Thema

Zukunftsangst ist keine Lösung

Nimmt uns die Digitalisierung Arbeit weg?
Der Siegeszug der Technik hat auf die selbständige und die unselbständige unterschiedliche Auswirkungen.
Viele Menschen schauen mit gemischten Gefühlen auf die Zukunft der Arbeit – mit einer Tendenz zur negativen Sicht. Fast die Hälfte der Arbeitsplätze ist in den kommenden zwei Jahrzehnten bedroht. Das sagt zumindest eine Studie der Universität Oxford. Wie auch immer, Tatsache ist, die Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahren infolge des digitalen Vormarsches tiefgreifend verändern.
Josef Stricker,
geistlicher Assistent des KVW
Ursprünglich war vom technischen Fortschritt hauptsächlich die Industrie betroffen. Von dort ist er zeitlich später zum Handwerk übergesprungen. Nochmals später wurde die Landwirtschaft erfasst. Nur Handel und Dienstleistungen blieben lange Zeit so gut wie verschont. Mittlerweile ist die Elektronik dabei, die gesamte Bürotätigkeit – die private und die öffentliche – umzukrempeln, mit erheblichen Auswirkungen auf die Beschäftigung. Stichwort Arbeitsplatzabbau bei Banken, Versicherungen, Medienunternehmen. Noch ein Hinweis: Der Siegeszug der Technik hat auf die selbständige und die unselbständige höchst unterschiedliche Auswirkungen. Die unselbständige Arbeit und nur sie allein ist von der Gefahr bedroht, infolge der Produktivitätssteigerung massiv Arbeitsplätze zu verlieren.
Denkanstöße fürs Gestalten
In welche Richtung die Entwicklung geht, hängt nicht allein von der Technikentwicklung ab, sondern kann, muss gesellschaftlich und politisch gesteuert werden. Die Frage lautet: Wie kann technische Innovation in sozialen Fortschritt münden, der wiederum möglichst vielen Menschen zugutekommt? Anders formuliert, es geht darum Möglichkeiten auszuloten, wie die Arbeit der Zukunft menschengerecht gestaltet werden kann. Digitalisierung, Globalisierung ect. sind keine Naturereignisse, denen die Menschheit schicksalhaft ausgesetzt ist. Keinem Erdbeben, keinem Tsunami vergleichbar, nein, sie sind von Menschen gemacht und können daher auch gestaltet werden. Ich will noch deutlicher werden. Digitalisierung als vierte industrielle Revolution ist mit einer umfassenden Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zu begleiten. Eine rein markwirtschaftliche Digitalisierung ohne Korrekturen durch die Politik wäre eine große Gefahr.
Digitalisierung als Chance
Jesuitenpater Oswald von Nell Breuning - der vielleicht bedeutendste Vertreter der katholischen Soziallehre im 20. Jahrhundert - schrieb vor nunmehr dreißig Jahren: „Man kann nur darauf hinweisen, welche große Möglichkeiten der ständige Anstieg der Arbeitsproduktivität da erschließt, und versuchen, die Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass, wenn man sie nutzt, die Arbeitsproduktivität und deren Anstieg keinen Grund gibt zu Besorgnis und schon gar keinen Fluch für die Menschheit bedeutet, sondern einen Segen. Dieser Segen kostet allerdings seinen Preis. Dieser Preis besteht darin, dass wir uns der auf uns zukommenden Aufgabe nicht zu entziehen versuchen, dass wir vielmehr alles tun, um sie zu meistern.“
In Richtung Umgang mit Menschen
Ob es uns passt oder nicht, wir stehen vor einer Verlagerung der Arbeit von der Produktion in Richtung Umgang mit Menschen. Der menschliche Faktor wird zunehmend wichtiger. Neue Tätigkeitsfelder tun sich auf. Ich denke an die demografische Entwicklung, an die Vereinsamung einer rapide wachsenden Zahl von Menschen, an zerbrochene Lebensbiografien, an den weiten Bereich der Erziehung, der Bildung, der Kontaktpflege. Lauter Tätigkeiten, die von der Technik nie übernommen werden können. Es wird zu einer beruflichen Neu- und Umorientierung kommen. Die Arbeit geht uns mit Sicherheit nicht aus.
Text: Josef Stricker

Thema

Arbeiten will ich und zwar gut!

„Arbeiten will ich und zwar gut!“ – rufen uns der Arbeiter und die Arbeiterin auch in der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt zu und die Menschen haben ein Recht auf eine gute, menschenwürdige Arbeit, mit einem gerechten Einkommen und eine Tätigkeit, die der Verantwortung für die Umwelt und die neuen Generationen gerecht wird.
Wenn sich die Arbeitswelt auch verändert, gute Arbeit muss das Leitbild bleiben, das Augenmerk ist auf die Qualität der Arbeitsbedingungen zu richten




Karl H. Brunner,
Mitglied des KVW Vostands
Eine Arbeit in Südtirol
Trotz der niederschlagsarmen Wochen im Frühling haben die Bauern im Land im Sommer ihr Heu ins Trockene gebracht. Viele Menschen in unserem Verband kennen diese körperlich anstrengende Arbeit aus ihrer eigenen Lebensgeschichte. Sie wissen, was es bedeutet, die Hänge vor allem in den steilen Lagen zu bearbeiten. Wer hätte sich vor 60 Jahren gedacht, dass es auf Südtirols Bergbauernhöfen Heubelüfter, hochmoderne Mähmaschinen, ja manchmal sogar Heugebläse mit Förderbändern etc. geben wird, die diese – zugegeben immer noch schwere – Arbeit erleichtern? Aber nicht nur das: Urlaub am Bauernhof ist ohne Homepage und E-Mail nicht denkbar. Der technische Fortschritt bis hin zur Digitalisierung ist also am Hof angekommen, vereinfacht vieles und hat auch das Leben der Bauern nachhaltig verändert. Was für die Berglandwirtschaft gilt, gilt in noch größerem Ausmaß für den Dienstleistungssektor, das Handwerk, den Handel und ganz besonders für die Industrie: Schwere körperliche Arbeit wird erleichtert, die Entfernung spielt kaum mehr eine Rolle und kann mit einem Mausklick überwunden werden. Informationen stehen umfassend und jederzeit zur Verfügung, die Produktion kann mehr und mehr den Bedürfnissen angepasst, die Banküberweisung jederzeit – selbst in der Nacht und am Sonntag – getätigt werden, etc. Diese Beispiele zeigen: Die Welt ist „smarter“ geworden und zwar auch bei uns!
Eine Erfolgsgeschichte?
Liest man diese Zeilen, könnte man meinen, dass hier alles nur besser wird. Die Politik und große Interessensverbände z.B. in Deutschland schwärmen schon von der „Industrie 4.0“ und stellen Milliarden an Steuergeldern zur Förderung der Digitalisierung in den Unternehmen zur Verfügung. Als KVW besteht unsere Aufgabe darin, einen konstruktiv kritischen Blick auf diese Entwicklungen zu werfen. Wir fragen uns: Wie geht es den Menschen in dieser neuen Arbeitsrealität? Als Sozialverband dürfen und müssen wir noch einmal präzisieren: Wie geht es den Schwächeren in unserer Gesellschaft damit?
Es gibt ohne Zweifel Positives zu berichten und einiges davon wurde bereits angedeutet. Der Einsatz von Robotern und Maschinen hat beispielsweise schwere körperliche Arbeit deutlich erleichtert und wirkt sich positiv auf die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen aus. Die so genannte „Arbeit 4.0“ könnte auch aus ökologischer Sicht interessant sein: Während heute z.B. Sportschuhe in Massen produziert werden, nicht selten um die ganze Welt reisen und immer wieder in großen Hallen zwischengelagert werden müssen, eröffnen sich durch den technischen Fortschritt ganz neue Möglichkeiten: Der Kunde kann sich seinen Schuh im Internet nach Wunsch selber zusammenstellen. Damit kann die Produktion zielgerichtet erfolgen, die Massenproduktion kann verringert werden, Zwischenlager fallen weg und durch dezentrale Produktionsstätten, kann der Weg auch verkürzt werden. Studien gehen davon aus, dass z.B. durch den Einsatz von 3D-Druckern der Materialverschleiß massiv verringert werden kann.
Soziale Berufe im Aufwind
Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Herausforderungen, die von uns als Gesellschaft Antworten verlangen. Hier einige Beispiele: Besonders gering qualifizierte MitarbeiterInnen kommen durch die zunehmende Digitalisierung immer mehr unter Druck. Studien gehen davon aus, dass bis zu 47 Prozent der heutigen Arbeitsplätze verloren gehen aber auch neue für höher qualifizierte MitarbeiterInnen entstehen könnten. Damit geht auch eine Veränderung von Berufsbildern einher: Manche Berufe werden in Zukunft wohl überhaupt ganz verschwinden, während jenen im sozialen Bereich eher eine positivere Entwicklung vorhergesagt wird, weil die zwischenmenschlichen Beziehungen schwerer durch Computer und Roboter ersetzt werden können. Welche Perspektive können wir den „Verlierern“ in diesem Prozess dann aber bieten?
Die große Geschwindigkeit, mit der sich das Wissen vermehrt und auch wieder überholt, stellt für die Menschen ebenso eine Herausforderung dar, wie die zeitliche und räumliche Entgrenzung des Arbeitsplatzes. Wenn wir z.B. die E-Mails über das Handy auch von Zuhause aus „checken“, dann wird deutlich, dass hier Grenzen verschwimmen, was mitunter von Arbeitgebern auch verlangt wird. Was aber bedeutet dies für die nötigen Erholungs- und Familienzeiten, wenn wir rund um die Uhr erreichbar sind und damit die Arbeit auch immer „mitnehmen“?
Durch das Internet entstehen neue Formen der Beschäftigung, die bisher noch keine klare Regulierung erfahren haben. Ein Beispiel dafür ist das „Crowdworking“: Eine junge Mutter ist Grafikerin und stellt ihre Dienste über eine Internetplattform zur Verfügung. Da sie gut Englisch spricht, kann sie ihre Arbeitszeit weltweit anbieten. Auf den ersten Blick ist das durchaus attraktiv: Sie kann arbeiten, wann es die Betreuung ihres Kindes erlaubt und ist ihre eigene Chefin. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich auch die damit einhergehenden Probleme: Es gibt keinen kollektivvertraglich geregelten Lohn und keinen Arbeitsschutz, bei Krankheit kein Krankengeld und Stundenlöhne im untersten Einkommenssegment. Im Jahr 2016 waren ca. 112 Millionen Menschen auf diese Weise tätig. Diese Zahl macht deutlich, dass es sich dabei um kein Randphänomen handelt. Wie geht die Politik aber mit dieser Form einer „Anstellung von Selbstständigen“ um, wie es beispielsweise auch bei den Fahrern einiger Paket- und Taxidienste der Fall sein soll? Diese Menschen arbeiten von ihrer Tätigkeit und Abhängigkeit her in einem Angestelltenverhältnis. Formal und damit im Hinblick auf die soziale Absicherung tragen sie allerdings die Risiken der Selbständigkeit.
Einen Prozess aktiv gestalten
Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist eine Realität, die eine Reihe von Veränderungen anstößt. Wie bei allen Veränderungen gibt es auch hier beides: Chancen und Herausforderungen. Es geht letztendlich darum, diesen Prozess aktiv zu gestalten und zwar mit einer klaren Grundeinstellung, bzw. einem Leitgedanken. Für uns als Sozialverband ist klar: Der Mensch muss in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interesses gerückt werden und zwar nicht nur bei politischen Sonntagsreden. Die Digitalisierung darf nicht zu einem Ausgrenzungsphänomen verkommen. Es braucht Rahmenbedingungen, die ein gutes Leben für alle ermöglichen und zwar durch neue soziale Sicherungs- und Steuersysteme, die den Entwicklungen der zunehmenden Digitalisierung Rechnung tragen. Eine solidarische Ökonomie und ein nachhaltiger Lebensstil, der nicht auf Kosten der „Länder des Südens“ aufgebaut wird, sind Grundpfeiler einer friedlichen Gesellschaft. Damit die Jugend aber auch andere Menschen am Wohlstand und an der Gesellschaft teilhaben können, kann nicht genug in ihre Bildung investiert werden und die Menschen müssen diese Gelegenheit auch mit großer Eigenverantwortung wahrnehmen, um Grundkompetenzen entwickeln, erhalten und stärken zu können!
Aus diesen Zeilen wird deutlich, dass es nicht darum gehen kann, nur von anderen, von der Politik und den UnternehmerInnen etwas zu fordern. Wir alle sind dazu aufgerufen, unser Leben nach diesen Prinzipien auszurichten und uns mit Nachdruck dafür einzusetzen, unsere Gesellschaft engagiert in diese Richtung mitzugestalten. Wenn wir mit unseren Überzeugungen Netzwerke in unserem Land und darüber hinaus bilden, dann können wir mit unserer Dynamik auch andere „zur Bewegung“ anstecken und die Gesellschaft aktiv mitgestalten!