Thema
Wie sozial machen soziale Medien?
Die heute 15- bis 18-Jährigen kennen keine Welt ohne Smartphone und ohne soziale Netzwerke, sie werden salopp i-Generation (von iPhone) genannt. Sie hantieren mit überhallhin transportierbaren Verbindungen und erleben die Fortsetzung dessen, was Marshall McLuhan bereits 1964 beschrieben hatte: die Rückwirkung des Werkzeugs auf den Nutzer.
Roger Pycha,
Primar der Psychiatrie Bruneck
Primar der Psychiatrie Bruneck
Das Mittealter lehrte vor allem über Bilder, bevorzugt gemalte Fresken, die diffuse Gefühle im Betrachter hervorriefen. Mit dem Aufkommen des Buchdruckes verschoben sich Lehre und Argumentation in Richtung geschriebener Geschichten, die einen roten Faden aufweisen mussten. Der Buchdruck drängte die Menschheit zu zeitlicher Abfolge, zu Ursache und Wirkung, zu Rationalismus und Aufklärung. Heute verändern die vielen, beschleunigten, fast gleichzeitigen Bilder den Erlebnisstrang, drängen ihn weg von einer linearen Logik hin zu einer produktiven gelockerten Vorstellungswelt, die der freien Assoziation entspricht. Viele Einfälle gruppieren sich um ein Thema und haben nur mehr teilweise mit ihm zu tun. Die entstehende Erlebnisweise ist kein Realitätsverlust, sondern die Schaffung einer eigenen Welt mit neuen Gesetzen: mit mehr Freiheit, aber zum Beispiel auch größerer Gewaltbereitschaft.
Die i-Generation scheint damit originell umzugehen. Sie ist weniger an Politik interessiert, weniger an sozialen Beziehungen, Sexualität, der Erlangung des Führerscheins, aber auch weniger an Drogen, Gewalt und Rassismus. Betroffene verbringen weitaus mehr Zeit mit ihrem Smartphone, ihre soziale Kontaktentwicklung scheint im Durchschnitt um drei Jahre langsamer zu erfolgen, 18-Jährige haben das soziale Netz von 15-Jährigen, hängen dafür eigenen Interessen deutlicher nach. Die Kontakte zu Autoritäten scheinen gelockert, die Verbindungen zu Gleichaltrigen mit ähnlichen Interessen sind intensiviert – es ist, als werde der Familienverband umgebaut, als träten verschiedene konkurrierende Geschwister an die Stelle der Väter.
Menschen, die kontaktscheu sind und ängstlich in die Zukunft blicken, vermittelt die virtuelle Neulandschaft Schutz. Der Psychologe Tamaki Saito hat in Japan männliche Jugendliche beschrieben, die sich dem strikten Arbeitsethos der älteren Generation nicht aussetzen möchten, weil sie glauben, daran zu zerbrechen. Sie ziehen sich in ihr Zimmer zurück, überspringen Mahlzeiten, widmen sich vor allem nachts dem Chatten, virtuellen Spielen, der Pornografie oder dem Einkaufen im Netz. Sie führen ein bleiches Ersatzleben, in dem sie die komplette Kontrolle über die Situation haben. So Beeinträchtigte nennt er Hikikomori, „Zurückgezogene“, die Jahre Entwicklungsverzögerung in Kauf nehmen.
Demgegenüber ist die Realität ein enges, manchmal schmerzhaftes Korsett. Die Enttäuschung darüber kann Erschöpfung und Missbehagen erzeugen, kann zu Depression werden. Die Freude an dem Spiel der Phantasie kann aber auch die Wirklichkeit würzen und ergänzen – wir müssen nur den Umgang damit lernen. Und haben keine Wahl, wenn wir nicht zu modernen Analphabeten werden wollen.
Text: Roger Pycha
Die i-Generation scheint damit originell umzugehen. Sie ist weniger an Politik interessiert, weniger an sozialen Beziehungen, Sexualität, der Erlangung des Führerscheins, aber auch weniger an Drogen, Gewalt und Rassismus. Betroffene verbringen weitaus mehr Zeit mit ihrem Smartphone, ihre soziale Kontaktentwicklung scheint im Durchschnitt um drei Jahre langsamer zu erfolgen, 18-Jährige haben das soziale Netz von 15-Jährigen, hängen dafür eigenen Interessen deutlicher nach. Die Kontakte zu Autoritäten scheinen gelockert, die Verbindungen zu Gleichaltrigen mit ähnlichen Interessen sind intensiviert – es ist, als werde der Familienverband umgebaut, als träten verschiedene konkurrierende Geschwister an die Stelle der Väter.
Menschen, die kontaktscheu sind und ängstlich in die Zukunft blicken, vermittelt die virtuelle Neulandschaft Schutz. Der Psychologe Tamaki Saito hat in Japan männliche Jugendliche beschrieben, die sich dem strikten Arbeitsethos der älteren Generation nicht aussetzen möchten, weil sie glauben, daran zu zerbrechen. Sie ziehen sich in ihr Zimmer zurück, überspringen Mahlzeiten, widmen sich vor allem nachts dem Chatten, virtuellen Spielen, der Pornografie oder dem Einkaufen im Netz. Sie führen ein bleiches Ersatzleben, in dem sie die komplette Kontrolle über die Situation haben. So Beeinträchtigte nennt er Hikikomori, „Zurückgezogene“, die Jahre Entwicklungsverzögerung in Kauf nehmen.
Erstaunt es, dass ein Leben im Netz faszinierender sein kann als die Realität?
Internet produziert extrem angenehme, aber auch extrem schlimme Erlebnisse und setzt Vorsichtsmaßnahmen außer Kraft. Paradoxerweise glauben Nutzer, dass am Ort der Welt, der am schärfsten beobachtet wird, auch die größte Freiheit wohnt, so als seien alle gesellschaftlichen Regeln und Gebote aufgehoben. Unübliches Verhalten wie Drogenrausch, Nacktdarstellungen, Quälerei und Tötung von Lebewesen, Hasstiraden und politische Verfolgung werden bildlich dokumentiert und ins Netz gestellt, werden virtualisiert und öffentlich. Da man oft nicht zwischen fake (Schwindel) und reality (Wirklichkeit) unterscheiden kann, führt die Atmosphäre des Internets zu einer gewissen Abgebrühtheit, zu ethischer Gleichgültigkeit. Man hat alles schon miterlebt, vom Seriensuizid bis zum Vampirismus. Dem Einzelnen ist praktisch jedes Erlebnis möglich, ohne dass er je dafür Verantwortung übernehmen müsste. Seine Wünsche und Triebe werden nicht beengt.Demgegenüber ist die Realität ein enges, manchmal schmerzhaftes Korsett. Die Enttäuschung darüber kann Erschöpfung und Missbehagen erzeugen, kann zu Depression werden. Die Freude an dem Spiel der Phantasie kann aber auch die Wirklichkeit würzen und ergänzen – wir müssen nur den Umgang damit lernen. Und haben keine Wahl, wenn wir nicht zu modernen Analphabeten werden wollen.
Text: Roger Pycha