KVW Aktuell
Die Frage der sozialen Gerechtigkeit
Immer mehr Menschen kommen schlecht über die Runden
Sozial schwächere Gruppen in unserer Gesellschaft laufen Gefahr, in die Armutsspirale zu rutschen und an den Rand gedrängt zu werden.
Die Corona-Pandemie hat viele soziale und finanzielle Probleme in unserer Gesellschaft verstärkt – eine gewaltige Herausforderung für die Gemeinschaft wie die Entscheidungsträger gleichermaßen. Der KVW Landesvorsitzende Werner Steiner dazu im Gespräch.
Werner Steiner,
Landesvorsitzender des KVW
Landesvorsitzender des KVW
Die Lebenshaltungskosten steigen, die Wirtschaft erholt sich, die Löhne bleiben jedoch gleich: Kann man so die momentane Lage beschreiben?
Werner Steiner: Im Großen und Ganzen würde ich das bejahen. Täglich erfahren wir von neuen Preissteigerungen in lebensnotwendigen Bereichen und von einer zunehmenden Inflation. Das macht vielen Menschen zu schaffen; sie werden von Angstgefühlen geplagt. Sie gehen einer geregelten Arbeit nach und müssen trotzdem um ihr Auskommen mit dem Einkommen bangen. Das ist eine klare Fehlentwicklung.
Auch im Bildungsbereich hat die Pandemie gezeigt, dass längst nicht alle mit den neuen Anforderungen zurechtkommen. So hat zum Beispiel der Ankauf von digitalen Medien im Pflichtschulbereich viele Familien finanziell zusätzlich belastet. Bildung muss für alle verfügbar sein! Nur dadurch können wir gewährleisten, dass Chancengerechtigkeit erhalten bleibt und alle Menschen in unserer Gesellschaft eine gleichwertige Möglichkeit der Weiterentwicklung haben. Nur so kann der soziale Frieden auch in Zukunft erhalten bleiben.
In den vergangenen zwei Jahren stand der Erhalt des Arbeitsplatzes im Vordergrund. Allgemein gab es großes Verständnis für die schwierige Lage vieler Arbeitgeber:innen. Gilt dies immer noch? Oder braucht es nun eine Anpassung der Löhne?
Steiner: Die Zeit der Pandemie hat große Veränderungen in unserem Leben und besonders in unserem Arbeitsleben mit sich gebracht. Der Lockdown hat alles stillgelegt und es war für viele von uns eine völlig neue Situation: Wir durften etwa die eigenen vier Wände nicht mehr verlassen. Wer das Glück eines „systemrelevanten“ Berufes hatte, konnte weiterhin seiner Arbeit nachgehen – alle anderen standen von einem Tag auf den anderen in einer unbekannten Lage, die auch finanzielle Veränderungen mit sich brachte. Nun sind wir so weit, dass sich die Wirtschaft wieder erholt und in einigen Bereichen schon fast wieder Normalwerte erreicht; darüber sind wir froh. Jetzt braucht es aber eine Anpassung der Löhne, vor allem wegen der steigenden Verbraucherpreise. Die Lösung kann nicht sein, den Bruttolohn gleich zu lassen und Abgaben an den Staat umzuleiten. Dies trifft uns dann wieder, wenn in den öffentlichen Haushalten die Mittel fehlen und die Staatseinnahmen mit Steuergeldern aufgestockt werden müssen.
Beim KVW und vor allem im Patronat suchen Menschen Hilfe, wenn sie um finanzielle und soziale Hilfeleistungen ansuchen. Wie schätzen Sie die soziale Situation der Menschen in Südtirol ein?
Steiner: Immer mehr Menschen werden auch in Südtirol an den Rand der Gesellschaft gedrückt: Es gibt sozial schwache Menschen, alte und pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Beeinträchtigung, kinderreiche Familien. Die Aufzählung ließe sich noch leicht weiterführen. Das gibt mir das Gefühl, dass die Randbereiche unserer Gesellschaft immer breiter werden. Als Sozialverband sehen wir das mit Besorgnis. Es ist eine unserer Aufgaben, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen und eine Korrektur anzumahnen. Es ist für eine Gesellschaft und deren Zusammenhalt nicht gut, wenn Ungleichheiten zunehmen und sie sich in Richtung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bewegt.
Wo kann und soll die Politik ansetzen, um für mehr Gerechtigkeit und einen Ausgleich zu sorgen?
Steiner: Immer mehr Menschen droht die Armut, deshalb braucht es einen gut ausgestatteten Landeshaushalt in den Bereichen Soziales und Gesundheit. Die großen Einsparungen der letzten Jahre im Gesundheitswesen haben gezeigt, wie schnell der Schuss nach hinten losgehen kann. Leistbares Wohnen und eine flächendeckende Gesundheitsversorgung müssen auch weiterhin für alle gewährleistet werden. Ich finde es bedenklich, wenn junge Familien einen großen Teil ihres Einkommens für private Zusatzversicherungen ausgeben müssen, da das öffentliche Gesundheitssystem keine ausreichende Versorgung mehr bietet.Auch im Bildungsbereich hat die Pandemie gezeigt, dass längst nicht alle mit den neuen Anforderungen zurechtkommen. So hat zum Beispiel der Ankauf von digitalen Medien im Pflichtschulbereich viele Familien finanziell zusätzlich belastet. Bildung muss für alle verfügbar sein! Nur dadurch können wir gewährleisten, dass Chancengerechtigkeit erhalten bleibt und alle Menschen in unserer Gesellschaft eine gleichwertige Möglichkeit der Weiterentwicklung haben. Nur so kann der soziale Frieden auch in Zukunft erhalten bleiben.