Leistbares Wohnen ist in Südtirol seit Jahren ein Thema. In vielen Gemeinden sind die Mieten und Kaufpreise stark gestiegen, die Löhne jedoch nicht. Der Bedarf an Wohnungen hat sich durch die immer kleiner werdenden Haushalte vergrößert. Gleichzeitig gibt es Gemeinden, die touristisch attraktiv sind und in denen es deshalb viele Zweitwohnungen gibt. Das Eigenheim ist für viele – vor allem im ländlichen Raum – noch immer ein Ziel. Dies kann jedoch oft nicht ohne eine hohe Verschuldung erreicht werden. Die Herausforderung, Wohnen für die Südtirolerinnen und Südtiroler wieder leistbar zu machen, beschäftigt die Politik ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft. Professor Gottfried Tappeiner beantwortete Fragen zum leistbaren Wohnen, zur Finanzierung, zu den Ansprüchen und den Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf den Wohnungsmarkt.
Eine Faustregel besagt, dass für die Miete etwa ein Drittel des Lohnes ausgegeben werden soll, für die Bezahlung einer Immobilie in Eigentum bis zu 40 Prozent des Einkommens. Für Südtirol stimmt dies längst nicht mehr. Hat diese Faustregel ausgedient? Oder stimmen in Südtirol die Höhe der Löhne oder der Wohnungskosten nicht?
Gottfried Tappeiner: Ganz weit weg sind wir davon nicht. Nehmen wir ein Paar, das 1.500 und 2.000 Euro pro Monat 13-mal im Jahr verdient, dann gibt das ein Jahreseinkommen von 49.000 Euro, und 40 Prozent davon sind 19.600 Euro. Auf eine Laufzeit von 25 Jahren ergibt das 490.000 Euro. Dazu kommt noch eine mögliche Wohnbauförderung. Außerhalb der Zentren und wenn es nicht unbedingt ein Neubau sein muss, kann man da schon etwas finden.
Aber klar, da sind keine Zinsen und keine Spesen eingerechnet und auch nicht die Preise von Bozen oder St. Ulrich. Und 40 Prozent für die Wohnung ist zum Beispiel für eine Familie mit zwei Kindern kaum stemmbar. Ganz zu schweigen, wenn ein Partner krank wird, seinen Job verliert oder die Beziehung auseinandergeht. Dann gibt es eine echte Krise.
Was sich gegenüber früher besonders für handwerklich geschickte Menschen geändert hat: Das Erledigen vieler Arbeiten auf der Baustelle durch die „Häuslebauer*innen“ ist aus diversen Gründen nicht mehr möglich. Ohne diese Möglichkeit würden viele Einfamilienhäuser in Südtirol nicht existieren.
Was kann der Wohnungssuchende oder interessierte Bauherr selber tun, um das Wohnen leistbar zu machen? Müssen die eigenen Ansprüche heruntergeschraubt werden, zum Beispiel weniger Fläche?
Tappeiner: Wir haben derzeit sicher eine besondere Situation: Weil die Zinsen so niedrig sind, fließt viel Geld in Betongold, und das treibt die Preise in ungesunde Höhen.
Und ja, wenn man wirklich auf Eigentum abzielt und nicht in der glücklichen Lage ist, von der Lieblingstante eine Kleinigkeit (am besten eine alte Wohnung) zu erben, werden die Ansprüche niedriger angesetzt werden müssen. Das ist nicht nur für die Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft problematisch. Wo soll ein zweites oder drittes Kind hin? Wo bringt man im Notfall eine Pflegekraft unter?
Andererseits kann sich doch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung eine Zweitwohnung (zum Beispiel in seinem Heimatdorf) leisten. Das erhöht natürlich die durchschnittliche Quadratmeterzahl pro Kopf der Bevölkerung.
Südtirol hat mit etwa 75 Prozent einen hohen Anteil an Eigentumswohnungen. Oft wird das auch als Sicherheit fürs Alter gesehen. Eigentum oder Miete, was ist zeitgemäß? Der Arbeitsmarkt verlangt Mobilität.
Tappeiner: Was „zeitgemäß“ ist, ist relativ. Klar ist, dass man mit Eigentum weniger flexibel wird: eine neue Arbeit, wachsende und schrumpfende Familie, barrierefreier Zugang, aber auch geänderte Ansprüche, zum Beispiel wegen Home office.
Eigentum gibt aber auch, vor allem wenn es abbezahlt ist, eine bestimmte Sicherheit. Solange die Immobilienpreise ständig steigen, kann man es ja leicht wieder in Geld umwandeln. Das muss aber nicht so bleiben. Was passieren kann, wenn Immobilienpreise fallen, hat die Finanzkrise 2008 in den USA dramatisch gezeigt.
Generell gilt wohl, dass Eigentum nur dann gewählt werden soll, wenn der Flexibilitätsbedarf in der Jugend ausgelaufen ist und wenn man einen Finanzplan hat, der einem Stresstest (Krankheit, Scheidung ...) standhält, sonst ist man hochriskant unterwegs.
Man kann aber schon einmal „testen“, ob man mit den zu erwartenden finanziellen Belastungen zurecht kommt, indem man die erwartete Rate abzüglich der Miete zum Beispiel über das mit den Zusatzrentenfonds verbundene Bausparen anspart.
Wenn man entweder nicht genug Einkommen hat oder die mit Eigentum auf Kredit verbundenen Einschränkungen nicht eingehen möchte, braucht es eine Alternative. Dass man eine Alternative hat, setzt aber voraus, dass es einen funktionierenden Mietmarkt gibt, sowohl im Bereich der sozialen Mieten als auch bei den freien Mieten. Weil Südtirol so viele Eigentumswohnungen hat, ist dieser Markt nicht gut entwickelt. Mietobjekte für junge Singles sind noch knapper als Wohnungen generell. Hier haben wir wohnbaupolitisches Potential.
Ist leistbares Wohnen nur ein Thema in Städten und Tourismushochburgen oder für ganz Südtirol?
Tappeiner: Natürlich ist das Wohnen an Brennpunkten – und das sind attraktive Orte wie Städte oder Tourismusorte – besonders teuer. Fragen Sie einmal die Menschen in München, wie das in einer Großstadt ist. Aber nicht nur in diesen Brennpunkten ist Wohnen ein Problem: Auch auf dem Land ist Wohnen – und das ist ja nicht nur die Miete oder die Rate für den Wohnungskredit – eine dominante Position im Budget eines Haushalts. Dauerhaft wird sich das nur ändern, wenn mehr Angebot existiert. Welche Möglichkeiten dafür raumordnerisch existieren (beispielsweise höhere Verdichtung), ohne andere Werte wie das Ortsbild zu gefährden, muss man prüfen und politisch diskutieren.
Die gesellschaftliche Entwicklung geht in Richtung kleiner Haushalte und Single-Haushalte. Außerdem stiegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung. Dadurch steigt der Bedarf an Wohnungen bereits ohne Zunahme der Bevölkerung. Wird dieser Trend anhalten?
Tappeiner: Der Bedarf an Wohnraum steigt nicht nur aufgrund der demografischen und der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Haupttreiber sind die Ansprüche, die wir an die Wohnung stellen. In den 60er Jahren wäre eine heute durchaus übliche Quadratmeterzahl pro Person unvorstellbar gewesen. Hier kommt wieder das Eigentum ins Spiel: Wohnfläche wird immobil. Wenn einem die Wohnung – sagen wir 120 Quadratmeter – gehört, die Kinder außer Haus und der Partner leider verstorben ist, wird man sehr ungern in eine Zwei-ZimmerWohnung ziehen, die eigentlich ausreichend und vielleicht leichter zu pflegen wäre. Ob hier neue Wohnformen (z.B. betreutes Wohnen) mehr Mobilität von Wohnraum bringen, ist eine kulturelle Frage, und kulturelle Veränderungen brauchen immer viel Zeit.
Nicht unterschätzen sollte man die Tendenz, die durch die Pandemie noch beschleunigt worden ist, den Arbeitsplatz zumindest zeitweise an den Wohnort zu verlegen. Das wird Zusatznachfrage erzeugen, die auch auf die Preise der Wohnungen wirken werden. Ob innovative Konzepte wie Coworking-Spaces das aufwiegen oder zumindest bremsen können, bleibt abzuwarten.
Das Problem, dass Wohnen teuer ist, existiert – und es belastet viele Menschen. Es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen, aber man kann – einige Möglichkeiten wurden schon erwähnt – Entwicklungen einleiten, die mittelfristig eine Entlastung bringen können.