Häufige Fragen und Antworten

14. Können Impfungen zu Autismus führen?

Um diese Frage zu beantworten, müssen der Ursprung der Debatte, ihre Entwicklungen in Großbritannien sowie die jüngsten Ereignisse in Italien betrachtet werden.
Der Ursprung der Debatte
Autismus ist eine komplexe Erkrankung des zentralen Nervensystems: Sie betrifft vor allem die Kommunikation, das Verhalten und das soziale Verständnis. Zu den ausgeprägtesten Symptomen gehört der starke soziale Rückzug: Autistische Kinder antworten nicht, wenn sie beim Namen gerufen werden, sie vermeiden den direkten Blickkontakt und nehmen scheinbar weder die Gefühle ihres Gegenübers noch ihre Umgebung wahr. Laut den neuesten Eurispes-Daten leiden in Italien etwa 6-10 von 10.000 Kindern an Autismus. In den Industrieländern scheint dieses Phänomen zuzunehmen.
Diese Zunahme könnte auf bestimmte, derzeit noch unbekannte Umweltfaktoren zurückzuführen sein, aber zum Teil auch auf die Fortschritte bei der Diagnosestellung: Kürzlich wurden nämlich Kriterien festgelegt, anhand derer eine einfachere und genauere Autismus-Diagnose gestellt werden kann. Dadurch ist aber nicht die tatsächliche Anzahl der Fälle gestiegen, sondern lediglich die Möglichkeit, diese zu erkennen. Eine Langzeitstudie an 677.915 dänischen Kindern zeigte in diesem Zusammenhang, dass die in den letzten Jahren verzeichnete Zunahme der beobachteten Autismus-Fälle in Wirklichkeit größtenteils (60%) auf das veränderte Aufnahmeverfahren der Fälle zurückzuführen ist (Veränderung der Diagnosekriterien und Mitberücksichtigung der Patienten ohne Krankenhausaufenthalte) (Hansen 2015).
Eine 1998 in Großbritannien in der Fachzeitschrift Lancet (Wakefield 1998) veröffentlichte Studie legte die Vermutung nahe, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR-Impfung) zu einer Darmentzündung führen könnte; dies würde wiederum zu einer erhöhten Darmdurchlässigkeit führen, wodurch toxische Stoffe ins Blut gelangen könnten, die das Gehirn schädigen und Autismus bewirken könnten. Unmittelbar nach der Veröffentlichung wurden bereits verschiedene Mängel der Studie aufgezeigt: Sie beschränkte sich auf lediglich 12 Kinder, vernachlässigte die Tatsache, dass 90% der britischen Kinder die MMR-Impfung im selben Alter erhielt, in dem Autismus in der Regel diagnostiziert wird, und stellte keinen Vergleich zwischen der Häufigkeit der Krankheit bei geimpften und nicht geimpften Kindern an. Einige Jahre später dementierten mehrere Autoren der Studie deren Fazit und nahmen mit einer in der Zeitschrift Lancet veröffentlichten Aussage davon Abstand (Murch 2004).
2002 veröffentlichte derselbe Autor einen neuen Artikel (Uhlmann, Wakefield 2002): Bei dieser neuen Studie wurde das genetische Material des Masern-Virus (RNS) in Darmbiopsien autistischer und gesunder Kinder untersucht. Die Studie belegte das Vorhandensein des genetischen Virusmaterials (RNS) in den meisten autistischen Kindern und nur in einem kleinen Teil der gesunden Kinder. Die Studie berücksichtigte jedoch nicht die Tatsache, dass der Masernimpfstoff ein Lebendimpfstoff ist und sich folglich verimpfte, abgeschwächte Viren in den Zellen des Impflings vermehren. Mit Beginn der Vermehrung wird das Virus von den Immunzellen angegriffen (diese sind im gesamten Organismus verteilt). Demnach ist es völlig normal, das Virus im Darm oder anderswo vorzufinden. Um die Gene des Virus in den Biopsien auszumachen, wurde die Laboruntersuchung RT-PCR durchgeführt. Während eines späteren Gerichtsverfahrens (United States Court of Federal Claims, 2007) gab Nick Chadwick, ein Mitarbeiter Wakefields, an, Wakefield habe die Ergebnisse mittels RT-PCR bewusst gefälscht.
Die Entwicklung der Debatte in Großbritannien
Es hat sich herausgestellt, dass die Finanzierung der Studie von Wakefield von einer Gruppe von Anwälten, die Familien mit autistischen Kindern bei der Schadensersatzklage vertraten, getragen wurde. Zudem hatte Wakefield 1997 (also vor der Veröffentlichung der Studie) ein Patent für ein neues Arzneimittel angemeldet, das seiner Überzeugung nach sowohl als Masernimpfung als auch als Therapie bei entzündlichen Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa und Morbus Crohn) dienen sollte.
In einer Reihe von Artikeln, die 2011 im British Medical Journal erschienenen sind, bewies der Journalist Brian Deer den wissenschaftlichen Betrug Wakefields. Anhand von Interviews, Dokumenten und Daten, die während der Anhörungen des General Medical Council (oberste britische Medizinervereinigung) offengelegt wurden, belegte Deer, dass Wakefield zahlreiche Fakten in der Krankengeschichte der Patienten gefälscht hatte, um seine Behauptung zu untermauern (Godlee 2011). 2010 wurde infolge dieser Ereignisse Andrew Wakefields „unethisches, unehrliches und verantwortungsloses Verhalten“ mit der Löschung aus dem britischen Ärzteregister und dem Berufsverbot in Großbritannien bestraft.
Die Folgen in Großbritannien
In Großbritannien hatte die Erkrankungszahl an Masern vor den Ereignissen um Wakefield dank der hohen Durchimpfungsrate ihr Rekordtief erreicht.
Nach Ausbruch der Autismus-Debatte ging die Anzahl der Impfungen zurück, wodurch es erneut zu Masern-Epidemien kam.
Eine hohe Anzahl an Masernfällen spiegelt sich in einer Zunahme von Krankenhausaufenthalten infolge von Komplikationen wieder. 2013 wurden beispielsweise im ersten Halbjahr 257 Patienten eingewiesen, von denen 39 schwerwiegende Komplikationen wie Lungenentzündung, Enzephalitis und Gastroenteritis aufwiesen.
Die nachstehende Grafik führt die jährliche Anzahl der Masern-Fälle in Großbritannien an; dabei handelt es sich um mittels Laboruntersuchung bestätigte Masern-Fälle [Quelle: Public Health England].
Die Folgen in Italien
2012 bestätigte ein Urteil des Arbeitsgerichts von Rimini den Zusammenhang zwischen der Verabreichung der Dreifachimpfung gegen Masern-Mumps-Röteln und dem darauffolgenden Auftreten von Autismus bei einem Kind. Dabei wurde das Gesundheitsministerium zu der für bleibende Impfschäden gesetzlich vorgeschriebenen Schadensersatzzahlung verurteilt.

Diese Nachricht fand im Fernsehen, in den Zeitungen, auf Webseiten sowie in den sozialen Netzwerken wie etwa Facebook großen Anklang.Angesichts dieses Urteils, das zu Protesten innerhalb der Wissensgemeinschaft führte, sind zwei Klarstellungen notwendig:
1. Bei Gericht findet keine wissenschaftliche Tätigkeit statt. Ein Gerichtssaal ist zwar der geeignete Ort, um Rechtsstreitigkeiten beizulegen, doch ist die Rechtsprechung weder unfehlbar, noch kann sie wissenschaftliche Beweise liefern;
Das in einem Arbeitsgericht angewandte Verfahren ist eine besondere Art des Zivilgerichtsverfahrens, das zur Beilegung arbeitsbezogener Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen und der gesetzlich festgelegten Vor- und Fürsorge dient. Man kann es als beschleunigtes Zivilverfahren bezeichnen, das sich durch Kürze und vereinfachte Regeln auszeichnet.
Es ist ein geeignetes Mittel, um arbeitsbezogene Angelegenheiten zu klären, doch nicht für fachspezifische und komplexe Sachverhalte wie mögliche Impfschäden. In einem derartigen Fall ist dieses vereinfachte Verfahren nicht geeignet, um die Wahrheit zu ermitteln. Das Gesundheitsministerium hat gegen das Urteil des Gerichtes von Rimini Berufung eingelegt; 2015 hat das Berufungsgericht von Bologna das Urteil aufgehoben, indem es einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus ausschloss.
Die Studien über einen Zusammenhang zwischen MMR-Impfung und Autismus
Um einen möglichen Zusammenhang zwischen der Masern-Mumps-Röteln-Impfung und dem darauffolgenden Auftreten von Autismus festzustellen, wurden zahlreiche Studien unterschiedlicher Art und bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen durchgeführt. Die nachstehende Tabelle führt die wichtigsten Untersuchungen an, die zu ein und demselben Ergebnis kamen: Ein Kausalzusammenhang kann ausgeschlossen werden. In der ersten Spalte ist das Studiendesign angegeben. Die anderen beiden Spalten geben die Studienbevölkerung und die Literaturnachweise an.


Wie lautet die Kernaussage dieser Studien?
Die Studien sind sich in den folgenden Punkten einig:
1. Es gibt keinen Kausalzusammenhang zwischen Impfungen und Autismus;
2. Zu diesem Schluss kamen unterschiedliche Studien, die an verschiedenen Bevölkerungsgruppen mittels unterschiedlicher Studiendesigns durchgeführt wurden;
3. Selbst bei Personen mit genetischen Risikofaktoren – etwa bei Geschwistern autistischer Kinder – wurde kein erhöhtes Autismus-Risiko festgestellt.
Autismus und Quecksilber
Im Zusammenhang mit Autismus wurde auch Quecksilber, das als Konservierungsmittel Thiomersal (oder Thimerosal) in der Vergangenheit in einigen Impfstoffen enthalten war, als mögliche Ursache für diese Störungen angenommen. Verschiedene Studien haben diese Annahme aufgrund folgender Überlegungen widerlegt (Nelson, Bauman 2003):
Autismus und Quecksilbervergiftung weisen unterschiedliche Symptome auf;
Leichte Quecksilbervergiftungen rufen nicht immer psychische Symptome hervor und selbst wenn, sind diese unspezifischer Natur;
Die pathologisch-anatomischen Befunde der beiden Krankheiten unterscheiden sich;
Studien über Langzeitfolgen an Bevölkerungsgruppen, die durch umweltbedingten Kontakt eine Quecksilbervergiftung erlitten hatten, haben keine Zunahme von Autismus-Fällen aufgezeigt;
Der Langzeitkontakt mit geringen Mengen durch eine fischreiche Ernährung (Kinder auf den Seychellen oder Färöer-Inseln) führt zu keinem erhöhten Autismus-Risiko;
Das in den Impfungen enthaltene Ethylquecksilber durchdringt die Blut-Hirn-Schranke mit größerer Schwierigkeit als Methylquecksilber (die für den umweltbedingten Kontakt mit Quecksilber verantwortliche Verbindung), da nur für letzteres ein aktives Transportsystem vorhanden ist, während es für das Ethylquecksilber keines gibt. Das bedeutet, dass bei gleicher zugeführter Menge die Konzentration an Ethylquecksilber im Gehirn geringer ausfällt;
Ethylquecksilber und Methylquecksilber weisen unterschiedliche Merkmale auf: Ersteres verbleibt für kürzere Zeit im Organismus, da es schneller ausgeschieden wird. Folglich reichert sich Ethylquecksilber weniger leicht im Organismus an und wirkt demnach weniger toxisch.

Verschiedene epidemiologische Studien konnten kein erhöhtes Autismus-Risiko bei Kindern feststellen, die mit thiomersalhaltigen Impfstoffen geimpft worden waren.
Könnten die mittels Spritze verabreichten geringen Quecksilbermengen zu minimalen oder kaum wahrnehmbaren Hirnschäden geführt haben, wenn wir nun Thiomersal als Ursache von Autismus-Störungen bei Kindern ausschließen, die Impfstoffe mit diesem Konservierungsstoff erhalten haben?
Die Antwort auf diese Frage liefert eine Studie an Kindern, die zwischen 1993 und 1997 geboren wurden. Diese wurden relativ komplexen neuropsychologischen Tests unterzogen, anhand derer selbst minimale Veränderungen des zentralen Nervensystems festgestellt werden können. Die Ergebnisse dieser Tests an Kindern zwischen 7 und 10 Jahren wurden mit dem Kontakt mit Quecksilber vor und nach der Geburt sowie während der ersten 7 Lebensmonate abgeglichen. Die Studie schließt einen Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit dem in Thiomersal enthaltenen Quecksilber und einem Defizit der neuropsychologischen Funktionen aus (Thompson 2007). Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine in Italien an mehreren Tausend Kindern durchgeführte Studie (Tozzi 2009).

Häufige Fragen und Antworten

15. Was zeigen die neuesten Erkenntnisse über Autismus-Störungen und deren Ursachen auf?

Die neuesten Studien belegen, dass die Anlagen für Autismus bereits vor der Geburt entstehen (Offit 2008). Dabei wurde Folgendes beobachtet:
a. Autismus kommt bei eineiigen Zwillingen besonders oft vor, folglich könnten genetische Faktoren die Entwicklung der Krankheit beeinflussen (Schendel 2014);
b. Eine schwedische Studie hat belegt, dass das Risiko einer autistischen Störung innerhalb der Familie eines Autisten höher ist als in der gesunden Bevölkerung, und dass es mit näherem Verwandtschaftsgrad zunimmt: Bei Geschwistern war es 10 Mal so hoch wie bei der restlichen Bevölkerung, während es bei Cousins doppelt so hoch war (Sandin 2014);
c. Besonders in den ersten Schwangerschaftswochen können bestimmte Umweltfaktoren das Risiko von Autismus-Störungen erhöhen. Bei Kindern, deren Mütter das Arzneimittel Talidomide genommen hatten, wurde Autismus häufiger festgestellt als bei Frauen, die es nicht genommen hatten (Chess 1978). Auch Kinder, deren Mütter in den ersten Schwangerschaftswochen an Röteln erkranken, weisen angeborene Missbildungen auf und erkranken leichter an Autismus (Strömland 1994).
Kürzlich hat eine Studie festgestellt, dass es bei autistischen Kindern bereits im Mutterleib zu einer Veränderung in der Hirnrinde kommt. Diese beobachteten Veränderungen betreffen gerade die Hirnregionen, welche jene Funktionen steuern, die bei Autisten beeinträchtigt sind, wie etwa die soziale Interaktion, das Gefühlserleben und die Kommunikation (Stoner 2014). Neben genetischen Faktoren tragen vermutlich auch Umweltfaktoren zur Entwicklung von Autismus-Störungen bei. Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass diese Faktoren während der Schwangerschaft auf die Entwicklung der Krankheit Einfluss nehmen.
Nachstehend werden zwei Beispiele dafür angeführt:
1. Es wurde festgestellt, dass besonders im dritten Trimester der Schwangerschaft der Kontakt mit einer hohen Feinstaubkonzentration das Risiko von Autismus-Störungen erhöht. Je stärker der Kontakt, desto höher ist das Risiko (Raz 2014);
2. Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft an Präeklampsie erkranken, weisen ein erhöhtes Risiko von Autismus-Störungen auf (Walker 2014). Präeklampsie ist eine Schwangerschaftskomplikation nach der zwanzigsten Schwangerschaftswoche, durch Bluthochdruck, erhöhtem Eiweißverlust durch die Nieren oder Schwellungen zeigt.