Kommentar
Gesunde Neugierde aufeinander
Wenn wir der Angst gemeinsam das Fürchten lehren
DR. MARTIN FRONTHALER
Direktor Therapiezentrum Bad Bachgart
Psychologe und Psychotherapeut
Direktor Therapiezentrum Bad Bachgart
Psychologe und Psychotherapeut
Die Angst, sich mit Krankheiten anzustecken, begleitet die Menschheit seit Beginn ihrer Geschichte. Krankheitssymptome können dabei als eine Abwehr- und Alarmreaktion gegenüber Bedrohungen oder Gefahren gesehen werden. Das Fieber etwa, mit dem unser Körper versucht, Krankheitserreger zu bekämpfen. Ähnlich ist es mit den Angstsymptomen. Auch sie haben zunächst die Aufgabe, unsere Sinne zu schärfen, uns wachsam zu halten, Körper- und Geisteskraft zu aktivieren. So funktionieren sie zunächst als Schutz- und Überlebensmechanismus, der in realen oder auch nur vermuteten Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten hochfährt. Unsere Entwicklungsgeschichte hat uns geprägt und mahnt, die ängstliche Vorsicht nicht allzu schnell abzulegen.
Reichen eigene positive Maßnahmen nicht aus, sollte man sich Hilfe holen. Die Anfragen bei den psychosozialen Anlaufstellen in Südtirol sind gegenüber anderen Jahren angestiegen. Das Südtiroler Hilfsnetzwerk PSYHELP Covid-19, das aus 15 öffentlichen Diensten und 20 privaten Organisationen besteht, hat reagiert und bietet Informationen und Kontaktmöglichkeiten für Betroffene.
TEXT: Martin Fronthaler
Erfinderisch werden
Angst hat damit das Potential, uns erstarren zu lassen; sie hat aber auch das Potential, uns innovativ, erfinderisch, kreativ und stark werden zu lassen. Zwischen diesen beiden Tendenzen bewegen wir uns auch in Zeiten der Pandemie, wenngleich ich den kreativen Anschub gegenüber der ängstlichen Lähmung etwas vermisse. Ich glaube fest daran, dass wir noch weitaus erfinderischer sein könnten, die gebotene soziale Distanz durch kreative Alternativen zu bereichern. Die ureigenste Qualität von uns Menschen ist es, soziale Wesen zu sein. Erfüllende, zwischenmenschliche Beziehungen zu leben, das ist einer unserer zentralen Werte. Und gerade dort trifft uns jetzt die Pandemie. Einiges von dem, was uns „heilig“ ist, wackelt: wir sehen unsere Gesichter nicht mehr, umarmen und berühren uns nicht mehr, küssen uns nicht mehr, machen sorgsam eine Rückwärtsbewegung, wenn sich jemand nähert. Soziale Isolation droht vielerorts. Eigentlich machen wir das, was wir in der Psychotherapie als „Antidepressivum“ verschreiben, seit Monaten kaum noch. Die gesunde Neugierde aufeinander ist eingeschränkt; wir suchen uns nicht mehr. Auch wenn wir wissen, dass dieses Verhalten nur ein vorübergehendes Verhalten ist, dauert es schon so lange, dass depressive Symptome daraus entstehen. Anhaltende Ängstlichkeit ist Stress, und Stress schwächt das Immunsystem, das wir gerade jetzt dringend brauchen. Wie so oft besteht die Gefahr, dass sich die zunächst gesunde und hilfreiche Angst zu einer lähmenden und blockierenden Dynamik aufbaut.
Sich verbünden
Das tröstende und stärkende Element hingegen sehe ich darin, dass wir einen Gemeinschaftssinn entwickelt haben, dass wir uns verbünden gegen die eindringende Krankheit. Manchmal etwas irritiert, bisweilen verunsichert, aber doch mit dem Mut der Entschlossenen. Wir müssen uns physisch, also körperlich voneinander distanzieren, die psychische Nähe jedoch kann uns niemand nehmen. Und so zeigt sich gerade in diesen, und ich hoffe auch den kommenden Monaten, eine Welle der Gesprächsbereitschaft, mit weniger Scheu gegenüber psychischen Problemen, als wir dies vielleicht in früheren Zeiten beobachtet haben. Die Krise macht Angst, sie hat uns aber auch in beeindruckender Weise sensibilisiert, darüber nachzudenken, welches die Werte unserer Gesellschaft sind. Wenn man über die eigene Existenz und die eigenen Ideale nachdenkt und erkennt, wie zerbrechlich sie sind, dann kann das schon Angst machen. Es wird uns aber das Bewusstsein einbringen, wie wichtig Beziehungen sind. Reden hilft erwiesenermaßen gegen Angst; Reden ist eine Bewältigungsstrategie. Dabei entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das den sozialen Bedürfnissen der meisten Menschen entspricht und die wiederum Sicherheit geben. Jetzt zählt es, ob wir das anwenden können, was wir in der Vergangenheit gelernt haben sollten.
Reden hilft
Heraus aus der Isolation, Hilfe annehmen, Hilfe anbieten, offen sein und sich nicht zurückdrängen lassen. Wenn Angst umgeht, versuchen wir instinktiv irgendeine Form von Kontrolle zu erlangen. Rückzug, Isolation, Alkohol und Grübeln sollen die Angst beruhigen, tun dies aber nicht, sondern heizen sie lediglich an. Beziehungen und zwischenmenschliche Kontakte hingegen halten die Angst in Schach. Das quälende Gefühl von Ohnmacht kann zurückgedrängt werden, weil wir wissen, was zu tun ist; und jeder kann seinen Beitrag leisten. Diese gemeinsame Überzeugung, das glaube ich ganz fest, wird die Angst lindern.Reichen eigene positive Maßnahmen nicht aus, sollte man sich Hilfe holen. Die Anfragen bei den psychosozialen Anlaufstellen in Südtirol sind gegenüber anderen Jahren angestiegen. Das Südtiroler Hilfsnetzwerk PSYHELP Covid-19, das aus 15 öffentlichen Diensten und 20 privaten Organisationen besteht, hat reagiert und bietet Informationen und Kontaktmöglichkeiten für Betroffene.
TEXT: Martin Fronthaler