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Starke Schultern können mehr tragen

Einmischen für soziale Gerechtigkeit
Steigende Preise: der Einkauf muss überlegt sein - FOTO: pexels – kampus-production-8422685
Wir erleben das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Alles scheint in Bewegung zu geraten, mit tiefen Erschütterungen und Einschnitten. Der Krieg in der Ukraine nimmt kein Ende. Der Klimawandel zeitigt katastrophale Folgen. Energie- und Lebensmittelpreise steigen. Bauern geben ihre Höfe auf, weil sie die steigenden Kosten nicht mehr bewältigen können. Insolvenzen, Entlassungen und damit steigende Arbeitslosigkeit sind an der Tagesordnung. Die Inflation erreicht ein bisher ungekanntes Ausmaß. Dementsprechend sinkt die Kaufkraft und die Lebenshaltungskosten steigen.
Michael Schäfers
Vor allem für diejenigen, die bisher schon am Rande der Gesellschaft und am Existenzminimum lebten und zusätzlich durch die Coronapandemie in den letzten Jahren gebeutelt worden sind, ist die Lage verzweifelt. Die Schlangen an den Ausgaben der sogenannten „Tafeln“ und Suppenküchen in Deutschland werden immer länger und gleichzeitig werden die Lebensmittelspenden der Geschäfte weniger. Die Krise erreicht nicht nur in Deutschland längst auch die Mittelschicht, die sich lange Zeit in Sicherheit wähnte. Armut und die Angst, Preise schlicht nicht mehr bezahlen zu können, breiten sich aus. Und kein Ende in Sicht.
In diesen Umbruch- und Krisenzeiten ist an das Prinzip der Gerechtigkeit der Soziallehre der Kirche zu erinnern. Es fordert eine gerechte Verteilung der Lasten ein, um die sozialen Spaltungen und Gräben zu überwinden. Soziale Gerechtigkeit heißt, dass die Chancen, Lebensbedingungen und Möglichkeiten für alle Menschen in einer Gesellschaft zumindest annähernd gleich sein sollten. Politisch gewendet geht es um Verteilungsgerechtigkeit. Die Politik muss für einen wirksamen Ausgleich sorgen zwischen denen, die mehr haben, mehr leisten können und denen, die weniger oder nichts haben und – aus welchen Gründen auch immer – weniger leisten können. Kurz: Starke Schultern können und müssen mehr tragen als schwache. Ziel sozialer Gerechtigkeit ist der soziale Ausgleich in einer Gesellschaft. Er ist notwendig, um den sozialen Frieden zu erhalten und die Demokratie zu stärken, gerade angesichts der in Europa sich auf dem Vormarsch befindenden rechtsradikalen, populistischen und antidemokratischen Bewegungen und Parteien, die aus der Krise Kapital zu schlagen versuchen.
Zunehmend mehr Menschen sind der Meinung, dass es in unserer Gesellschaft nicht gerecht zugeht. In profaner Wende stellt die Aussage des Matthäus-Evangeliums (Mt 25,29) für viele eine Realität dar: „Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben, wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.“ In einer Umfrage des ZDF-Politbarometers vom Juli 2022 beurteilten 62 Prozent der Befragten die soziale Lage in Deutschland als (sehr) ungerecht.
Papst Franziskus hat die Forderung nach Gerechtigkeit zu einem Markenzeichen seines Pontifikats gemacht. Ohne Gerechtigkeit keine soziale und solidarische Überwindung bzw. Abmilderung der Krisen. Der Papst betont angesichts des Klimawandels: „Es gibt keine Ökologie ohne Gerechtigkeit und es gibt keine Gerechtigkeit ohne Ökologie.“ Der Kirchenvater Augustinus hat es drastisch(er) auf den Punkt gebracht: „Fehlt einem Staate die Gerechtigkeit, was ist er denn anderes als eine große Räuberbande.“ Darüber, wie soziale Gerechtigkeit hergestellt werden kann, wird politisch derzeit heftig gestritten. Wir sollten uns einmischen, auf der Grundlage der Soziallehre der Kirche, mit einer klaren Option: für die Armen, Ausgegrenzten und die vom Abstieg bedrohten.
Info
Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) ist ein Sozialverband in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der seine Wurzeln in der christlichen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts hat. Die KAB ist Teil der Weltbewegung Christlicher Arbeiter (WBCA). Auch der KVW Südtirol ist Mitglied.
TEXT: Michael Schäfers (Referent Für Politik und Strategie bei KAB)

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Stimmen aus dem KVW

KARL KERER
Bezirksobmann Wipptal und Ortvorsitzender Wiesen
Südtirol ist ein reiches Land. In den letzten Jahren ging es stetig bergauf. Allerdings haben in letzter Zeit immer mehr Menschen ein Problem, mit ihrem Einkommen über die Runden zu kommen. Die teuren Energiepreise und die gestiegenen Lebenshaltungskosten machen Angst. Spürt man diese Unsicherheit?
Ja, man spürt große Angst besonders in der unteren Mittelschicht mit dem Lohn, bzw. mit der Rente nicht mehr über die Runden zu kommen. Viele Bürger leben bereits in Armut, ca. 8 Prozent im reichen Südtirol, und dies wird leider oft vergessen. Energie und Nahrungsmittelkosten steigen enorm, aber beim Einkommen fehlen die sofortigen Anpassungen. Auch die Sanitätskosten sind zwischen Ticket und Nebenkosten bei Spezialbehandlungen für viele Bürger nicht mehr leicht zu stemmen.
Ein großes Anliegen des KVW ist auch die Bildung. In vielen Gemeinden Südtirols werden Weiterbildungen und Lehrgänge zu unterschiedlichsten Themen angeboten. Das Ziel ist es, Bildung allen zugänglich machen und dort anzubieten, wo Menschen Lust auf Entwicklung und Gemeinschaft haben. Haben ihrer Meinung nach alle Menschen gleichen Zugang dazu?
Bildung wird zwar viel angeboten, kann aber nicht von allen genutzt werden. Onlinekurse, besonders für Senioren, sind nicht immer geeignet, da sehr oft die Ausrüstung, bzw. die Internetverbindungen fehlen. Für viele Jungfamilien mit Arbeitsverhältnis sind die Kurszeiten zu wenig flexibel. Kurse sollten während der Schulzeit aber, auch abends angeboten werden. Wegen der vorgeschriebenen Mindestanzahl an Teilnehmern, ist es leider oft nicht möglich (besonders im ländlichen Raum) sie dann auch effektiv durchzuführen. Pflegekurse sollten landesweit angeboten werden, um den Pflegenotstand zu verringern. Zu Kursen haben eigentlich fast alle Personen den gleichen Zugang, sie werden aber von uns Männern weniger in Anspruch genommen.
MARIANNA OBERTIMPFLER
Ortsvorsitzende Mölten
Der KVW ist seit Beginn eine Bewegung von werktätigen Menschen in Südtirol. Solidarität und Gemeinwohl werden groß geschrieben. Warum engagieren Sie sich im KVW und was kann der Einzelne zur großen Gemeinschaft beitragen?
Ich engagiere mich im KVW, weil ich mich vor Ort für soziale Gerechtigkeit und für das Gemeinwohl einsetzen kann. Dies sind wichtige Säulen in unserer Gesellschaft, sie tragen dazu bei, dass der soziale Frieden im Land gewährleistet wird. Der Einzelne kann mit der Mitgliedschaft, mit der Teilnahme an den verschiedenen vom KVW initiierten Veranstaltungen und Aktionen und auch mit aktivem Einsatz zur großen Gemeinschaft beitragen.  
„Miteinander in Bewegung, damit Gemeinschaft wächst“ lautet das aktuelle Jahresthema. Immer schwieriger wird es aber junge Menschen für das Ehrenamt zu begeistern. Was macht den KVW auch für die Zukunft noch attraktiv?
Meiner Meinung nach kann man junge Menschen dadurch für das Ehrenamt begeistern, wenn man Themen aufgreift, die für ihre Zukunft von großer Wichtigkeit sind, z.B. Generationengerechtigkeit oder Nachhaltigkeit etc. Der KVW wird auch in der Zukunft noch attraktiv sein, wenn man Mut zu Veränderungen hat.