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Euregio-Studie EWCS
Nach zwei Jahren Vorarbeit wurden am 25. Mai in Innsbruck die ersten Ergebnisse der 4.500 Interviews umfassenden repräsentativen Umfrage vorgestellt. Die Veranstaltung nahm dabei körperlich und psychisch belastende Arbeitsbedingungen näher in den Blick.
Körperlich und belastende Arbeitsbedingungen in der Europaregion
Das Fazit: Bei den körperlichen Belastungen ist ein klares Nord-Süd-Gefälle erkennbar. Besonders problematisch sind allerdings die psychischen Belastungen. Sie sind nicht nur intensiver als die körperlichen Belastungen, sondern treten auch in allen drei Länderteilen gleichermaßen auf. Die Problembranchen: Gesundheits-/Sozialwesen sowie Hotellerie/Gastronomie sind in beiden Belastungsbereichen traurige Spitzenreiter, Erziehung/Unterricht nur zum Teil.
Diese Belastungen summieren sich und machen die Arbeit in diesen Wirtschaftszweigen für immer weniger Beschäftigte attraktiv, was bei der Bedeutung dieser Branchen für den Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft der Europaregion zu einer schweren Hypothek werden kann.
Körperliche Arbeitsbelastungen: klares Nord-Süd-Gefälle
Aus der Vogelperspektive der Europaregion betrachtet zeigt sich bei sehr vielen körperlich belastenden Messgrößen ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Das Bundesland Tirol ist beispielsweise stärker von körperlichen Arbeitsbelastungen geprägt (26 Punkte) als es die Beschäftigten in Südtirol (23) sind. Die Beschäftigten im Trentino weisen hier mit 19 Punkten den besten Wert auf, sind also beispielsweise starkem Lärm, dem Tragen von schweren Lasten oder dem Kontakt mit chemischen oder ansteckenden Stoffen weniger ausgesetzt als in den anderen beiden Landesteilen.
Psychische Belastungen: flächendeckend ein Problem
Psychisch belastende Arbeitsbedingungen wie Arbeitsverdichtung (hohe Arbeitsgeschwindigkeit, Zeitdruck usw.) und emotionsbedingte Arbeitsbelastungen (schwierige emotionale Situationen erleben, sich auch in der Freizeit um die Arbeit Sorgen machen müssen usw.) sind demgegenüber in der gesamten Europaregion grundsätzlich deutlich stärker ausgeprägt als die körperlich belastenden Arbeitsbedingungen. Gerade Südtirol sticht in fast allen Branchen bei psychisch belastenden Arbeitsbedingungen negativ heraus, der psychische Druck ist hier am höchsten.
Zweieinhalb Problembranchen
So richtig problematisch werden belastende Arbeitsbedingungen dann, wenn mehrere Faktoren zusammenwirken, wie es in einigen Wirtschaftszweigen ganz deutlich der Fall ist: Im Gesundheits-/Sozialwesen, in Hotellerie/Gastronomie und zum Teil in Erziehung/Unterricht erzeugen das Zusammentreffen von körperlichen und psychischen Faktoren jene Mehrfachbelastung, die auf die Dauer besonders schädlich wirkt. Der Grund: In allen drei Branchen wird mit Menschen gearbeitet: Kranke und alte Menschen, „erholungswütige“ Gäste und quirlige Kinder samt ihren Eltern fordern zusätzlichen emotionalen Tribut.Diese Belastungen summieren sich und machen die Arbeit in diesen Wirtschaftszweigen für immer weniger Beschäftigte attraktiv, was bei der Bedeutung dieser Branchen für den Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft der Europaregion zu einer schweren Hypothek werden kann.
Bessere Arbeitsbedingungen oder unterschiedliches Problembewusstsein?
Auffällig ist, dass das Bundesland Tirol in vielen Belangen schlechter abschneidet als das Trentino, und Südtirol sehr oft eine Mittelposition einnimmt. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Die Arbeitsbedingungen können zum einen tatsächlich unterschiedlich sein- ein Landesteil macht es schlichtweg besser als die anderen, oder aber es besteht eine unterschiedliche Problemwahrnehmung: Was von manchen Befragten bereits als belastend empfunden wird (z. B. starker Lärm oder emotional schwierige Situationen bei der Arbeit), ist für andere nicht der Rede wert. Der spannenden Frage, worauf diese unterschiedlichen Ergebnisse denn nun zurückzuführen sind - beispielsweise gelebte Arbeitskultur, Mentalität, Antwortverhalten - werden weitere Studien in den nächsten zweieinhalb Jahren auf den Grund gehen.Tobias Hölbling
Projektkoordinator und AFI-Arbeitspsychologe
Projektkoordinator und AFI-Arbeitspsychologe