Kommentar
Ausgesetzte Demokratie
Keine Debatte, keine Kontroversen: Landesräte und Experten reden
Brigitte Foppa, Landtagsabgeordnete
Es war irgendwann mitten im Lockdown, während einer Videokonferenz. Die Bilder der verschiedenen Teilnehmenden in ihren Rechtecken, sie erinnerten mich an etwas. In der Nacht ist es mir dann eingefallen. Der Eiswürfelbehälter in meinem Gefrierfach, die einzelnen Eiswürfen in ihren kleinen Rechtecken, das waren wir in dieser Zeit. Jede, jeder festgefroren in der Realität der eigenen vier Wände. Ein schreckliches Bild, ich weiß, aber genau so habe ich den Lockdown empfunden. Mittlerweile sehe ich auch Positives. Die Stille, die Erholung der Natur, die Verlangsamung, das waren sicherlich schöne Erfahrungen. Aber sie waren nicht verbunden. Die Beziehungen waren ausgesetzt. Und mit ihnen die Demokratie. Der Landtag war geschlossen, alle Entscheidungen lagen bei der Regierung. Das war in gewisser Weise nachvollziehbar, denn wenn es schnell gehen muss, dann müssen die Entscheidungswege abgekürzt werden. Schnell löste sich aber auch die Debatte auf. Es gab keine Kontroversen mehr. Im Radio sprachen die Experten und die Landesräte (ich verzichte bewusst auf die geschlechtergerechte Formulierung, denn es waren lauter Männer), die BürgerInnen durften nur noch Fragen stellen. Und die Hauptfrage war immer, in der einen oder anderen Form: „Darf ich das?“
Für die rebellischen Gemüter war es nicht von ungefähr viel schwerer dies auszuhalten.
TEXT: Brigitte Foppa
Frage, ob ich das darf
Diese Infantilisierung hat mich sehr gesorgt. Von der Bürgerin, die eine Meinung hat, wurde man zum Kind, das um Erlaubnis fragt. Ich habe gemerkt, dass viele Menschen, wohl um den Freiheitsentzug besser auszuhalten, auf den Gehorsam gesetzt haben. Mir ist der Gehorsam immer suspekt. Als mündige Bürgerin verlange ich Regeln, die aus einer demokratischen Konfrontation entstanden und nachvollziehbar sind. Ich muss nicht einverstanden sein, aber die Ratio einer Regel muss ich verstehen können. Ich verzichte nicht gern auf ein Glas Wein, aber ich sehe ein, dass es meine Reaktionsfähigkeit beim Autofahren einschränkt. Während des Lockdown waren auch diese Mechanismen eingefroren. Wer konnte schon nachvollziehen, dass ein einsamer Spaziergänger im Wald gestraft wurde? Oder dass man nicht ins Nachbardorf zum Einkauf fahren durfte? Dass man in einigen Gemeinden einen Radius um die eigene Wohnung einhalten musste?
Eigenverantwortung wurde abgegeben
Von der eigentlichen Ratio, dass jeder und jede dazu beitragen muss, Ansteckungen zu vermeiden, kam man durch unsinnige Einzelregelungen und hartes Vorgehen immer weiter weg. Es wurde also zunehmend blinder Gehorsam abverlangt. führte denn auch zu klassischen Mechanismen der autoritären Gesellschaften. Die Eigenverantwortung wird abgegeben, Regelkonformismus ersetzt Solidarität, Denunziantentum macht sich breit.Für die rebellischen Gemüter war es nicht von ungefähr viel schwerer dies auszuhalten.
TEXT: Brigitte Foppa