artikelnovember2022

Vertrauen im Projektkontext aktiv gestalten

// Autorin: Susanne Alt //
Die Notwendigkeit von Vertrauen im Arbeitskontext
Sowohl im Arbeits- als auch im privaten Umfeld nehmen wir durch Digitalisierung, Globalisierung, Technologisierung des Lebens und diversen Krisen eine Zunahme an Unsicherheit und Komplexität wahr. Im Arbeitskontext wird darauf immer öfter mit der Form des agilen Arbeitens reagiert. Wobei es in der Wissenschaft und in den Unternehmen noch kein einheitliches Verständnis zum Begriff „Agilität“ gibt. Die Aspekte Schnelligkeit und Flexibilität stehen meist im Vordergrund. Die Einführung von „Agilität“ in Unternehmen und Projekten bleibt oft bei einer strukturellen Veränderung und der Anwendung von Methoden hängen. Damit ist jedoch noch nicht klar, wie die Zusammenarbeit unter den geänderten Bedingungen funktionieren kann.
Manche Unternehmen nehmen Hierarchieebenen raus und orientieren sich stärker an Teamarbeit als Gegenmodell von Abteilungen und dem damit verbundenen Silodenken. Die Art der Zusammenarbeit und die damit einhergehende Dynamik ändert sich dadurch grundlegend: Es braucht mehr persönliches Engagement, Übernahme von Verantwortlichkeit und eigenständiges Arbeiten von allen Beteiligten. Die Grenzen zwischen Tätigkeiten in einem Projekt und in einer Linienorganisation verschwinden zunehmend. Schnell zu kommunizieren und zu entscheiden, sich frei mit Kolleg:innen aus unterschiedlichen Bereichen austauschen zu können, Kreativität für neuartige Situationen zu nutzen und andere Aspekte von Teamwork sind im ganzen Unternehmen gefordert (1) und basieren zunehmend auf Vertrauen. (2)
Neben der individuellen Fähigkeit Vertrauen zu entwickeln, stellt sich die Frage, wie sich Vertrauen in der Zusammenarbeit beschreiben und erreichen lässt. Was brauchte es, um Vertrauen im Arbeitskontext zu initiieren und zu ermöglichen?
Zunächst werde ich ein Modell von Stephen M.R. Covey (3) erläutern, in welchem die Faktoren zur Gestaltung von Vertrauen gut nachvollziehbar beschrieben werden. Anschließend erläutere ich anhand eines Modells aus der Transaktionsanalyse, wie ich dieses unterstützend für das Gestalten von Vertrauen im Projekt nutze.

Vertrauen ist nicht nur ein Gefühl
Für die Arbeit in Teams und mit Organisationen finde ich das Verständnismodell zum Thema Vertrauen von Stephen M.R. Covey hilfreich. Vertrauen ist demnach nicht nur ein (zufälliges) Gefühl. Wenn wir jemandem vertrauen, dann glauben wir an die Verlässlichkeit und die Fähigkeit eines anderen. Vertrauen basiert damit auf den zwei Faktoren Charakter und Kompetenz (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Zwei Faktoren für Vertrauen und ihre Aspekte nach Covey
Der Charakter eines Menschen wird in diesem Modell anhand der beiden Aspekte Integrität und Absicht gegenüber anderen beurteilt. Die Integrität eines Menschen hat mit seinen persönlichen Werten und Idealen zu tun.
Ähnlich wie die Wurzel eines Baumes, geben diese Nährstoffe, Halt und Wachstum für unser Denken und Verhalten. Andere können die Integrität insbesondere an einer Übereinstimmung zwischen den Worten und dem Handeln einer Person erkennen. Die Absichten eines Menschen geben wie der Stamm eines Baumes auf Basis unserer Motive die grundlegende Richtung für unser Verhalten vor.
Die Kompetenz einer Person schätzen wir über die Aspekte Fähigkeiten einer Person und die erzielten Ergebnisse bzw. Erfolge ein. Unsere Fähigkeiten sind wie die starken Äste eines Baumes, aus denen die Früchte – also die Ergebnisse unserer Leistungen – erwachsen. Zu den Fähigkeiten gehören neben dem Können auch unser Wissen, die Talente und Einstellungen, welche dem Können zu Ergebnissen verhelfen. Dazu ein Beispiel: Im Projekt sind bisherige Erfolge und gezeigte Fähigkeiten Entscheidungskriterien um Mitarbeiter aus einer Abteilung in ein Projekt zu entsenden. Diese Aspekte von Kompetenz reichen jedoch für eine tragfähige, vertrauensvolle Zusammenarbeit im Projektteam nicht aus. Es muss erst geklärt werden, wie integer und mit welchen Absichten sich das Teammitglied einbringen wird. Werden Abteilungsinteressen (bei unternehmensinternen Projekten) bzw. Unternehmensinteressen (bei Projekten mit Externen) mit höherer Priorität vertreten als die Interessen des Projekts, wird das Vertrauen in der Zusammenarbeit eingeschränkt. Der Aufwand für Kontrolle, Nacharbeit, (Überredungs-) Diskussionen und Konfliktbearbeitung wird deutlich höher sein, als bei einem Team mit einer starken Vertrauensbasis. Meiner Erfahrung nach, leidet dann auch die Qualität der Ergebnisse darunter.

Vertrauen mit Modellen der TA gestalten
Vertrauensgrundlage: Verträge
(Projekt-) Organisationen sind Vertragsgemeinschaften. Verträge geben Richtung und Orientierung und halten alles zusammen. Es geht darum, die Zusammenarbeit so zu gestalten, dass alle Beteiligten Verantwortung für sich selbst und für ihre Aufgaben übernehmen können. Fehlen Vereinbarungen, zeigt sich dies an spannungsgeladenen Situationen, unklaren Arbeitsverhältnissen, verdeckter und destruktiver Kommunikation. Fehlende Offenheit und Misstrauen, also das Gegenteil von Vertrauen, ist die Folge.
Unter Vertrag verstehen wir in der Transaktionsanalyse nicht nur den geschlossenen Vertrag auf einer rechtlichen und inhaltlichen Ebene. Er umfasst insbesondere auch die „inneren Verträge“, in denen es um Erwartungen, Hoffnungen, Ängste und Rollenzuschreibungen geht.(4) In diesem Sinne geht es um Vereinbarungen, die sowohl für die inhaltliche, als auch für die Beziehungsebene wesentlich sind. Beispielsweise werden in einem unternehmensinternen Projektauftrag Ziel und Rahmenbedingungen wie Zeitrahmen, Budget, Leistungskriterien und oft auch die Teamzusammensetzung geregelt. Manchmal findet man auch Beschreibungen zu den projektspezifischen Rollen. Damit ist jedoch noch nicht geklärt, wie das Miteinander tatsächlich stattfinden kann. Wie soll sich ein Teammitglied verhalten, wenn es zwischen dem Projekt und der Organisationseinheit, von der es entsendet wurde, divergierende Interessen gibt? Wie soll mit der Situation umgegangen werden, wenn ein Teammitglied sieht, dass sich zeitlich nicht alle Arbeitsanforderungen unterbringen lassen? An wen soll es sich damit wenden? Dies sind einige Fragen, die sich bei einem vernetzten Beziehungsgefüge im Projektmanagement und in den Organisationen ergeben.
Da Transaktionsanalyse eine vertragsorientierte Methode ist, gibt es viele Konzepte zum Thema Verträge. Nachfolgend werde ich anhand des Vertragsmodells von Claude Steiner auf den Zusammenhang von Vertragsgestaltung und Vertrauen eingehen.
Grundvoraussetzungen für Verträge nach Claude Steiner
Worauf ist bei der Gestaltung einer Arbeitsvereinbarung, die für beide Seiten bindend ist, zu achten? Was braucht es, damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Vereinbarung hält, und die „Ausreden“ abnehmen? Claude Steiner (5) hat aus seiner Praxis des Vertragsschlusses mit Patienten neben den juristischen, kaufmännischen Aspekten, vier Voraussetzungen für einen „gesunden“, tragfähigen Vertragsabschluss herausgearbeitet. Jede dieser Voraussetzungen bedient auch Aspekte für einen Vertrauensaufbau gemäß dem Modell nach Covey:
1. Gegenseitige Übereinkunft
2. Leistung und Gegenleistung
3. Geschäftsfähigkeit
4. Legale und ethische Zielsetzung
1. Gegenseitige Übereinkunft
Ein Vertrag muss auf beiderseitigem Einverständnis beruhen. Heute wird im Arbeitskontext oft von „Commitment“ gesprochen. Neben den Vereinbarungen zu Zielen, Methoden und Ergebnissen der Arbeit, geht es dabei auch um die innere, emotionale (Selbst-)Verpflichtung, sich einer Aufgabe, einem Projekt voll und ganz zu widmen. Dies soll gegenseitig, ohne Zwang und Nötigung erfolgen. Sonst klappt es mit der „inneren“ Zustimmung nicht.
Es reicht nicht, dass jemand kommt und sagt: „Machen Sie bei diesem Projekt mit“. Wenn Bedenken hinsichtlich freier Personalkapazität von Führungskräften mit Aussagen wie: „Einer muss diese Arbeit machen.“ oder „Das kriegen Sie schon hin“ gekontert werden, trägt dies nicht zu einer nachhaltig wirksamen Vereinbarung bei. Ebenso ist es, wenn auf Bedenken zur Sinnhaftigkeit eines Projektes oder einer Aufgabe nicht eingegangen wird. Dann wird die Mitarbeiterin nicht wirklich ernst genommen und die Gegenseitigkeit fehlt. Es braucht eine Verhandlung darüber, wie diese Zusammenarbeit, dieses Teamwork funktionieren kann. Damit Loyalität nicht nur einseitig vom Mitarbeitenden zum Unternehmen, sondern auch vom Unternehmen zum Mitarbeitenden sichtbar wird.
2. Leistung und Gegenleistung
Beide Seiten müssen das Gefühl haben, es gibt einen adäquaten Austausch von Leistungen. Der Mitarbeiter stellt Zeit und Kompetenz und (emotionale) Selbstverpflichtung zur Verfügung. Die Organisation, vertreten durch die Führungskraft, bringt die Arbeitsbedingungen, Anerkennung, Entlohnung und anderes ein. Sobald sich eine Seite benachteiligt fühlt, besteht kein tragfähiger Vertrag, was zur Reduzierung von Vertrauen führen kann.
Wir denken beim Austausch von Leistungen eher an die inhaltlichen Aspekte. Dies würde im Modell von Covey den Vertrauensaspekt der Kompetenz abdecken. Diese aufgabenorientierte Sicht deckt jedoch das Thema „Leistungserbringung“ nur unvollständig ab. Menschen wollen sich einbringen und ihre Fähigkeiten zeigen. Sie wollen erfolgreich sein und auch im Arbeitskontext wertschätzende, offene, auf Gegenseitigkeit basierende Beziehungen leben. Sie brauchen vertrauensvolle Beziehungen, um ihre Leistung qualitativ und quantitativ in einer für sie gesunden Art und Weise erbringen zu können. Selbst Arbeitsplätze, welche als losgelöst von anderen Arbeitsplätzen wahrgenommen werden, existieren nicht in einem beziehungsleeren Raum. Tragfähige (Arbeits-) Beziehungen entstehen nicht einfach so. Dazu braucht es Beziehungsarbeit, die von allen Beteiligten gleichermaßen zu erbringen ist.
In einem Projekt kann sich dieses Ungleichgewicht beispielsweise durch wiederkehrende Diskussionen über Hol- und Bringschuld zeigen. An der Oberfläche geht es in der Diskussion um die Gestaltung des Austauschs von Informationen. Stellt sich die Frage immer wieder, dann könnte es unter der Oberfläche um die Frage gehen: Wer geht wann auf wen zu? Es ist eine Diskussion, bei der es um die Gestaltung der Arbeitsbeziehung geht. Wann empfinden wir das „aufeinander Zugehen“ als ausgewogen?
Ebenso kann ein Ungleichgewicht beim Austausch von Leistungen empfunden werden, wenn sich die Kommunikation und die Begegnung im Unternehmen oder in Projekten weitgehend auf den Austausch von Zahlen, Daten, Fakten mit dem Fokus auf Zielerreichung und Aufgabenerledigung beschränkt. Menschen spüren oft unbewusst, dass mit ihnen wie mit Maschinen umgegangen wird – wenn auch ungewollt. Wir Menschen brauchen echtes Interesse aneinander, wir wollen wahr- und ernstgenommen werden. Gerade wenn es um Teamwork geht, ist es wichtig regelmäßig inne zu halten und zu fragen: „Wie geht es uns miteinander? Was brauchen wir, um respektvoll miteinander umzugehen?“ Wer sagt: „Dazu haben wir keine Zeit“ bringt damit zum Ausdruck, dass er oder sie kein Interesse oder kein Verständnis für diese menschliche, beziehungsorientierte Seite hat. Damit wird ein vertrauensvolles Miteinander eingeschränkt. Das Motiv eines aufrichtigen Interesses an einer ausgewogenen Arbeitsbeziehung wird nicht sichtbar.
3. Geschäftsfähigkeit
Für einen gesunden Vertrag müssen die Beteiligten für den von ihnen übernommenen Leistungsteil qualifiziert sein. Bei dieser Voraussetzung für eine tragfähige Vereinbarung geht es um den Kompetenz-Aspekt bei der Gestaltung von Vertrauen.
Bei der Qualifikation der Beteiligten stehen die fachlich-inhaltlichen, die methodischen, die kommunikativen und die zwischenmenschlichen Fähigkeiten im Fokus. Diese müssen zur Aufgabenstellung und dem jeweiligen Kontext passen. Neben diesem Blick auf Wissen und Können geht es beim Thema der Fähigkeiten auch um die Einstellung, das Denken und den persönlichen Stil, welche zur Situation, zur Aufgabenstellung und zum organisatorischen Rahmen passen sollten. Dies hat unmittelbar Einfluss darauf, ob ich gute Ergebnisse erzielen kann. Ebenfalls ein vertrauensbildendes Element.
Ein Beispiel: Für ein Projekt wurden die besten Personen des Unternehmens zu einem Team zusammengeschlossen, jedoch will es mit den Ergebnissen nicht so richtig klappen. Sowohl von Seiten des (Projekt-)Auftraggebers, als auch innerhalb des Teams sinkt das Vertrauen in das Projektteam. Der Blick auf den Projektvertrag und das Controlling des Projektplans helfen nicht weiter. Jeder bringt sein Bestes, bringt sich mit viel Aufwand ein. Was dabei übersehen wird: Es fehlt die Erkenntnis, dass es hier um echtes Teamwork geht. Das sehr gute Nebeneinanderarbeiten zeigt im Laufe der Zeit seine Grenzen. Um das Projektziel zu erreichen wird es nun erforderlich, miteinander anstatt nebeneinander zu arbeiten. Aufgrund der fehlenden Erfahrung verstehen die Projektmitglieder nicht, was mit dem „Miteinander“ gemeint ist. Sie hatten in ihrer bisherigen Arbeit die Fähigkeit zu echtem Teamwork nicht gebraucht. Es wird erforderlich, die Vereinbarung zur Zusammenarbeit unter dem Aspekt „Zusammen“ neu zu gestalten. Da die Teammitglieder untereinander ein gutes Vertrauen im Hinblick auf ihre Motive und Absichten haben, ist es möglich, die fehlenden Kompetenzen der Beziehungsgestaltung ehrlich anzusprechen und sie damit zu erkennen.
4. Legale und ethische Zielsetzung
Unternehmen sind in aller Regel gut darin, Regeln, Normen und Prozesse zu formulieren, um insbesondere rechtlich alles richtig zu machen. Ziele, Ausführungen und Methoden entsprechen daher meist den verschiedenen rechtlichen Anforderungen.
Weitaus unübersichtlicher sind bei vertraglichen Vereinbarungen die ethischen Zielsetzungen. Dazu gehört beispielsweise, dass es keinen Vertrag zu Lasten Dritter gibt („Denen werden wir es schon zeigen, die werden auch noch mitmachen.“). Oder dass es keine unterschiedliche „Moral“ für Mitarbeiter:innen (dürfen nichts!) und Kund:innen (dürfen alles!) gibt. Bei einer Vertragsgestaltung unter ethischen Aspekten sind in aller Regel Werte betroffen, die sich situationsabhängig widersprechen können (6).
Projektmitarbeiter:innen sollen beispielsweise selbständig ihre Arbeitszeit zwischen Projektaufgaben und Aufgaben des Tagesgeschäftes einteilen. Nun entsteht eine Situation, in der die Führungskraft aus der Stammorganisation dringend etwas von dieser Mitarbeiterin benötigt. Was wird erwartet? Dass die Mitarbeiterin sofort zur Verfügung steht und die Projektarbeit kann warten? Ist es für die Mitarbeiterin opportun die Führungskraft darauf hinzuweisen, dass die individuelle Tagesplanung erst eine Unterstützung am nächsten Tag zulässt? Dies ist häufig ein Vereinbarungsaspekt, der nicht angesprochen wird, wenn es um die Entsendung in ein Projekt geht. Dies führt zu Vertrauensverlusten, da das Projektteam dem Teammitglied falsche Motive (Aspekt Charakter) oder die fehlende Kompetenz sich gut selbst zu organisieren, unterstellt. Ein Seminar zum Thema Zeitmanagement wird das nicht beseitigen. Es geht darum Situationen, die widersprüchliches Verhalten fordern, offen zu legen, anzusprechen und klären zu dürfen.
Solche „Schieflagen“, wie ich sie nenne, können jederzeit auftauchen. Werden diese divergierenden Anforderungen an einzelne Personen oder an gesamte Projekte nicht angesprochen und wertschätzend diskutiert, dann verliert die gemeinsame vertragliche Basis und damit das gegenseitige Vertrauen ihre Wirkung.
Fazit
Wie obige Beispiele zur Erklärung des Vertragsmodells nach Steiner zeigen, braucht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit Verträge und Vereinbarungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen. Ebenso bilden die Verträge selbst eine wichtige Grundlage für den Aufbau von Vertrauen. Schon allein die Klärung der vier Aspekte nach Steiner führen zu einem Vertrauensaufbau, da sie neben dem Aspekt der Kompetenzen (Fähigkeiten und Ergebnisse) auch die Aspekte des Charakters (Motive, Absichten und Integrität) zum Thema machen und somit sichtbar werden.
Im Sinne des transaktionsanalytischen Vertragsverständnisses wird klar, dass eine Vereinbarung zu treffen keine einmalige, punktuelle Erscheinung zu Beginn einer Tätigkeit ist. Es genügt nicht, einen Projektauftrag zu vereinbaren und diesen in die Schublade zu legen. Gerade die beziehungsorientierten Aspekte der Zusammenarbeit sind immer wieder zu hinterfragen und zu klären. Damit wird das Verhandeln von Vereinbarungen zur Zusammenarbeit ein wiederkehrender Prozess unter Bedachtnahme der vier Voraussetzungen. Dies gilt nicht nur innerhalb eines Projektteams, sondern auch in Richtung der Führungskräfte, die Mitarbeiter entsenden, in Richtung der (internen und externen) Auftraggeber und anderen Projektbeteiligten.(7)


Literaturverzeichnis
Alt, Susanne (2022): Das A und O der Ethik in Unternehmen. aus Endruweit, J, Marx, Grit (Hrsg.): Wirtschaftsethik, soziale Verantwortung, zukunftsfähiges Wirtschaften: Ein transaktionsanalytischer Baukasten zur ethischen Orientierung für Organisationen. Weinheim: Beltz Juventa, 1. Edition, Seite 73-87.
Berne, Eric (2004): Was sagen Sie, nachdem Sie ‚Guten Tag’ gesagt haben?. Fischer Geist und Psyche, 19. Auflage.
Covey, Stephen M.R.(2018): Schnelligkeit durch Vertrauen. Gabal, 7.Auflage.
English, Fanita (1985): Der Dreiecksvertrag (The Three-Cornered Contact). Paderborn, Zeitschrift für Transaktionsanalyse, Heft 2, 1985, S. 106 – 108.
English, Fanita (2003): Transaktionsanalyse: Gefühle und Ersatzgefühle in Beziehungen. Salzhausen: ISKO-Press, 7. Auflage, S 208 ff
Hofert, Svenja (2018): Agiler führen: Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistung und höhere Kreativität. Springer Gabler; 2. Auflage.
Kessler, H.; Hauser, H.-G.; Reuter, J. (1988): Transaktions-Analyse: Ein Weg zum besseren Verständnis von Verträgen in Organisationen. Paderborn, Zeitschrift für Transaktionsanalyse, Heft 4 1988, S. 149 – 167.
Lencioni, Patrick M. (2014): Die 5 Dysfunktionen eines Teams. Weinheim: Wiley-VCH.
Schaden, Brigitte (2022): „Agilität als Antwort auf unsichere Rahmenbedingungen. Blogartikel der Projektmanagement Austria (pma) vom 06.09.2022, Quelle:
www.pma.at/de/blog/agilitaet-als-antwort-auf-unsichere-rahmenbedingungen
Schmid, Bernd (1994): Wo ist der Wind, wenn er nicht weht: Professionalität und Transaktionsanalyse aus systemischer Sicht. Paderborn: Junfermann
Steiner, Claude (2005): Wie man Lebenspläne verändert. Paderborn:Junfermann, 11. Auflage.


Fussnoten
1. Siehe dazu auch ein Interview mit Schaden, Brigitte (2022)
2. Siehe dazu auch Lencioni (2014) und Hofer (2018)
3. Das gesamte Modell ist zu finden in: Covey, Stephen M.R.(2018): Schnelligkeit durch Vertrauen. Gabal, 7.Auflage.
4. English, Fanita (2003): Transaktionsanalyse: Gefühle und Ersatzgefühle in Beziehungen. Salzhausen: ISKO-Press, 7. Auflage, S 208 ff
5. Steiner, Claude (2005): Wie man Lebenspläne verändert. Junfermann, 11. Auflage, Kapitel 20.
6. siehe ausführlicher Alt, Susanne (2022)
7. Der dreiseitige Vertrag nach Fanita English und deren Weiterführung zu einem mehrseitigen Gebilde können hier ebenfalls hilfreiche Orientierung über die Vielzahl der zu berücksichtigenden Vereinbarungen geben.


Susanne Alt
Lehrende und supervidierende
Transaktionsanalytikerin – TSTA-O
Begleitet Menschen, Teams und
Organisationen in Entwicklungs-
und Veränderungsprozessen
www.saltandmore.com
office@saltandmore.com
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artikeljanuar2023

Vertrauen trauen – die Kunst zu vertrauen

// Autor: Stefan Marti //
Vertrauen ist in allen Lebensbereichen von hoher Bedeutung. Vertrauen ist das Fundament produktiver Zusammenarbeit und die Basis guter Führung. Gute Beziehungen sind ohne Vertrauen nicht vorstellbar. Vertrauen ist Kitt in Beziehungen und wohl der wichtigste Bestandteil guter Kommunikation. Vertrauen ist einerseits eine starke und verbindende Kraft und andererseits auch sehr zerbrechlich: leicht zu brechen, leicht zu verlieren und schwierig wieder aufzubauen. Mit diesem Artikel möchte ich zu einem differenzierten Verständnis des vielschichtigen Begriffes des Vertrauens beitragen. Ausgehend von der Frage, was unter Vertrauen überhaupt verstanden werden kann, werde ich drei Ebenen des Vertrauens beschreiben. Der Fokus der Ausführungen liegt auf der Beschreibung der Tiefenstruktur des Vertrauens, welche ich aus der Perspektive der Existenzanalyse (EA) und der Transaktionsanalyse (TA) beleuchten werde.
VERTRAUEN - DIE BRÜCKE ÜBER DEN FLUSS DER UNSICHERHEIT
Ich möchte Vertrauen aus der Perspektive der Existenzanalyse (EA) beschreiben, denn diese hat ein besonders griffiges Verständnis von Vertrauen. Vertrauen ist die Einwilligung, sich einer haltgebenden Struktur zu überlassen, um die wahrgenommene Unsicherheit (Risiko) zu überbrücken. Vertrauen steht in einem engen Zusammenhang mit der Angst: wo Vertrauen weicht, nimmt die Angst zu. Vertrauen ist - bildlich gesprochen - die Brücke über den Fluss der Unsicherheit. Die Basis des Vertrauens ist die Tragfähigkeit, die Festigkeit bzw. die Konstanz. Es muss etwas da sein und stark oder gross genug, um mich zu halten oder auffangen zu können. Darin besteht die Vertrauens-Würdigkeit (z.B. der Halt eines Seiles oder die Verlässlichkeit des Anästhesisten). Unsicherheit kann nur in der Haltung des Vertrauens überwunden werden. Ist Vertrauenswürdigkeit gegeben, kann die Prüfung und Kontrolle – das heisst die innere Zurückhaltung zur eigenen Sicherheit - abgegeben werden und es entsteht Vertrauen (Längle/Bürgi 2014). Ganz praktisch zeigt sich Vertrauen beispielsweise auch in der Gewissheit, dass getroffene Vereinbarungen vom Gegenüber eingehalten werden. Oder in der Erwartung, dass ein Gegenüber wohlwollendes Verhalten zeigen wird, obwohl dieses die Möglichkeit hätte, andere, nicht wohlwollende Verhaltensweisen zu wählen. Wer vertraut, verzichtet auf Sicherheit. Damit macht man sich verwundbar. So gesehen ist Vertrauen eine (riskante) Vorleistung. Es zeigt sich erst im Nachhinein, ob das Vertrauen gerechtfertigt war oder nicht. Vertrauen ohne 'Risiko' ist kein Vertrauen. Unsicherheit ist im Vertrauen immer präsent. Vertrauen hat zwei Pole: Den Mut auf der subjektiven Seite und den Halt auf der objektiven, äusseren Seite. Der subjektive Pol bezieht sich auf sich selbst: der Mut und das Selbstvertrauen. Selbstvertrauen ist das Vertrauen in den Halt in sich selbst, in die eigenen Fähigkeiten und ein Vertrauen in das Durchhaltevermögen der eigenen Fähigkeiten. Aus diesem Selbstvertrauen resultiert auch der Mut, sich auf das Restrisiko einzulassen. Vertrauen geschieht nicht automatisch, ist kein Reflex, sondern eine Entscheidung auf der Basis eines Gefühls (Längle 2009).

Auf der Basis dieses Verständnisses von Vertrauen werde ich nun - in Anlehnung die Metapher des Eisberges - drei Ebenen des Vertrauens beschreiben.
Abb. 1 Vertrauen – die Brücke über den Fluss der Unsicherheit
Eigene Darstellung an Anlehnung an Längle (2009)
ERSTE EBENE: DIE VERTRAUENSBASIS UND IHRE WIRKUNG
Vertrauen ist das Fundament gelingender Zusammenarbeit. Eine starke Vertrauensbasis äussert sich sowohl in Form von tragfähigen Beziehungen als durch eine Vertrauenskultur. Vertrauen macht Beziehungen robust, belastbar und damit auch fehlerverzeihend. Vertrauen ist die ‘einfachste’ Art der Komplexitätsreduktion in Beziehungen und senkt die Transaktionskosten in der Kommunikation, da unproduktives Kontroll- und Absicherungsverhalten ausbleiben kann. Eine starke Vertrauensbasis zeigt sich in einer offenen Feedback- und Konfliktkultur sowie in einem konstruktiven Umgang mit Fehlern. Auf der individuellen Ebene äussert sich Vertrauen auch in der Erfahrung, dass man sich für mich einsetzt, dass ich respektvoll behandelt, nicht fallen gelassen oder missachtet werde. Fehlendes Vertrauen oder Misstrauen führt zur Angst, sich mit seiner Meinung zu exponieren oder Fehler zu machen. Dies führt zu Absicherungsverhalten und einer Kultur der ‘Friedhöflichkeit’. Angst ist wohl der grösste Killer für Kreativität und Verantwortungsübernahme. Es ist daher eine zentrale Führungsaufgabe, ein angstfreies Klima zu schaffen.
ZWEITE EBENE: WAS VERTRAUEN STÄRKT UND SCHWÄCHT
Vertrauen ist das Resultat von Haltungen und von konkretem Verhalten. An dieser Stelle möchte ich mich auf ein paar generelle Hinweise beschränken. Weitergehende Ausführungen zur Schaffung einer Vertrauenskultur im Führungskontext finden Sie auf meiner Website in einem separaten Artikel.
Vertrauen bringt Vertrauen hervor
Vertrauen ist die Folge von Ehrlichkeit, Redlichkeit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Wer Vertrauen schaffen will, muss charakterliche Integrität haben. Darüber hinaus ist Vertrauen auch eine Frage des guten Willens. Wir vertrauen dort, wo ein grundsätzliches gegenseitiges Wohlwohlen und eine Wohlgesinntsein spürbar ist. Wir misstrauen denen, die für unsere Anliegen taub erscheinen. Wer Vertrauen will, muss Vertrauen säen! Vertrauen setzt eine positive Spirale in Gang. Menschen, denen man zu Recht und in vollem Umfang vertraut, werden das Vertrauen zurückgeben. Zu vertrauen ist auch eine Entscheidung: Vertrauen zu schenken, einen Vertrauensvorschluss zu geben. Der vielleicht beste Weg, um herauszufinden, ob man jemandem vertrauen kann, ist, ihm zu vertrauen (Ernest Hemingway). Ängstlichkeit, Übervorsichtigkeit, generelles Misstrauen oder Kontrollwahn sind ‘sichere’ Wege, Vertrauen zu verhindern. Ebenso blindes Vertrauen, also ein Vertrauen ohne Prüfung der Vertrauenswürdigkeit.
Vertrauen ist auch ein zerbrechliches Gut
Vertrauen kann man nicht ‘machen’ - echtes Vertrauen kann man nur durch Erfahrung gewinnen. So zeigt sich beispielsweise in Konflikten oder Krisen, wie tragfähig eine Beziehung wirklich ist. Vertrauen gründet in der Realität – in der Erfahrung, dass der Halt trägt. Vertrauen wird mit Beständigkeit aufgebaut und beinhaltet eine Paradoxie: Vertrauen ist einerseits eine starke Kraft – kräftig wie ein Baumstamm. Und andererseits ist Vertrauen auch sehr zerbrechlich: leicht zu brechen, leicht zu verlieren und schwierig wieder aufzubauen. Vertrauen ist daher auch wie eine zarte Pflanze. Vertrauen zu verlieren, dauert Sekunden, es kann jedoch Jahre dauern, bis sich das Vertrauensgefühl wieder verankert hat (Längle 2009). Missbrauchtes Vertrauen kann Vertrauen zerstören. Eine Entschuldigung genügt in aller Regel bei erschüttertem Vertrauen nicht. Nur durch erneute positive Erfahrungen, die man immer wieder erlebt, kann das erschütterte Vertrauen wiederaufgebaut werden. Vertrauen nachhaltig aufzubauen ist daher eine Frage der sozialen und emotionalen Kompetenz. Diese Kompetenzen stehen insbesondere in Stress- und Konfliktsituationen sowie bei Fehlern auf dem Prüfstand. In kritischen Situationen zu überreagieren, aus der Haut zu fahren, emotional zu entgleisen und verletzendes Verhalten zu zeigen, führen mit grosser Sicherheit zu Vertrauenseinbrüchen.
Ich-Zustände: Ressourcen und persönliche ‘Aufpassfelder

In diesem Zusammenhang ist das Modell der Ich-Zustände, ein Kernkonzept der TA, sehr aufschlussreich. Dabei werden gemäss Stewart/Joines fünf verschiedene Ich-Zustände unterschieden: Das kritische und das fürsorgliche Eltern-Ich, das Erwachsenen-Ich sowie das freie und das angepasste Kind. Für Vertrauen und Selbstvertrauen sind die grundlegenden Qualitäten aller Ich-Zustände notwendig. Und: alle fünf Ich-Zustände weisen sowohl produktive als auch unproduktive Anteile auf. Während die positiven Aufprägungen vertrauensbildend wirken, können die negativen Ausprägungen aller fünf Ich-Zustände zum Verlust von Vertrauen führen. Das Modell der Ich-Zustände der TA bietet daher eine gute Grundlage für die persönliche Selbstreflexion und zeigt persönliche Neigungen, Aufpassfelder und ‘Fallgruben’ auf. Sehr kopflastig argumentierende Personen – um ein Beispiel zu nennen – kommen ohne Vertrauen meist an eine Grenze. Vertrauen als eine Beziehungsqualität braucht die vertrauenden Qualitäten aus dem fürsorglichen Eltern-Ich oder aus dem Kind-Ich. Damit Vertrauen nicht blind, sondern ‘sehend’ erfolgt, braucht es ein gutes Erwachsenen-Ich. So führt – um ein weiteres Beispiel zu nennen – unbeherrschtes, aggressives oder strafendes Verhalten aus dem kritischen Eltern-Ich zur Irritation des Vertrauens. Ängstliche oder konfliktvermeidende Persönlichkeitsanteile aus dem angepassten Kind – um ein letztes Beispiel zu nennen – sind für das eigene Selbstvertrauen nicht förderlich. Die negativen Anteile der Ich-Zustände kommen vor allem auch in Stress- und Konfliktsituationen zum Vorschein. Und gerade in konfliktären und spannungsgeladenen Schlüsselsituationen steht – wie oben beschrieben - das Vertrauen besonders auf dem Prüfstand. Deshalb ist es von hoher Bedeutung, seine persönlichen Konflikt- und Stressmuster sowie Triggerpunkte und Vulnerabilitäten zu kennen. Wer diese kennt, ist eher in der Lage, sich in Drucksituationen selbst zu steuern und damit vertrauenszerstörendes Verhalten zu vermeiden.
DRITTE EBENE: DIE TIEFENSTRUKTUR
Die dritte Ebene ist die Tiefenstruktur des Vertrauens. Es ist der Sockel des persönlichen Vertrauens oder - um in einer Metapher zu sprechen - der untere Teil des Eisberges. Dieser Teil ist nicht direkt sichtbar. Während das Verhalten gelernt und eingeübt werden kann, geht es beim unteren Teil des Eisberges eher darum, ein gutes Bewusstsein darüber zu entwickeln. Denn dieser wirkt in Drucksituationen auch als ‘Autopilot’. Abb. 2 gibt einen Überblick über die Inhalte des Eisbergs. Diese Tiefenstruktur zu kennen, ist gerade auch im Zusammenhang mit Vertrauen entscheidend. Der Sockel besteht sowohl aus Ressourcen als auch aus persönlichen Prägungen und Mustern, welche negativen Einfluss auf Vertrauen und Selbstvertrauen haben können. Aus dem vielfältigen Themenkreis der Tiefenstruktur möchte ich einige besonders wesentliche Aspekte herausgreifen und beschreiben.
Persönliche Prägungen und Trübungen
Vertrauen ist ein Beziehungsthema. Daher erachte ich es als sehr bedeutsam, meine persönlichen Beziehungserfahrungen und Prägungen zu kennen. So ist es wichtig zu wissen, wie meine persönliche Geschichte mich geprägt hat und wie diese mein heutiges Verhalten als erwachsene Person beeinflusst. Nicht wenige Menschen tragen eher negative Beziehungserfahrungen in sich, was es schwierig machen kann, als erwachsene Person dann wirklich zu vertrauen. Für die Entwicklung eines Kindes ist das erlebte Vertrauen zentral. Ohne Vertrauen und Zutrauen ist die Entwicklung eines guten Selbstvertrauens erschwert. Aus der im Laufe der eigenen Lebensgeschichte gemachten Beziehungserfahrungen resultieren Überzeugungen und Glaubenssätze. Diese sind jedoch nicht selten auch getrübt. Mit dem Begriff ‘Trübungen’ meint die TA unüberprüft übernommene und für wahr gehaltene Glaubenssätze oder Vorurteile wie beispielsweise: „Man darf niemandem wirklich trauen“ oder „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ oder „Wenn ich die Zügel zu locker in der Hand habe, laufe ich Gefahr, dass mein Vertrauen missbraucht wird“ oder „Wenn ich einen Fehler mache, denkt man schlecht über mich“. Überzeugungen dieser Art beeinflussen massgeblich das persönliche Verhalten. Deshalb ist es wichtig, seine persönlichen Überzeugungen immer wieder auf den Prüfstand zu legen im Sinne von: «Stimmt es eigentlich, dass…?». Dies hilft, auf eine innere Distanz zu seinen Meinungsgewohnheiten und vermeintlichen Überzeugungen zu kommen.
Abb. 2 Eisberg des Vertrauens. Eigene Darstellung in Anlehnung an Göpf Hasenfratz
Einschärfungen
Besonders einschränkend können auch sogenannte Einschärfungen wirken. Unter Einschärfungen versteht man in der TA Grundverbote und destruktive Botschaften, die in früher Kindheit meist in nonverbaler Weise auf uns eingewirkt haben und von unseren Eltern oder deren Ersatzpersonen unbewusst vermittelt wurden. Im Zusammenhang mit Vertrauen und Selbstvertrauen sind die folgenden Einschärfungen besonders beeinträchtigend: «Vertraue nicht! Trau niemandem!» oder «Schaff es nicht - nichts wird dir gelingen!» oder «Unternimm nichts, entscheide nichts - sonst endet es mit einer Katastrophe» oder «Werde nicht erwachsen - werde nicht selbständig!». Dass Einschärfungen dieser Art massiven Einfluss auf das persönliche Verhalten als erwachsene Person haben, ist selbstsprechend.
Selbstvertrauen und das tiefe Vertrauen
Ein weiterer sehr bedeutsamer Themenkreis innerhalb der Tiefenstruktur sind die Themen Selbstvertrauen sowie das tiefe Vertrauen. Selbstvertrauen ist das Vertrauen in sich selbst, in das eigene Können und das Vertrauen in das Durchhaltevermögen der eigenen Fähigkeit. Wie weiter oben im Zusammenhang mit der Vertrauensbrücke dargestellt, stellen Mut und Selbstvertrauen den unverzichtbaren Innenpol des Vertrauens dar. Die Basis des Vertrauens ist das tiefe Vertrauen. Der letzte Grund des Vertrauens – die Tiefe des Vertrauens, besteht aus Sicht der Existenzanalyse aus den drei Komponenten: Unbedingte Selbsttreue, Urvertrauen und Grundvertrauen (Längle 2009 und 2014). Die unbedingte Selbsttreue ist ein Vertrauen in die Fähigkeit und Bereitschaft, sich selbst unbedingt treu zu sein und unter allen Umständen zu sich zu stehen. Die unbedingte Selbsttreue äussert sich im Gefühl: «Ich bin bei mir aufgehoben». Das Urvertrauen stammt aus prägenden Früherfahrungen der ersten Lebensjahre, dass Menschen in lebenswichtigen Zeiten bedingungslos zu einem gehalten haben. Es ist ein anhaltendes Grundgefühl des Versorgtseins; dass jemand da ist, wenn man ihn braucht. Das Grundvertrauen ist der letzte Grund von allem Vertrauen und bezieht sich auf die Erfahrung, dass immer etwas da ist, das auffängt und Halt gibt. Das Grundvertrauen läuft auf das Gefühl hinaus, dass es «nie aus ist, sondern immer irgendwie weitergeht.» Bei gutem Ur- und Grundvertrauen fällt das Vertrauen leichter. Der im tiefen Vertrauen geborgene Mensch ist geborgen – komme, was wolle. Das tiefe Vertrauen hat eine spirituelle Dimension: Ein Vertrauen auf etwas Unsichtbares, mich Überschreitendes (Transzendenz). Für die Stärkung des tiefen Vertrauens bestehen in allen Weisheitstraditionen kraftvolle Übungswege.

Dies waren einige Hinweise zur Tiefenstruktur des Vertrauens. Wie einleitend ausgeführt genügt es nicht, sich des adäquaten Verhaltens bewusst zu sein bzw. Verhalten einzuüben. Vielmehr geht es darum die ‘Innenseite des Verhaltens’ – die Tiefenstruktur zu kennen. Denn Verhalten lässt sich zwar einüben, aber die inneren Vorgänge folgen nicht demselben Lernmodell, und gerade sie bestimmen ‘im Ernstfall’ entscheidend mit über die Qualität des Zwischenmenschlichen. Wer Spielball seiner psychischen Kräfte ist, kann schwerlich gelassen und umsichtig handeln. Deshalb erachte ich eine gute Selbstkenntnis sowie das Investieren in das eigene persönliche Wachstum als unerlässlich, wenn es das Thema Vertrauen geht.


Abb. 3 Vertrauenskreuz, eigene Darstellung in Anlehnung an Bernhard Schibalski (Seminarunterlagen)
DAS VERTRAUENSKREUZ NACH SCHIBALSKI
Abschliessend möchte ich noch auf das Konzept der Grundpositionen eingehen. Grundpositionen sind die grundlegenden Überzeugungen, die jemand über sich selbst und die anderen Menschen gewinnt. Besonders deutlich zeigen sich die Grundpositionen in Krisen und bei grösseren Herausforderungen. Die Grundpositionen sind entscheidend dafür, wie wir im Zusammenspiel mit unseren Mitmenschen unser Leben gestalten. Die TA unterscheidet die vier Grundpositionen: (1) Ich bin ok / du bist ok, (2) Ich bin ok / du bist nicht ok, (3) Ich bin nicht ok / du bist ok, (4) Ich bin nicht ok / du bist nicht ok. Das Konzept der Grundpositionen ist mit Blick auf das Thema Vertrauen besonders aufschlussreich. Mein langjähriger Ausbildner Bernhard Schibalski, lehrberechtigter Transaktionsanalytiker im Bereich Organisation, hat das Konzept der Grundpositionen in den Kontext von Vertrauen und Selbstvertrauen gestellt und in der Form des ‘Vertrauenskreuzes’ ausdifferenziert. Dieses aufschlussreiche Konzept möchte ich – auch im Sinne einer Zusammenfassung dieses Artikels – näher ausführen.
Entscheidend für gute oder schlechte Kommunikation ist die Vertrauensorientierung des Kommunikators: Vertrauen in sich selbst, also Selbstvertrauen, und Vertrauen in die Umwelt, mit der er kommuniziert. Wie Abb. 3 zeigt, müssen die Dimensionen Vertrauen und Selbstvertrauen in einem Zusammenhang gesehen werden. Ein autonomes, offenes Kommunikationsverhalten ist nur in der Kombination von Vertrauen und Selbstvertrauen möglich. Alle anderen Kombinationen führen zu unproduktiver Kommunikation und Zusammenarbeit.

Bei grossem Selbstvertrauen und Vertrauen in andere ist unser Verhalten autonom und unabhängig und wir sind für andere offen. Wir nehmen unsere Bedürfnisse wie auch die Bedürfnisse anderer wahr und sind bestrebt, sie in unseren Handlungen zu berücksichtigen. In Verbindung mit Misstrauen gegenüber anderen wird das Selbstvertrauen zur Überheblichkeit. Wenn die Missbilligung der anderen dazu dient, das Selbstvertrauen hochzuhalten, empfinden wir dieses Verhalten als arrogant-aggressiv. Ich muss den anderen klein machen, um mich überlegen fühlen zu können. Die Gegenposition ergibt sich aus der Kombination von Selbstzweifeln und Vertrauen in andere bzw. Hoffnung auf andere. Aus dieser Position des ‘Ich bin nicht o.k. – du bist o.k.’ werten wir uns selbst ab und empfinden uns als abhängig von anderen und ihrer Hilfe. Wir machen uns selbst klein, um anderen zu gefallen bzw. ihre Zuneigung zu bekommen. In der Kombination von Selbstzweifeln und Misstrauen in andere empfinden wir uns in einer hoffnungslosen Situation, in der uns alles sinn- und nutzlos erscheint.

Auch wenn wir uns zeitweilig in allen vier Grundpositionen erleben können, so werden wir möglicherweise dennoch entdecken, dass uns eine der Positionen vertrauter erscheint, wir diese Position häufiger bzw. intensiver einnehmen als die anderen Positionen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir diese Position im Konfliktfall einnehmen, wenn das Selbstvertrauen und das Vertrauen in andere in Frage gestellt werden. Pauschale Einschätzungen wie: «Im Grossen und Ganzen habe ich schon genügend Selbstvertrauen und Vertrauen in andere» sollten vermieden werden, denn sie sind wertlos, da sie die tatsächliche Situation tröstend verschleiern. Besser ist es, sich zu fragen: «In welchen spezifischen Situationen, im Zusammenhang mit welchen Personen, fühle ich mich besonders stark und fähig?» bzw. «Wann schwindet mein Vertrauen schlagartig?» Antworten auf diese Fragen bringen uns vermutlich weiter, weil sie näher an die Ursachen für Vertrauenseinbrüche führen.

Mit diesem Artikel ging es mir darum, ein differenziertes Verständnis zum vielschichtigen Begriff des Vertrauens zu entwickeln. Dabei dürfte deutlich geworden sein, dass der Weg zu vertrauensvollen Beziehungen kaum über das Einüben von neuen Verhaltensweisen gelingen kann. Vielmehr braucht es dazu Bewusstsein, Entschiedenheit und – vor allem – die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, den eigenen Prägungen und Mustern. Dies bedeutet ein Investieren in persönliches Wachstum. Für die persönliche Lebensführung ist es eine entscheidende Frage, ob ich aus dem Vertrauen und der Gelassenheit oder eher aus der Angst lebe. Zweiteres tendiert immer wieder dazu, sich Sicherheiten zu schaffen und die Kontrolle behalten zu wollen. Da Vertrauen in allen Lebensbereichen von höchster Bedeutung ist, könnte die Arbeit an sich selbst durchaus auch als ‘seelische Vermögensbildung’ aufgefasst werden.
Literaturverzeichnis
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Stewart I / Joines V (1990): Die Transaktionsanalyse. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau
Stefan Marti
Freiberuflicher Organisationsberater und Coach bso
Dipl. phil. II. Naturwissenschaftliches und ökonomisches Studium
Mehrjährige Aus- und Fortbildungen in systemischer Beratung, Transaktionsanalyse und Existenzanalyse
Arbeitsschwerpunkte: Organisations-, Team- und Führungsentwicklung, Supervision, Persönlichkeitsentwicklung, Coaching und persönliche Wegbegleitung
Dozent an der Kalaidos Fachhochschule in Organisationsentwicklung und Führung
Buchautor
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