Thema

Politik - Gemeinwohl - Lobbying

Orientiert an der christlichen Soziallehre Einfluss nehmen
Aufgrund von zwei großen politischen Wahlen wird sich im Jahr 2018 in Südtirol vieles um die Politik drehen.
Der KVW macht Interessensvertretung. Er verfolgt die soziale Entwicklung im Land aufmerksam, nimmt Einfluss auf die öffentliche Meinung und die entsprechenden Stellen.
Werner Steiner,
KVW Landesvorsitzender
Das laufende Jahr 2018 ist eindeutig durch die verschiedenen Wahlen geprägt: zunächst die Parlamentswahlen in Rom und dann im Herbst die Landtagswahlen in unserem Land. Zeitungsmeldungen und viele Gespräche handeln von diesem Thema. Es ist dabei nicht leicht, sich ein klares Bild zu verschaffen. Die heutige Welt ist geprägt von den Medien und besonders die digitalen Medien nehmen immer mehr Einfluss aufs Leben der Menschen. Dabei ist kaum einer mehr in der Lage, die Vielzahl der Meldungen richtig einzuschätzen. Auch auf den Wahrheitsgehalt der Meldungen können sich Leser und Hörer nicht mehr verlassen. Der Begriff „fake news“ ist vielen bekannt.
Was kommt in die Medien
Die ältere Generation ist es gewohnt, dass Meldungen der Wahrheit entsprechen und man sich auf einen gewissenhaft recherchierenden Journalismus verlassen kann. Das scheint jedoch nicht immer der Fall zu sein. Sensationsmeldungen erhöhen die Verkaufszahlen, für den Bekanntheitsgrad einer Person zählt die Präsenz auf der Titelseite und schon beginnt sich der Teufelskreis zu drehen. Um auf die Titelseite zu gelangen muss ich etwas Ausgefallenes bieten. Es reicht eine derbe Wortwahl, haltlose Anschuldigungen und manchmal sogar nur die Art und Farbe der Kleidung. Aber auch die andere Seite stimmt mich nachdenklich. Viele wollen doch, dass der Politiker sich so präsentiert. Nicht sein Einsatz, seine Einstellung zur Sache sind wichtig, nein, die Bürger wollen ihn in den Medien sehen.
Manche Politiker wechseln ihre Partei je nachdem wo sie bessere Chancen für sich sehen, sie wechseln ihre Kernaussagen nachweislich und wir finden das nicht einmal bedenklich. Persönlich habe ich den Eindruck, wir wollen belogen werden. Ehrliche Politik mit Sachthemen im Vordergrund interessiert uns nicht, ist uns zu normal. Es ist für mich beinahe unglaublich, wenn ich höre, dass in bestimmten Politikkreisen erforscht wird, was die Menschen beschäftigt und dann genau dazu Stellung genommen wird. Experten verfolgen die sozialen Netzwerke, filtern die Themen aus und am Morgen kommt genau das in den Medien. Es geht nicht um eine Zukunftsentwicklung, sondern nur um ein möglichst „gutes“ Heute.
Keine einfachen Lösungen
Als KVW versuchen wir diesem Trend entgegenzuhalten. Unsere Monatsbriefe für die Ortsgruppen und unsere Verbandszeitschrift „Kompass“ sind Instrumente um unsere Ansichten vielschichtig zu beleuchten. Die geschriebenen Artikel werden ehrenamtlich erstellt und es ist gar nicht so einfach Menschen zu finden, die damit einverstanden sind. Die aufgegriffenen Themen sollen den Lesern und Mitgliedern Hilfestellung sein und auch sozialpolitisch bilden. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir an uns arbeiten müssen und bereit sein müssen, Hintergründe zu erfragen.
Populismus ist das nicht, der ist leichter zu verstehen: Es gibt ein Problem und eine Lösung. Ein gutes Beispiel ist die Migration, sie stellt uns vor ganz neue und unbekannte Herausforderungen. Die einfache Lösung wäre: Verbot der Flucht übers Mittelmeer und Bau einer Mauer an den Grenzen. Fertig, Problem gelöst! Mit solchen Vorschlägen beweist man vermeintliche Bürgernähe und gewinnt relativ leicht die Gunst der Massen.
Kontakt zur Politik halten
Lobbying ist laut Duden eine Form der Interessenvertretung. Eine Interessenvertretung versucht, die Entscheidungen von Abgeordneten zu beeinflussen. Der KVW sieht es als seine Aufgabe, die soziale Entwicklung im Land aufmerksam zu verfolgen und entsprechende Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und die entsprechenden Organe zu nehmen.
Dafür müssen die Ehrenamtlichen den Kontakt zu Politikern pflegen, es braucht einen Informationsaustausch und Gespräche. Dies hat nichts mit Wahlhilfe zu tun und ist auch nicht parteipolitisch orientiert. Es wäre schon wünschenswert, wenn alle unseren Einsatz im Sinne der christlichen Soziallehre verstehen könnten.
Text: Werner Steiner

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Politik?

Das Bohren von harten Brettern, aber mit Leidenschaft
„Die Politikbedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“(Max Weber, deutscher Soziologe, (1864 - 1920) | Foto: Uschi Dreiucker/pixelio.de
Es gibt viele und verschiedene Definitionen von Politik, aber einfach sind die Erklärungen nie. Günther Pallaver ist Professor für Politologie und geht für den Kompass der Frage nach „Was ist Politik?“.
Was ist Politik? Wenn doch die Antwort so kurz wäre wie das Wort! Es gibt eine Unmenge von Begriffsbestimmungen mit unterschiedlichen Gewichtungen: Politik ist die Sicherung und Ordnung des Zusammenlebens von Menschen. Politik ist der Kampf um die Benutzung von Macht. Politik ist die Kunst der Führung von Menschen in Gruppen. Politik ist der Kampf der Klassen und ihrer Parteien, von Staaten und Staatssystemen zum Zweck der Durchsetzung ihrer Interessen und Ziele. Und so weiter und so fort.
Gemeinsamen Nenner suchen
Suchen wir Hilfe beim großen Sozialwissenschaftler Max Weber (1864-1920), der gemeint hat, Politik sei ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Übersetzt heißt das, Politik ist kein leichtes Geschäft, das mit Schnellschüssen erledigt werden kann, und dass es neben Engagement auch Augenmaß braucht. Ein bisschen bringt uns das schon weiter, aber nicht zu einem gemeinsamen Nenner, was Politik letztlich bedeutet. Viele orientieren sich an der Formulierung: Politik ist die Fähigkeit, verbindliche Entscheidungen herbeizuführen. Oder etwas ausführlicher: Politik wird verstanden als soziales Handeln, das auf Entscheidungen und Steuerungsprozesse hin orientiert ist, die allgemein verbindlich sind und letztlich das Zusammenleben von Menschen regeln. Und jetzt beginnt sich das Karussell wieder zu drehen: Wer führt die Entscheidungen herbei? Das Volk? Aber wer gehört zum Volk? Alle, oder sind einige davon ausgeschlossen? Und wer entscheidet, wer entscheiden kann. Was bedeutet verbindlich, soziales Handeln? Wie soll das Zusammenleben in einer Gemeinschaft aussehen? Gemeinschaft oder Gesellschaft?
Politik soll Konflikte lösen
Dennoch, von dieser Definition ausgehend können wir einige Grundelemente herausfiltern. Politik hat mit dem Gemeinsamen zu tun, somit mit staatlicher Ordnung, und ist darauf ausgerichtet, Konflikte zu lösen. Dabei ist der Kompromiss ein wesentliches Element der Politik und bedeutet die Miteinbeziehung der Positionen auch der politischen Gegenspieler*innen. Weiters geht es in der Politik um Herrschaft, die in Demokratien von unten legitimiert sein muss. Unten und oben: Jedes politische System gleicht einer Pyramide, weil keine Gesellschaft linear ausgerichtet ist. Es gibt gesellschaftliche Schichten, die in diesem pyramidalen Modell unten sind, andere sind weiter oben, wenige ganz oben. Die Utopie der Demokratie, die Pyramide einzuebnen, die Aufhebung von Herrschaft, die Identität von Herrschenden und Beherrschten ist wohl nicht zu erreichen, aber man kann ihr jeden Tag einen Schritt näher rücken, sich der Utopie annähern.
Nochmals: es geht in der Politik um menschliches Handeln. Dabei sind die handelnden Akteure Subjekte und Objekte des Handelns. Es geht um verbindliche Entscheidungen, die wieder geändert werden können, und das Zusammenleben von Einzelmenschen oder Gruppen betreffen.
Über Konflikte entscheiden
Beim Versuch, die Pyramide steil zu belassen oder einzuebnen, lassen sich im Sinne der Politik drei Merkmale bestimmen. Es braucht Entscheidungen und Verbindlichkeit überall dort, wo es knappe (materielle oder immaterielle) Güter gibt. Wo es eine gute Luft gibt, gibt es um diese keine Verteilungskämpfe. Wo die Luft schlecht ist, sehr wohl, weil jene, die eine schlechte Luft atmen, eine gute wollen. Das führt zu Konflikten. Die Aufgabe der Politik ist es, solche Konflikte zu entscheiden. Werden Entscheidungen mit Verbindlichkeit durchgesetzt und bleiben sie in Geltung, dann ist dies mit Macht verbunden. Macht ist die Fähigkeit, den eigenen Willen auch gegen den Widerstand anderer (mit verschiedenen Mitteln, friedlichen oder gewaltsamen) durchzusetzen. Knappheit, Konflikt, Macht, das ist das Trio, das Politik bestimmt. Ohne Knappheit gibt es keinen Konflikt, ohne Konflikt gibt es keine Politik. Politische Entscheidungen werden dann notwendig, wenn es Interessenskonflikte, Verteilungskonflikte gibt.
Ist Macht schlecht? Grundsätzlich nicht. Denn Macht ist ein zwingender und unvermeidlicher Teil der Politik. Und deshalb geht es in der Politik immer um die Gestaltung und um die Veränderung von Machtverhältnissen.
Politische Ziele verfolgen
Gehen wir einen Schritt weiter. Wie werden politischen Ziele von einzelnen oder Gruppen verfolgt, in welchen Bereichen? Wer einen weiten Politikbegriff vertritt, schließt keine Lebensbereiche aus, das gilt für das Parlament wie für die Familie, für eine Demonstration wie für einen Ausflug unter Freund*innen. Nicht alles ist politisch, aber alles ist potentiell politisch. Wer einen engen Politikbegriff bevorzugt, der schließt bestimmte Lebensbereiche aus. Politik hat in der Schule, in der Familie, am Arbeitsplatz nichts verloren. Hinter dem engen wie hinter dem weiten Politikbegriff verstecken sich immer Interessen. Wer einen weiten Politikbegriff vertritt, für den gehört auch die Schule, die Wirtschaft, die Freizeit zur Politik, ist stärker emanzipatorisch/partizipatorisch ausgerichtet und überzeugt, die Gesellschaft ändern, verbessern zu können. Wer einen engen Politikbegriff verwendet, ist tendentiell gegenemanzipatorisch orientiert, befindet sich auf defensiven Positionen, stellt Möglichkeiten der Änderung, der gesellschaftlichen Verbesserung in Abrede, bremst eher, will sie nicht.
Wahlen sind ein demokratischer Prozess: es bilden sich Mehrheiten | Foto: Uschi Dreiucker/pixelio.de
Politik ist Konflikt um die Macht
Die Austragung von Konflikten braucht in Demokratien auch den Konsens über die Regeln, wie verbindliche Entscheidungen zustande kommen. Demokratie braucht Konflikt, ja ist Konflikt um die Macht, wenn es bei demokratischen Wahlen um Machtzuweisung (z.B. parlamentarische Mehrheiten), Machtkontrolle (z.B. der Regierung) und Machtablösung geht (z.B. eine Regierung wird abgewählt). Aber es braucht auch einen Konsens über die Machtzuweisung, Machtkontrolle und Machtablösung. Es braucht nicht nur einen formellen Konsens über die Spielregeln, es braucht auch einen inhaltlichen Konsens. Das betrifft in erster Linie die Anerkennung von Grund- und Freiheitsrechten, der Würde der Person.
Was also ist die Aufgabe der Politik?
Viele werden ohne zu zögern antworten: Die Verwirklichung des Gemeinwohls! Wer aber bestimmt, was das Gemeinwohl ist? Ich kann eine bestimmte Vorstellung von Gemeinwohl haben, meine Nachbarin eine andere. Es gibt einige wenige, fast unumstrittene Bereiche, die man zum Gemeinwohl zählt, wie etwa die Gesundheit oder das Recht auf Leben. Aber welche Steuerpolitik, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik zur Anwendung kommen soll, das kann nicht a priori, von vornherein festgelegt werden, sondern erst nachträglich. Der möglichst größte Nutzen für alle ist erst das Ergebnis eines demokratischen Prozesses, an dem möglichst alle teilnehmen sollen, wie etwa bei Wahlen (aber nicht nur), wenn sich in einer Gesellschaft Mehrheiten für eine bestimmte politische Richtung gebildet haben: z.B. für eine liberale Wirtschaftspolitik oder für die Gemeinwohl-Ökonomie. Und die Mehrheit von heute kann morgen zur Minderheit werden, weil die Bürger*innen in einer Demokratie frei sind zu entscheiden, was für ein Gemeinwohl sie verwirklicht haben möchten.
Wer somit das Gemeinwohl mitbestimmen will, sollte politisch partizipieren. Aber wollen das überhaupt alle? Hier liegt eine Grenze der Politik, denn nicht alle Menschen sind bereit, sich politisch zu engagieren. Nicht alle interessieren sich für Politik, die in Konkurrenz zu anderen Lebensbereichen steht, etwa zur Arbeit, Freizeit oder Unterhaltung. Dabei haben wir noch gar nicht von der Entpolitisierung der Politik gesprochen. Politik? Ist nur ein Wort, aber ein unendliches.
Text: Günther Pallaver