Thema

Wer arm ist, braucht Unterstützung

KVW setzt sich für ein soziales Südtirol ein
Moderatorin Ursula Thaler (l.) mit den Ehrengästen: Bischof Ivo Muser, Landesrätin Waltraud Deeg und Landeshauptmann Arno Kompatscher
Auf der Landesversammlung des KVW stand das soziale Südtirol im Mittelpunkt. Sowohl in den Grußworten als auch im Gespräch mit Sepp Kusstatscher wurde mehr Menschlichkeit gefordert, die Bedürftigkeit soll das Kriterium für die Vergabe von sozialen Leistungen sein. Der Angstmacherei und Schwache gegen Schwache ausspielen soll Einhalt geboten werden. Zur Landesversammlung sind rund 400 Ehrenamtliche des KVW aus dem ganzen Land nach Bozen gekommen.
KVW Landesvorsitzender Werner Steiner ging in seiner Rede der Frage nach, wie ein soziales Südtirol aussehen soll und was es dazu braucht. Am Beispiel des barmherzigen Samariters erklärte er, wie wichtig die schnelle und unmittelbare Hilfe sei. „Als nächstes ist es aber wichtig, die Straße von Jericho nach Jerusalem sichererer zu machen“, sagte Steiner. Hilfe und Solidarität sind zu organisieren, sie brauchen eine Struktur. Darin sieht der Sozialverband KVW seine Aufgabe. „Mit diesem Anliegen wenden wir uns immer wieder an die Politik, bringen Wünsche vor, zeigen auf, was nicht so gut läuft, weisen auf Ungerechtigkeiten hin, sticheln und haken nach“, erklärte Steiner.
Der KVW ist nah am Menschen
Der KVW hat mit seinen Dienstleistungsbetrieben ein gutes Bild von der sozialen Situation in Südtirol. „Dieses Wissen kann für die Verbesserung mancher Situation zielführend eingesetzt werden“, sagte Steiner. Hier helfe eine gute Vernetzung mit der Politik, sei es auf Landesebene als auch auf Ortsebene.
Südtirol verfügt über ein dichtes, soziales Netz. Es gibt Sozialhilfe, Pflegegeld, Familiengeld, Wohngeld und viele weitere soziale Unterstützungsmaßnahmen. Ohne sie wäre die Armutsgefährdung für viele Südtiroler Haushalte noch größer. Der Wert dieser Leistungen ist anzuerkennen. „Unser Auge soll nicht darauf schauen, ob es vielleicht irgendwo einen Missbrauch gibt oder wie die ethische Zusammensetzung der Beitragsbezieher ist“, sagte Steiner. Kriterium für die Vergabe ist die Bedürftigkeit. Und es dürfe kein Makel sein, eine soziale Leistung in Anspruch zu nehmen.
Geprägt vom christlichen Menschenbild
Dafür bekam der KVW auch ein großes Lob von Landeshauptmann Arno Kompatscher. Er räumte Diskussionsbedarf ein. Deshalb sei er froh über die sachliche, nüchterne Art, mit der der KVW sich einbringe, wenn es irgendwo unsolidarisch wird. Mit Vehemenz bringe der KVW Vorstand die Themen vor, ohne dabei polemisch zu sein. Kompatscher versprach, dass die Regierungsarbeit von einem christlichen Menschenbild geprägt sei. Und für ihn werde bei den sozialen Leistungen weiterhin die Bedürftigkeit als Kriterium gelten. Es gebe auch verschiedene Forderungen, zum Beispiel die Herkunft als Kriterium einzuführen. „Politik braucht Mut“, so der Landeshauptmann, „wir wollen nicht nur populär sein“. Dafür bekam er von der Landesversammlung anerkennenden Applaus.
Nicht nur ans Heute denken
Landesrätin Waltraud Deeg bedankte sich für die kritische und stets konstruktive Mitarbeit des KVW. Beim Landeshaushalt gehe es in den nächsten Jahren darum zu schauen, was noch auf uns zukommt und nicht nur darauf, was wir heute brauchen. Es brauche den Mut, unangenehme Dinge anzusprechen, so Landesrätin Deeg.
Die Armen, Witwen und Waisen von heute
Obwohl das Wort Solidarität in der Bibel nicht vorkommt, ist es doch das Thema, das sich durchs Alte und Neue Testament zieht. Bischof Ivo Muser erklärte, dass die Armen, Schwachen, Waisen, Witwen und Fremden immer wieder genannt werden. „Die ist leicht ins Heute zu übersetzen, wer kann heute mit diesen Personen in Verbindung gebracht werden?“ Mit dieser Frage regte Bischof Muser zum Nachdenken an. Das K im Namen des KVW steht für ein weltweites Denken. Es geht nicht darum, Nabelschau zu halten, sondern lokal und konkret zu handeln. „Dies ist das Markenzeichen“, erklärte Bischof Muser.
Josef Stricker, geistlicher Assistent des KVW, sprach in den Schlussworten von einem sozialen Klimawandel in Europa, in Italien und auch in Südtirol.
Das soziale Klima wird rauer
Der Ton der Auseinandersetzung in der Gesellschaft wird rauer, das soziale Klima wird kälter, die Egoismen nehmen zu und es ist Mode geworden, sich auf sozial Schwache einzuschießen, analysierte Stricker die aktuelle Situation. Es werde der Eindruck geweckt, dass gerade unter Schwachen die größten Ungerechtigkeiten passieren und die Forderung steht im Raum, die Politik solle durchgreifen. Zum Beispiel beim Wohngeld, Familiengeld oder bei der sozialen Mindestsicherung. „Dies ist jedoch ein großes Missverständnis, denn Härte hat nichts mit Größe zu tun. Im sozialen Bereich hat Größe mit Menschlichkeit und mit Mitgefühl zu tun“, so Stricker. Neben den Steuer- und Wirtschaftsexperten brauche es Armutsexperten, die die Schicksale hinter den Zahlen und Statistiken kennen. Es brauche Menschen, die klar und differenziert von der sozialen Wirklichkeit erzählen können. Wer nur mit Ängsten spielt, schade unserem Land, so Stricker. Der Wertekompass sei in Südtirol verrutscht. Dadurch werde bei sozialen Maßnahmen versucht, Argumente von politisch rechter Seite abzuwehren. Es sei aber nicht richtig, an Ideologien Maß zu nehmen, sondern die Lebenswirklichkeit der betroffenen Personen müsse gesehen werden.
Wer nur Werte beschwört, erreicht nichts. Man müsse von der sozialen Wirklichkeit erzählen, so klar und differenziert wie nötig. Die Stimmung müsse in Richtung der alten Weisheit gehen: Ohne Wir kommt keiner zum Ich, der Weg zum Ich führt nur über das Wir.
TEXT: Ingeburg Gurndin

Kommentar

Friedensprojekt Europa: 70 Jahre ohne Kriege

Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai
Markus Warasin, 
Mitglied des Kabinetts des Präsidenten des Europäischen Parlaments - FOTO: © European Union 2019 - Source: EP/DAINA LE LARDIC
Trotz eines nicht zu leugnenden Reformbedarfs gibt es zahlreiche Gründe für Europa zu werben: Der wichtigste Grund ist und bleibt das Friedensprojekt: Die Union und ihre Vorgänger haben über sieben Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen. Vergessen wird nicht, dass die beiden Weltkriege – die großen Tragödien des 20. Jahrhunderts – mehr als 80 Millionen Opfer gefordert haben. Und wohin wären nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die jungen Demokratien Mittel- und Osteuropas gedriftet, hätte die EU ihnen keine Beitrittsperspektive geboten.
Sicherheit und Stabilität
Aber die europäische Integration hat in den vergangenen sieben Jahrzehnten nicht nur für die Abwesenheit von Kriegen zwischen den EU-Mitgliedstaaten gesorgt, sondern sie hat auch etwas geschaffen, das die Friedens- und Konfliktforscher „positiven Frieden“ nennen, also die Abwesenheit von struktureller Gewalt, von Furcht oder Angst; einen Frieden, der Sicherheit und Stabilität garantiert, für ein gemeinsames Miteinander wirbt, und nicht für ein Gegeneinander. Die jungen Europäer werden heute an keine innereuropäische Front geschickt; sie gehen in andere Länder zum Urlaub, zum Studium oder um dort zu arbeiten. Für diese versöhnende Rolle bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens hat Europa zu Recht 2012 den Friedensnobelpreis und 2017 den Prinz-von-Asturien-Preis bekommen.
Ein weiterer Grund für Europa zu werben ist der Binnenmarkt, der heuer sein 25-jähriges Bestehen feiert.
Vorteil Binnenmarkt
Durch den freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr eröffnet er Bürgern, Unternehmen und Verbrauchern neue Möglichkeiten und schafft die in Europa so dringend benötigten neuen Arbeitsplätze und Wachstum, indem alle Mitgliedstaaten als ein einheitlicher barrierefreier Binnenmarkt ohne Zölle, Grenzen oder andere Hindernisse betrachtet werden. Der Binnenmarkt hat bereits 2,77 Millionen Arbeitsplätze geschaffen und dem Handel zusätzliche 233 Milliarden Euro pro Jahr beschert.
Drittens haben auch alle sektoralen Politikbereiche – von der Landwirtschafts- und der Regionalpolitik über Verbraucher- und Umweltschutz bis hin zu Wirtschafts- und Währungsfragen – wesentlichen Anteil an unserem Wohlstand und haben die EU zum größten Handelsblock der Welt und zum wichtigsten Partner in der Entwicklungszusammenarbeit gemacht.
Die Stärke des Rechts
Schließlich sind wir auch eine Wertegemeinschaft: In Europa ist damit die Stärke des Rechtes an die Stelle des Rechts des Stärkeren getreten. Daher bilden die Menschenrechte und die Würde des Menschen den Grundstein und den kritischen Maßstab für unsere europäische Demokratie.
Wahr ist aber auch – und das ist die Kehrseite der Medaille – dass Europa mehr und mehr polarisiert. Im Zuge der verschiedenen Krisen –von der Verfassungs- über die Finanz- bis zur Migrationskrise – scheint es, als seien die getroffenen Vereinbarungen in Brüssel immer öfter umstritten, die europäischen Institutionen mehr und mehr entzweit, als werde die europapolitische Debatte in steigendem Maße kontrovers geführt. Denken wir beispielsweise an die beachtlichen Wahlerfolge europafeindlicher bzw. europaskeptischer Bewegungen und an die inzwischen abschmelzenden integrationsfreundlichen Mehrheiten in vielen Mitgliedstaaten. Doch wie sollen die großen globalen Herausforderungen – wie der Klimawandel, die Migration, die Auswirkungen regionaler Konflikte, Energieversorgung oder Sicherheitsfragen – die allesamt einen transnationalen Charakter haben, anders als gemeinsam gelöst werden?
Wir Europäer wählen bei der Europawahl unseren Vertreter in das größte demokratische Parlament der Welt, wo die gegenwärtig 751 Abgeordneten aus 28 Staaten gemeinsam über 500 Millionen Menschen vertreten. Wenn wir die Hoffnung haben wollen, dass wir Europäer eine Bedeutung für die Welt haben, dann können wir das nur gemeinsam. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Politisierung Europas wird diese Wahl zur bisher wichtigsten in der Geschichte der EU.
TEXT: Markus Warasin