Am Arbeitsplatz müssen Frauen immer noch viele Benachteiligungen hinnehmen: weniger Lohn und dadurch weniger Rente, prekäre Arbeitsverhältnisse und Abwertung ihrer Leistungen. Zudem sind sie öfters Opfer von sexueller Belästigung, wie sexistische Sprüche und körperliche Übergriffe.
Gewalt an Frauen ist ein globales Phänomen und stellt eine gravierende Menschrechtsverletzung dar. Sie ist ein strukturelles Problem, d. h. die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen ist Folge von gesellschaftlichen Bedingungen. Ungleiche Machtverhältnisse führen zu ungleichen Lebenschancen für Frauen.
Gewalt gegen Frauen äußert sich in vielen Formen. Sie findet in den eigenen vier Wänden statt, aber auch im öffentlichen Raum. Fast täglich erreichen uns Meldungen von Frauen, die von ihrem Lebensgefährten oder einer nahestehenden Person umgebracht wurden. 2020 waren es in Italien 112 Frauen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO haben weltweit 30 Prozent aller Frauen in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt durch ihren Partner erlebt.
Feminizide sind dabei nur die Spitze eines Eisbergs. Es gibt eine weniger sichtbare Seite, die z. B. bei der Abwertung von Mädchen und Frauen beginnt, bei der Sexualisierung und Vermarktung des weiblichen Körpers und bei der Nichtsichtbarmachung oder Abwertung von weiblichen Leistungen. Diese Diskriminierungen finden in allen Lebensbereichen statt. So auch am Arbeitsplatz.
Weniger Lohn = weniger Rente
Dabei ist Arbeit ein wichtiger Faktor für die Gleichstellung der Geschlechter. Beim Gender Equality Index, einem Instrument, das den Fortschritt der Geschlechtergleichstellung in der EU im Verlauf der Zeit misst, liegt Italien an 14. Position, ganze 4.4 Punkte unter dem europäischen Durchschnitt. Im Bereich der Arbeit hat Italien mit 63.3 Punkten die schlechteste Punktebewertung in der EU. Frauen sind dabei häufiger von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen, arbeiten gehäuft in schlecht- oder unterbezahlten Berufen, übernehmen mehrheitlich die unbezahlte Familienarbeit und haben deshalb Lücken in ihrer Erwerbsbiografie. Letzteres führt wiederum zu weniger Rentenbeiträgen, einem Gender Pension Gap von 45 Prozent und einem erhöhten Armutsrisiko im Alter. Zudem haben Frauen ein höheres Risiko als ihre männlichen Kollegen Opfer von Mobbing und/oder sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz zu werden. Aus einer ISTAT-Studie geht hervor, dass in Italien 1.404.000 Frauen angeben, Opfer von sexuellen Übergriffen oder Erpressungen im Laufe ihres Arbeitslebens geworden zu sein. Das sind 8.9 Prozent der erwerbstätigen Frauen. Nur wenige geben an, das Vorgefallene gemeldet oder angezeigt zu haben. Eine der häufigsten Ängste ist dabei, dass ihnen nicht geglaubt wird oder sie mit weiteren Schikanen, bis hin zum Verlust der Arbeitsstelle, zu rechnen haben.
Dies ist nur ein Beispiel für das Ausmaß von struktureller Gewalt in unserer Gesellschaft und macht uns schmerzhaft bewusst, dass wir als Gesellschaft versagt haben. Denn, was sagt das über eine Gesellschaft aus, die einen Teil davon nicht schützt? In diesem Sinne wird es noch viele Gedenk- und Aktionstage brauchen, um uns auf unsere Verantwortung aufmerksam zu machen und um einzufordern, dass wirksame Schutz- und Interventionsmaßnahmen auf politischer Ebene umgesetzt werden!
TEXT: Michela Morandini