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Georg Pardeller

Eine Milchmädchen-Rechnung

Die italienische Steuerbehörde hat ausgerechnet, dass in Italien pro Jahr rund 270 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen werden. Das sind etwas weniger als ein Fünftel des Bruttosozialprodukts (BIP). Beide Zahlen – die 270 Milliarden und ein Fünftel des BIP – sagen an sich nicht viel. Man muss schon einen Schritt weitergehen und diese Zahlen verständlich machen, um das ganze Ausmaß der Steuerhinterziehung zu erkennen. 270 Milliarden Euro sind, in alte Lire umgerechnet (270 Milliarden Euro mal 2.000), 540.000.000.000.000.- Lire oder 540 Billionen Lire. Unvorstellbar. Vorstellbarer wird das Ganze, wenn man diese 270 Milliarden Euro auf die rund 58 Millionen Italiener aufteilt. Das ergibt eine „Prokopfquote" von rund 4.600 Euro Steuerhinterziehung (etwas mehr als neun Millionen alte Lire).
Gehen wir einen Schritt weiter. Arbeiter und Angestellte mit festem Einkommen können kaum Steuern hinterziehen. Ihr Einkommen ist sozusagen bis zum letzten Cent kontrollierbar. Die lohn- und gehaltsabhängigen Arbeiter bzw. Angestellten machen über 70 Prozent der gesamten werktätigen Bevölkerung aus. Sie zahlen und halten den Staat auf den Beinen. Sie zahlen sehr viel, und sie würden viel weniger zahlen müssen, wenn alle Bürgerinnen und Bürger gleichmäßig und auf ihre Einkommen abgestimmt die Steuern entrichten. Das ist allerdings eine Illusion.
Die letzte Nachricht lautet: Rund 53 Prozent der Selbständigen in Italien erklären ein Jahreseinkommen von weniger als 9.000 Euro. Das bedeutet, dass diese 53 Prozent weniger Einkommen haben, ja bedeutend weniger, als ein einfacher Arbeiter. Das ist unglaubwürdig, und leider bestätigt es auch die Vermutung, dass der allergrößte Teil der Steuerhinterziehung bei den Selbständigen zu finden ist. Um diese traurige Wahrheit kommt niemand herum.
Umso bedauernswerter ist es, dass gerade diese 53 Prozent sich am meisten über die die neuen Steuerbestimmungen beklagen und erklären, sie seien in ihrer Existenz bedroht. Rund um die „Branchen-Richtwerte", einer staatlich vorgesehenen Einschätzung des Einkommens Selbständiger, ist in letzter Zeit eine Dramatik entstanden, die auch in Südtirol zu wilden Polemiken gegen die Regierung geführt hat. Nun mag es schon sein, dass die verschärfte Steuerbestimmungen einzelne Selbständige (Betriebe in Handwerk, Handel, Fremdenverkehr, Freiberufler) hart treffen, aber es ist leider auch eine Tatsache, dass in diesem Wirtschaftsbereich der Großteil der Steuerhinterziehung zu finden ist. Was soll ein Staat, der soziale Gerechtigkeit zum Ziel hat, tun? Die Steuerhinterzieher in Ruhe lassen, dem Jammer derjenigen, die am meisten hinterziehen, Glauben schenken, oder trachten, mit spezifischen Maßnahmen zu erreichen, dass alle oder möglichst alle gerecht nach ihrem Einkommen zahlen, so wie es die Unselbständigen seit Jahr und Tag tun müssen? Eines ist sicher: Wenn alle, die müssten, wirklich auch ihre Steuern bezahlen würden, wären die Steuersätze um so vieles niedriger, dass keiner sich viel beklagen müsste, und das Gemeinwesen täte sich leichter, seinen Aufgaben nachzukommen. Aber leider ist es nicht so.
Georg Pardeller
Vorsitzender des ASGB

aktuell
Zum 1. Mai 2007

Fest der Arbeit – Fest der Familie

Weit über tausend Südtirolerinnen und Südtiroler aller Altersstufen und aus allen Teilen des Landes haben das Erste-Mai-Fest des ASGB auf der Völser Festwiese wiederum – und heuer ganz besonders – zu einem Fest der Arbeit, zu einem Fest der Arbeiterschaft und zu einem Fest der Familie gemacht. Keine andere Gewerkschaft war in der Lage, so viele Menschen für den Sinn dieses Tages zu begeistern, nirgendwo anders ist die Verbundenheit zwischen den arbeitenden Menschen dieses Landes und ihren Familien so deutlich zum Ausdruck gekommen. Das bestätigt einmal mehr: Der ASGB, als eigenständige Vertretung der deutschen und ladinischen Arbeiterschaft Südtirols, ist tief in der arbeitenden Bevölkerung verwurzelt. Er erfüllt eine äußerst wichtige Funktion für die Gesellschaft, er hält zusammen, er wirkt über die rein gewerkschaftliche Rolle hinaus.
Ein schöner Tag
Das Wetter hat es gut gemeint. Es war ein sonniger Tag, und die vielen Vorbereitungen, die auf der Festwiese von den Mitarbeitern und Mitgliedern des ASGB, darunter der Vorsitzende Georg Pardeller selbst an den Tagen vorher getroffen worden waren, machten sich bezahlt. Alle, die kamen, fanden eine Festwiese vor, wie man sie sich erwartet, wenn man einmal im Jahr alle Sorgen und Nöte ein wenig abseits stellt und nur in freundschaftlicher, solidarischer Gemeinschaft zusammen sein will. Diese Gemeinschaft besteht nicht nur aus den Arbeiterinnen und Arbeitern, sondern auch aus ihren Familien, aus den Kindern – es sind sehr viele gekommen – aus den Rentnern, aus dem „Geist", der an diesem Tag herrscht. Die Kinder fanden ungezählte Spielmöglichkeiten vor. Die Erwachsenen konnten sich auch miteinander und im „sportlichen Geist", etwa beim immer wieder perfekt organisierten Watt-Turnier – unterhalten. Es gab Speise und Trank, schmackhaft und geschmackvoll. Es wurden Lose verschenkt und Preise vergeben. Die Musik spielte. Kurzum, es war ein sehr schönes Fest einer sehr großen Südtiroler Familie von werktätigen Menschen.
Ein sinniges Motto
Jedes Jahr wählt der ASGB mit viel Bedacht ein Motto aus, das dem 1. Mai besonderen Sinn verleihen soll. Heuer waren es die vier Worte „Teilen verbindet – Egoismus trennt". Diese vier Worte versteht jeder Mensch, der ein waches soziales Gewissen hat. Dieses Gewissen ist im ASGB tief verwurzelt. Verwurzelt ist auch das Bewusstsein, dass in unserer Gesellschaft die Gruppenegoismen zunehmen und dass Egoismus etwas Trennendes ist. Denn kein Mensch, keine Gruppe, kein Betrieb kann allein existieren. Jeder ist in einen größere Gemeinschaft eingebettet, lebt in dieser, muss oder soll auf sie Rücksicht nehmen, aus ihr Kraft beziehen, aber auch Kraft geben. Ganz einfach „teilen", wie das Tagesmotto lautete. Teilen und den Egoismus abbauen. Die Stärke einer Gemeinschaft liegt in ihrer Bereitschaft zum Teilen, und in ihrer Ablehnung des Egoismus.
Die Gäste
Ansehen, Wertschätzung und Bedeutung einer großen Organisation, wie der ASGB es ist, werden auch an den Gästen gemessen, die am 1. Mai den Weg zum ASGB-Fest finden. Auch heuer konnte Priska Auer wieder hohe Vertreter aus der Politik begrüßen: An der Spitze der Landeshauptmann, Mitglieder der Landesregierung, sozial orientierte Abgeordnete, fast vollzählig jene der Arbeitnehmer-Bewegung in der SVP, auch der Kammerabgeordnete Hans Widmann. Aber auch die Südtiroler Opposition mit den Freiheitlichen und der Union für Südtirol (Pius Leitner, Andreas Pöder) waren wieder anwesend, ein Beweis auch, dass der ASGB sein Erscheinungsbild als Gewerkschaft über die politischen Bewegungen hinweg aufrecht erhält. Und man hatte den Eindruck: Alle, ohne Unterschied der parteipolitischen Herkunft, fühlten sich wohl. Die Arbeiterschaft gilt ja als politisch offen und ehrlich, und sie braucht Hilfe von allen Seiten.
Die Reden
Es gehört zum 1. Mai, dass politische Aussagen gemacht werden. Dies war auch heuer wieder der Fall. Der Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder, der seit vielen Jahren immer geschätzter Gast und Freund des ASGB ist, fand auch dieses Jahr wieder beherzte Worte mit sozialem Inhalt. Er ist der Garant dafür, dass die sozialen Belange in der Südtiroler Politik einen wichtigen Platz finden, und es ist eine Tatsache, dass die sozialen Impulse, die von der höchsten Landesspitze ausgehen, der Entwicklung im Lande den Stempel aufgedrückt haben. Landeshauptmann Luis Durnwalder machte es kurz, und prägnant. Die Arbeiterschaft versteht ihn.
Die Ansprache Pardellers
Jedes Jahr am 1. Mai hält unser Vorsitzender Georg „Schorsch" Pardeller eine Grundsatzrede, in der die wichtigsten und drängendsten sozialen und wirtschaftlichen Anliegen des Landes angesprochen werden. So war es auch heuer. Pardeller hat in seiner Rede viele prägnante Aussagen gemacht, von denen hier die wichtigsten zitiert werden sollen.
„Unsere Sorge Nummer eins ist und bleibt die Arbeit", sagte er. „Wir fordern, dass wir arbeiten dürfen und dass sich Arbeit lohnt. Wir stellen die Haare auf, wenn wir immer wieder hören müssen, dass wir ‚zu teuer' sind, dass unsere Arbeit zu viel kostet. Das widerspricht einer sozialen und gerechten Denkweise.
Der Reichtum in unserer Gesellschaft nimmt zum, aber der materielle Reichtum ist nicht bei der Arbeiterschaft zu finden, sondern fast nur bei jenen, die sich darüber beklagen, dass wir zu teuer sind. Die Preise steigen, aber Löhne und Gehälter nehmen an Kaufkraft laufend ab, und obwohl es zahlreiche neue Formen der Arbeit gibt, ist die Sicherheit nicht größer geworden, im Gegenteil: Manche neuen Formen der Arbeit dienen nur der Wirtschaft, die einen möglichst willigen, zurückhaltenden, untergeordneten Arbeiter will..." Soziale Sicherheiten und Garantien wachsen nicht, sondern nehmen ebenfalls ab.
Teilen ernst nehmen
„Wir fordern, dass die Sozialpartner und mit ihnen die öffentliche Hand das Wort vom Teilen ernst nehmen", sagte Pardeller weiter. „Wir fordern, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer miteinander reden, handeln und entscheiden, auf der Ebene der Sozialpartnerschaft, des menschlichen Respekts, der gleichen Würde und der gemeinsamen sozialpolitischen Orientierung. Und das verstehen wir unter teilen: Verantwortung teilen, Schicksal teilen, soziale Solidarität teilten, Wohlstand und Fortschritt teilen, Zukunft teilen und gestalten."
Egoismus trennt
Eindringlich wies Pardeller auf die Gefahr des wachsenden Egoismus hin. „Egoismus ist es, wenn Teile der Gesellschaft in der Illusion leben, dass ihr voller Bauch ausreicht." Von den modernen Formen des Wirtschaftswachstums, Globalisierung und Rationalisierung „geht eine unmenschliche Kälte aus, in der Millionen von Menschen zu erfrieren drohen", schilderte es Pardeller dramatisch. Der Wettbewerb sei weltweit vorhanden und man müsse ihn zur Kenntnis nehmen, aber es dürfe nicht das Recht auf würdiges Leben von Millionen aufs Spiel gesetzt werden.
Aktuelle Probleme
Georg Pardeller zählte die aktuellen Probleme der Gesellschaft in Südtirol auf. Es sind: die sinkende Kaufkraft von Löhnen und Gehältern, die geringere soziale Sicherheit, die Verringerung der Pensionen, die mangelnde Altersabsicherung, die Notwendigkeit, durch Zusatzrenten das Alter in Würde leben zu können, und ähnliches. Überall bedürfe es der Zusammenarbeit von Sozialpartnern und Politik, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Pardeller fasste die derzeitigen Anliegen der Südtiroler Gesellschaft in folgenden Begriffen zusammen: Pflegevorsorge, Energie, Umweltpolitik, Bildung und Ausbildung, Zuwanderung, Proporz und Zweisprachigkeit.
Echtes soziales Gewissen
Der ASGB, erklärte Pardeller, „ist das einzige echte soziale Gewissen in der Bevölkerung. Der ASGB vertritt Grundsätze, die weit über das rein Gewerkschaftliche hinausgehen: demokratische Freiheit und Toleranz, soziale Aufgeschlossenheit, sozialen Frieden, politische Kompromissbereitschaft, Entspannung.". Und abschließend: „Wir wollen weiter kämpfen für eine gerechte Gesellschaft, in der geteilt wird und die Egoismen abnehmen. Es lebe der ASGB! Es lebe unser Südtirol!"