Young

Ein Projekt, das inspiriert: Schule als Motor für eine Gerechtere Gesellschaft

// Kathinka Enderle //
Schüler*innen in Mals hinterfragen Barrieren, fehlende Sichtbarkeit und ungleiche Chancen. Ihr Projekt zeigt: Veränderung braucht aktives Handeln.
© SOGYM Mals
Ein starkes Zeichen aus Mals: Veränderung fängt oft in der Schule an
Gleichberechtigung ist ein großes Wort. Doch ist es auch Realität? Oder haben wir uns längst daran gewöhnt, dass Frauen in der Politik kaum vertreten sind, soziale Ungleichheiten fortbestehen und weibliche Erfolge oft übersehen werden? Warum ist das so? Und viel wichtiger: Warum nehmen wir es hin?

Schulen formen die Gesellschaft von morgen. Wenn wir nicht hier beginnen, Gleichberechtigung aktiv zu leben, wann dann? Das Sozialwissenschaftliche Gymnasium in Mals hat das erkannt und mit einem interdisziplinären Projekt ein starkes Statement gesetzt. Denn Veränderung beginnt dort, wo mutige Fragen gestellt werden – ehrlich, kritisch und ohne Angst vor unbequemen Antworten.
Geschichte neu denken – für eine gerechtere Zukunft
Die Schüler*innen in Mals haben sich mit zen­tralen Fragen unserer Gesellschaft auseinandergesetzt: Warum klaffen Anspruch und Wirklichkeit bei der Gleichberechtigung oft auseinander? Welche Frauen der Geschichte verdienen mehr Sichtbarkeit? Was behindert die Repräsentation in der Politik? Ist unsere Gesellschaft wirklich inklusiv? Wie beeinflusst das Geschlecht die Medizin? Und warum wissen wir so wenig über die Frauen, die unsere Geschichte geprägt haben? Ein Schwerpunkt des Projekts war es, vergessene Frauen der Geschichte ins Licht zu rücken. Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Denkerinnen – Frauen, die Großes geleistet haben, deren Namen aber oft in den Hintergrund gedrängt wurden. Warum mussten Frauen wie Jane Austen oder Katherine Johnson so lange um Anerkennung kämpfen? Und wer wird heute noch übersehen?
Junge Menschen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, verändern nicht nur ihr eigenes Denken, sondern schaffen die Basis für eine gerechtere Zukunft. Denn wie sollen wir Gleichberechtigung erreichen, wenn wir unsere Vergangenheit nicht aus einem neuen Blickwinkel betrachten?

Wie lange wollen wir noch warten?
Schule ist mehr als ein Ort des Lernens – sie ist ein Ort des Denkens, des Fragens, des Infragestellens. Doch nutzen wir diese Chance wirklich? Fördern wir Mädchen und Jungen gleichermaßen? Bringen wir jungen Menschen bei, dass Gleichberechtigung mehr ist als nur ein Wort – dass sie echte Veränderungen im Alltag bedeutet? Oder halten wir noch immer an alten Mustern fest, weil sie bequem sind?

Das Projekt in Mals zeigt: Veränderung ist möglich - wenn wir sie zulassen. Gleichberechtigung ist keine Vision, kein „nice to have“. Sie ist eine Frage der Gerechtigkeit. Und eine Aufgabe für uns alle. Die Schüler*innen in Mals haben einen Anfang gemacht. Wer folgt?

Think

Die Magie der Göttinnen

// Kathinka Enderle //
Weiblichkeit neu sehen, neu erzählen, neu leben
Raetia 2010
Kunst als Brücke zur weiblichen Urkraft: Seit jeher verkörpern Göttinnen die ungezähmte, schöpferische Kraft des Lebens – eine Energie, die in Mythen und Kunst überliefert ist und heuteneu entdeckt wird. Künstlerin und Kunsthistorikerin Thea Unteregger (Amathea) bringt vergessene Göttinnen ins Bewusstsein und schafft neue Ausdrucksformen des Weiblichen. Ihr Werk würdigt die Vielfalt weiblicher Energie und verbindet Kunst,Spiritualität und Wissenschaft. Dabei eröffnet sie Räume, um Weiblichkeit jenseits von Rollenbildern zu leben, die Urkraft neu zu spüren und Selbst­ermächtigung zu ermöglichen.
Thea Unteregger setzt sich als Künstlerin (Amathea) und Kunsthistorikerin intensiv mit Weiblichkeit und der Symbolik vergessener Göttinnen auseinander. Schon früh hinterfragte sie gesellschaftliche Normen und verwendete in ihrer Schulzeit 1991 konsequent gendergerechte Sprache – lange bevor dies in Südtirol üblich war. Während ihres Kunstgeschichtestudiums erkannte sie, dass viele überlieferte Wahrheiten männlichen Machtkämpfen entsprangen, etwa die Reduktion Marias auf ein bloßes „Gefäß“. Auf der Suche nach weiblichen Spuren in der Geschichte stieß sie auf kraftvolle Bilder und Erzählungen, die ihr Weltbild erweiterten: den Hymnus an die Göttin Inanna, in dem diese sich voller Selbstverständlichkeit an einen Apfelbaum lehnt und die Schönheit ihrer Vulva betrachtet, oder die starken Frauenfiguren der Dolomitenmärchen. Besonders prägend war für sie die Auseinandersetzung mit der Schwarzen Madonna, über die sie 2010 für die Arunda 78 „Gott, weiblich“ schrieb. Ihre Recherchen zeigten, dass es keine theologische oder kunsthistorische Erklärung für diese Darstellungen gab – es sei denn… frau gräbt tiefer, im Kontext alter Göttinnen-Traditionen. Diese Erkenntnisse führten sie zur intensiven Beschäftigung mit weiblichen Symbolen, zyklischen Lebenskräften und den Göttinnen der Alpen. Sie erkannte, dass das Wissen um weibliche Kraft nie wirklich verloren ging – sondern über Jahrhunderte vereinnahmt und unsichtbar gemacht wurde und doch alles durchzieht.
Nach zehn Jahren Arbeit – parallel zu Museumsprojekten und als Mutter von drei Kindern – erschien 2020 ihr Buch „28 Göttinnen“ im Raetia Verlag. Mit ihrer Kunst und Forschung bringt Thea Unteregger uraltes weibliches Wissen zurück ins Bewusstsein und zeigt: Die Göttinnen und die weiblichen Urkräfte waren nie verschwunden – sie warten nur darauf, wiederentdeckt zu werden.

Der weibliche Blick gestärkt
Amathea ist ungebändigt und wild – zu magisch für starre Kategorien, zu frei für jede Religion. Sie ordnet sich nicht ein und schafft es, mit all ihrer Vielfalt Besucher*innen tief zu berühren und zum Nachdenken anzuregen.
„Meine Erfahrung ist, dass meine Kunst schwer einzuordnen ist. Das gilt weniger für Menschen, mehr für Institutionen. Meine Kunst ist spirituell, doch weit entfernt von jeder Religion, für zeitgenössische Kunst ist sie zu magisch und zu märchenhaft. Sie hat schamanische Elemente und verweigert klassische Symbole, sie hat eine kulturhistorische Basis, doch die ist nur mehr schwer zu erkennen. Die Begegnungen mit den Besucher*innen in den Ausstellungen sind oft sehr schön. Die Collagen und Figuren berühren sie, lassen etwas anklingen, was sich an Vorstellungen und Einteilungen vorbeischlängelt. Ich freue mich über den Austausch und über jede Rückmeldung. Wir alle sind es gewohnt, Frauen mit einem männlichen Blick zu betrachten. Den weiblichen Blick auf die Welt und auf uns selbst beginnen wir erst zu entdecken. Manche indigenen Völker und manche matriarchalen Kulturen haben Spuren für uns hinterlassen, an denen wir uns inspirieren können: Was, wenn für mich selbst zu sorgen damit zusammenfällt, mich um andere zu kümmern? Was wäre, wenn die Welt ein zutiefst magischer Ort ist? Wie fühlt es sich an, wenn die Zeit keine Linie ist, sondern ein Zyklus oder eine Ansammlung von Orten?“

Intuitive Ausdrucksformen
Theas Kunst entzieht sich klassischen Weiblichkeitsbildern – sie ist stark, ungezähmt, vielschichtig, ob in Collagen, Workshops oder interaktiven Installationen. Ihren inneren Impulsen folgend, erschafft sie neue Perspektiven, und berührt Menschen auf ganz unterschiedliche Weise.
„Wenn ich mich tief mit Weiblichkeit einlasse, dann verlasse ich die Sicherheit der Eindeutigkeit. Weiblichkeit ist eine sehr integrative Kraft. Es ist oftmals eine Ausdrucksform wahr – und die gegenteilige auch. Dann kommt eine dritte Position dazu, bei der dreißigsten höre ich auf zu zählen. Da findet die heilige Gottesmutter Maria ihren Platz, genauso wie die kämpferische Dolasilla, eine entschlossene Salige, ebenso wie eine wilde und wunderschöne Percht oder eine herrlich starke und freie Fangga. Wir brauchen sie alle.
Ich drücke mich auf vielerlei Weise aus: Ich collagiere, halte Workshops, entwickle Materialien, ich modelliere und arbeite mit Textilien, ich kreiere Sticker, ich animiere Filmsequenzen, ich gestalte interaktive Settings – dabei folge ich meinen inneren Impulsen. Das ist keine Autobahn, das ist ein Netz von kaum sichtbaren Pfaden über und unter der Erde. Ich brauche diese vielen Ausdrucksformen, um die Menschen zu erreichen. Die einen können mit meinen Texten nichts anfangen, verwenden aber die digitalen Sticker. Die anderen öffnen sich, wenn sie an meinen Materialstationen sitzen oder lassen sich von den großformatigen Collagen berühren. In der Ausstellung, die ich mit Sieglinde Tatz-Borgogno zum Thema „Göttin sein“ gestaltet habe, gab es einen Vulvasitz, den ich genäht habe. Rund um diesen Sessel hatte ich wunderschöne Gespräche mit Frauen und mit Männern über die Vulva und die Klitoris. Anderen Besucher*innen war das zu viel, sie gingen einfach vorbei und beschäftigten sich mit den anderen Werken.“

Eine invidiuelle Sprachmelodie
Kunst bewahrt nicht nur Vergangenes, sondern formt auch Neues. Thea erspürt die Essenz der Göttinnen im Hier und Jetzt – jedes Mal aufs Neue. Ihre Geschichten bleiben lebendig, wandeln sich mit jeder Erzählung und jeder Perspektive – und bringen viele Formen der Kunst mit sich.
„Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Schrift. In einer Kultur ohne Aufzeichnungen wird Wissen immer von Menschen weitergegeben: Alle Gedanken und Botschaften existieren nur mit einer persönlichen Sprachmelodie, einer individuellen Intonation, verkörpert von einer bestimmten Person in einem speziellen Moment. So ist das auch mit den Göttinnen. Ich erzähle sie, und ich erspüre ihre Essenz, jetzt und hier, im 21. Jahrhundert. Jedes Mal, wenn ich sie erzähle, werden sie neu. Und wenn eine andere Person sie erzählt, geschieht das auch.
Ich arbeite gerade an einem Fantasy-Roman zu den Dolomitensagen, was mir viel Spaß macht. Da gehe ich sehr frei mit dem Stoff um. Ich achte beim Schreiben darauf, dass ich mich selbst und meine Vorstellungen, wie etwas zu sein hat, zurücknehme und der Geschichte ihren Lauf lasse. Ich muss darauf vertrauen, dass ich die Impulse, die von den mythischen Figuren ausgehen, mit meinen Worten umsetzen kann, in unser jetziges Leben bringen kann. Das ist ein spannender Prozess.”

Bilder, die Welten eröffnen
Viele Frauen sind von ihrer eigenen Kraft entfremdet. Kunst kann dabei ein mehrschichtiger Weg sein, sie mit ihrem inneren Wissen und ihrer Größe wieder in Verbindung zu bringen.
„Die Kraft der Kunst geschieht auf zwei Ebenen. Die eine ist rein energetischer Natur: die Werke wirken, einfach weil sie da sind, selbst wenn sie niemand sieht. Wie eine Akupunktur der Welt. Auf der anderen Ebene prägen uns alle Bilder, die wir sehen, die Erlebnisse, die wir haben. Kunst kann Ahnungen wecken, dass es auch anders sein könnte. Es ist in Ordnung, wenn ich Nein sage zu bestimmten Anfragen. Es gibt vielleicht einen anderen Blick auf meine Cellulitis, der freundlich ist. Es wäre möglich, dass ich beides haben kann und mich nicht entscheiden muss. Kunst öffnet Risse in der Weltsicht, das macht sie beunruhigend und befreiend. Sie kann das durch Konfrontation oder durch pure Schönheit erreichen, durch herzliche Berührung oder durch Ekel, es gibt tausend Arten.“

Das Patriarchat an der Wurzel packen & Weiblichkeit befreien
In einer Gesellschaft, die Weiblichkeit in starre Rollen drängt, holt Thea vergessene Göttinnen zurück ins Bewusstsein und hinterfragt die geistigen Grundlagen des Patriarchats. Was müssen wir glauben, um so zu leben, wie wir leben? Diese Frage treibt sie an – und prägt ihre Sicht auf die Bedeutung ihrer Arbeit.
„Zu meinem Buch ‚28 Göttinnen‘ wollte ich ein Kartenset kreieren. Ich habe mich dafür entschieden keine Figuren darauf abzubilden, sondern ich habe Zeichen für jede Göttin entwickelt. Ich weiß, wenn Frauengestalten zu sehen sind, dann heften sie sich in unser Gehirn, und unbewusst glauben wir dann, blond, schlank, klein … sein zu müssen, um diese Qualität zu verkörpern. Das wollte ich unbedingt verhindern. Die Weiblichkeit ist tatsächlich gefangen, und es ist an der Zeit, dass wir sie befreien. Mich haben schon immer die geistigen Grundlagen des Patriarchats interessiert: Was müssen wir glauben, um so leben zu können, wie wir leben? Einer der Pfeiler des Patriarchats ist die Überzeugung, dass in unserem Inneren ein wildes Tier haust und dieses Tier fühlt. Wir haben die Idee, dass Frauen mehr fühlen als Männer und deshalb stärker kontrolliert werden müssen. Jede Frau, die sich damit versöhnt, zu sein, wie sie ist, baut ein Stück Patriarchat ab. Jede Frau, die ihr Wesen, ihre Essenz liebevoll willkommen heißt, schabt an der Basis dieses Pfeilers. Das will ich fördern. Deshalb gestalte ich unsere Inspirationen, die Göttinnen, so vielfältig wie irgend möglich. Ich will, dass das Korsett der Schönheits-OPs und der Botox-Spritzen aufplatzt und die millionenfache Fülle der weiblichen Vielfalt herausquillt. Wir haben das Recht auf eine unendliche Fülle an Möglichkeiten uns auszudrücken. Etwas anderes wäre unter unserer Würde. In diesem Zusammenhang sollten wir auch unsere Kleidung überdenken. Wäre es nicht schön, statt 300 Kleidungsstücken nur 20 zu haben und die dafür maßgeschneidert? Wäre es nicht angenehm, Kleider zu haben, wo ich nicht die Ärmel aufkrempeln muss und die Hosenbeine zu kurz sind? Ein Kleid, das sich mir anpasst, statt der Vorstellung, dass ich meine Leiblichkeit dem Standard anpassen muss?“

Für dich – die Kraft des Lebens
Mit Theas weiblichem Blick erinnert ihre Kunst daran, dass weibliche Kraft, wie die Essenz der Göttinnen, nie verschwunden sind – sie müssen nur, genauso, wieder sichtbar gemacht werden. Sich selbst zu erinnern, dass das Leben für uns ist, ist ihr ein Anliegen, Frauen mitzugeben.
„Du bist nicht allein. Finde deine Schwestern unter den Menschen, aber auch bei den Wesen in der Natur, auch in den Tönen und Farben. Du bist ständig von Liebe umgeben. Mama Gaia liebt dich sehr mit ihrer Anziehung. Die Sonne liebt dich mit Wärme. Das Wasser liebt dich fließend, der Wind liebt dich brausend. Das ist alles für dich. Betrachte das als Anlass, um dich ernst zu nehmen und zu entfalten.“

Nächste Ausstellungen
27. Juli – Kommende Lengmoos
21. Oktober – Galerie der Associazione Artisti, Bindergasse 4, Bozen