Während Volksabstimmungen und Volksbegehren aus dem politischen Leben der Schweizer Kantone und Bayerns nicht mehr wegzudenken sind, sind direktdemokratische Instrumente in Südtirol auf Landesebene so gut wie unbekannt. Nur vier Mal seit der Einführung solcher Möglichkeiten im Rahmen der Region Trentino-Südtirol im Jahr 1972 haben Bürger ein Volksbegehren eingereicht, keines von diesen wurde vom Landtag verabschiedet. Zu einer Abstimmung zur Abschaffung von Gesetzesnormen kam es in diesen 45 Jahren auch nie. Die für die Bürger ungünstigen Regeln für Volksbegehren und Referenden schränken dieses Instrument stark ein, die direkte Demokratie auf Landesebene ist stumpf geblieben. Doch die im Februar 2001 in Kraft getretene Reform unseres Autonomiestatuts hat den Spielraum für direkte Demokratie erheblich erweitert. Endlich kann das Land eigenständig eine sinnvolle und bürgerfreundliche Regelung der Mitsprache und Mitentscheidung der Bürger auf Landesebene treffen. Diese Chance gilt es zu nutzen.
Doch braucht man sich keinen Illusionen hinzugeben: ein echt bürgerfreundliches Gesetz wird uns vom Landtag nicht geschenkt werden. Dies hat schon die Diskussion um das Wahlgesetz und ums „Satzungsreferendum" gezeigt. Demokratische Rechte mussten immer von unten gefordert und errungen werden. Auch in Südtirol muss die Bevölkerung selbst eigene Vorstellungen entwickeln, wie eine gut funktionierende direkte Demokratie aussieht, und dann für den nötigen Druck auf die Landespolitiker sorgen. Ein Volksbegehren ist der beste Weg, die öffentliche Debatte darüber anzuregen.
In Europa gibt es mittlerweile zahlreiche Beispiele für gut geregelte direkte Demokratie. Die Schweiz macht es vor. Direkte Demokratie nach Schweizer Muster fördert das Gespräch, verbessert die Information für alle und verringert die Distanz zwischen Politikern und Wählern. Und wohl nirgends wissen Politiker so genau, was ihre Wähler wollen. In Bayern ist seit Verabschiedung eines anwendungsfreundlichen Bürgerentscheids 1995 die Zahl der Volksabstimmungen gewaltig nach oben geschnellt. Auf Bundesebene soll demnächst Direkte Demokratie eingeführt werden und auch im Konvent der EU für die Erstellung eines europäischen „Verfassungsvertrags" wird sie zum Thema.
Südtirol darf in Sachen direkte Demokratie keine Ausnahme bilden. Die Bevölkerung will in wichtigen Fragen selbst das Wort haben. Nach der jetzt mit Volksbegehren vorgeschlagenen Regelung bekommt sie die dafür wesentlichen Instrumente in die Hand, nämlich die Initiative und das Referendum. Mit der Initiative legen Bürger mit ausreichender Unterschriftenzahl eigene Gesetzentwürfe oder auch Vorschläge zur Abänderung oder Abschaffung bestehender Gesetze vor: werden diese nicht vom Landtag übernommen, kommen sie „vors Volk", sie werden also wie in den Schweizer Kantonen einer verbindlichen Volksabstimmung unterworfen. Das Referendum gewinnt mit diesem Gesetzentwurf eine ganz neue Bedeutung: damit sollen Bürger „präventiv" verhindern können, dass Landesgesetze und gewichtige Entscheidungen der Landesregierung ohne den Konsens der Bürger in Kraft treten. Initiative und Referendum sind die beiden tragenden Pfeiler der Direkten Demokratie. Wenn diese Instrumente fair und bürgerfreundlich geregelt werden, werden sich die Bürger wieder aufgerufen fühlen, mitzureden und mitzuwirken. Die Kontrolle der Politik von unten wird besser funktionieren und dies ist Sauerstoff für die Demokratie.
Was versteht man unter „bürgerfreundlichen Regeln"? Die Nutzung der Instrumente Initiative und des Referendums, aber auch die Volksbefragung, soll keine zu hohe Zahl von Unterschriften erfordern. Dieses Vorschlags- und Kontrollrecht von unten soll von gleich viel Bürgern genutzt werden können, wie derzeit etwa für die Erringung eines vollen Landtagsmandats nötig sind (rund 7.500). Ganz wesentlich ist es, kein Beteiligungsquorum vorzusehen: es entscheiden - im Unterschied zu den gängigen Referenden auf nationaler Ebene - nur jene, die zur Abstimmung kommen, ganz gleich ob sie die 50%-Marke der Wahlberechtigten erreichen oder nicht. Wer an der Abstimmung nicht interessiert ist, soll dieses Mitentscheidungsrecht durch sein Fernbleiben nicht anderen vorenthalten. Die Unterschriften müssen auf einfachere Weise als bisher gesammelt werden dürfen. Das bedeutet, dass ein allgemeines Beglaubigungsrecht für jeden vom Bürgermeister beauftragten Bürger eingeführt werden muss. Die Sammelzeiten dürfen nicht zu kurz angesetzt sein, um möglichst genügend Zeit für Diskussion und Information zu gewähren.
Direkte Demokratie setzt auch eine objektive Information voraus: die öffentliche Hand wird verpflichtet mit einer „Abstimmungsbroschüre" alle Wähler über alle zur Entscheidung anstehenden Optionen neutral zu informieren. Da Referenden wie Wahlen heute häufig über den Mitteleinsatz bei Information und Werbung entschieden werden, muss hier eine par condicio, also Gleichberechtigung im Zugang zu den Medien und Transparenz in der Finanzierung gewährleistet sein.
Im Gesetzentwurf wird auch vorgesorgt, dass es zu keiner Inflation von Volksabstimmungen kommt: jährlich sollen, ähnlich wie in der Schweiz, drei Abstimmungssonntage im Voraus festgelegt werden, an welchen die Abstimmungen auf Landesebene stattfinden. Interessant für den Bürger werden diese Instrumente auch dadurch, dass kaum Sachbereiche von der Initiative und dem Referendum ausgeschlossen werden, sofern sie Verfassung und Autonomiestatut nicht zuwiderlaufen.
Das Volksbegehren zur Direkten Demokratie kann in jeder Gemeinde Südtirols zu den normalen Öffnungszeiten unterschrieben werden (Ausweis nicht vergessen). Bis Mitte September sollen möglichst viele Unterschriften gesammelt werden, um dem Landtag zu beweisen, wie dringend dieses Anliegen der Südtiroler Bevölkerung ist. In den größeren Orten sind zusätzliche Unterschriftenaktionen und Informationsstände geplant, die in den Medien bekannt gegeben werden. Rund 30 Südtiroler Organisationen unterstützen das Volksbegehren, darunter auch der ASGB.