, stellt sich die Frage, ob die sonst so segensreichen Errungenschaften der modernen Medizin wirklich im Interesse der Patienten sind. Das macht vielen Menschen Angst. Besonders groß ist die Angst vor Situationen, in denen eigene Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können, in denen Fremdbestimmung droht. Wir möchten mitentscheiden dürfen bei medizinischen Maßnahmen und wir möchten Vorsorge treffen können für den Fall, dass wir nicht mehr entscheidungsfähig sind.
Dafür gibt es die Patientenverfügung.
Aktiv: Dr. Heidegger, was ist eine Patientenverfügung?
Dr. Heidegger: Mit einer Patientenverfügung können Personen vorab festlegen, wie sie im Fall einer schweren oder todbringenden Erkrankung behandelt werden möchten, wenn sie diese Entscheidung krankheitsbedingt nicht mehr selbst treffen oder mitteilen können. Durch das bewusste, überlegte Aufsetzen einer Patientenverfügung erhalten die Angehörigen und das verantwortliche Gesundheitspersonal nützliche Hinweise über den Willen eines Patienten. Die Patientenverfügung ist deshalb so wichtig, weil sie es nicht nur ermöglicht, künftige medizinische Behandlungen dem Willen der Kranken anzupassen, sondern sie verringert auch das Risiko unnötiger Behandlungen. Zudem vermindert sie den Entscheidungsdruck, der auf den Angehörigen und dem Gesundheitspersonal lastet und beugt Konflikten zwischen den Beteiligten vor.
Aktiv: Wer hilft mir beim Verfassen meiner Patientenverfügung?
Dr. Heidegger: Wichtig für viele Menschen ist beim Abfassen einer Patientenverfügung qualifizierte medizinische Beratung zu erhalten. Eine entscheidende Rolle kommt dabei den Ärzten der Allgemeinmedizin zu. Sie kennen die Betroffenen in der Regel am besten und können sie so gezielter über mögliche Krankheiten aufklären; sie können die Behandlungsziele erklären und dabei behilflich sein, eine bestimmte Wahl zu treffen. Natürlich lässt sich nicht jeder mögliche Verlauf vorhersehen und für jeden einzelnen Fall entscheiden, welche medizinische Maßnahme jeweils in Betracht zu ziehen oder auszuschließen ist. In der Patientenverfügung können daher auch persönliche Wertvorstellungen oder die Auffassung von Menschenwürde und Lebensqualität festgehalten werden.
Aktiv: Kann ich eine Vertrauensperson bestimmen?
Dr. Heidegger: Über die Patientenverfügungen können Kranke eine Vertrauensperson benennen (Angehörige, Freunde, Arzt, Seelsorger usw.), die ihre Wertvorstellungen und Anschauungen kennen und sich dafür einsetzen können, ihren Willen zu respektieren und so zu entscheiden, wie sie selbst entscheiden würden.
Aktiv: Was geschieht in Bezug auf künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr?
Dr. Heidegger: Wissenschaftliche Gesellschaften, die sich mit künstlicher Ernährung beschäftigen, haben festgelegt, dass solche Verfahren in die ärztliche Zuständigkeit fallen, da medizinische und Pflegequalifikationen unerlässlich für ihre Durchführung sind.
Aktiv: Bin ich verpflichtet, eine Patientenverfügung zu verfassen?
Dr. Heidegger: Selbstverständlich besteht keinerlei Verpflichtung, eine Patientenverfügung zu verfassen. Es steht allen frei, eine solche Verfügung zu verfassen oder nicht zu verfassen, das heißt frühzeitig eigene Entscheidungen dazu zu treffen, was geschehen soll, wenn das eigene Ende naht. Liegt keine Patientenverfügung vor, und ist es auch nicht möglich, den mutmaßlichen Willen festzustellen, so wird sich die Entscheidung immer nach dem objektiven Wohl der Person richten, unter Gewährleistung aller sinnvollen lebenserhaltenden Maßnahmen.
Aktiv: Sind vorgedruckte Formblätter nützlich?
Dr. Heidegger: Eine Patientenverfügung kann frei formuliert werden oder mithilfe eines Formulars. Vorgefertigte Formulare haben den Vorteil, dass die betroffene Person unter medizinisch relevanten und aussagekräftigen Behandlungswünschen wählen kann. Dies sichert nicht nur die Qualität der Entscheidungen, sondern auch ihre Umsetzung bei künftigen Behandlungen.
Aktiv: Wer kann eine Patientenverfügung verfassen?
Dr. Heidegger: Eine Altersgrenze für Patientenverfügungen gibt es nicht. Wer eine Patientenverfügung verfasst, muss jedoch in vollem Umfang zurechnungsfähig sein, d.h. in der Lage, Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahmen zu erfassen und dementsprechend den Willen zu äußern. Urteilsfähige, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sollten die präventiven Behandlungsentscheidungen in enger Abstimmung mit ihren Eltern und den zuständigen Kinderärzten treffen.
Aktiv: Jetzt gibt es in Italien das Gesetz 219 aus dem Jahr 2017. Sind alle Probleme damit gelöst?
Dr. Heidegger: Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass sich Patientenwünsche am Lebensende nicht allein durch das Ausfüllen eines Formulars berücksichtigen lassen. Allen bisherigen Bemühungen zum Trotz haben Patientenverfügungen heutzutage noch keine große Verbreitung. Zudem sind sie oft ungenau, wenig aussagekräftig formuliert und im akuten Krankheitsfall häufig nicht auffindbar, so dass sie dann bei medizinischen Entscheidungen nicht oder nicht gebührend berücksichtigt werden. Um die Patientenverfügung effektiver zu gestalten, wurde zunächst in den USA und zunehmend auch in anderen Ländern ein neues Konzept entwickelt, das so genannte Advance Care Planning (ACP)/die Gesundheitliche Vorsorgeplanung. Sie ruht auf zwei Grundpfeilern: Zum einen erhalten die Menschen im Rahmen eines professionell begleiteten Gesprächsprozesses die Gelegenheit, ihre Einstellung zu medizinischen Behandlungen bei Verlust ihrer Zurechnungsfähigkeit reifen zu lassen, und ihren Willen dann im Rahmen einer aussagekräftigen Patientenverfügung zu bekunden. Zum anderen werden die regionalen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und Pflege eingebunden und die im Gesundheitsbereich Tätigen so geschult und informiert, dass die Patientenverfügungen bei Behandlungsentscheidungen immer verfügbar sind und angemessen respektiert werden.
Dr. Heidegger wir danken für das Gespräch.

Aktuell

Landeshauptmann Arno Kompatscher im Interview

Landeshauptmann Arno Kompatscher
AKTiV: Herr Landeshauptmann, Sie haben in dieser Legislatur die Sozialpartner wieder stärker in die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Entscheidungen eingebunden.
Arno Kompatscher: Ich bekenne mich zur Sozialpartnerschaft, weil diese ein Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft ist, deren Prinzipien ich mich verpflichtet fühle. Der regelmäßige Austausch mit den Sozialpartnern hat deshalb auch Eingang in das Koalitionsprogramm der laufenden Legislatur gefunden. Ich habe mich immer wieder mit den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden an einen Tisch gesetzt, um den wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen ein möglichst breites Fundament zu geben.
AKTiV: Welche Themen waren Gegenstand der Diskussion mit den Sozialpartnern und wie lautet ihr Resümee?
Arno Kompatscher: Zu Beginn meiner Amtszeit waren die Wirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit die alles überstrahlenden Themen. In dieser Phase galt es, antizyklische Maßnahmen zu setzen, um den Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern und die Betriebe zu ermutigen, neue Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu schaffen. Darum ging es bei den Sozialpartnertreffen. Konkret denke ich vor allem an die umfangreichen Steuerentlastungen im Bereich der Einkommensteuer IRPEF, der Wertschöpfungssteuer IRAP und der Gemeindeimmobiliensteuer. Wichtig waren das neue Südtiroler Vergabegesetz, die Einführung des Bausparens und die mehrjährigen Investitionsprogramme im Hoch- und Tiefbau. Damit haben wir die privaten und öffentlichen Investitionen angekurbelt. Auch im Vorfeld der Verabschiedung der Landeshaushalte habe ich mich mit den Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber über die zu setzenden Schwerpunkte ausgetauscht. Diese Vorgehensweise hat sich als die richtige erwiesen. Nur wenn die Ziele und die Wege dorthin geteilt sind, ist der Erfolg garantiert.
AKTiV: Wie beurteilen Sie aktuell die Situation auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft?
Arno Kompatscher: Unser Land hat die Krise überwunden und das weit besser und schneller, als andere Regionen. Südtirol hatte und hat das große Glück, auf gewissenhafte und anpackende Menschen bauen zu können, die auch in schwierigen Zeiten nicht den Mut verlieren. Ich bin aber überzeugt, dass auch die getroffenen politischen Entscheidungen wesentlich zum Aufschwung beigetragen haben. Das haben übrigens beide Seiten, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, einhellig bestätigt.
AKTiV: Woran machen Sie den Aufschwung fest Herr Landeshauptmann?
Arno Kompatscher: Im Bereich des Beschäftigungszuwachses ist der mehrjährige flache Trend seit 2015 klar beendet worden. Im Zeitraum November 2017 bis April 2018 verzeichnete Südtirol sogar den größten Beschäftigungszuwachs seit 20 Jahren. Das Südtiroler Beschäftigungsziel für 2020 mit einer Erwerbstätigenquote der 20- bis 64-Jährigen von 80 Prozent war noch nie so nahe wie jetzt. Die Arbeitslosenquote Südtirols ist im Jahr 2017 mit 3,1 Prozent sogar niedriger als im wirtschaftsstarken Bundesland Tirol (Anm. d. Red. 3,3 Prozent). In Südtirol haben die Betriebe wieder massive Investitionen getätigt, darunter zahlreiche Leitbetriebe. Der Export ist von 3,8 Mrd. Euro im Jahre 2013 auf 4,8 Mrd. Euro im Jahre 2017 deutlich angestiegen und die Auftragsbücher im Handwerk sind gut gefüllt. Auch die Laune der Konsumenten hat sich wieder verbessert.
AKTiV: Und dennoch Herr Landeshauptmann gibt es Stimmen, die sagen, dass am Aufschwung nicht alle teilhaben. Was sagen Sie dazu?
Arno Kompatscher: Genau diese Frage war kürzlich Inhalt eines Sozialpartnertreffens. Die Landesregierung hat bereits im November 2017 das Amt für Arbeitsmarktbeobachtung damit beauftragt, die Lohnentwicklung ab 2009 zu untersuchen. Es liegen nun die Ergebnisse bis zum Jahr 2015 vor. Die Daten 2016 und 2017 sind noch nicht verfügbar.
AKTiV: Was ist das Ergebnis dieser Untersuchung?
Arno Kompatscher: Die Löhne sind im Zeitraum 2009 bis 2015, also in den Jahren der Krise, zwar gestiegen, allerdings nicht im Ausmaß der Inflation. Das bedeutet, dass die Kaufkraft abnahm. Der Kaufkraftverlust hat dabei die Angestellten in der Privatwirtschaft und die öffentlich Bediensteten getroffen, während die Kaufkraft der Arbeiter leicht zunahm (+1,4 Prozent). Gleichzeitig ist feststellbar, dass sich die Schere zwischen den besser und schlechter bezahlten Berufen verkleinert hat und es mit dem Jahr 2015 eine Trendumkehr gibt. Das heißt, auch die Reallöhne steigen wieder. Das ist Folge der guten wirtschaftlichen Entwicklung und der Vollbeschäftigung.
AKTiV: Das Land ist in Südtirol der größte Arbeitgeber. Wo wollen Sie bei den Bediensteten ansetzen?
Arno Kompatscher: Als Arbeitgeber ist die öffentliche Hand bereits aktiv geworden. Wie Sie wissen, galt für die öffentlichen Angestellten italienweit seit 2010 ein Vertragsstopp mit der Konsequenz, dass diesen keine Gehaltserhöhungen mehr gewährt wurden. 2015 kippte das Verfassungsgericht diesen Gehaltsstopp rückwirkend. Wir in Südtirol waren italienweit die ersten, die im Jahr 2016 diesem Urteil Rechnung getragen haben und für die 40.000 öffentlich Bediensteten einen neuen bereichsübergreifenden Kollektivvertrag abgeschlossen haben. Zudem haben wir den Arbeitgeberanteil für den Zusatzrentenfonds erhöht und einen ergänzenden Gesundheitsfonds für gesundheitliche Leistungen eingerichtet. Darüber hinaus haben wir die Basis gelegt, um nun auch auf Ebene Bereichsabkommen zu diskutieren.
AKTiV: Und ganz generell? Wie kann die öffentliche Hand die Entwicklung stützen?
Arno Kompatscher: Die vorhin genannte Untersuchung werden wir nun jährlich aktualisieren, um so objektive Informationen über die Entwicklung der Löhne zu haben und auf Basis objektiver Daten gemeinsam mit den Sozialpartnern eventuelle Maßnahmen setzen zu können. Es gibt aktuell verschiedene Vorschläge für weitere steuerliche Maßnahmen. Hier werden wir aber zunächst abwarten, welche Neuerungen das staatliche Haushaltsgesetz bringen wird. Vielmehr will die Landesregierung in jenen Bereichen neue Akzente setzen, die sich indirekt auf das verfügbare Einkommen auswirken. Insbesondere geht es um leistbares Wohnen. Ansetzen werden wir über das Raumordnungsgesetz, das der Landtag kürzlich verbschiedet hat, das neue Wohnbauförderungsgesetz und die Steuergesetzgebung in diesem Bereich. Kurzfristig sind in erster Linie nun die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände auf kollektivvertraglicher Ebene gefragt.