Thema

Haben wir als Christen (noch) einen Geschmack?

Die christlich-sozialen Werte als „Würze“ der Gesellschaft
Seit mehr als 70 Jahren gibt es den KVW in unserem Land. Er wurde gegründet, um den Menschen zu ihrem Recht auf Rentenvorsorge zu verhelfen.
Werner Steiner,
Landesvorsitzender des KVW
Die Anfänge unseres Verbandes
In den Nachkriegsjahren stand es sehr schlecht mit der rentenmäßigen Absicherung der arbeitenden Bevölkerung. Viele waren nicht im Stande, sich zu informieren oder den Gang der staatlichen Mühlen zu verstehen. Am 8. Februar 1948, am Tag der Solidarität, wurde in unserem Land zum ersten Mal eine Sammlung in den Kirchen durchgeführt. Diese war die Grundlage für den Aufbau eines Patronates. Bald darauf wurde in Anlehnung an die italienische Schwesterorganisation ACLI („associazione cristiana lavoratori italiani“) der KVW gegründet, mit der christlichen Soziallehre als Auftrag. Bischof Gargitter ließ sogar allen Priestern eine Aufforderung zukommen, in jedem Ort eine KVW Ortsgruppe mit sozial engagierten Laien zu gründen oder andernfalls selbst für die Umsetzung der Anliegen zu sorgen. Dieses System hat sich bis heute vielerorts gut gehalten und bewährt.
Was ist soziale Gerechtigkeit?
Seit 2013 bin ich nun Landesvorsitzender, und in den Verbandsgremien tauchte immer wieder die Frage nach der christlichen Soziallehre auf. Die Grundprinzipien von Gemeinwohl, Solidarität, Personalität, Subsidiarität, Einsatz für die Armen werden in unseren Sitzungen immer wieder eingefordert und angemahnt. Und doch beklagen wir eine zunehmende Abnahme des Sozialen in unserer Gemeinschaft. Jeder Mensch hat das Recht, im Sinne der Menschenwürde in das Gemeinwohl einbezogen zu sein. Wer es mit Eigenleistung nicht schafft, hat Anspruch auf Unterstützung. Das ist für mich die soziale Gerechtigkeit, die für das Funktionieren einer Gesellschaft notwendig ist. Tatsache ist aber auch, dass Individualinteressen und Lobbydenken unseren Alltag bestimmen.
Unterstützung muss gerechtfertigt sein
Subsidiarität bedeutet, dass jeder zunächst sich selbst bemühen muss. Und trotzdem erleben wir es täglich, dass sofort und laut um öffentliche Unterstützung gerufen wird. Wenn es um finanzielle Hilfeleistungen geht, werden wir sehr kreativ, um unsere scheinbare Bedürftigkeit unter Beweis zu stellen. Wir haben uns als Verband immer für eine bedarfsorientierte Unterstützung eingesetzt. Für uns als KVW stehen die sozialen Aspekte der Maßnahmen im Vordergrund – das sollte unsere Devise bleiben.
„Salzsein“ in der christlichen Soziallehre
In der Landesversammlung heuer gingen wir auf unsere Werte als KVW, mit einem Referat des österreichischen Theologen und Sozial- und Wirtschaftsethikers Markus Schlagnitweit, ein. Dabei verwendete er das Salz als Symbol für die Werte unserer Gesellschaft. So wie das Salz für eine schmackhafte Speise notwendig ist, so sollen auch die Prinzipien der christlichen Soziallehre unser Zusammenleben kennzeichnen. Für das gute Gelingen einer Speise braucht es das Salz – im richtigen Maß.
Als KVW Mitglied zum Gemeinwohl beitragen
In diesem Zusammenhang werden zwei Aspekte sichtbar. Das Salz ist wichtig, es ist etwas sehr Wertvolles. Genauso braucht es Sie als Mitglied im KVW. Sie sind unser „Salz“. Sie sind eines von rund 30.000 Mitgliedern und unterstützen mit Ihrem Mitgliedsbeitrag Ehrenamtliche in der Umsetzung der christlichen Soziallehre. Auch in unseren Ortsgemeinschaften pflegen wir einen am Gemeinwohl ausgerichteten Umgang miteinander. KVW Mitglied sein bedeutet: dazu beitragen, dass wir auch weiterhin in guter Gemeinschaft aller leben können.
Soziale Werte weitertragen
Als zweiten Aspekt möchte ich den Gedanken, dass Salz sich ganz auflöst, aber trotzdem als Geschmack vorhanden bleibt, aufgreifen. Machen wir etwas aus unserem „Salzsein“! Mit unseren KVW Aktionen setzen wir uns für ein soziales Miteinander ein, und dies aus Überzeugung. Unsere medial geprägte Welt zeigt eher das Gegenteil: Jede Handlung muss sofort dokumentiert und online gestellt werden. Diese überzogene Individualisierung irritiert mich. Es kommt zu einer Schnelllebigkeit, mit der wir nicht Schritt halten können. Häufig nehmen wir den Kern der Botschaften gar nicht mehr wahr. Wenn wir unser „Salzsein“ ernst nehmen in Beruf, Ehe, Familie oder anderen Gemeinschaften, können wir andere begeistern und mitnehmen. Das ist unser Auftrag als Christen – unsere Verantwortung in einer sich verändernden Gesellschaft.

TEXT: Werner Steiner

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Ihr seid das Salz der Erde

Zur politischen Dimension des Christseins
Salz ist niemals neutral, sondern ein unverzichtbares Gewürz. Es ist wie im täglichen Leben: Ideal ist weder ein Zuviel noch ein Zuwenig.
Es ist Aufgabe jeder Religion, ihr spezifisches Verhältnis zu Politik und öffentlichem Leben zu bestimmen. Der moderne Versuch, Religion zur Privatsache zu erklären und damit aus dem öffentlichen Leben zu verbannen, muss sich als untauglich erweisen und scheitern.
Markus Schlagnitweit,
Theologe, Sozial- und Wirtschaftsethiker und Direktor
der Katholischen Sozialakademie Österreichs (KSÖ)
Dieser Versuch verkennt nämlich ein zentrales Wesensmerkmal von Religion: Da Religion letztlich darauf abzielt, das Leben ihrer Gläubigen in irgendeiner Weise zu prägen, dieses Leben sich aber immer in sozialen Kontexten vollzieht, die den Raum des rein Privaten übersteigen, beeinflussen Religionen immer auch diese weiteren sozialen Kontexte und werden damit öffentlich. Allenfalls die freie Entscheidung, ob ein Mensch sich der einen oder anderen oder gar keiner Religion anschließt, ist dessen ureigene, persönliche Angelegenheit (und zugleich ein fundamentales Menschenrecht). Diese religiöse Option selbst aber setzt jeden Menschen bereits in ein spezifisches Verhältnis zu seiner Mitwelt und zu deren Öffentlichkeit – und ist insofern auch politisch, weil ein Mensch ja gar nicht nicht-politisch sein kann.
Auf der Suche nach einer markanten Kurzformel, welche imstande ist, das politische Wesen des Christseins auszudrücken, bin ich auf das Bildwort aus der jesuanischen Bergpredigt gestoßen: „Ihr seid das Salz der Erde.“ – Dieses Wort beschreibt zunächst selbst schon ein Beziehungsverhältnis; es heißt ja nicht einfach: „Ihr seid Salz“, sondern „Salz der Erde“.
Salz ist ein Gewürz – kein besonders raffiniertes und exotisches, sondern ein alltägliches, ein Grundgewürz. Gerade hierin liegt auch seine Besonderheit: Salz macht viele Speisen erst schmackhaft oder bringt den Eigengeschmack einer Speise oft erst zur Geltung. Wer – etwa aus gesundheitlichen Gründen – salzarm leben muss, weiß, wie schwer Salz zu ersetzen ist. Und wer beim Kochen schon einmal Salz vergisst, darf kaum mit dem Lob der Bekochten rechnen. Tatsächlich gibt es praktisch keine Speise, bei der Salz – und sei es nur eine feine Prise – fehl am Platz ist. Jedenfalls hält das Bibelwort daran fest: „Ihr seid das Salz der Erde.“ Salz der Erde sein meint also: es immer und überall sein.
„Salzsein“ hat stets eine Wirkung
Heißt „immer und überall“ auch „ob gelegen oder ungelegen“? Ich möchte sagen: geradezu zwangsläufig. Salz ist eben salzig und nicht neutral. Wenn Christsein „Salzsein“ heißt in dieser Welt, dann sollte es einerseits wohl Würze sein für diejenigen, die mit der Suppe, die sie löffeln, keine rechte Freude haben können: Für viele reicht ihre „Lebenssuppe“ ja gerade zum Dahinvegetieren und oft nicht einmal das; ihre Suppe ist bitter geworden vor Sorge oder schal vor Einsamkeit oder Eingespanntsein in eine Tretmühle, und die Einlage besteht aus würgenden Brocken der Angst. Vielen ist die Suppe auch fade geworden, wenn sie plötzlich merken, dass die glänzenden Fettaugen an der Oberfläche nur die Blasen täuschender Glücksverheißungen sind. Das Leben bietet vielen Menschen wenig, woran sie Geschmack und Freude finden können. Dafür zu sorgen, dass solches Leben schmackhafter wird, dass es gerne gelöffelt wird, könnte also „Salz der Erde sein“ bedeuten – und hat auf der anderen Seite einen unvermeidlichen Nebeneffekt: Es gibt immer auch Menschen und Gruppen, denen die bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse gerade so, wie sie sind, hervorragend passen, denen ihre „Lebenssuppe“ also herrlich mundet. Salz der Erde sein bedeutet auf dieser Seite dann aber unvermeidlich, bereits ausreichend und hervorragend gewürzte Suppen zu versalzen – nicht mutwillig: aus Missgunst, Bosheit oder moralinsaurer Besserwisserei! Aber das Salz, das die Geschmacksverhältnisse in dieser Welt zugunsten derjenigen verändert, deren Leben nach zu wenig schmeckt, wird für die Genießer ebendieser Welt unvermeidlich ein Zuviel an Salz bedeuten. Salz ist eben nie neutral, sondern salzig und deshalb parteiisch: zugunsten jener, denen es (noch) nicht schmeckt und zulasten jener, denen es dessen ungeachtet allzu gut geht. Und wehe, das Salz wollte geschmacksneutral sein! Es taugte dann zu nichts mehr, würde verworfen und von den Leuten zertreten – so das Bibelwort.
Auch ein Zuviel kann schaden
Als Salz neutral sein zu wollen, ist aber nur die eine Gefahr, vor der das biblische Wort warnt. Der andere Graben droht dort, wo etwa christliche Fundamentalisten und Fanatiker sich nicht damit begnügen wollen, „nur“ Salz der Erde zu sein. In der Geschichte des Christentums taucht immer wieder der totalitäre Traum einer durch und durch „christlichen“ Gesellschafts- oder gar Weltordnung auf: christliche Wirtschaft und Geldordnung, christliche Gesellschaft, christliche Politik – und wie sie alle heißen mögen, diese verlockenden Visionen eines institutionalisierten Gottesreiches auf dieser Welt. Was dabei vergessen wird: Salz ist nur ein Gewürz, nicht die ganze Speise. Ein Zuviel an Salz macht alles ungenießbar und ist in letzter Konsequenz sogar mörderisch. Das Tote Meer heißt nicht zufällig so. Die christliche Wirtschafts-, Gesellschafts- und Weltordnung gibt es also nicht – allenfalls in den Köpfen von Ideologen. Aber solch totalitäre Ideologien sind immer tödlich – wie eine Handvoll reines Salz. Salz ist eben „nur“ Gewürz, kein Nahrungsmittel. Nirgends mutet Christus seiner Jüngerschaft zu, selbst Nahrung zu sein für diese Welt. Das Brot, die Nahrung und Speise für diese Welt zu sein, das kommt nach christlichem Glauben einem anderen zu.
Salz ist unverzichtbar
Dennoch: Auch Salz ist lebensnotwendig. Der menschliche Organismus braucht es. Vielleicht ist dem Menschen der Moderne die Verfügbarkeit von Salz allzu selbstverständlich und sein Wert deshalb allzu gering geworden, weshalb es zuweilen auch in gesundheitsschädlichem Ausmaß Verwendung findet oder im Winter tonnenweise auf Straßen und Wege gekippt wird. In früheren Zeiten galt Salz dagegen als „weißes Gold“. Entlang der alten Salzstraßen brachte dieses wertvolle Gut den Städten, die damit Handel trieben, beträchtlichen Wohlstand. Der Handel mit Salz unterstand rigorosen gesetzlichen Regelungen und galt als besonderes Privileg. Und in den Wüstengebieten des Orients wird heute noch – uraltem, heiligem Brauch entsprechend – dem Gast zum Willkommen Brot und Salz gereicht: Ausdruck der Wertschätzung des Gastes und zugleich der Lebensnotwendigkeit des Salzes. Man muss sich diesen ursprünglichen Wert des Salzes vor Augen halten, will man das biblische Wort recht verstehen. Letztlich sagt es auch: Christsein ist lebensnotwendig für diese Welt. Sie braucht es. Ob sie sich dessen bewusst ist oder es sogar ablehnt, ist sekundär. Die entscheidende Frage, die zugleich Auftrag und Mahnung an alle Getauften ist, lautet: Wie würde diese Welt aussehen ohne Christentum – ohne das liebevolle Menschen- und Weltbild, ohne den positiven Gestaltungsauftrag und auch ohne die prophetische Kraft, das heißt, ohne die kritische Würze der christlichen Botschaft?
Christsein heute
Keine Frage: Der enorme Substanz- und Glaubwürdigkeitsverlust der christlichen Kirchen in den Gesellschaften der Moderne und Postmoderne ist nicht wegzuleugnen. Ich vermute, dass dieser Bedeutungsverlust unter anderem mit der bewussten oder unbewussten Weigerung vieler Christen und Christinnen zu tun hat, wirklich Salz dieser Erde sein zu wollen. Vielen Menschen ist das christliche Glaubenszeugnis deshalb zu geschmacksneutral – also belanglos, manchen vielleicht sogar zu
zuckersüß geworden. Dennoch: Das Salz der jesuanischen Botschaft und ihrer Gefolgsleute ist auch weiterhin lebensnotwendig – sofern es wirklich salzig ist und nur Gewürz.
aus: Daniela Feichtinger/Markus Schlagnitweit. Was würde Jesus tun. Anregungen für politisches Handeln heute, Wien – Graz (Styria Verlag) 2021, S. 15-18. (ISBN: 978-3-222-13673-3)
TEXT: Markus Schlagnitweit