Thema

Wichtige soziale Handlungsfelder

Die politische Situation aus der Sicht eines Sozialverbandes
Werner Steiner,
KVW Landesvorsitzender
Die Landtagswahlen vom 21. Oktober 2018 sind schon wieder Vergangenheit und das Ergebnis stimmt nachdenklich: von den Kandidatinnen und Kandidaten, die sich dem Sozialbereich zuerkannt haben, haben es nur wenige geschafft. Die Sieger kommen eindeutig aus dem Bereich der Wirtschaft. Der KVW hat sich zur Überparteilichkeit bekannt. In seinen Aussendungen und Stellungnahmen hat der KVW die Wählerinnen und Wähler wiederholt dazu aufgefordert, sich selber ein Bild zu machen, eigene Wertvorstellungen zu setzen und nach diesem Maßstab Partei und Kandidaten zu wählen. Diese Art des Wählens ist aber bei vielen nicht sehr beliebt. Wahlanalysen und persönliche Gespräche zeigen, dass aggressive Werbung und leere Versprechungen weit zielführender waren, um einen Platz im Landtag zu ergattern.
Dem Gemeinwohl verbunden
Die Entwicklung nach rechts hin zum Rechtspopulismus spaltet unsere Gesellschaft immer mehr in zwei Lager. Während wir als KVW uns für ein Miteinander der Menschen in unserem Land stark machen, wird der Ruf nach einer starken Hand, einer Dominanz über die Schwachen in unserer Gesellschaft, gegen die Minderheiten und Fremden immer salonfähiger. Solidarität ist nicht ablehnbar, soll aber nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen gelten. Einheimische zuerst ist ein Slogan, der auf sehr fruchtbaren Boden fällt und in verschiedenen Reihen Nachahmer findet. Aus der Sicht der Katholischen Soziallehre, die unser Kompass für ein gutes Leben ist, kann ich diesen Tendenzen nicht zustimmen. Als KVW fühlen wir uns dem Gemeinwohl verbunden.
Für ein positives Zukunftsbild
Ich stelle zudem eine Verrohung der Sprache fest: Politiker machen es vor und gar einige fühlen sich dazu berufen, dieselbe Tonart noch zu verschärfen. Das Schlechtreden von sozialen Einrichtungen, von demokratischen Grundprinzipien, von ganzen Menschengruppen nimmt vermehrt zu. Als Mitglieder des KVW haben wir uns für Vertrauen in die Zukunft, für Mut zum Zusammenleben und für ein positives Zukunftsbild eingesetzt. Wenn nun Angst und Hass geschürt wird, bewegen wir uns nicht mehr in die richtige Richtung. Es kann nicht sein, dass im 21. Jahrhundert die Einhaltung der Menschenrechte schriftlich eingefordert werden muss. Wenn das Wohlergehen aller im Lande lebenden Menschen ein echtes Anliegen ist, muss auch der Mensch im Mittelpunkt unsers Einsatzes stehen.
Eine sozial geprägte Gesellschaft
Als KVW sind wir in Zukunft gefordert, unsere Grundwerte offen zu leben: die Mitgliedschaft in einem Sozialverband reicht nicht aus um unser Land sozialer zu machen. Es geht um mein tägliches Bekenntnis zu einer sozial geprägten Gesellschaft. Jeder von uns ist gefordert durch ein wertschätzendes Auftreten in seiner Gemeinschaft sich für unsere Werte stark zu machen. Es muss für uns als KVW wichtig sein, mutig und klar aufzutreten.
Die Bereiche Gesundheitssystem, Arbeit und Wohnen sind auch weiterhin unsere zentralen Einsatzpunkte.
Die Herausforderung ist groß. Im gemeinsamen Einsatz und in solidarischer Verantwortung dürfen wir uns der Zukunft stellen.
TEXT: Werner Steiner

Thema

Soziale Brennpunkte in Südtirol

Florierende Wirtschaft kommt nicht allen zugute
Südtirol hat das Potential Impulsgeber für wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt zu sein. Vorausgesetzt, im Land verfällt man nicht einem fremdenfeindlichen Ausgrenzungsmechanismus oder, nicht minder schlimm, wirtschaftsliberalen Begehrlichkeiten.
Josef Stricker,
geistlicher Assistent des KVW
In ganz Europa hat das Prinzip der freien - von sozialen Bindungen weitgehend abgekoppelten - Marktwirtschaft an Boden gewonnen. Das Gleichgewicht von öffentlicher Verantwortung für solidarisches Handeln hat sich in den letzten Jahrzehnten zugunsten der Privatisierung von Risiken und Lasten verschoben. Südtirol bildet da keine Ausnahme. Die gängige Meinung, wonach eine florierende Wirtschaft automatisch sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt nach sich zieht, hat sich längst als Irrtum erwiesen. Das Gegenteil trifft zu. Die Armutsgefährdung ist gewachsen, niedere bis mittlere Einkommen stagnieren seit Jahren, Wohnungs- und Bodenpreise fallen in zunehmendem Maße der Spekulation zum Opfer.
Das „Soziale“ ist mehr als nur eine Nebenwirkung der Wirtschaft und des Marktes. Der Markt an sich ist sozial und ökologisch blind. Der wichtigste Grund, warum sozialer Fortschritt vom wirtschaftlichen Fortschritt nicht zu trennen ist. Anders ausgedrückt: die Entwicklung einer Gesellschaft hängst von der Fähigkeit und dem Weitblick der Politik ab, Wirtschaft, Soziales und Umwelt zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen. Sozialpolitik hat eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Veränderungen im Auge zu behalten und sich ihnen offensiv zu stellen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit möchte ich auf drei Brennpunkte näher eingehen.
Grundsicherung
Südtirol ist wohlhabend und reich genug, um sich ein Instrument gegen Armut leisten zu können. Das Landesgesetz über das Lebensminimum aus dem Jahr 1973 ist eine gute Ausgangsbasis. Anders als bei der Vorsorge hat Südtirol in Sachen Fürsorge gesetzgeberische und verwaltungstechnische Befugnis und könnte somit Nägel mit Köpfen machen. Es würde genügen an einigen Stellschrauben zu drehen. Nachdem Regierung und Parlament selbst eine Grundsicherung planen, von der bis dato niemand weiß, wie sie konkret aussehen wird, gilt es die dortige Entwicklung im Auge zu behalten, um eventuell Zweigleisigkeiten zu vermeiden.

In Südtirol ist es mittlerweile Mode geworden, die Erhöhung der Mindestrenten als Alternativmodell zur Grundsicherung feilzubieten. Da werden aber Kraut und Rüben durcheinandergebracht. Die Rente setzt die Einzahlung von Beiträgen voraus und kann folglich nur Personen zugutekommen, die über einen längeren Zeitraum Beiträge an das Renteninstitut eingezahlt haben. Die Rente ist auf den jeweiligen Bezieher ausgestellt, will heißen vom Einkommen der übrigen Familienmitglieder unabhängig.
Anders die Ausgangslage bei der Grundsicherung. Sie ist eine Sozialleistung. Als solche wird sie aus dem Steuertopf gezahlt. Maßstab für die Gewährung einer Grundsicherung ist die Bedürftigkeit eines einzelnen bzw. einer Familie. Im Gegensatz zur Rente ist eine Grundsicherung ein universal angelegtes Instrument, das alle bedürftigen Personen bzw. Familien als Zielgruppe erfasst und nicht nur Mindestrentner. Das Lebensminimum hat in der öffentlichen Meinung einen schlechten Ruf. Man denkt sofort an Armenfürsorge, an Missbrauchsfälle. Von daher der schale Beigeschmack. Ich finde zu Unrecht. Grundsicherung ist ein Recht und hat folglich weder mit Bettelei noch mit Almosen etwas zu tun. Sie aufzuwerten und als Instrument zur Armutsbekämpfung krisenfest zu machen halte ich für einen wichtigen sozialpolitischen Auftrag des KVW.
Löhne und Gehälter
Wer erinnert sich noch an die Teuerungszulage? Bis zum Jahre 1992 gab es einen im ganzen Staatsgebiet geltenden Automatismus einer teilweisen Anpassung von Löhnen und Gehältern an die Inflation. Er trug den klingenden Namen „Scala mobile“ - übersetzt Teuerungszulage. Seit einem Vierteljahrhundert ist die automatische Anpassung von Löhnen und Gehältern an die Inflation Geschichte. Die alte, viele Jahre geltende Regelung wurde 1993 durch ein Abkommen zwischen Regierung, Gewerkschaften, und Arbeitgeberverbänden abgelöst. An Stelle des Mechanismus der einstigen Teuerungszulage trat ein Zweistufenmodell aus nationaler und territorialer Verhandlungsebene. Auf römischer Ebene soll – so wurde vereinbart – alle vier Jahre der für das gesamte Staatsgebiet geltende Kollektivvertrag (z. B. Handel) ausgehandelt werden.
Neben der gesamtstaatlichen wurde eine zweite Ebene eingeführt, die territoriale. Will heißen: seit 1993 ist es in allen Provinzen Italiens rechtlich möglich, dass die örtlichen Arbeitgeberverbände und die Landesgewerkschaften Zusatzverträge aushandeln, in denen zusätzliche an die Produktivität gekoppelte Lohnelemente vereinbart werden können. Im öffentlichen Dienst gelten etwas andere Spielregeln. Das Instrument Zusatzvertrag ist hierzulande bis heute mehr schlecht als recht genutzt worden. Statt ein allgemeines Lamento über Kaufkraftschwund in der Öffentlichkeit anzustimmen, sollten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften den Karren Landeszusatzverträge endlich flott machen, um Arbeiter und Angestellte am Aufschwung teilhaben zu lassen. Ich finde, in dieser wichtigen Frage müssten sich die Gewerkschaften einen Ruck geben und Initiativen starten.
Sanität
Das öffentliche Gesundheitswesen ist die dritte große Baustelle im Land. Die Problemliste in der Sanität ist ellenlang. Ich beginne bei den von den Bürgern am stärksten empfundenen Engpässen: Lange Wartezeiten bei Facharztvisiten, überforderte Erste-Hilfe-Abteilungen in den Schwerpunktkrankenhäusern, Ärztemangel. Hinzu kommen strategische Weichenstellungen. Die Sanität muss flächendeckend aufgestellt sein, hat aber auch der Spezialisierung Rechnung zu tragen. Ein Spannungsverhältnis, das in den zurückliegenden Monaten zu heftigem Streit zwischen der „Peripherie“ und dem „Zentrum“ geführt hat. Die Bezirke verlangen zu Recht, dass die Reform, wie immer sie am Ende aussehen mag, nicht auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Die ländlichen Gebiete haben ohnehin einen schweren Stand bei ihren Bemühungen, sich gegen die zunehmende Urbanisierung und Zentralisierung zur Wehr zu setzen.
Bei aller Liebe zu den autonomen Zuständigkeiten darf nie vergessen werden, in der Medizin gibt es nun einmal nationale und internationale Vorgaben. Standards, die auf jeden Fall einzuhalten sind. Und noch etwas, bei den vielen Wünschen und Erwartungen, die in Richtung Politik angemeldet werden, muss die öffentliche Verwaltung immer auch die Finanzierbarkeit des ganzen Systems im Auge behalten. Die Balance zwischen gegensätzlichen Interessen und Bedürfnissen zu finden, gleicht wohl der sprichwörtlichen Quadratur des Kreises. Für einen Sozialverband wie den KVW bleibt ein wetterfest aufgestelltes öffentliches Gesundheitssystem eine unabdingbare Voraussetzung, damit die einfachen, mit mäßigen Einkommen ausgestatteten Bürger Zugang zu allen medizinischen Leistungen haben, ohne auf die teure Privatmedizin zurückgreifen zu müssen.
TEXT: Josef Stricker