Dutzende von Frauen bücken sich müde über weiße Nähmaschinen auf weißen Tischen. Weißes Licht erhellt die vollgestopfte Halle. Weiße Atemschutzmasken schützen sie vor der staubigen Luft. Alle tragen bunte Kopftücher. Reißverschlüsse und Jacken in den Händen. Und während Bilder wie diese über den 42 Zoll Full HD Flachbildschirm flackern, berichtet eine Betroffenheit andeutende Männerstimme über 16-Stunden Arbeitstage, Löhne unter dem Existenzminimum, Kinderarbeit, Umweltzerstörung: Billigproduktion. Es wird die Wirtschaft verflucht, über Marken gehetzt, der Konsum verteufelt. Experten erklären Statistiken und predigen Verbesserungsvorschläge. Vor dem Bildschirm wissendes Nicken.
Dann eine kurze Werbeunterbrechung
Möglicherweise Nicken einige jetzt zustimmend über diesen Text, während ich scheinheilige Gesellschaftskritik vorbete. Denn wir wissen um die Probleme. Wir wissen, dass billige Produkte auch billig produziert werden. Und wir wissen auch, dass teure Marken nicht ethisch sein müssen. Aber viele von uns kaufen nur wenig später dann trotzdem das neueste Kleid, Smartphone oder Auto. Nach-mir-die-Sintflut-Egoismus regiert den Konsumenten. Pseudo-professionelle Verdrängungsmethoden beschwichtigen das schlechte Gewissen. Und sollte man dann trotzdem mal schlecht schlafen, schafft ein kurzer Abstecher im Fair-Trade-Bio-Laden des Vertrauens Abhilfe.
Besitz: ein Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen. Aber offensichtlich trotzdem dringend eines wollen. Und so endet alles in Produkten, die, statt benutzt zu werden, nur herumliegen, während ihr Besitzer arbeitet, um die restlichen Raten abzubezahlen. Gefangen in einer kontinuierlichen Schleife aus Arbeiten und Kaufen, lässt sich die Ironie dieser Situation mit einem Zitat aus dem Film „Fight Club“ am besten zusammenfassen: „Von dem Geld, das wir nicht haben, kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen, um Leuten zu imponieren, die wir nicht mögen.“
Aber natürlich gibt es auch die Einkäufe, die man nur für sich selbst tätigt. Sich gönnt. Wohlverdient. Als Belohnung. Oder Aufmunterung. Oder nur mal zwischendurch.
Denn Geld allein macht natürlich nicht glücklich. Es muss schon auch ausgegeben werden, um seine volle Wirkung zu entfalten. Weil volle Taschen Wunden schließen. Wenigstens vorübergehend. Und dann fängt eben alles von vorne an: Arbeiten. Kaufen. Wiederholen.
Warum sollte man daran auch etwas ändern?
Die Welt wendet sich dadurch doch auch nicht zum Besseren, oder?
Denn zwischen Alltags-Egozentrismus und Mitmenschen-Blindheit sind es gerade diese Momente, in denen wir uns unserer Bedeutungslosigkeit klar werden und in denen wir zu nichts mehr als der hundertsten Stelle einer kosmischen Kommazahl schrumpfen.
Egal. Macht sowieso keinen Unterschied
Und so könnten Sie argumentieren. Und ich. Und der da. Und sein Nachbar. Und dessen Nachbar. Bis aus der hundertsten die neunundneunzigste Stelle geworden wäre. Denn ganz egal wie mikroskopisch klein der Unterschied auch sein mag, es ist immer noch ein Unterschied. Und alles ist besser als Nichts. Und vielleicht inspirieren Sie mit Ihrem Verhalten ja den da und seinen Nachbar auch noch.
TEXT: Chiara Luzi