Die 1. Mai unserer Gewerkschaft, die heuer bereits zum 30. Mal in Form eines Familienfestes abgehalten wurde, war ein großer Erfolg. Aus allen Teilen des Landes sind unsere Mitglieder mit ihren Familienangehörigen, besonders mit ihren Kindern, auf den Festplatz nach Völs gekommen, um die Solidarität der Arbeiterschaft zu sich selbst und zur eigenen Idee zu unterstreichen. Ihnen allen ist eine Sorge gemeinsam: Die Sorge um den Arbeitsplatz, um das Einkommen, um die soziale Sicherheit, um den sozialen Frieden. Denn die wirtschaftlichen Ereignisse der letzten Monate lassen auch für unser Land manche Besorgnis aufkommen. Nichts ist mehr wie in den vergangenen Jahren, wo der Optimismus gerechtfertigt war und (fast) alle Menschen in unserem Land Arbeit und Einkommen hatten. Jetzt bedroht auch unsere „Insel der Seligen" zunehmend Arbeitslosigkeit.
Dennoch haben die mehr als zweitausend Teilnehmer in Völs gezeigt, dass sie „mit Solidarität aus der Krise" herauskommen wollen, wie das Motto besagte. Sie brauchen die Solidarität der gesamten Gesellschaft, der Sozialpartner, der Politik, denn in der Gemeinsamkeit liegt die Stärke.
Auch zahlreiche Exponenten der Landespolitik, allen voran Landeshauptmann Luis Durnwalder, sind nach Völs gekommen. Der Landeshauptmann hat mit kurzen, aber einprägsamen Worten erneut die soziale Offenheit und Bereitschaft der Landesregierung bezeugt. Er hat auf die Maßnahmen hingewiesen, welche das Land zur Linderung der Arbeitslosigkeit und zur Hilfe für alle jene, deren Arbeitsplätze in Gefahr sind, zu ergreifen beschlossen hat.
Rede zum Tag der Arbeit
Im offiziellen Mittelpunkt der 1.Mai-Feier, die bei schönem Frühlingswetter stattfand, stand traditionsgemäß die Rede des Vorsitzenden Georg Pardeller, der die Sorgen und Hoffnungen der Südtiroler Arbeiterschaft auf den Punkt brachte. Wir geben die wichtigsten seiner Aussagen in der Folge kurz wieder. So erklärte Pardeller, dass heuer „die Hoffnung vom ständigen Aufwärts, der Traum von der Insel der Seligen" nicht mehr berechtigt sei. Und wörtlich: „Selten einmal in den letzten Jahrzehnten hatten wir so stark wie jetzt das Gefühl, dass uns eine bittere Wirklichkeit eingeholt hat: Arbeitsplätze in Gefahr, Lohnausgleichskasse, Kurzarbeit, Solidaritätsverträge, Familien in Not, Sorgen um die Zukunft, wachsende Verschuldung, Finanzen und Wirtschaft weltweit in tiefer Krise, und die Medien überbieten sich in Katastrophennachrichten, überall sehen die Leute schwarz."
Wir sind nicht schuld
Manches werde übertrieben, aber vieles sei leider wahr. Es sie ein schwacher Trost zu wissen, „dass nicht wir an dieser Krise schuld sind, sondern die Spekulanten weltweit, die Egoisten, die Neoliberalen, die für sich alle Freiheit in der Wirtschaft eingefordert, und diese Freiheit sträflich missbraucht haben. Die Krise trifft die Arbeiterschaft am härtesten. Sie trifft die Familien, die Jugend, die Kinder. Junge Familien müssen ihre Lebensplanung ändern, sie müssen zurück stecken; sie schaffen es nicht mehr, die Wohnung abzuzahlen; Eltern können sich das Studium ihrer Kinder nicht mehr leisten, weil infolge der zunehmenden Arbeitslosigkeit einfach die Mittel fehlen. Das kann in der einzelnen Familie zu katastrophalen Auswirkungen führen. Familien zerbrechen oft daran."
Wertvolle Vorsorge
Südtirol habe in den letzten Jahrzehnten massiv in die Grundstrukturen investiert: In das Gesundheitswesen, in das Bildungswesen, in die Sozialstrukturen, in den Wohnbau, auch in die Freizeit, in den Verkehr, in die Wirtschaft, in Technologie und Berufsausbildung, in die Vollbeschäftigung. Das habe dazu geführt, dass Südtirol eine Grundstruktur aufweise, die einer Krise besser Widerstand leisten könne als ein Gebiet ohne diese Infrastrukturen. „Wir dürfen hoffen und wir sollen es auch sagen, dass Südtirol die Chance hat, die Krise besser zu überstehen als andere Gebiete, und wir können den Verwaltern und Politikern, aber auch den Wirtschaftstreibenden dafür Anerkennung zollen." Jetzt komme es darauf an, das Richtige zu tun.
Das Richtige tun
Wir müssen mit dem Neoliberalismus aufräumen, denn er hat nur dazu geführt, dass die Reichen noch reicher, die Armen noch ärmer geworden sind, und dass die Neoliberalen, denen ein Teil auch unserer Wirtschaft zugerechnet werden kann, die sozialen Verpflichtungen einer modernen Gesellschaft vergessen haben. Wir müssen in breiten Schichten der Bevölkerung, auch bei der Wirtschaft, in der Politik und in den Medien, das Bewusstsein sozialer Verantwortung und sozialen Zusammenhalts neu wecken.
Wir müssen zur Solidarität aller mit allen zurück finden. Wenn es Arbeitslosigkeit gibt, wenn es soziale und wirtschaftliche Engpässe gibt, wenn Familien sich schwerer tun, wenn die Einkommen schrumpfen – und die Preise leider nicht - , dann müssen wir untereinander solidarisch sein.
Sozialpartnerschaft neu entdecken
Sozialpartnerschaft bedeutet Ehrlichkeit und Vernunft in den Beziehungen zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Politik. Sie bedeutet deshalb die Bereitschaft zum Dialog, die Bereitschaft zum Teilen des Wohlstandes in Zeiten der Not. Sozialpartnerschaft bedeutet, miteinander den Kern der Probleme erkennen und gemeinsam den Ausweg finden. Wir müssen als Gewerkschaft uns wieder bewusst werden, dass niemand weiter abseits stehen und sich der trügerischen Hoffnung hingeben darf, dass die Lösung unserer Probleme von allein kommt."
Pardeller abschließend: „Die Gesellschaft muss die menschlichen Werte wieder in den Vordergrund stellen. Wir müssen die Wirtschaft und die Politik auffordern, ihrer sozialen Verpflichtung noch besser nachzukommen. Wir müssen jenen Bereichen größte Aufmerksamkeit schenken, in denen wirtschaftliches Wachstum und damit auch sozialer Aufschwung möglich sind. Das sind vor allem die in die Zukunft gerichteten Sektoren wie: Bildung, Energie, Mobilität, neue Technologien. Die neuen Energiequellen können die Bauwirtschaft befruchten, die Neuordnung der Mobilität erfordert noch viele Investitionen, und das bringt Arbeitsplätze.
Krise wie die gegenwärtige brauchen als Gegenmittel die aktive Solidarität der gesamten Gesellschaft. Nicht der Einzelne schafft den Sprung in eine sichere Zukunft, sondern die Gemeinschaft als Summe von einzelnen Menschen, die ihr Bestes geben. Die letzten Monate haben gezeigt, wohin es führt, wenn Menschen, Staaten und Systeme glauben machen wollen, dass es ohne soziale Dimension auch geht. Es geht in den Abgrund!
Unser Weg
Aber das ist nicht unser Weg. Unser Weg muss der Weg nach vorne, der Weg, der auch für Hoffnung Platz hat. Jede Krise verlangt der Arbeiterschaft große und schmerzhafte Opfer ab. Eine Krise muss aber auch Kräfte mobilisieren können, um sie zu überwinden. Wir sind es unseren Kindern, den kommenden Generationen schuldig, dass wir nicht die Hände in den Schoß legen. Das erfordert von allen Teilen der Gesellschaft Solidarität und Zusammenarbeit, Selbstbesinnung und Neubesinnung. Der ASGB muss auf diesem Weg weiter gehen, und der 1. Mai muss auch heuer wie jedes Jahr Impulse geben. Uns wird nichts geschenkt, aber wir haben die Kraft, uns das zu holen, was uns zusteht. Darauf kommt es ein.
Solidarität und Zusammenhalt
Nach dem „offiziellen Teil" nahm der 1. Mai auf dem Völser Festplatz seinen gewohnten Verlauf. Die Betreuung der Teilnehmer war, wie immer, bestens vorbereitet. Essen und Trinken, Spiele für die Kinder, Unterhaltung für die Erwachsenen, Musik, herzliche Begegnungen zwischen Menschen, die das ganze Jahr über in allen Teilen unseres Landes ihren Mann, ihre Frau stellen. Dabei war eines zu erfühlen: Dieses Zusammensein war heuer stärker als zuvor geprägt vom Sinn für Gemeinsamkeit, Solidarität und Zusammenstehen. Alle fühlten, dass die Zeiten nicht leichter werden, aber alle fühlten auch, dass gemeinsam schwierige Momente im Leben einer Gesellschaft zu überwinden sind, wenn ein jeder zu seiner Verantwortung steht und niemand im Regen stehen gelassen wird. Dies zu vermeiden, bleibt auch Aufgabe des ASGB.