Aktiv: Lieber Tony, 2018 neigt sich dem Ende zu – Zeit Bilanz zu ziehen. Wie hast du, als Vorsitzender des ASGB 2018 aus Sicht der Gewerkschaft erlebt?
Tschenett: Das Jahr 2018 war vor allem ein erfolgreiches Jahr für die Wirtschaft. Zweifelsohne hat die Konjunktur auch dafür gesorgt, dass wir uns einer Vollbeschäftigung annähern. Soviel zum Positiven. Massive Sorgen bereitet uns jedoch die Tatsache, dass die Löhne und Renten vielfach nicht zum Leben reichen. Wir haben eine interne Studie angestrengt, deren Resultat eindeutig einen Kaufkraftverlust bei Rentnern im zweistelligen Bereich aufzeigt. Bei den Arbeitnehmern sieht es ähnlich aus. Wir haben regelmäßig Vorschläge deponiert, dass Wirtschaftsförderungen an Lohnerhöhungen für die Bediensteten gekoppelt werden müssen, dass ausreichend Haushaltsmittel für die Verträge im öffentlichen Bereich zweckgebunden werden müssen, dass die teilweise diskriminierende EEVE abgeschafft oder zumindest abgeändert werden muss oder, dass die Landesregierung auf die Wirtschaftsverbände einwirkt, territoriale Zusatzverträge mit den Arbeitnehmerorganisationen abzuschließen. Natürlich werden wir auch 2019 nicht müde, regelmäßig unsere Forderungen zu deponieren. Es gilt aber zu hoffen, dass nach einer Legislatur, die im Zeichen der Wirtschaftsförderung stand, nun die Weichen dafür gestellt werden, vermehrt in die Arbeitnehmer zu investieren.
Aktiv: Die Hoffnung stirbt zuletzt… Wie will der ASGB konkret den Kaufkraftverlust der Arbeitnehmer eindämmen?
Tschenett: Konkret setzen wir immer auf Dialog. Wir werden versuchen an die Vernunft der politischen Entscheidungsträger und Wirtschaftsvertreter zu appellieren und durch handfeste Fakten darlegen, dass die Situation für die Arbeitnehmer aktuell prekär ist. Ich denke, dass der amtierende Landtag schon erkannt hat, dass es nun an der Zeit ist, die lohnabhängig Beschäftigten in den Fokus zu rücken.
Aktiv: Die Wirtschaft fordert Maßnahmen, die Zweisprachigkeit der Kinder zu fördern. Unter anderem wird die gemischtsprachige Schule immer wieder thematisiert. Der ASGB ist kein Freund solcher Vorschläge!?
Tschenett: Zunächst muss man vorausschicken, dass die gemischtsprachige Schule ohne Änderung des Autonomiestatutes nicht umsetzbar ist. Und das ist gut so: durch die Anwendung der nationalen Sprache im Unterricht geht bewiesenermaßen die Muttersprache verloren – Aosta und Elsass sollen uns mahnendes Beispiel sein. Ich befürworte aber ganz dezidiert Maßnahmen zur Förderung der zweiten Sprache. Dafür muss erstens die Unterrichtsdidaktik verändert werden, zweitens dafür Sorge getragen werden, dass die Schüler Kontinuität erleben, also nicht inflationär wechselnde Lehrkräfte haben und drittens sollte vermehrt ein interethnisches Zusammensein der Schüler in der Freizeit gefördert und angeboten werden. Aber ich betone zeitgleich, dass die wesentlichen Säulen unseres Autonomiestatutes, wie das Recht auf muttersprachlichen Unterricht und die Einhaltung des Proporzes niemals zur Diskussion stehen dürfen.
Aktiv: Bald wird eine neue Landesregierung vereidigt werden. Eine Regierungskoalition mit einer rechtspopulistischen Partei ist ein Novum. Wird sich dies negativ auf Südtirol auswirken?
Tschenett: Dass ich ordentlich Bauchweh mit der Lega habe, kann ich nicht verleugnen. Soweit ich die Situation einschätzen kann, verfolgen die lokalen Lega-Vertreter keine wirtschaftsliberale Politik, vor der wir uns als Arbeitnehmervertreter fürchten müssten. Viel eher sorge ich mich aufgrund ihrer nationalen, antieuropäischen Haltung und vor den Reaktionen, die diese Allianz bei unseren etablierten Partnern im In- und Ausland hervorrufen wird. Natürlich muss man aber eingestehen, dass der Salvini-Effekt auch vor Südtirol nicht haltgemacht und die Lega von den Italienern im Land den größten Vertrauensvorschuss bekommen hat.
Aktiv: Du hast die antieuropäische Haltung der Lega erwähnt. Woher rührt die jüngste Europaskepsis, die ja nicht nur von der Lega zu vernehmen ist?
Tschenett: Die EU hat in der Vergangenheit an Vertrauen verloren. Das stimmt. Rückblickend muss man sagen, dass Europa von Anfang an zu schnell gewachsen ist. Einerseits wurde es verabsäumt, bei der Gründung eine europäische Verfassung festzuschreiben, andererseits auch eine gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Steuerpolitik anzustreben. Wenn man sieht, dass Südtiroler Unternehmen im benachbarten Osttirol günstiger und unbürokratischer produzieren können, dann sieht man, dass einiges sicherlich im Argen liegt. Man kann auch feststellen, dass die EU ein Paradies für Wirtschaftslobbyisten ist und soziale Themen immer mehr an Relevanz verlieren.
Dennoch bin ich überzeugt, dass wir nur in einem geeinten Europa konkurrenzfähig sind. Die EU stabilisiert die Länder, verteilt um und garantiert freien Personen- und Warenverkehr. Eine Abkehr Italiens von Europa würde den Handel massiv verkomplizieren, der Tourismus würde darunter leiden, Importe extrem teuer werden. Ich oute mich als klarer Pro-Europäer, gestehe aber auch ein, dass notwendige Reformen angegangen werden müssten.
Aktiv: 2019 steht der Kongress des ASGB an?
Tschenett: Genau, zu diesem Anlass werden immer die Weichen für die nächsten Jahre gestellt. Wir sind intern schon intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt, mit der Ausarbeitung des Grundsatzpapieres und der Resolutionen. Der Kongress wird am 12. Oktober 2019 stattfinden und inhaltlich sicherlich stark von den Themen Autonomie, Arbeit und Arbeitsmarkt bzw. Soziales dominiert werden.