Thema

Weltweite Globalisierung

Text: Herbert Prugger
Grenzen sind offen für Waren, Menschen, Kapital, Wissen und Ideen
Globalisierung ist ein noch offener Prozess. Grenzen werden unsichtbar, durchlässig, Waren und
Kapital können ausgetauscht werden, Menschen können frei reisen, Wissen und Ideen zirkulieren,
Zusammenarbeit findet statt.
Die Globalisierung der Welt ist heute eine Tatsache. Ihre Kehrseite, also die Wirkung und Ergebnisse dieser heutigen Situation erleben wir in jedem Land. Besonders zu spüren ist sie natürlich in den sogenannten reichen Ländern und an den Grenzen zu ihnen. Es gibt nicht nur die „Wanderung“ der Waren sondern eben auch die „Wanderung“ der Menschen, eine Art „Durchwanderung“ bisheriger Monokulturen und „Monovölker“. Was sich in der Pflanzen- und Tierwelt abspielt, scheint sich auch in der Menschenwelt abzuspielen. Und bisher wirksame Gegenmittel scheinen nicht mehr richtig zu wirken, so dass die Rufe nach stärkeren und damit giftigeren Wirkstoffen immer lauter werden, auch wenn man um mögliche Folgen Bescheid wissen müsste.
Veränderung beim Einzelnen
Auf den ersten Blick scheint der einzelne oder eine Gruppe von Menschen wie der KVW ohnmächtig, also ohne Macht, da etwas zu ändern. Und der Einzelne wie auch der KVW haben nicht die Macht da konkret und schnell etwas zu ändern. Ändern kann sich nur der Einzelne, können wir uns nur selber. Wir können hoffen, dass es uns Viele nachmachen und dadurch sich auch insgesamt positive, d. h. lebenswürdigere Veränderungen ergeben.
Aber wie geht so etwas? Das Jahresthema des KVW der vergangenen beiden Jahre „kritisch, konstruktiv gestalten“ war eine „Brille“ und ein Hilfsmittel bewusster hinzuschauen, inne zuhalten und nachzudenken und andere Haltungen und Handlungen zu suchen und auszuprobieren. Hintergrund ist der Leitsatz der Katholischen Soziallehre, das „Sehen - Urteilen (= prüfen) - Handeln“. Der Leitsatz lädt ein, konkret und genau hinzuschauen. Es gibt schon einige Initiativen und Versuche, anders zu leben und zu handeln. Beispiele sind: Eine-Welt-Läden und -Gruppen, die OEW, das Haus der Solidarität, Bauernmarkt, alternative, biologische Landwirtschaft mit lokalem Vertrieb, die vielen und vielfältigen Hilfsprojekte. Jeder kann gerade beim Einkaufen entscheiden, was er oder sie konkret unterstützt und fördert. Hier hat der Einzelne als Konsument eine Macht, die er nutzen kann und soll. Mit vielen kleinen Veränderungen kann sich ein größeres Umdenken ergeben.
Im Kleinen etwas ändern
Dieses Thema hat auch der bekannte Schweizer Soziologe und Globalisierungskritiker Jean Ziegler aufgegriffen und er ist da recht positiv: er hofft auf eine neue, weltumspannende Zivilgesellschaft. Viele Initiativen gibt es bereits, die ein Stück die Welt verändern und einen Beitrag zu einer sozialen Ordnung leisten. Vor allem setzt er große Hoffnung in die Möglichkeiten, die Demokratien in der westlichen Welt bieten.
Vom seligen Josef Mayr-Nusser kann man lernen, dass es wichtig ist, sich gut zu informieren und sich mit den verschiedenen Strömungen und Ideologien der Zeit auseinanderzusetzen. Es ist aber auch wichtig, bei der Hilfe für die Schwachen und Armen keine Unterschiede zu machen bezüglich Nationalität, Sprache, sozialem Stand, ... Der Mensch soll gesehen werden, der konkrete Mensch, der Hilfe braucht. Ganz wie Papst Franziskus uns Christinnen und Christen wiederholt motiviert und auffordert.
„Die Welt wird nicht von Ideen verändert, sondern von Ereignissen“ hat die jüdische Philosophin und Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt gesagt. Wir erleben das heute negativ an den islamistischen Terroranschlägen.
Als Christen und Kirche haben wir aber viele Beispiele, die genau das Gegenteil zeigen: Die Welt kann zum Positiven und zu einem menschenwürdigeren Leben verändert werden, anfangs oft durch ein paar mutige Menschen mit Ausstrahlungskraft.



Thema

Entfesselt oder gelenkt?

Text: Lorenz Gallmetzer
Globalisierung und technologische Revolution müssen reguliert werden. Sonst drohen soziale und politische Konflikte sowie Umweltkatastrophen in großem Ausmaß.
Bunte Kleider der Afrikanerinnen, oftmals hergestellt in China. Krabben werden aus der Nordsee gefischt, in Marokko geschält und in europäischen Geschäften verkauft.
Foto: Margrit Diallo/pixelio
Mit dem Begriff „Globalisierung“ verbinden die meisten Menschen ein negatives, bedrohliches Gefühl. Die Welt scheint im wahrsten Sinn des Wortes grenzenlos geworden zu sein. Dabei hat das unzweifelhaft enorme Vorteile. Wir können in wenigen Stunden in entfernte Länder reisen, in Sekundenschnelle Briefe elektronisch ans andere Ende des Globus schicken und per Internet mit unseren Liebsten selbst dann „von Angesicht zu Angesicht“ live sprechen, wenn sie gerade tausende Kilometer entfernt im Urlaub sind. Im Supermarkt kaufen wir das ganze Jahr über Bananen, Trauben, Datteln, Mangos und Papayas. Steak aus Brasilien, Muscheln aus der Bretagne oder Lachs aus Norwegen kann man sogar in etlichen Südtiroler Restaurants ohne Tiefkühlung serviert bekommen – der freie Welthandel und die modernen Transportmittel machen es möglich. Ganz zu schweigen von den tausenden Billig- und Billigstwaren aus den Entwicklungs- und Schwellenländern die unsere Konsumtempel füllen, ob Kleider, Küchenutensilien, elektronische Geräte…ich erspare mir die Aufzählung.
Die ganze Welt ein einziger Markt

Die radikale Öffnung der Märkte durch Abbau früherer Schranken (Zölle, Norm-Standards, Schutzgesetze) für den Warentausch und für die Produktion in anderen Ländern hat die Weltwirtschaft kräftig angekurbelt. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern hat das für Arbeit und Nahrung gesorgt. Laut UNO ist die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen in nur 25 Jahren weltweit von 1,9 Milliarden auf „nur“ 830 Millionen gesunken. Besonders verbessert hat sich die Lage in China, in Indien, aber auch in Südostasien und Lateinamerika.
Die „magischen“ Antriebskräfte der Globalisierung lauten: offene Grenzen für Waren, Kapital und Arbeitskräfte, schneller und billiger Transport sowie allzeitige Blitz-Kommunikation. Und: immer schärferer Wettbewerb, sprich Konkurrenz. Durch Arbeitsteilung und Spezialisierung können die Profite der Unternehmen gesteigert, die Preise der Waren gesenkt werden. Die ganze Welt ein einziger Markt – das ist der Traum der Wirtschaft.
Die Kehrseite der Medaille

Bestimmen aber nur die Kräfte des freien Marktes die Regeln, dann kommt es zu bedenklichen bis perversen Fehlentwicklungen. Ein bekanntes Beispiel: Was haben die Garnelen (gamberi) aus der Nordsee, die wir im Supermarkt kaufen, mit Marokko zu tun? Die Krabbentiere werden aus der Nordsee gefischt, drei Minuten in heißem Wasser rosa gekocht und in LKW geladen. Mit Eis auf minus ein Grad gekühlt werden so jeden Tag Lastwagen mit je 20 Tonnen Garnelen auf die Reise geschickt, nach Marokko, 3.000 Kilometer weit. Dort werden sie von tausenden Arbeiterinnen händisch geschält und mit gekühlter Salzlake plus Koservierungsmittel wieder verpackt. Dann geht es drei Tage zurück in den Norden, wo die geschälten Tiere für den Supermarkt portioniert und abgepackt werden. 8 bis 10 Kilo der Tierchen schaffen die marokkanischen Frauen am Tag, für knappe 200 Euro Lohn im Monat. In Deutschland beträgt der Mindestlohn ca. 1.400 Euro. Die teuren Belastungen und Folgen für den Straßenverkehr und die Umwelt werden allerdings nicht vom Garnelenproduzenten bestritten.
Eine ebenso bedenkliche Folge des unbegrenzten Wettbewerbs ist vielerorts der Ruin der lokalen Wirtschaft. Die Billigprodukte der (auch noch subventionierten) Intensiv-Agrarindustrie der reichen Länder lassen den Bauern, Handwerkern und Kleinunternehmen in armen Ländern oft keine Chance. Selbst die bunten Traditionskleider für Afrikanerinnen kommen heute schon zum Teil aus China. Womit die Entwicklungsländer noch mehr zu Monokulturen und Rohstofflieferanten degradiert werden.
Aber selbst in den reichen Ländern gefährdet die ungezügelte Globalisierung das wirtschaftliche und soziale Gleichgewicht. Die Abwanderung der Industrie in Niedriglohnländer erzeugt Arbeitslosigkeit, mindert die Steuereinnahmen zugunsten der Gesamtgesellschaft und vergrößert die Schere zwischen Arm und Reich. Immerhin galten 2015 in Deutschland 20 Prozent der Bevölkerung – also jeder Fünfte – als von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht (EU-Schnitt: 23 Prozent). Außerdem gab es mehr als eine Million sogenannte „Aufstocker“, das sind Personen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, aber zusätzlich Hartz-IV-Sozialhilfe empfangen, weil das mit ihrer Arbeit verdiente Geld nicht zum Leben reicht.
Die entfesselte Finanz

Die Königsdisziplin der Globalisierung ist die Geldwirtschaft. Kein anderer Wirtschaftsbereich wurde so weltumspannend vernetzt und gleichzeitig so dereguliert wie die Finanzwirtschaft. Lief in den USA die Liberalisierung der Finanzmärkte schon seit den 1970er Jahren, so war in Europa der unter Margaret Thatcher 1986 beschlossene Big Bang entscheidend. Die Banken- und Börsenreform wurde von einer revolutionären Neuerung begleitet: ab sofort mussten die Broker an der Börse nicht mehr wedeln und schreien, es begann der Handel per Computer. Heutzutage wird ein bedeutender Teil der Geschäfte an den Börsen von Algorithmen automatisch abgewickelt, oft werden im Mikrosekundentakt Milliarden hin- und hergeschoben und Millionen verdient – durch Spekulation. Hochfrequenzhandel nennt sich diese Form der schnellen Wette auf das Steigen oder Fallen von Aktien und Wertpapieren, aber auch von Rohstoffen und Nahrungsmitteln – manche nennen es Kasinokapitalismus.
150 Konzerne beherrschen die Welt

Laut einer Studie Schweizer Wissenschaftler beherrschen knapp 150 multinationale Konzerne das weltweite Wirtschaftsgeschehen. Unter diesen wiederum sind reine Fonds- und Finanzierungsunternehmen dominant. Das derzeit mächtigste heißt BlackRock. 1988 mit einer Milliarde geborgtem Kapital gegründet, hat es heute 13.000 Mitarbeiter, verwaltet fünf Billionen US-Dollar und erzielte 2016 drei Milliarden Dollar Gewinn. 2.000 IT-Spezialisten führen pro Woche mithilfe von 5.000 Großcomputern 200 Millionen (!) Kalkulationen durch. Sie beobachten Unternehmen, Wirtschaftszweige, Rohstoffpreise, Konjunktur, Länder, politische Veränderungen etc., um die Gelder ihrer Kunden auf den Finanzmärkten richtig einzusetzen.
Technologische Revolution und Deregulierung haben einen globalisierten Turbokapitalismus geschaffen, der zwar Milliardenprofite für die ein bis zwei Prozent der Reichsten dieser Erde abwirft, aber ohne Rücksicht auf die Realwirtschaft, auf die sozialen, ökologischen und letztlich politischen Folgen. Die Rückkehr des Nationalismus und der Ruf nach einem starken Mann, ist nur ein Symptom der Verunsicherung und Angst unter den Menschen. Deshalb gehört es zu den dringendsten Aufgaben der demokratischen Kräfte und Regierungen, dass sie wieder für klare Spielregeln sorgen. Strenge Regeln für Finanzgeschäfte, Steuern auf Transaktionen, Schließung der Steueroasen, Rückkehr zu einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft im Interesse der Gesamtgesellschaft. Die Instrumente dafür gibt es oder kann man schaffen. Dazu braucht es allerdings den politischen Willen.