Anja Livia: Wie bist Du eigentlich mit der TA in Berührung gekommen?
Martin: Als ich in den 80er-Jahren Die Dargebotene Hand/Telefon 143 leitete, organisierten wir alle 2 Jahre Ausbildungskurse für die Freiwilligen/Volounteers, die den 24 Std-Dienst am Telefon sicherstellen. Wir arbeiteten mit einem Schulungsbuch von Dr. Helmut Harsch, einem TA-Lehrenden aus den Anfängen, und ich habe für jeden Kurs Dr. Leonhard Schlegel und seine Frau für ein 3-tägiges Seminar in TA eingeladen. Die Beiden waren Goldstücke. Die Teilnehmenden haben sie geliebt.
Doch erst 2000 habe ich meinen ersten Einführungskurs in TA (101) absolviert und dann die weitere Ausbildung zum CTA/O im Verlauf von 10 Jahren gemacht.
A: Inwiefern hat die TA Dein Verständnis von Kommunikation geprägt/verändert?
M: Ich habe mich seit den 80er Jahren kontinuierlich weitergebildet z.B. in Individualpsychologie und Systemischer Paar- und Familientherapie. Insofern will ich nicht von einer starken TA-Prägung sprechen. Viele der Modelle und Erklärungen, die Eric Berne und die TA Community entwickelt haben, finde ich spannend und einprägsam, z.B. das Persönlichkeitsmodell der ICH-Zustände, das Drama-Dreieck oder die Skript-Theorie.
M: Welche Auswirkungen hat denn die Tatsache, dass ich TAler bin, Deiner Meinung nach auf die Kommunikation zwischen uns gehabt?
A: Ich habe früh mitbekommen, über die Dinge – auch die schwierigen – zu reden. Davon profitiere ich heute. Manchmal war es auch anstrengend und nervig; immer musste man über alles reden (lacht). Und immer wusstest Du, wie «richtig» kommuniziert wird.
M: Das Letzte tönt so «besserwisserisch»! War das wirklich Dein Eindruck? Klar habe ich als Kommunikations-Spezi einen ziemlich hohen Anspruch an die Art und Weise, wie wir miteinander reden.
A: Eben!
M: Wovon hast Du denn profitiert?
A: Bereits in der Schulzeit und später als Jugendliche habe ich erfahren und bemerkt, dass offenbar meine Art und Weise, wie ich mit Kolleg*innen, Lehrer*innen, Ausbilder*innen geredet habe, gut angekommen ist. Weiter reflektiert habe ich das damals nicht. Ich fand mich oft in der Rolle der Vermittlerin. Mit der Zeit realisierte ich, dass diese Rolle auch belastend für mich sein kann, da sie mich oft zwischen die Fronten gestellt hat. Darüber hinaus war es mir stets wichtig, dass es immer eine für beide Personen/Parteien gute Lösung geben musste. Das habe ich wohl auch von meiner Mutter mitbekommen, die als Einzel-, Paar- und Familientherapeutin, praktisch seit ich Laufen kann, Menschen begleitet und zwischenmenschlich sehr fein eingestellt ist. Doch irgendwie hatte ich wohl damals mit meinen beiden Elternteilen auch gleichzeitig einen gewissen Overload an Psychokram.
M: Gibt es denn TA-Modelle, welche Du schon als Jugendliche mitbekommen hast und die Dir vielleicht geholfen haben?
A: Der Grundsatz «Ich bin okay-Du bist okay» ist mir sehr vertraut. Er war immer wieder Orientierungspunkt für einen respektvollen Umgang und Austausch. In meiner Pubertät war der Satz oft Segen und Fluch zugleich. Denn in Momenten der Rebellion und der Grenzüberschreitungen griff der Satz in meinem Empfinden natürlich überhaupt nicht. Da fühlte ich mich klar als «nicht okay» bezeichnet.
A: Warst Du denn nicht manchmal als Vater gefangen in Deiner Kommunikations-Psycho-Professionalität? Wie frei konntest Du Dich diesbezüglich im Kontakt mit mir bewegen? Man kennt das doch: Den andern können sie prima helfen, zu Hause kriegen sie’s nicht auf die Reihe…
M: Ganz grundsätzlich wusste ich tief innen, dass, obwohl Du ab 3 Jahren mit Deiner Mutter gelebt hast, wir zwei einen gleichen Wellengang haben; und dass unsere Beziehung zueinander trotz allem Schwierigen nie zerbrechen wird. Das habe ich Dir immer zu vermitteln und vorzuleben versucht. Eine meiner Maximen heisst: Walk your talk. Wenn ich manchmal mit Dir nicht weiterwusste, habe ich das mit meiner Partnerin und meinen Freunden beredet oder meine Verhaltensvarianten mit meinem Therapeuten/Supervisor reflektiert. Es waren immer Versuche. Ich war mir nie einfach sicher. Aber zuversichtlich, dass wir es zusammen hinkriegen!
A: Ja, an diesen Satz von Dir, dass unsere Beziehung trotz allem nie zerbrechen wird, kann ich mich gut erinnern. Du warst zwar oft nicht da, da wir früh getrennt lebten. Aber da war immer ein tiefes Grundvertrauen, dass Du mich tatsächlich – wie schwierig es auch immer sein möge – nie hängen lassen wirst! Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Du in unserer Kommunikation nie lockergelassen hast. Bei Dir konnte ich rebellieren. Ich spürte immer einen kleinen Freiraum bei Dir, dass ich auch mal nicht angepasst sein und mich daneben benehmen konnte.
M: Eine wichtige Funktion in unserer Beziehung hatten seit Deiner frühen Kindheit die Pferde. Heute bist Du professionelle «horse-woman». Wie kam es dazu, dass diese Tiere einen solchen Einfluss auf Dein Leben bekommen haben?
A: Diese Frage habe ich mir oft selber gestellt. Der Antwort darauf komme ich jeden Tag ein Stück näher. Was mir manchmal in meinem Leben fehlt, ist die Erdung. Pferde erden mich. Sie sind für mich wohl die Verbindung zum Ursprung. Mit ihnen zu sein und zu interagieren, hat mich schon immer tief berührt. Ich beginne zu verstehen, dass nicht das Pferd mich braucht, sondern ich das Pferd. Im Coaching z.B. ist das Pferd ein Stellvertreter deiner Situation. Das Pferd muss dort nichts erfüllen. Seine reine Präsenz in der momentanen Situa-
tion und Befindlichkeit ist Basis für den Coachee, sein Selbst, seine Handlungen und Verhaltensmuster zu reflektieren. Wenn das Pferd z.B. einfach vor mir steht, mich anschaut und nichts tut, werde ich je nach Befindlichkeit anders auf diese Situation reagieren. Ich kann auf das Pferd zugehen, das Halterseil packen und zum Pferd sagen: So, jetzt beweg dich mal ein bisschen! Oder ich kann mich ärgern, weil das Pferd einfach keinen Wank tut. Oder ich kann mich einfach entspannt hinsetzen, das Pferd anschauen, warten und erleben, was dann geschieht. Welchen Angang ich wähle, hat erstmal bloss mit mir zu tun.
M: Du hast ja selber 2013 den TA101 bei einer befreundeten Transaktionsanalytikerin in Hamburg besucht. Was war das Spezielle für Dich an diesem Einführungskurs?
A: Ich war damals zum ersten Mal in einer Selbsterfahrungs-Gruppe mit Menschen, die ich - bis auf die Kursleiterin - nicht kannte. Das hat mich auch etwas nervös gemacht. Ich konnte mir bestens vorstellen, dass das je nachdem sehr persönlich werden könnte. Durch die Arbeit an Themen wie z.B. die Ich-Zustände oder das Skript habe ich konkrete Werkzeuge an die Hand bekommen, die mir geholfen haben, mich selbst besser zu verstehen, zu erkennen und aus meiner Sicht «ungünstige» Denkmuster und Verhaltensweisen auch zu verändern. Nach dem TA101 hatte ich zum ersten Mal die Idee, Coaching und die Arbeit mit Pferden zu verbinden.
M: Hat denn Deine Auseinandersetzung mit TA, beziehungsweise Dein psychologisches Verständnis, Dein Kommunikationsverhalten gegenüber Deinen Kund*innen im Pferdebusiness beeinflusst?
A: Für meine Arbeit müssen Pferd und Mensch sich wohlfühlen können. Sein Reiten zu verbessern, bedeutet immer auch, an sich selbst zu arbeiten. Ich suche daher einen ganzheitlichen Ansatz. Nicht selten erhalte ich von Kund*innen das Feedback, dass unsere Arbeit mit dem Pferd auch einen persönlichen Entwicklungsprozess bei ihnen auslöst. Als Trainerin bin ich dementsprechend immer bei beiden, sowohl beim Pferd als auch bei der Reiterin. Reittechnik und Bewegungslehre des Pferdes ist dabei ein Teil. Ebenso wichtig und unabdingbar für gutes Reiten ist die Schulung der eigenen Körpersprache und Körperwahrnehmung, der Bewegungsmotorik, des Gleichgewichts und der Koordination. Oft geht es nicht darum, das Verhalten des Pferdes zu verändern, sondern seine eigenen Fähigkeiten im Umgang mit demselben zu entwickeln und zu verfeinern.
A: Du bist ja selber 15 Jahre geritten und hattest während 11 Jahren ein eigenes Quarter Horse. Von daher würde mich jetzt schon auch interessieren, inwiefern Deine Erfahrung mit Pferden Deine grundsätzliche Sicht beziehungsweise Deine Perspektiven auf die Kommunikation unter Menschen beeinflusst hat?
M: Ich habe mich während diesen 11 Jahren bemüht, die Sprache meines Pferdes zu lernen – was nicht einfach ist, aber unglaublich beglückend, wenn es funktioniert und das Pferd zu einem echten Partner wird! Ich war im Umgang mit meinem Pferd sehr schnell mit meinem Ärger konfrontiert, wenn etwas nicht so ging, wie ich es wollte. Was mir dabei dann immer geholfen hat, ist das «Nicht-wissen-wollen». Ich habe nicht schon im Voraus die Antworten; ich muss sie zusammen mit meinem Gegenüber suchen, und – vielleicht – finden. Meine erste Reaktion, wenn etwas Unerwartetes kommt, ist: Ah, das ist ja interessant!
Ich habe mich darin geübt, wenn immer möglich mit Neugier und Interesse anstatt mit Abwehr zu reagieren. Und das ist für mich auch die Basis der Kommunikation im Zwischenmenschlichen. Viktor E. Frankl sagt dazu: „Zwischen Stimulus und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum findet sich unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unser Wachsen und unsere Freiheit“. Es ist eine Illusion, dass wir uns irgendwann mal vollständig verstehen. Es ist besser und gesünder, sich immer etwas fremd bleiben zu dürfen. Weil dann die Neugierde erhalten bleibt und man sich immer wieder entdecken kann.
M: Wie erlebst Du denn die Kommunikation zwischen uns heute als erwachsene Frau?
A: Alle Themen der Kommunikation haben in unserer Beziehung immer eine grosse Rolle gespielt. Ich weiss, dass ich mit Dir über persönliche oder berufliche Themen jederzeit sprechen kann. Das hat zwischen uns eine grosse Selbstverständlichkeit und die Gespräche bringen mich und uns beide in irgendeiner Form weiter. Zum Beispiel fragst Du oft nach: Habe ich Dich richtig verstanden, dass Du das und das meinst? Da fühle ich mich als Gegenüber ernst genommen. Es sind Gespräche auf gleicher Augenhöhe.
A: Deine Lebensphase ab 65 startest Du unter anderem mit dem Präsidium der DSGTA. Die TA liegt Dir am Herzen. Du hast beschlossen, Deine berufliche Arbeit als Berater und Coach fortzusetzen. Was willst Du denn noch realisieren mit dem, was Du über TA und Kommunikation weisst?
M: Ach, es gibt noch so viele spannende Dinge, die ich gerne tue und tun will! Und wenn man mich fragt, bin ich eben gerne dabei. Ich will gezielter auswählen, mich auf das konzentrieren, was wirklich Sinn und auch Freude macht. Ich muss nicht mehr – ich darf. Weniger ist mehr. Klar ist mir die Transaktionsanalyse mit den Jahren ans Herz gewachsen! Im Vorstand der DSGTA habe ich das Glück, mit Kolleg*innen zusammenarbeiten zu dürfen, die allesamt hoch professionell sind. Dazu sind wir mit einer prima Mischung aus Ernsthaftigkeit und Spass bei der Sache. So muss es sein, damit man was bewegen kann!
Martin Bolliger (Jg 53) lebt in Gunten am Thunersee. Er war Bankkaufmann, studierte auf zweitem Bildungsweg Theologie und leitete in den 80er-Jahren die Geschäftsstelle AG/SO der Dargebotenen Hand/Telefon 143 in Aarau. Später war er Generalsekretär von IFOTES (International Federation of Telephonic Emergency Services) in Genf. Nach Ausbildungen im psychologischen und therapeutischen Bereich sowie einem Nachdiplom-Studium für Nonprofit-Management machte er sich 1995 selbständig und führt seither seine eigene Firma für Training, Organisations- und Persönlichkeitsentwicklung. Seit 2012 ist er PTSTA im Organisationsbereich und im März 2019 wurde er zum Präsidenten der DSGTA gewählt.
www.martinbolliger.com
Gemeinsam bieten Anja Livia und Martin Coachings und Workshops für Teams und Führungskräfte an, in denen mit Unterstützung von Pferden gearbeitet wird.