Fleischkonsum und Tierwohl
Ethische Aspekte des Fleischkonsums
„Sag mir: Wie hältst du’s mit dem Fleischessen?“
Der heiligen Franz von Assisi hatte eine besondere Beziehung zu den Tieren, er sieht die Welt und alle Lebewesen als Schöpfung Gottes.
Bei vielen Vorträgen über Tierethik wird in der anschließenden Diskussion die Frage gestellt, ob Fleischkonsum ethisch (noch) verantwortbar sei. Das Essen von Fleisch ist nicht nur eine Frage des persönlichen Geschmacks oder der gesunden Ernährung, sondern spielt auch eine politische und umweltethische Rolle.
Martin M. Lintner,
Mitglied des Servitenordens, Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie
an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen
Mitglied des Servitenordens, Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie
an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen
In den Diskussionen werden verschiedene Gründe genannt, die gegen den Fleischkonsum sprechen. Drei möchte ich nennen und kurz auf sie eingehen.
Intensive Landwirtschaft und industrialisierte Nutztierhaltung
Erstens: Die intensive Landwirtschaft und industrialisierte Nutztierhaltung, ohne die der hohe Fleischkonsum auch bei uns von rund 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr nicht möglich ist, verursachen ein Viertel bis die Hälfte der jährlichen Treibhausgasemissionen weltweit (je nachdem, ob man nur die unmittelbaren oder auch die mittelbar mit der Tierhaltung verbundenen Emissionen zählt) und sind somit wesentlich mitverantwortlich für die globale Erderwärmung. Zweitens: Es gibt in der intensiven Nutztierhaltung zum Teil gravierende Missstände in tierethischer Hinsicht, die gesellschaftlich mehr und mehr kritisch hinterfragt werden. Drittens stellt sich die grundsätzliche Frage, mit welchem Recht wir Tiere überhaupt töten und damit ihr fundamentales Lebensinteresse verletzen.
Zum ersten Punkt: Es geht hier nicht darum, die Landwirtschaft oder die Tierhaltung als solche an den Pranger zu stellen, sondern auf die Treibhausgasemissionen in den industrialisierten Agrarsystemen hinzuweisen. Über 60 Prozent der lebenden Biomasse von Wirbeltieren sind Nutz- und Haustiere. Weltweit werden jährlich über 80 Milliarden Tiere gemästet und geschlachtet. Allein in Italien werden jährlich über 600 Millionen Tiere geschlachtet (Fische ausgenommen), also das Zehnfache der Einwohnerzahl. Um diese enorme Menge an Nutztieren zu ernähren, werden weltweit riesige Flächen von Urwäldern gerodet oder gebrandschatzt, um Futtermittel für die Tiere zu produzieren. Für die Produktion der interkontinental transportierten Futtermittel ist ein enormer Einsatz von synthetischen Düngern und Energie vonnöten.
Zum ersten Punkt: Es geht hier nicht darum, die Landwirtschaft oder die Tierhaltung als solche an den Pranger zu stellen, sondern auf die Treibhausgasemissionen in den industrialisierten Agrarsystemen hinzuweisen. Über 60 Prozent der lebenden Biomasse von Wirbeltieren sind Nutz- und Haustiere. Weltweit werden jährlich über 80 Milliarden Tiere gemästet und geschlachtet. Allein in Italien werden jährlich über 600 Millionen Tiere geschlachtet (Fische ausgenommen), also das Zehnfache der Einwohnerzahl. Um diese enorme Menge an Nutztieren zu ernähren, werden weltweit riesige Flächen von Urwäldern gerodet oder gebrandschatzt, um Futtermittel für die Tiere zu produzieren. Für die Produktion der interkontinental transportierten Futtermittel ist ein enormer Einsatz von synthetischen Düngern und Energie vonnöten.
Grausames Tierleid für Milliarden von Nutztieren
Zum zweiten Punkt: Sowohl aus nutztierwissenschaftlicher wie tierethischer Sicht ist unbestritten, dass die Haltungs- und Schlachtungsbedingungen dieser zig Milliarden Nutztiere mit einem unermesslichen Maß an grausamem Tierleid verbunden sind. Der derzeitige hohe Konsum von tierischen Produkten im Allgemeinen und von Fleisch im Besonderen ist nur möglich aufgrund von Formen von Haltung, Transport und Schlachtung von Tieren, die tierethischen Standards nicht gerecht werden. Diesbezügliche Recherchen und Dokumentationen können im Internet abgerufen werden. Sie stellen nicht Ausnahmen, sondern die tägliche Wirklichkeit dar. Auch in Südtirol sind wir keine Insel der Seligen. Durch den Import von Kraftfutter, den Handel mit Mast- und Schlachtvieh sowie die Produktion und den Konsum von Fleischprodukten sind wir in internationale Abläufe eingebunden, die dem Idyll der glücklich weidenden Tiere auf einem Südtiroler Bergbauernhof widersprechen. Das neue Gütesiegel zum Tierwohl „ClassyFarm“ bringt manche Bauern unter Druck, weil sie die Tierwohlkriterien nur schwer erfüllen können. Die derzeitige Milchwirtschaft funktioniert auf der Basis, dass die Kälbchen unmittelbar nach ihrer Geburt von der Mutterkuh getrennt werden. Die muttergebundene Aufzucht bleibt nach wie vor die große Ausnahme. Die meisten der bei uns geborenen Stierkälbchen werden zur Mast außer Landes verkauft und abtransportiert. Umgekehrt wird über 90 Prozent des in Südtirol verarbeiteten und konsumierten Fleisches importiert, wobei Speck einen hohen Anteil davon ausmacht.
Viehbestand in Südtirol 2020
QUELLE: Agrar- und Forstbericht 2020
Welches Leben haben Tiere, wie werden sie getötet?
Über die dritte Frage, ob wir Tiere überhaupt töten dürfen, können sich sehr emotionale und kontroverse Diskussionen entfachen, bei denen es auch um grundsätzliche philosophische Positionen geht. Um mich kurz zu fassen: Entscheidend ist meines Erachtens nicht die Frage, ob wir Tiere töten, sondern wie: dass sie schmerz- und stressfrei getötet werden und dass wir ihnen zuvor ein Leben ermöglichen, das ihren artspezifischen und individuellen Bedürfnissen entspricht. Dahinter steht die Position, dass wir Tiere zwar nutzen dürfen, aber nur dann, wenn wir zugleich auch bereit sind, ihre artspezifischen und individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten, besonders auf der sensitiven, emotionalen und auch kognitiven Ebene, zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass wir Tiere nie nur auf ihren Nutzen für uns Menschen reduzieren, sondern dass wir sie unabhängig von ihrer Nützlichkeit für uns immer auch in ihrem Eigenwert achten und respektieren. Dies ist übrigens der Standpunkt, den Papst Franziskus in der Umweltenzyklika „Laudato si’“ vertritt. Die Evangelischen Kirchen fordern in der Studie „Nutztier und Mitgeschöpf! Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht“ von Landwirtschaft, Handel und Konsument:innen mehr Wertschätzung für Tiere und unter dem Schlagwort „Rückkehr zur alten Tradition des Sonntagsbratens“ eine deutliche Reduktion des Fleischkonsums.
Beim Fleischkonsum stellen sich einige ethische Fragen: Dürfen wir Tiere überhaupt töten? Darf Nutztierhaltung industrialisiert werden? Wie werden Tiere gehalten, wie werden sie geschlachtet?
Es ist zu begrüßen, dass für immer mehr Konsument:innen das Tierwohl eine Rolle spielt und dass sie Transparenz fordern über die Bedingungen, unter denen Tiere gehalten und geschlachtet werden. Wachsen muss aber auch die Bereitschaft, für Produkte aus einer ökologisch nachhaltigen und tierwohlfreundlichen Landwirtschaft einen gerechten Preis zu bezahlen, während andere tierische Produkte – etwa das vieldiskutierte Billigfleisch wie die Brathendln, die bei jedem Dorf- und Vereinsfest serviert werden – mit einem Aufpreis zu belegen sind, die hinsichtlich der Verursachung von Umweltschäden die Kostenwahrheit widerspiegeln. Doch allein über den Preis lässt sich das Problem nicht steuern. Es braucht ein radikales Umdenken im Agrarsystem sowie die Bereitschaft von immer mehr Konsument:innen, ihren Ernährungsstil zu ändern: erstens den Fleischkonsum merklich zu reduzieren und zweitens ausschließlich Fleisch aus einer ökologischen Landwirtschaft mit hohen tierethischen Standards zu kaufen. (Das wäre übrigens für die heimische Landwirtschaft eine meines Erachtens immer noch verkannte Chance.) Drittens: Vegetarische und vegane Gerichte stehen konsequent auf jeder Speisekarte. Bei Empfängen, Pfarr- und Vereinsfesten, Hochzeiten etc. werden fleischfreie Gerichte als die normalen Hauptgerichte serviert. Das sind meines Erachtens notwendige Schritte in die richtige Richtung.
TEXT: Martin M. Lintner
TEXT: Martin M. Lintner