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Armut in Südtirol

Gut aufpassen, hinschauen und gemeinsam an einem Strang ziehen
„Wer ist mein Nächster? Alles beginnt damit, hinzuschauen, und eben nicht wegzuschauen“, sagte Bischof Ivo Muser auf der Armutstagung in Bozen. Er sprach sich klar gegen Slogans wie ‘Wir zuerst‘ und Bettelverbote aus. Es komme darauf an, die Armut zu bekämpfen und nicht die Armen. Neben dem sozialen Netz, das Betroffene auffangen soll, braucht es Einkommen, die zum Leben reichen. Niedere Einkommen und hohe Lebenshaltungskosten sind neben der Privatverschuldung typische Verursacher von Armut in Südtirol. Oft sind auch Schicksalsschläge, Pech und Trennungen ein Grund, unter die Armutsgrenze zu rutschen. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, Rentner und kinderreiche Familien. Die aktuelle Coronakrise hat die Not verschärft und die damit verbundenen Risiken und Ursachen deutlicher gemacht.
WERNER STEINER
KVW Landesvorsitzender
Es ist eine der Hauptaufgaben des KVW aufmerksam hinzuschauen und auf Fehlentwicklungen hinzuweisen. Die momentane Zeit mit ihren großen Unsicherheiten verheißt nichts Gutes. Die Menschen sind verunsichert und die Situation insgesamt ist von vielen Fragen gekennzeichnet. Wir finden Menschen, die die Existenz des Coronavirus leugnen und andere, die sich in die völlige Isolation zurückziehen, um jeden Kontakt mit Mitmenschen zu vermeiden.
Wenn wir jetzt nicht gut aufpassen und gemeinsam an einem Strang ziehen, steuern wir in kurzer Zeit auf eine große Armut zu. Ich denke dabei zunächst an die Veränderungen in der Arbeitswelt. Menschen, die in Quarantäne oder mit Menschen in Quarantäne zusammenleben, können ihrer gewohnten Arbeit nicht mehr nachgehen. Im schlimmsten Fall ist der Verlust des Arbeitsplatzes die Folge. Betriebe, die ihre Produkte nicht verkaufen können, werden Mitarbeiter*innen abbauen oder gar ganz schließen. Wichtige Arbeitsplätze gehen verloren und das Einkommen wird fehlen. Die Auslagerung in das Home-working bringt zudem Veränderungen mit sich. Wie wird die Arbeitszeit zuhause eingeteilt? Wie kommen Mitarbeiter*innen mit der Situation zuhause klar? Haushalt, Familie und vielleicht auch räumliche Bedingungen können das Arbeiten erschweren. Die Digitalisierung macht Vieles möglich. Wer ist aber der Nutznießer der Gewinne, die durch die Digitalisierung erwirtschaftet werden? Es soll unser aller Anliegen sein, dass diese auch mit dem Arbeiter geteilt werden müssen.
Arbeitsschutz zuhause
Welche Maßnahmen zum Arbeitsschutz werden zuhause eingefordert? Während wir in den Büros strenge Auflagen für Bildschirmarbeit haben, gibt es zuhause noch keine verbindlichen Vorschriften. Die Gesundheit der Mitarbeiter*in­nen muss im Vordergrund stehen. Nicht ausklammern kann ich das Thema „Stress“. Auch hier gibt es im Berufsleben eine klare Stressanalyse und Bewertung eines jeden Arbeitsplatzes. Wie schaut es aber zuhause aus? Ist es überhaupt möglich, im privaten Bereich gesetzliche Vorgaben zu machen und einzufordern? Die Arbeiter*innen werden entsprechend geschult werden müssen, damit sie sich selbstorganisiert gesund durch den veränderten Arbeitsalltag bringen. Ausfälle durch arbeitsbedingte Krankheiten sind eine weitere Armutsfalle, der es gegenzusteuern gilt.
Durch Bildung mithalten
Ein weiterer Bereich, den wir genau beobachten, ist die Bildung. Auch hier kommt es durch die Coronakrise zu großen Veränderungen. Die Digitalisierung schreitet in Riesenschritten voran und längst nicht alle können mit diesen Entwicklungen mithalten. Gute finanzielle Voraussetzungen erleichtern den Zugang zur neuen, digitalen Welt. Jeder Mensch hat aber das gleiche Recht auf Bildung und die Politik ist gefordert. Vor allem in den Schulen gibt es große Diskrepanzen: nicht alle Eltern haben die finanziellen Mittel die technischen Geräte für ihre Kinder anzukaufen. Wenn eine Schule mit ca. 150 Schüler*innen um 25 Leihgeräte anfragt und dann sechs Geräte zugewiesen bekommt, können wir nicht mehr von Bildungsgerechtigkeit reden. Nicht unerwähnt möchte ich die Glasfaseranbindung lassen. Wenn die Digitalisierung Teil unserer Ausbildung ist, wird es wohl unerlässlich sein, dass jedem Bürger und jeder Bürgerin ein möglichst problemloser Zugang zum schnellen Internet möglich ist. Ein entlegen liegender Weiler hat dasselbe Recht wie das städtische Umfeld.
Als KVW ist es uns wichtig, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und dazu beizutragen, dass Bildungsgerechtigkeit für alle garantiert werden kann und das Recht auf menschenwürdige Arbeit nicht zum Nachteil der Schwächeren in unserer Gesellschaft ausgelegt wird.
TEXT: Werner Steiner

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Fragen zur Armut

Was ist Armut?
Armut bedeutet immer ein Mangel an Möglichkeiten. Wer von Armut betroffen ist, hat ein geringes Einkommen, schlechte Bildungschancen, ist häufiger krank und kann am gesellschaftlichen Leben nur eingeschränkt teilnehmen.
Gibt es in Südtirol überhaupt Armut?
Ja. Von Armut betroffen ist nicht nur, wer auf der Straße oder in Pappschachteln schläft. In den reichen Ländern Europas ist Armut oft erst auf den zweiten Blick sichtbar.
Gemeinsam ist allen Armutsbetroffenen weltweit der Mangel an Lebenschancen und Ressourcen. Dazu gehören Ernährung und Wohnraum genauso wie Bildung, Gesundheit, Freundschaften, Anerkennung und die Möglichkeit, den eigenen Lebensraum mitzugestalten.
Wer ist von Armut betroffen?
Armut kann jede und jeden treffen.
Wer erwerbslos, alleinerziehend oder zugewandert ist, oder einen schlecht bezahlten und unsicheren Job hat, ist besonders armutsgefährdet.
Warum sind Frauen - und vor allem Alleinerzieherinnen - stärker armutsgefährdet?
Der Sozialstaat ist stark mit dem Erwerbsarbeitsmarkt verbunden und er geht noch immer von einem Ernährermodell aus, in dem Männer für das Einkommen des Haushalts sorgen und Frauen „dazu verdienen“.
Gleichzeitig ist es nach wie vor so, dass Frauen wegen Sorgetätigkeiten sich nicht oder nur eingeschränkt am Erwerbsarbeitsmarkt beteiligen können.
Sind Armutsbetroffene nicht oft selber schuld an ihrer Situation? Und nutzen viele nicht einfach das Sozialsystem aus?
Sowohl Studien als auch Erfahrungen in der sozialen Arbeit belegen, dass es vor allem ungerechte Strukturen wie schlechte Arbeitsbedingungen und unvorhersehbare Wechselfälle des Lebens wie Krankheit, Jobverlust oder Scheidung sind, die zu Armut führen. Kaum jemand lebt freiwillig von Sozialleistungen.
QUELLE: armut.at