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Revolution der zärtlichen Liebe

Der Schlüssel zu einem sinnerfüllten Leben und einem guten Miteinander
Zärtlichkeit lässt die Verletzlichkeit aller Dinge wahrnehmen.
Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Katholischen Privatuniverstität in Linz. Sie hat das Buch „Zärtlichkeit. Eine Philosophie der sanften Macht“ geschrieben. Der Begriff Zärtlichkeit wird seit dem Pontifikat von Papst Franziskus öfter verwendetet. Es steht für ein menschliches und christliches Ideal, das für Barmherzigkeit, Nähe, Zuhören und Öffnung steht. Gleichzeitig bedeutet es Widerstand gegen alles, was eine Mauer aufbaut, was keine Veränderung zulässt.
Sie haben das Buch „Zärtlichkeit. Eine Philosophie der sanften Macht“ geschrieben. Warum glauben Sie, dass unsere Gesellschaft Zärtlichkeit braucht?
Isabella Guanzini: Wir befinden uns – zumindest in der westlichen Welt – in einem sozialen, kulturellen und technologischen Zusammenhang, in dem es an Spuren eines umfassenden Geisteslebens mangelt. Die monetäre Orientierung unserer Zeit erzeugt eine Resonanzunfähigkeit und eine qualitative Gleichgültigkeit gegenüber der Singularität der Dinge, da alles schätzbar sein muss. Von daher gibt es wenig Raum für Momente des Mangels, der Ruhe, der Leere, des Verarbeitens und Erzählens.
Dieser Seelenzustand des hochentwickelten Westens bringt also ein Subjekt hervor, das nach Leistung strebt, nicht nach Berufung: Gewinnertypen, Erfolgsmenschen, Karrierefrauen müssen sich sorgfältig vor der Zärtlichkeit hüten, da sie als eine unverzeihliche Schwäche betrachtet wird. Und diese gefühllose, zielorientierte und immunisierte Haltung transformiert Tag für Tag die symbolische und menschliche Landschaft und erzeugt eine unempfindsame Atmos­phäre, ohne Resonanz und Empathie, die die Welt zunehmend einfriert und versteinert. Ich denke, dass die Zärtlichkeit ein Gegenmittel gegen die Ausbreitung dieses erschöpften und gefühllosen Geistes in unseren Gesellschaften sein kann.
Warum sollte Zärtlichkeit eine öffentliche Ressource sein? Gehört Zärtlichkeit nicht in den privaten, zwischenmenschlichen Bereich?
Guanzini: Das Wort „Zärtlichkeit“ klingt sofort sentimental und rhetorisch, absolut unpolitisch, da man es automatisch mit Verweichlichung der Seele assoziiert. Zärtlichkeit ist zu einem Nahrungsergänzungsmittel des Privatlebens geworden, zu einem Wohlfühlbad in der Freizeit. Auch wenn sie noch immer mit humanen Gefühlen assoziiert wird, so scheint die Zärtlichkeit in unserer Zeit keinerlei Strahlkraft oder Stärke zu besitzen. Die Zärtlichkeit stellt jedoch meines Erachtens keine sentimentale Schwäche dar: Sie ist vielmehr ein durchdringender Affekt, eine Art des Wahrnehmens und des Erkennens. Sie entspricht der elementaren Wahrnehmung der Fragilität, nämlich der Verletzlichkeit aller Dinge. Deswegen ist sie heute, in unserer „Gesellschaft des Grolls“ und der Verdrängung unserer geteilten Sterblichkeit, hochproblematisch und unaussprechbar geworden. Dagegen stellt die Zärtlichkeit die grundlegende menschliche Fähigkeit dar, Beziehungen zu knüpfen, die die Welt zusammenhalten. Da die Gefühle wie Abdrücke, Prägungen sind, die Menschen einander hinterlassen, ist jeder Abdruck wesentlich, und kann sogar revolutionär sein, um ein neues, humaneres Miteinander aufzubauen. In diesem Sinne möchte ich das öffentliche und politische Potential der Zärtlichkeit zum Ausdruck bringen. Es geht um einen Prozess, der sich Tag für Tag, Gestus für Gestus, Wort für Wort verwirklicht. Das gegenseitige Weichwerden, das Empfinden von Zärtlichkeit, ist eine gegenseitige Sinngebung, bei der jeder seine Spur auf dem Körper und der Seele des Anderen hinterlässt.
Wie stellen Sie sich eine Gesellschaft vor, die zärtlich ist?
Guanzini: Die alltäglichsten Lebenssituationen, wie Verkehrsstau, überfüllte U-Bahnen und Supermärkte, lange Schlangen an den Kassen könnten Gelegenheiten zum Nachdenken sein. Sie können entweder Orte der Irritation, der Ungeduld und sogar der Gewalt sein, oder Orte des Mitgefühls, des Nachdenkens und der Empathie werden. Die Langsamkeit der alten Person vor mir, die meinen Weg einbremst, aber mich zugleich an meine alte Mutter erinnert, die hyperaktiven Kinder zwischen erleuchteten Supermarktregalen und die Frau an der Kasse, die den Blick des Todes hat, und Menschen, die am Handy extrem laut sprechen – all das macht die Gegenwart der Anderen zu einem störenden Hindernis.
Jede Person hat in jeder Situation die Macht und die Möglichkeit, Kontakt für Kontakt, die soziale Konstellation menschlicher oder unmenschlicher zu machen. Wir befinden uns immer vor einer Wahl: das Gewissen zu „kauterisieren“, d. h. die Präsenz des Anderen zu verdrängen oder sogar als unerträgliche Last zu betrachten, oder physische Kontakte und Begegnungen zu spüren und gut aufzunehmen, sodass das menschliche Miteinander für alle humaner, wärmer, zärtlicher wird.
Gibt es eine Angst vor Zärtlichkeit? Welche Mächte und Systeme sehen sich bedroht?
Guanzini: Einerseits gibt es einen kollektiven Druck, stark sein zu müssen und nie um etwas zu bitten, der ins Innerste dringt. Andererseits brauchen Machthaber nicht-empathische Menschen um sich, um sie besser zu steuern. Stagnation und emotionale Abschottung sind Schlüsselelemente von Machtdispositiven und autoritären Regimes. Solche Formen der Macht verachten jegliche Form der Zärtlichkeit und setzen Kontrollmechanismen ein, die die Trennung der Subjekte und die Hemmung des freien und kritischen Austauschs der Gefühle anstreben. Echte demokratische Kämpfe sind daher Kräfte, die das Soziale aufbauen, unablässig Zusammenhänge weben, die Stagnation in Fluss bringen und sich neue Möglichkeiten von Annäherungen, Zuneigungen und kollektiven Bahnen entdecken. Nur so können die Körper wieder neue Fähigkeiten der Wahrnehmung und neue Lebenskräfte entwickeln, um eine wahre politische Gemeinschaft aus aktiven und freudvollen Kreisläufen des Teilens und Anteilnehmens aufzubauen.
Kann man Zärtlichkeit lernen oder gar unterrichten? Kann es zu einem Schulfach werden, um den jungen Leuten etwas an die Hand zu geben, um soziales Empfinden zu lernen und eine neue, gemeinsame Welt zu schaffen?
Guanzini: Hier kommt die Frage ins Spiel, mit welchen Kriterien wir eine Epoche nicht nur hinsichtlich ihrer außerordentlichen Errungenschaften auf allen Gebieten bewerten können, sondern auch hinsichtlich ihrer Fähigkeit, eine echte menschliche Dimension des Zusammenlebens zu fördern und wertzuschätzen. Die jüngeren Generationen erleben hautnah die Kluft zwischen Zweckrationalität und symbolischer Verantwortung, die in dieser Rationalität so gut wie systematisch annulliert wird. Ich denke, dass es dringend eine „postromantische“ Erziehung der Sensibilität und der Gefühle braucht, um unsere jungen Generationen aus einer gewissen Versuchung von Resignation oder Zynismus herauszuholen. Das Vokabular des Gefühlsspektrums erwächst dank guter Gespräche, aber auch dank der Literatur, der Philosophie und der Filmsprache – d. h. der Bildung. Die Schule trägt natürlich eine enorme Verantwortung dafür. Sie müsste regelrechte Landkarten erstellen, mit deren Hilfe wir uns zumindest in der überbordenden und unbeherrschbaren Welt der möglichen Gefühle orientieren können. Neben dem Unterricht, der immer mehr auf kognitive Techniken wie Mind Maps setzt, muss eine Bildung gefördert werden, die Landkarten der Affekte entwirft, die der Gefühlswelt der aufwachsenden Generationen eine Orientierung geben und Triebe in Begehren verwandeln können.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Wenn uns die Zärtlichkeit streift, wird die Welt tatsächlich zu einem Ort, an dem wir leben können und sie wird endlich lesbar.“ Können Sie uns dazu konkrete Beispiele nennen?
Guanzini: In Momenten der Zärtlichkeit werden wir in unserer geteilten Fragilität wahrgenommen und ohne unsere alltäglichen Masken der Härte und der Kälte anerkannt. Wir können damit eine gegenseitige „Nacktheit der Seele“ und eine besondere abgerüstete Gelassenheit erleben, die eine „gute Müdigkeit“ – in der Sprache von Peter Handke – mit sich bringt. Zärtlich werden bedeutet, dass meine Ich-Ansprüche entkräftet werden und ich endlich in der Lage bin, die Präsenz des Anderen als Anderes einfach wahrzunehmen. Es klingt sehr elementar, und es ist auch so.
Aufgrund der aktuellen Ereignisse wird physische Distanz verordnet. Geht Zärtlichkeit dadurch verloren oder wird sie neu entdeckt?
Guanzini: Notwendigerweise verschärfen die Masken und jene automatischen kleinen Abweichungen, die uns fast unbewusst in unseren Spaziergängen von den Anderen entfernen, das Gefühl, dass unser Weltumgang anders geworden ist. Der Andere birgt die Gefahr einer potenziellen Ansteckung. Wenn aber das Profil unseres Gesichtes durch die Schutzmasken unscharf wird, intensiviert sich stattdessen die Sprachfähigkeit des Blickes. Wenn die Hände den Anderen nicht erreichen dürfen, können es allerdings die Augen, die zu einer Art „Knotenpunkt“ menschlicher Beziehungen geworden sind. Es ist vielleicht auch die Zeit gekommen, unsere „sozialen“ Masken wegzuwerfen und unsere geteilte Fragilität anzuerkennen.
Man könnte sich auch fragen, ob diese Zeit als eine besondere Gelegenheit genutzt werden kann, eine Nähe zu sich selbst und ein neues Selbstbewusstsein zu erleben, um die Wesentlichkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen wahrzunehmen. Hat nicht die auferlegte körperliche Distanz nicht zuletzt auch eine bisher unbekannte Sehnsucht nach den Anderen erweckt?
Zur Person
Isabella Guanzini, geboren 1973 in Cremona, ist Theologin und Hochschullehrerin für Fundamentaltheologie. Sie studierte Philosophie und Theologie in Mailand und promovierte in Fundamentaltheologie an der Universität Wien (2012) und in Philosophie (Humanistische Studien) in Mailand (2013). Seit September 2019 ist Isabella Guanzini Universitätsprofessorin für Fundamentaltheologie an der KU-Linz.

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Netzwerk für Nachhaltigkeit

Im Spätsommer 2020 präsentierte sich Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit der Öffentlichkeit. Es bietet Vereinen, Verbänden, Organisationen und Gruppen die Möglichkeit, sich für eine zukunftsfähige Veränderung in Südtirol stark zu machen. Den gemeinsamen Rahmen für die Veränderung bilden die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.
Gegründet wurde das Netzwerk durch den Impuls von über 30 Organisationen, die seit Jahrzehnten zu den Bereichen Bewusstseinsbildung und globales Lernen in Südtirol aktiv sind. Inzwischen haben sich zu den Initiator*innen bereits 60 weitere Vereine und Organisationen angeschlossen, Tendenz steigend.Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit sieht sich als freie, autonome, partei- und interessensübergreifende Plattform mit einem klaren, dreifachen Auftrag:
1. die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen in Südtirol bekannt zu machen und deren Zusammenspiel und Bedeutung – global und für Südtirol – aufzuzeigen;
2. die Zivilbevölkerung, d.h. Vereine, Organisationen und Gruppen, rund um diese Ziele zu vernetzen, im Sinne einer konstruktiven und wertschätzenden Auseinandersetzung;3. die Netzwerkpartner*innen sowie deren Eigeninitiativen und Veranstaltungen mit Bezug zu diesen Zielen auf der Website www.future.bz.it sichtbar zu machen.
Das Fundament
Die Basis der Vernetzung bilden die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, Kernstück der Agenda 2030. Die Agenda 2030 und die 17 Ziele – auch SDGs (Sustainable Development Goals) genannt – sind ein Fahrplan für die Zukunft: Sie sollen weltweit ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und dabei gleichsam die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft bewahren. Die 17 SDGs decken eine Vielzahl von Themen ab: Klimaschutz, menschenwürdige Arbeit, Geschlechtergleichheit, nachhaltiger Konsum, qualitativ hochwertige Bildung, Schutz der Ökosysteme und Biodiversität, Frieden und Partnerschaften. Dabei sind die Ziele keine Gruppe von Einzelzielen, sondern ein ganzheitlicher, ineinander verflochtener Rahmen.
Konkrete Zielsetzung
Koordinatorin Judith Hafner betont: „Corona hat uns gezeigt, wie schnell sich Spielräume verengen können. Das gilt auch für die nachhaltigen Entwicklungsziele: Noch können wir die Weichen für ein lebenswertes Morgen stellen. Doch dafür müssen wir jetzt unsere Kompetenzen bündeln.“ Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit zielt genau darauf ab: Es schafft eine Plattform, die es allen Engagierten ermöglicht ihre Kräfte zu bündeln.
Gemeinsamer Online-Auftritt
Ein wichtiges Instrument dafür ist das kostenfreie Online-Portal www.future.bz.it, das allen Interessierten, kleinen wie großen Vereinen, Verbänden, Organisationen und Gruppen ermöglicht, sich als Partner*innen einzubringen. Der Online-Kalender ist als gemeinsamer Eventkalender offen für alle Veranstaltungen der Netzwerkpartner*innen. Eine interaktive Südtirol-Karte zeigt, wer sich wo für welche Ziele engagiert und welche Events veranstaltet werden.
Für das Jahr 2021 plant das Netzwerk 173 Initiativen in ganz Südtirol, die ineinandergreifen und das Netzwerk in ein gemeinsames Wirkungsfeld holen.
In 48 Dörfern werden die 17 Ziele vorgestellt und es sollen Ortsgruppen entstehen, die diese Ziele als Netzwerk-Partner konkret umsetzen.