artikelmärz2020

Die kleinen Unterschiede –
Transaktionsanalyse
in Diversity-Mediationen

Autorinnen: Jule Endruweit und Katharina Stahlenbrecher
Der Kerngedanke des Konzepts Diversity ist, dass Vielfalt die Normalität ist. Das klingt lapidar und hat gleichzeitig zahllose Implikationen: Wenn Vielfalt die Normalität ist, bin auch ich Teil der Vielfalt. Nicht allein das Gegenüber ist „anders“, auch ich bin "anders". Und die kleinen Unterschiede können große Wirkung entfalten - besonders im Konfliktfall. Sie können selber Inhalt des Konfliktes sein oder die Konfliktdynamik befeuern. Der Vielfaltsbegriff von Diversity beschränkt sich nicht auf sichtbare Eigenschaften, sondern umfasst auch unsichtbare Unterschiede wie Eigenschaften, Verhalten und Vorlieben. (Thomas 2001, S.38f.)
In unseren Mediationen hat diese Erkenntnis Auswirkungen auf unser Verständnis von Konflikten, unseren Blick auf die Mediant*innen und unsere Haltung und Interventionsrichtung. In diesem Artikel werfen wir Schlaglichter auf diese Aspekte.
Managing Diversity
Managing Diversity wurde in dem rechtlichen und demografischen Umfeld der USA entwickelt: Einem Einwanderungsland mit einer Geschichte der Sklaverei und Segregation. Hier wurde in den 1960gern das Recht ins Bürgerrechtsgesetz gegossen, im Erwerbsleben und bei Behörden nicht diskriminiert zu werden. Es wurde eine Gleichstellungsbehörde gegründet. Seitdem müssen Unternehmen und Behörden nachweisen, nicht zu diskriminieren und Diskriminierung im Kollegium keinen Vorschub zu leisten. Andernfalls drohen Klagen und Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz sind dagegen nominell keine Einwanderungsländer. Und doch leben Gastarbeiter*innen/Vertragsarbeiter*innen, ausländische Fachkräfte, Geflüchtete und ihre Nachkommen hier. Darüber hinaus ist Deutschland als Mitglied der EU u.a. dem Schengener Abkommen und dem Europäischen Binnenmarkt mit seinen Arbeits- und Antidiskriminierungsgesetzen verpflichtet und auch die Schweiz hat Abkommen z.B. über Freizügigkeit. Durch die Wiedervereinigung leben in der Bundesrepublik Deutschland bis heute Menschen, die in zwei verschiedenen deutschen Staaten geboren und sozialisiert wurden. Ähnliches gilt für die Schweiz, in welcher seit Jahrhunderten Menschen aus vier verschiedenen Landeskulturen mit- und nebeneinander leben. Im Kontext der postmigrantischen Gesellschaft (Foroutan 2017) erscheint es also schlichtweg praktisch und menschengerecht, dem Kampfbegriff "Leitkultur" mit seiner Homogenisierungstendenz die Idee "Diversität" entgegen zu setzten, und so kulturelle Komplexität nicht als Ausnahme, sondern als Standard zu verstehen.
Unser Verständnis von Diversity-Mediation
Ob die Mediant*innen Stadt- und Landbewohner*innen, männlich, weiblich oder divers, straight oder queer, ost- oder west-, nord- oder süd- sozialisiert sind, welchen Alters sie sind und welcher Klasse (bzw. Schicht) sie zugehören, wie ihr Gesundheitszustand, Bildungsgrad, Einkommen etc. aussieht, spielt eine Rolle für ihr Selbstbild, für ihr Auftreten, ihre Kommunikation und vielleicht für ihre Streitkultur. Dann helfen uns bei ihrer Mediation Ansätze, die üblicherweise als "interkulturelle Kompetenz" beschrieben werden.
Aber Interkulturalität als Handlungs- und Gender-Kompetenz (Hüffeli 2010, S. 21ff.) sind nicht das gleiche wie Diversity Kompetenz, sie sind Basiskenntnisse. Die Reflexion über Diversity bezieht die nicht-sichtbaren Teile des „anders seins“ mit ein. In diesem Kontext sind die originären Aufgaben einer Mediatorin
a. Das Steuern des Prozesses als Hüterin des Verfahrens mit seinen Phasen.1
b. Die allparteiliche Unterstützung der Mediant*innen auf dem Weg zur Klärung.
c. Die Herstellung des Maximums an Freiheit für die Sachentscheidungen und Expertise.
d. Die Wahl angemessener Interventionsformen auf der Grundlage des von den Medianten geschlossenen Vertrags.
Diversity-Kompetenz kann helfen b., c. und d. zu erweitern. Damit wird sie zu einem Schatz. Die Fragen „Was haben wir von der Vielfalt?“, „Was hat das Konfliktsystem-, was die Konfliktsysteme von der Vielfalt?“ bedienen den eigentlichen Ansatz der Mediation: die Verbreiterung des Verhandlungsraumes. So kann Diversität als Kreativpotential und Erfolgsfaktor (Klappenbach 2010) in die Liste möglicher Lösungen gelangen.
So verstanden wirkt Diversity in jeder Mediation in zwei Richtungen:
Erstens: Sie wirkt passiv bei der Vermeidung von Diskriminierung und der (erneuten) Konstruktion von Bildern. Oder in TA ausgedrückt: sie hilft dabei keine Zuschreibungen zu machen und ist dafür geeignet das eigene ER zu ent-trüben, da ich meinen und die Wertmaßstäbe der Mediant*innen hinterfrage. Zweitens: Sie wirkt aktiv in der Gestaltung von Beziehungen aus einer kulturellen OK/OK Haltung und ermöglicht durch entsprechende Interventionen, aus der Vielfalt Nutzen zu ziehen und den Verhandlungsrahmen zu erweitern.
Das stellt klare Ansprüche an die Mediatorin2: Sie muss mit Verschiedenheit unterschiedlich umgehen können, und gleichzeitig in Bezug auf den Streitinhalt neutral bleiben - sie muss allparteilich sein.
Der Vertrag als Maßstab und Rahmen für Allparteilichkeit
Allparteilichkeit ist eins der 5 Prinzipien3 der Mediation. Der Vertrag ist ein Vehikel, um Allparteilichkeit im Verfahren zu sichern. Nach Claude Steiner gibt es 4 Voraussetzungen für gute Verträge (Steiner 1974), die für alle Seiten förderlich sind. Sie helfen, die allparteiliche Haltung in der Mediation einzunehmen, denn sie schaffen eine transparente Basis für ihre Handlungen.
Gegenseitige Übereinkunft zum Ergebnis der Verhandlungen: Wir fragen, worum es in der Mediation gehen soll, mit welchem Ziel die Mediation versucht wird.
Leistung und Gegenleistung müssen sich ausgewogen gegenüberstehen (im Kontrakt müssen Art, Umfang und übrige Konditionen eindeutig und bindend beschrieben werden).
Geschäftsfähigkeit: Die Mediatorin ist professionell kompetent, die Kundinnen sind urteilsfähig und berechtigt, mit der Beraterin Leistung und Gegenleistung zu vereinbaren. Keine Verträge zu Lasten Dritter!
Der Vertrag verstößt nicht gegen geltende Gesetze und/oder Ethik und Moral – er muss zum Wertesystem passen.

Diese Voraussetzung verweist einerseits auf nicht-verhandelbare Elemente der Mediation, andererseits auf die kulturelle Ebene, in die die Moral- und Ethikvorstellungen aller Beteiligten der Mediation eingebettet sind. Sie helfen auf diese Weise, den kulturellen Rahmen der Mediatorin und der Mediant*innen abzustecken.
Hieran knüpft die allparteiliche Mediatorin an, indem sie die unterschiedlich diversen Parteien unterstützt, ihr Wertesystem jeweils zu versprachlichen. So kann sie es zunächst selber verstehen. Damit hat sie eine Basis, von der aus sie während der Mediation ihre Übersetzungsleistung in beide Seiten anbieten kann.
Ihre Interventionen sind also einerseits vom konkreten Vertrag abhängig, andererseits vom Bezugsrahmen der Mediant*innen. Außerdem müssen sie sich außerhalb der Konflikt-Dynamik bewegen, damit die Mediatorin allparteilich wirksam ist. Dazu hilft die Mediationshaltung.
Die Mediationshaltung (vgl. Endruweit/Stahlenbrecher, 2020)
In der Rolle der Mediatorin heißt OK/OK auszuhalten, dass Menschen Verhaltensweisen und Umgangsformen pflegen, die ihr vielleicht fremd sind. Für die Dauer des Verfahrens geht es alleine darum, eine Übersetzungsleistung zu liefern, die es beiden Seiten ermöglicht sich zu hören und eine Lösung ihres Problems zu finden. Diversity hilft dabei, Fragen auf der Meta-Ebene, nach der Logik der Argumente zu stellen, TA unterstützt dabei sich außerhalb der (psychologischen) Konflikt-Dynamik zu halten und sich in einer OK/OK Haltung zu stabilisieren und Interventionen abzuleiten.
Um die eigene Haltung im OK/OK zu balancieren, hilft es sich selbst im stabilen ER (im Hier und Jetzt reflektiert) zu halten. Eine neugierig, forschende, erlaubende und Distanz wahrende Haltung, in der wir uns immer wieder der Qualität vergewissern: Die Mediant*innen dürfen so sein wie sie sind, mit ihrem eigenen Selbstbild, Auftreten, der eigenen Kommunikation und Streitkultur. Wir haben keinen Auftrag sie zu entwickeln. Grenzen werden von uns gesetzt, wenn die andere Person bspw. beleidigt oder angegriffen wird. Die Rolle der Mediatorin gleicht einer Reinigungsanlage, damit das Gemeinte in einer anderen Form gehört werden kann, der Bezugsrahmen beider Mediant*innen der jeweils anderen Partei deutlich wird. Die Gefühle und Gedanken der Mediatorin sind Hinweise, um das Wesentliche herauszuhören und sich aus der Konflikt Dynamik zu halten. Die Distanz wahrende Haltung bezieht sich auch darauf, den Beteiligten die Verantwortung zu lassen und ihnen zuzutrauen, untereinander eine Lösung für ihr Problem zu finden. Neigungen der Mediatorin, zum Retter, zum Verfolger oder gar zum Opfer zu werden, können als Marker genutzt werden, sich zu stabilisieren und emotional außerhalb des Geschehens zu bleiben. Sind die Beteiligten in einem psychologischen Spiel verfangen hilft es, die Positionen des Gewinnerdreiecks (Choy, 1990) zu erfragen.

In der Mediation stellt die Mediatorin ihre Kompetenz (Potency) im Rahmen des Mediationsvertrages und mit dessen Ziel zur Verfügung. Sie ist für den Schutz (Protection) der Mediant*innen zuständig, ihre Interventionen sind geeignet, einen Raum aufzutun und zu erhalten, der den Mediant*innen die Erlaubnis (Permission) zu Äußerungen, Wahrnehmungen und Entscheidungen gewährt. (Binner, 2014, S. 380f).
Um klar zu sein: Mit dem Argument der Diversity dürfen auch in der Mediation Rangeleien um Macht, Teilhabe und Ausgrenzung nicht legitimiert werden. Vielmehr steht Diversity für die Normalisierung der Vielfalt und für den Blick auf die Vorteile, die diese Vielfalt mit sich bringt.
Stabil in der Mediationshaltung am Vertrag orientiert braucht es für uns noch eine Richtung, um in verfahrenen Konflikten zu einer Sachfrage zurückkehren zu können. Bei dieser Interventionsplanung hilft uns die Ent-homogenisierungstabelle, die auf dem Konzept der Diversity-Reife und der Abwertungstabelle aufbaut.
Diversity-Reife und Abwertung als Interventionsplanung
Die kleinen Unterschiede können eine große Wirkung entfalten und zu einer Behinderung der Kommunikation führen. Dies wird in passiven Verhaltensweisen der Mediatorinnen oder der Mediant*innen deutlich. Die Ent-homogenisierungstabelle (Endruweit/Stahlenbrecher 2016) hilft uns dabei, systematisch Entwicklungsprozesse aus dieser Sackgasse heraus in Gang zu setzen.

Wir haben die Ent-homogenisierungstabelle aus zwei Konzepten entwickelt: die Reifegrade der Diversität (Gardenzwarz/Rowe 2002) und der Discount-Tabelle (Mellor/Sigmund, 1975). Bei den Reifegraden der Diversität geht es um die Beschreibung, wie in einer Organisation mit Vielfalt umgegangen und wie über Vielfalt gedacht wird. Die Geschichte, die eine Organisation bereits in dem Feld Homogenität – Heterogenität durchlaufen hat, wird darin gewürdigt. Die Diversitätsgrade reichen von 0 bis 3 und werden mit folgenden Begriffen beschrieben:
0 Diskriminierung
1 Toleranz
2 Akzeptanz
3 Dialog
Betrachtet man die Reifegrade unter OK/OK Aspekt (Endruweit/Stahlenbrecher 2016), wird deutlich, warum sie sich zur Konfliktbearbeitung eignen:
0 Bei Diskriminierung ist offenbar, dass der andere für Nicht-OK gehalten wird, denn schon in den Handlungen (expliziter Ausschluss aufgrund von Herkunft, Geschlecht etc.) wird dies deutlich.Diskriminierung heißt Ungleichbehandlung von Individuen oder Gruppen (Wiktionary 2015).
1 Auf der Ebene der Toleranz, ist die OKness zunächst nicht eindeutig. Toleranz ist die „Eigenschaft, etwas dulden, ertragen oder zulassen zu können“ (Wiktionary 2015). Ich kann den anderen vordergründig ok finden, indem ich feststelle: jedem das Seine. Du machst deins, ich mache meins. Allerdings gehe ich dann davon aus, dass mich seine oder ihre Handlung niemals tangiert und also meine Konstruktion von Normalität gar nicht in Frage stellen kann. In der Phase der Fairness und Antidiskriminierung (re-)konstruiere ich Pole und Rollen der Opfer, Retter und Verfolgten. Somit ist die OKness an die Bedingung gebunden, in der zugewiesenen Rolle zu bleiben, die allein ich formuliere.
2 Akzeptanz wird definiert als (zustimmende) Annahme, Anerkennung oder auch Bereitschaft, etwas anzunehmen oder zu akzeptieren (Wiktionary 2015). In der Phase des Zugangs und der Legitimität gehe ich davon aus, dass deine Andersartigkeit mich in meinem Sinne ergänzt. Du wirst als Person auf deine Andersartigkeit reduziert und stereotypisiert, um meine Konstruktion von Normalität um begrenzte Ergänzungen zu erweitern. Somit ist auch hier die OKness an mein Bild von Normalität gebunden. Im Vergleich zur Toleranz jedoch schlägt der Handlungskatalog der akzeptierten Person(engruppe) in die positive Richtung aus.
3 Dialog. Wo zuvor noch Pole konstruiert werden und mit Leitkultur argumentiert wird, fragt Diversity auf dem Grad des Dialogs nach Funktion und Rolle, fordert Verträge, unterscheidet zwischen Fragen nach der Person und Fragen nach Handlungsformen. In der Phase des Lernens und der Effektivität wird Heterogenität zum Normalzustand. Es werden nicht mehr einzelne personenbezogene Heterogenitätskriterien aufgestellt, wie Geschlecht, Herkunft, Aussehen, sexuelle Orientierung etc., sondern alleine verhaltensbezogene Kriterien, wie z.B. was sind Kriterien für eine gute Lösung? Welche Fähigkeiten sind geeignet eine bestimmte Rolle auszufüllen oder Funktionen zu übernehmen? Ist das Verhalten beim Erreichen der Ziele funktional?
Der Fokus stellt nicht die Homo- oder Heterogenität in Frage, sondern die Überwindung praktischer Probleme, die aus Heterogenität erwachsen und die zu erweiterten Lösungen führen. Heterogenität wird grundsätzlich als Realität anerkannt. In der Mediation heißt das, dass zunächst in einen Dialog über Definitionen eingetreten wird und Verträge (im TA Sinne) verhandelt werden. Dadurch entsteht etwas Entscheidendes, was auch in der Transaktionsanalyse als erstrebenswert gilt: Menschen gehen miteinander in Beziehung.
Gelingt es als Mediatorin ein Dialog-Verständnis in den jeweiligen Positionen der Mediant*innen herzustellen, ist eine sachliche Lösung möglich. Die Discount-Tabelle zeigt Interventionsmöglichkeiten, um das Denken der Mediant*innen zu erweitern. Discounting heißt etwas auszublenden, also nicht wahrzunehmen, was für die Lösung eines Problems relevant ist. Das kann die blanke Existenz von etwas sein, dessen Bedeutsamkeit, dessen Änderbarkeit oder die persönlichen Fähigkeiten. Je nach Reifegrad liegt diese Ausblendung auf einer anderen Ebene.
Nach außen hin drückt sich dieser Denkfehler in passivem Verhalten aus (vgl. Schiff 1972/75). Die Passivität zeigt sich in den sich steigernden Formen 1. des Nichtstuns, 2. der Überanpassung, 3. der Agitation (zwar etwas tun, aber nichts zur Problemlösung beitragen) und 4. der Gewalt. Ist passives Verhalten in Form einer Konfliktverhärtung sichtbar, z.B. als Hilflosigkeit, eignet sich eine Überprüfung mit den OK-Reifegraden. Welche Vorstellung von „Normalität“ habe ich, was ist der Maßstab zur Bewertung von anderen? Welche geschlossenen Kartons habe ich im Kopf? Oder habe ich eine OK/OK Haltung, die im Dialog versucht Lösungen zu finden?
In der Mediation sind die Fragen gleichermaßen für die Selbstreflexion der Mediatorin geeignet, wie für die Unterstützung der Mediant*innen durch alle Phasen des Verfahrens. Das gilt besonders, wenn die Mediatorin Mechanismen von Passivität erkennt. Die Fragen können die Augen für Vielfalt öffnen - eine Grundvoraussetzung, um an ihr Potenzial anzuknüpfen.
Mit Diversity zum gelungenen Abschluss
Stabil in der Mediationshaltung am Vertrag orientiert, mit einem Blick für Diversity Reife, für Passivität und passenden Interventionen, bleibt die Frage nach dem Abschluss mit einem guten, gerechten Ergebnis. Da auch „Gerechtigkeit“ mit Diversität betrachtet unterschiedliche Bedeutungen haben kann, ist es sinnvoll, dass die letztendliche Entscheidung über Lösungsoptionen auf transparenten Kriterien basiert (Kessen 2016, S.56). Die Kriterien können aus den im Vertrag gemeinsam festgelegten Zielen entwickelt werden, oder Zahlen, Daten, Fakten sein, die alle Beteiligten akzeptieren, aber auch in der Einigung auf die Frage entstehen: was ist gerecht und was praktikabel?

Aufgaben einer transaktionsanalytischen Diversity-Mediator*in sind also:
Das Steuern des Prozesses als Hüterin des Verfahrens mit seinen Phasen.
Die allparteiliche Unterstützung der Mediant*innen auf dem Weg zur Klärung:
- insbesondere ein an die Mediantenkultur angepasster Vertrag durch Klärung des jeweiligen Bezugsrahmens
- eine allparteiliche Mediationshaltung: Sich als Reinigungsanlage oder Übersetzerin zu verstehen und unterschiedliche Verständnisse der Mediant*innen deutlich zu machen.
Die Herstellung des Maximums an Freiheit für Sachentscheidungen und Expertise
- durch Anerkennen von Vielfalt als Schatz und Ressource
- durch Heraushalten aus dem psychologischen Konflikt
- durch konstruktiven Umgang mit Passivität zur Dialog-Diversitäts-Reife.
Die Wahl angemessener Interventionsformen auf der Grundlage des von den Mediant*innen geschlossenen Vertrags.
Die ausdrückliche Suche nach den kleinen Unterschieden, nach verschiedenen Kriterien und ihrer Anerkennung minimiert blinde Flecken bei der Lösungssuche. Das Mediationsergebnis ist gestärkt, genauso wie die Erkenntnis der Beteiligten, dass ihre jeweilige Besonderheit zum gelungenen Ergebnis beigetragen hat.
1. Vorbereitung, Sammlung, Vertiefung, Verhandlung, Vereinbarung.
2. Wir nutzen allein die weibliche Form. Alle anderen sind mitgemeint. Fühlen Sie sich
eingeladen die Wirkung zu reflektieren.
3. Allparteilichkeit, Freiwilligkeit, Selbstverantwortung, Informiertheit und Vertraulichkeit.
Literatur
Binner, Cordula (2014) Das Stroke-Konzept als Anlalyse- und Interventionsinstrument in der Konfliktbearbeitungsphase; in: Weigel, Sascha; Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse in der Mediation. Ein Handbuch; Leipzig 2014; S 370 - 389.
Choy, Acey (1990) The Winners Triangle, TAJ 20:1; 1990.
Endruweit, J., Stahlenbrecher, K. (2016) Kartons im Kopf. Mit TA gegen Homogenisierungsdruck zu einer höheren Diversitätsreife und Autonomie; in: Raeck, H., Lohkamp, L.; Tore und Brücken zur Welt. Reader zum 37. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Transaktionsanalyse; Lengerich 2016, S. 80 – 94.
Endruweit, J, Stahlenbrecher, K. (2020) Mediation verstehen mit Transaktionsanalyse. Allparteilichkeit als missverstandene Einladung zum Coaching. In: Bettina Heinrich, Iris Fassbender und Elke Kauka: Toleranz und Respekt – für ein friedvolles Miteinander. Reader zum 40. Kongress der DGTA; erscheint 2020.
Foroutan, Naika (2017)
www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/205190/die-postmigrantische-gesellschaft; Stand 23.10.2017.
Gardenzwartz/Rowe (2002) Arbeitsmaterial Affirmative Action. Valuing Differences and Managing Diversity Compared. Unterlagen zum Workshop Managing Diversity. Evangelische Akademie, Schwerte, June 16, 2002.
Hüffell, S. (2010) Relevanz von Gender-Kompetenz der MediatorInnen; in: Spektrum der Mediation. Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation; 39/2010; S. 21-23.
Kessen, S./ Troja, M./Zilleßen, H./ Hehn, M./Runkel-Hehn, S. (2016) Mediation im öffentlichen Bereich. Teil I; Hagen 2016.
Klappenbach, D. (2010) Diversity-Kompetenz. Zum Diversitätsmanagement des Diversitätsmanagements; in: Spektrum der Mediation. Fachzeitschrift des Bundesverbandes Mediation; 39/2010; S. 13-16.
Koall, I. (2001) Managing Gender & Diversity. Von der Homogenität zur Heterogenität in der Organisation der Unternehmung; Münster 2001.
Mellor, K./Sigmund, E. (1975). Discounting. TAJ, 5, 3, p. 295-302.
Schiff et al. (1975) Cathexis Reader: transactional analysis treatment of psychosis. New York 1975.
Schiff, A./Schiff, J. (1971) Passivity. TAJ, 1971; I, 1, p. 71-78.
Stahlenbrecher, K. (2017) Diversity in der Mediation, Masterarbeit, Fernuniversität Hagen, Dez. 2017.
Stahlenbrecher, K. (2019) Diversity und vermeintliche Homogenität in der Mediation; in: Schlieffen, K.v. (Hg.); Jahrbuch Mediation. Essays 2018 - Harte Zahlen, weicher Kern; Hagen 2019.
Steiner, Claude (1990) Scripts People live; Grove Weidenfeld 1990; S. 243 - 250.
Thomas, R. Roosevelt (2001) Management of Diversity. Neue Personalstrategien für Unternehmen. Wie passen Giraffe und Elefant in ein Haus? Wiesbaden 2001.
Weigel, Sascha (2014) Theorie und Praxis der Transaktionsanalyse in der Mediation. Ein Handbuch; Leipzig 2014.
Jule Endruweit
Dipl. Pol., Lehrende und
Supervidierende Transaktionsanalytikerin
im Bereich Organisation (PTSTA-O),
Mediatorin.
Katharina Stahlenbrecher
Dipl. Theol.,
Diversity Management,
Zertifizierte Mediatorin
(Master of Mediation).
intaqt - Institut für Transaktionsanalyse und Qualität
Organisationsentwicklung, Mediation,
Aus- und Weiterbildung, Supervision und Coaching.
Rykestr. 43, 10405 Berlin
info@intaqt.de, www.intaqt.de
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artikelapril2020

Die inklusive Schule:
Verschiedensein
und dazugehören

Autorin: Eva Bobst
Vielfalt in der Pädagogik
Du darfst dich selbst sein und du darfst dazugehören: Dieses Erlaubnispaar aus der TA tut jedem Schulkind gut. Darum stelle ich es an den Anfang meiner Gedanken zur Vielfalt in der Pädagogik. Eine inklusive Schule schliesst alle ein und geht davon aus, dass jeder Schüler einmal mehr und einmal weniger besondere Bedürfnisse hat und sich von den anderen unterscheidet. Die inklusive Schule ist über weite Strecken immer noch eine Vision. Eine Vision, von der ich mich jeden Tag wieder aufs Neue herausfordern lasse und mit mir auch viele engagierte Lehrerinnen und Pädagogen. In der TA finde ich wertvolle Anregungen, um diese Herausforderung anzunehmen und Veränderungen für eine gelebte Vielfalt im Schulalltag anzupacken. «Erforderlich wäre ein Schulsystem, das in allen seinen Gliederungen, auf allen Stufen und in jeder pädagogischen Hinsicht in ausreichendem Masse für den Besuch sämtlicher Schulkinder ausgestattet ist.» (Speck S. 252)
Besondere Bedürfnisse
Mein Berufsauftrag besteht darin Schüler mit besonderen Bedürfnissen in der Regelschule zu unterrichten und zu fördern. Diese besonderen Bedürfnisse können sich ergeben aus Fähigkeiten, die nicht der Altersnorm entsprechen in Bezug auf Kognition, Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung, Verhaltenssteuerung und physischen Voraussetzungen. Die Abweichungen von der Norm werden von Fachpersonen wie Kinderneurologen, Kinderpsychiatern und Schulpsychologen diagnostiziert. Diese Diagnosen ergeben für die betroffenen Kinder das Anrecht auf eine heilpädagogische Unterstützung. Bei ihren Diagnosen stützen sich die Fachärzte und Fachpersonen auf zwei internationale Klassifikationssysteme, das ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) und das ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit). Beide Klassifikationssysteme werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben.
Als schulische Heilpädagogin in einer Regelschule stellt sich mir die Aufgabe diesen amtlich anerkannten «besonderen Bedürfnissen» im Schulalltag in Zusammenarbeit mit den Regelklassen-Lehrpersonen Anerkennung zu verschaffen und zu gewährleisten, dass diese im Schulalltag berücksichtig werden.
Durchschnitt als Norm
Die Regelklassenlehrpersonen stehen in der Schultradition der Jahrgangsklassen. In dieser Tradition wird davon ausgegangen, dass die Schülerinnen und Schüler des gleichen Jahrgangs grundsätzlich in ihrer Entwicklung weitgehend auf dem gleichen Stand sind und folglich auch weitgehend die gleichen Lernvoraussetzungen mitbringen und die gleichen Bedürfnisse haben. Als Konsequenz davon wird meist abgeleitet, dass alle Schüler einer Klasse denselben Stoff in derselben Form, zur selben Zeit, im gleichen Zeitraum bearbeiten und beherrschen sollen. In dieser Tradition bietet der Lehrplan 21 insofern eine gewisses Lockerung, als er sich auch an Kompetenzen und nicht nur an Inhalten orientiert, welche die Schüler erreichen sollen. Im Weiteren werden neu auch Grundanforderungen und erweiterte Anforderungen als auch fachliche und überfachliche Kompetenzen als Ziele definiert. Erhalten bleibt auch im Lehrplan 21 die summative Leistungsmessung (ab der 3. Klasse mit Noten), welche die Schüler belohnt, die Leistungen zeigen können, die der Altersnorm entsprechen oder diese übertreffen.
Heterogenität als Herausforderung
Mein Arbeitsauftrag besteht darin die Lernumgebung für die Schüler mit «anerkannten» besonderen Bedürfnissen anzupassen und auch die Lehrpersonen zu unterstützen, welche die Vielfalt und die besonderen Bedürfnisse ihrer Regelklassenschüler wahrnehmen und bestmöglich darauf eingehen. Heterogenität in der Regelklasse als Chance und nicht als Problem wahrzunehmen bedeutet eine Herausforderung und setzt ein Umdenken gegen über den schulischen Traditionen voraus. So gilt es dem «Diversity-Management-Ansatz» auch in der Schule zum Durchbruch zu verhelfen (siehe Müller, S. 54). «Auch die Schule bildet sich aus einer ‘vielfältig zusammengesetzten Belegschaft’. Die Sozialisierungshintergründe von Kindern und Jugendlichen weichen zunehmend voneinander ab. Lernarrangements, die eine individuelle Kompetenzentwicklung in sozialen Kontexten zum Ziel haben, müssen folglich eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten innerhalb und ausserhalb der Schule fördern. Das heisst: Lernarrangements dienen der Organisation von Komplexität. Es geht darum für heterogene Gruppen von Lernenden adäquate Settings zu gestalten, in denen zielführendes und selbstwirksames Lernen sich entwickeln kann.» (Müller, S. 55)
Grundlagen der Gruppenbehandlung nach Berne
In seinem Standardwerk «Grundlagen der Gruppenbehandlung» beschreibt Berne die professionelle Arbeit mit Gruppen. Berne entwickelte seine Praxis und seine Theorien zur Gruppen-«Behandlung» als Arzt und Psychotherapeut in unterschiedlichen Settings.
Unter anderem beschreibt er das Konzept des Gruppenimagos: Jedes Mitglied einer Gruppe hat eine Vorstellung, ein inneres Bild der Gruppe. Diese Vorstellung entwickelt sich im Verlauf des Gruppenprozesses. Das Bild der Gruppe, die Gruppenimago, verläuft in 4 Phasen und wird von Phase zu Phase differenzierter und realistischer. Der Lernprozess eines einzelnen Gruppenmitglieds wird von der Entwicklung seiner Gruppenimago am stärksten bestimmt. (Berne S. 145)
Professionelle Arbeit mit Schülergruppen gemäss den Phasen der Gruppenentwicklung
Die Phasen der Gruppenentwicklung nach Berne zeigen anschaulich, welche Merkmale ein Setting für zielführendes und selbstwirksames Lernen gemäss TA-Konzepten aufweisen kann.
Clarkson hat die Gruppenphasen und durch eine 5. Phase ergänzt. (Clarkson S. 300ff)

Provisorische Gruppenimago
Das innere Bild besteht aus einem unklaren Muster, indem zunächst nur der Leiter und die eigene Position deutlich sind. Es bestehen Erwartungen an die Gruppe, die auf Vorerfahrungen in der eigenen Familie oder auf früheren Erfahrungen in anderen Gruppen beruhen.
Angepasste Gruppenimago
Die Gruppenmitglieder beginnen auch andere Gruppenmitglieder wahrzunehmen und einzuschätzen. Die Gruppenleitung wird herausgefordert.
Operative Gruppenimago
Das eigene Bild der anderen Gruppenteilnehmer wird weiter ausdifferenziert. Es entsteht ein Gruppenzusammenhalt. Familienkonstellationen werden wiederholt.
Sekundär angepasste Gruppenimago
Der Gruppenzusammenhalt wirkt stärker als die persönlichen Einstellungen. Die Gruppe ist arbeitsfähig.
Geklärte Gruppenimago
Das anfänglich provisorische Bild der Gruppe hat sich gewandelt und bezieht sich jetzt auf die gegenwärtige, reale Gruppe. Damit beim Abschied die starke Kohäsion der Gruppe aufgelöst werden kann, wird die emotionale Energie innerhalb der Gruppe reduziert.
Gruppenphasen im Verlauf eines Schuljahres
In den ersten Wochen eines Schuljahres ist es mir als Lehrperson wichtig, die ersten drei Phasen der Gruppenimago gut im Auge zu behalten. Der Schwerpunkt liegt auf der Beziehungsebene und der Organisation der Abläufe. Die Vielfalt der Schüler ist gerade in dieser Phase häufig noch sehr ausgeprägt wahrnehmbar. Auf den Inhalt wird noch weniger Gewicht gelegt, oft wird auch Stoff nur wiederholt. Dies ist die Voraussetzung, dass dann im weiteren Verlauf des Schuljahrs eine gute Arbeitsatmosphäre herrscht und möglichst viele Schülerinnen der Klasse den Schritt zur sekundär angepassten Gruppenimago vollziehen können. In Bezug auf die Diversität bedeutet dies auch, dass die Schüler mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und persönlichen Bedürfnissen alle ihre Position gefunden haben. In den letzten Schulwochen wird das Arbeitstempo reduziert, die Geselligkeit in der Klasse mit Ausflügen und gemeinsamem Spiel gepflegt, es wird aufgeräumt und Abschied genommen. Dies entspricht der geklärten Gruppenimago.
Gruppenphasen im Verlauf eines Schultages oder einer Lektion
Die Gruppenphasen lassen sich auch täglich in kleineren Unterrichtseinheiten beobachten. Diese können je nach der Organisation des Schulbetriebs einen ganzen Tag, mehrere Lektionen oder auch nur eine Lektion umfassen. Im Folgenden wird ausgeführt, wie die Phasen der jeweiligen Gruppenimago in einer Doppellektion von neunzig Minuten ablaufen können.

Die provisorische Gruppenimago wird sehr kurz gestaltet, Begrüssungsrituale, Fragen nach der Befindlichkeit, Small Talk, kurzer Kontakt zwischen der Lehrperson und jedem einzelnen Schüler.
In der Phase der angepassten Gruppenimago geht es um organisatorische Fragen, die in der ganzen Gruppe erörtert und von der Lehrperson entschieden werden, wie etwa offene Fragen zu vorherigen Lektionen, Rückmeldungen zu Hausaufgaben, Sitzordnung, Gruppenzusammensetzungen.
In der Phase der operativen Gruppenimago schafft die Lehrperson die Voraussetzungen für die Arbeit der Schüler während der Lektion. Sie gibt die Lernziele bekannt, stellt das Material zur Verfügung, gibt Anweisungen zum Vorgehen und zum Verhalten.
Bei der sekundär angepassten Gruppenimago der Schülerinnen und Schüler tritt die Lehrperson in den Hintergrund, die Schüler sind nun alleine oder in Gruppen an der Arbeit und helfen sich gegenseitig. Die Lehrperson beobachtet, lobt und hilft bei Bedarf. An dieser Stelle ist von Bedeutung, dass die Schülerinnen oft nicht gleichzeitig die gleiche Phase ihrer Gruppenimago erreichen. Einige sind noch mit ihrer angepassten oder operativen Gruppenimago beschäftigt, während die anderen Schüler an der Arbeit sind. Auf diese «Nachzügler» gehe ich als Lehrerin ein und unterstütze sie, damit sie sich in die gemeinsame Arbeit integrieren können.
In der Phase der geklärten Gruppenimago wird die Lektion dann abgeschlossen. Die Schülerinnen fassen ihre Arbeitsergebnisse zusammen. Die Lehrperson verabschiedet sich und macht je nach Situation eine Bemerkung zum weiteren Verlauf des Schultages oder gibt einen guten Wunsch auf den Weg mit.
Übersicht zu den Phasen der Gruppenimago
Phase Merkmale der Phase Aufgabe
der Leitung
Umsetzung
in der Schule
Provisorische
Gruppenimago
*Rituale
Definition der äusseren und inneren Grenzen
Vorgabe der Zeitstruktur
Allgemeine Infos
Positiv unbedingte *Strokes durch die Lehrperson für alle Schüler
Angepasste
Gruppenimago
*Zeitvertrieb
«Vorgeplänkel»
Agitation gegen Gruppenleitung
*ok-ok auf dem Prüfstein
Rückmeldung der Gruppe ernst nehmen
verhandeln
Position *ok-ok
halten
auf die Schüler eingehen
Lehrer zeigt sich als streng aber gerecht
Operative
Gruppenimago
*Psychologische Spiele
Gruppen­zusammenhalt
wird aufgebaut
Wiederholung von Familien­dramen
gewinnen von Einsicht
gegenseitige Unterstützung
Modell für Verhalten
Infos geben
Ressourcen bereitstellen
eigene Werte klar benennen
Lehrer sagt, wie er «es» haben will in Bezug auf fachliche und überfachliche Kompetenzen
Modell für die Forderungen, die er an die Schüler stellt
Sekundär angepasste
Gruppenimago
effektive Aufgaben und Problemlösung
Eigenverant­­­wortung
*Intimität häufig möglich
Freude an Arbeit zeigen
Führung teilweise abgeben
Verantwortung bleibt
Lob und positiv bedingte *Strokes anbieten
Mindestmass an Schutz
Leistung und Verhalten der Schüler benennen
nach Bedarf Unterstützung anbieten
Möglichkeiten zur Selbsteinschätzung und Selbstkorrektur geben
Geklärte
Gruppenimago
Bedürfnisse auf Hier-und-jetzt ausgerichtet
Rückzug, loslassen der Gruppe
Arbeit abschliessen
Abschiedsritual
Pünktlicher Abschluss
Möglichst ruhiger, entspannter Abschluss einer Lektion oder eines Schultages
*Erklärung von TA Begriffen in der Tabelle
Rituale: Interaktionen, bei denen die Beteiligten wissen, wie sie ablaufen, z.B. Begrüssung.
Zeitvertrieb: Unverbindliche Unterhaltung.
ok-ok Haltung: Grundhaltung, die in der TA angestrebt wird, ich bin ok und du bist ok (+ +).
Psychologische Spiele: Die Kommunikation wird von verborgenen Motiven beherrscht, sie verläuft nicht konstruktiv.
Intimität: Offene, echte zwischenmenschliche Begegnung, ohne psychologische Spiele.
Strokes: Zuwendung, die in verschiedener Qualität (positiv bedingt und unbedingt / negativ bedingt und unbedingt) und Intensität gegeben werden kann.
In den Phasen der Gruppenentwicklung wird ersichtlich, wie es gelingen kann eine Balance herzustellen zwischen empathischem Verstehen und überzeugender Führung durch Lehrpersonen, wie sie Joachim Bauer beschreibt: «Dies bedeutet, dass die Lehrkraft nicht nur in sich Resonanz auf ihre Klasse zulässt (empathisches Verstehen), sondern umgekehrt ihrerseits so auftritt, dass sie in ihren Schülerinnen und Schülern Resonanz auslöst (Ausübung von Führung). Entscheidend für Letzteres ist ein hohes Mass an körperlicher und geistiger Präsenz. Diese entsteht dadurch, dass die Lehrkraft mit sich, so wie sie ist, in hohem Masse identisch ist, also zu sich und ihren Überzeugungen steht, eine freundlich-zugewandte, aber klare Haltung hat, dass sie selbst Freude am zu vermittelnden Stoff hat und einen didaktischen Plan, wie sie diesen den jungen Menschen nahebringen will.» (Bauer, S. 113 -114)
Die Grundbedürfnisse der einzelnen Schüler
Das TA Konzept der *Grundbedürfnisse kann sich hilfreich erweisen, um auf den einzelnen Schüler einzugehen und seine individuellen Bedürfnisse wahrzunehmen. Die Grundbedürfnisse nach Struktur, Stimulierung und Anerkennung gelten für alle Schülerinnen und Schüler gleichermassen.
Sowohl in der Arbeit mit einer Schulklasse als auch im Kleingruppen- und Einzelunterricht achte ich auf eine angemessene Strukturierung. Das heisst, ich plane und ermögliche bewusst neben der hauptsächlich erwünschten Aktivität, nämlich der aktiven Arbeit am Lernstoff, auch Rückzugsmöglichkeiten in Form von Einzelarbeit oder Erholung, Rituale in Form von sich wiederholenden Lernformen oder Stundeneinstiegen. Ich nehme auch das Bedürfnis nach Zeitvertreib (das Spitzen von schon gespitzten Bleistiften, das rauf- und runterkurbeln von Pulten, wiederholtes Bitten um den Gang zur Toilette…..) wahr und kann dafür die Erlaubnis erteilen oder auch verweigern. Einladungen zu psychologischen Spielen der Schülerinnen verstehe ich auch als ein Bedürfnis nach Struktur.

Die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogisch anerkannten besonderen Bedürfnissen haben letztlich die gleichen Bedürfnisse wie Regelklassenschüler. Sie unterscheiden sich allenfalls darin, welche existentielle Bedeutung die Erfüllung der Grundbedürfnisse in der Schule für sie, im Gegensatz zu den Regelklassenschüler, darstellt. Für den an Landwirtschaft interessierten Schüler *Max mit der Diagnose einer Lese- und Rechtschreibschwäche und einer Dyspraxie ist die Ruhepause mit Blick auf den Bauernhof eine unerlässliche Möglichkeit sich vom anstrengenden handschriftlichen Verfassen eines Textes zu erholen. Für die Schülerin *Susanne mit einer Rechenschwäche ist es wichtig, dass sie positiv bedingte Strokes bekommt, indem sie Bestätigung erhält und gelobt wird, weil die lange geübte 3er-Reihe jetzt sitzt, und sie diese bei Sachaufgaben anwenden kann. Das Bedürfnis nach Stimulierung kann mit einer abwechslungsreichen Didaktik und Methodik erfüllt werden. Durch das reale Hantieren mit Geld findet *Jasmin mit der Diagnose Asperger Autismus den Zugang zur Mathematik. (*alle Namen geändert)

Gute Didaktik und Methodik bieten leistungsstarken, wie auch leistungsschwächeren Schülern wichtige Lernvoraussetzungen. Beim Schweizer Entwicklungspsychologen und Didaktiker Hans Aebli habe ich folgende Aussage gefunden, die mich eine Verbindung herstellen lässt zum *TA-Konzept der Ich-Zustände: «Das Kind zum Aufbau der Strukturen seines Handelns, Denkens und Erlebens anleiten heisst, auf seinen aktiven Beitrag in diesem Vorgang zählen, mehr als das: wissen, dass Anleitung immer die spontane Bereitschaft zur Tätigkeit im angeleiteten Kind voraussetzt. In dieser Bereitschaft zur Tätigkeit ist auch eine Bereitschaft, diese zu strukturieren, ihr eine gute Ordnung zu geben, mit beschlossen. Aber das Kind und der Jugendliche vermögen diese Ordnung nur in seltenen Fällen selbstständig zu finden. Die innere Ordnung des Menschen ist eine zarte Pflanze. Ihre Heranbildung bedarf über Jahre der Unterstützung, bis sie schliesslich zur *Autonomie erwächst.» (Aebli, S. 393)

Das wunderbare Bild der zarten Pflanze möchte ich zum Abschluss aufnehmen. In jedem Schulkind wartet eine zarte Pflanze auf Hege und Pflege. Diese Pflanzen ergeben zusammen eine vielfältige und bunte Blumenwiese. Meine Vision einer Schulklasse in einer inklusiven Schule.
*Erklärung von TA Begriffen:
Grundbedürfnisse: Psychologische Grundbedürfnisse, die von vitaler Bedeutung sind: a) Stimulierung in Form von sinnlicher Anregung; b) Struktur in Form von Zeitgestaltung; c) Zuwendung und Anerkennung (Strokes)
Ich-Zustände : In jedem Menschen sind drei Ich-Zustände vorhanden (Eltern-Ich / Erwachsenen-Ich / Kind-Ich). Jeder dieser Ich-Zustände umfasst das Denken, Fühlen und Verhalten und kann je nach Situation aktiviert werden.
Autonomie: Unabhängigkeit und Selbstständigkeit in Urteil und Entscheidung. Bewusstheit in der Wahrnehmung, Spontanität im Verhalten und Intimität im Sinn von ehrlicher zwischenmenschlicher Begegnung.
Literatur:
Aebli, Hans: Zwölf Grundformen des Lehrens. Stuttgart (Klett-Cotta) 2003
Bauer, Joachim: Wie wir werden, wer wir sind. München (Blessing) 2019
Berne, Eric: Grundlagen der Gruppenbehandlung. Paderborn (Junfermann) 2005
Eyer, Hanna: Kursunterlagen zu «Gruppenphasen nach Berne (aus Clarkson)» Gossau 2016
Müller, Andreas: Mehr ausbrüten, weniger gackern. Bern (hep) 2008
Speck, Otto: System Heilpädagogik. München (Reinhardt) 2003

Eva Bobst
Schulische Heilpädagogin
Transaktionsanalytikerin CTA-E
eva.bobst@bluewin.ch
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