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Europäische Sorgfaltspflicht

Das Thema Lieferkettengesetz (siehe dazu auch den Leitartikel) bewegt selbstverständlich auch den EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann. Unser geistlicher Assistent Charly Brunner hat mit ihm ein ausfühtliches Interview geführt.
Charly Brunner und Herbert Dorfmann beim Austausch
Kompass: Herr Dorfmann, die EU-Kommission nimmt sich vermehrt dem Thema der Nachhaltigkeit an. Hat sie deshalb die Initiative in Richtung eines Lieferkettengesetzes gesetzt, um so Impulse in Richtung ökologische und soziale Verantwortung zu setzen und das mit wirtschaftlichem Handeln in Verbindung zu bringen?
Der Schwerpunkt, den sich die Kommission von der Leyen für diese Amtszeit gesetzt hat, ist wie Sie richtig sagen, die Nachhaltigkeit und der Europäische Grüne Deal, mit Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz, damit Europa der erste klimaneutrale Kontinent bis 2050 wird. Unternehmen sind ein fundamentaler Bestandteil der Wirtschaft und spielen bei diesem Übergang eine essentielle Rolle. Mit dem Lieferkettengesetz soll ein einheitlicher EU-Rechtsrahmen eingeführt werden, der Unternehmen verpflichtet die Verantwortung für die gesamte Lieferkette zu übernehmen, die mit ihrer Tätigkeit zusammenhängt. Der Verschlag bezieht sich auf Menschenrechte, wie Kinderarbeit und Ausbeutung sowie auf Umweltfolgen, wie Umweltverschmutzung oder der Verlust an biologischer Vielfalt. Gleichzeitig sollen die Vorschriften Rechtssicherheit, gleiche Wettbewerbsbedingungen und mehr Transparenz für die Verbraucher garantieren.
Kompass: Diese Initiative klingt recht gut: (wie Sie gerade sagten, müssen) Menschenrechte und ökologische Standards (müssen) eingehalten werden und zwar vom Beginn der Produktion bis zum Verkauf und das über alle Grenzen hinweg. Wie kann so etwas gelingen und was sieht die Initiative vor, um diese wichtigen Ziele sicherstellen zu können?
Laut dem Vorschlag der Kommission müssen Unternehmen die Sorgfaltspflicht zum integralen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen. Dazu gehört die Analyse der tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen. Es muss ein Präventionsplan vorgelegt werden und tatsächliche Auswirkungen abgestellt oder reduziert werden. Die Beaufsichtigung der Unternehmen wird über nationale Behörden erfolgen. Bei Nichteinhaltung können Strafen verhängt werden. Ebenso können Opfer rechtliche Schritte einleiten, wenn der tatsächlich entstandene Schaden vermieden hätte werden können.
Kompass: Derartige Initiativen sind immer mit dem Vorwurf verbunden, sie würden für Betriebe einen enormen Aufwand generieren. Was antworten Sie darauf Unternehmer:innen, wie wird hier auf die Machbarkeit geachtet und dennoch ein Schritt zur Zielerreichung gesetzt?
Der Aufwand zur Durchführung der Sorgfaltspflichten muss angemessen bleiben. Auch muss sichergestellt werden, dass die Verantwortung dort liegt, wo unmittelbar eine Verbindung mit dem möglichen oder tatsächlich entstandenen Schaden hergestellt wird. Es bringt nichts ein kleines Unternehmen am Ende der Lieferkette, wie zum Beispiel ein Kleidergeschäft in Südtirol, für die Umweltfolgen und Produktionsumstände in einem Drittland vor Gericht zu ziehen. Deshalb fallen hauptsächlich Unternehmen ab einer beträchtlichen Größe und Wirtschaftskraft, sowie Unternehmen, die in Branchen mit hohem Risikopotential wie Textilindustrie, Lebensmittelindustrie oder Rohstoffförderung tätig sind, unter den vorgeschlagenen Vorgaben.
Der Vorschlag sieht unter anderem vor, dass die Sorgfaltspflicht auch für Tochterunternehmen besteht. Die Frage des Haftungsbereichs ist sehr heikel und ist im Rahmen der laufenden Verhandlungen im Parlament noch nicht vollständig geklärt. Es ist zum Beispiel noch offen, ob die Sorgfaltspflichten nicht nur gegenüber Zulieferern, sondern auch gegenüber Kunden bestehen. Unternehmen müssten dann entlang der Lieferkette nicht nur nachweisen woher und unter welchen Umständen die beschaffenen Produkte hergestellt werden, sondern auch welche Umstände bei den Kunden, die Produkte ankaufen, herrschen. Man muss sich des Ausmaßes bewusst sein, was es für ein Unternehmen bedeutet möglicherweise tausende von Lieferanten und Kunden zu kontrollieren. Ein risikobasierter Ansatz, bei dem Unternehmen die Teile der Lieferkette bei der Prüfung priorisieren, bei denen ein hohes Risiko besteht, könnte eine Lösung sein.
Kompass: Eine Frage ist bei derartigen Gesetzen immer die Grenze, die gesetzlich gezogen wird. Wird sie zu eng gezogen, ersticken Kleinbetriebe mit Auflagen, ohne das Ziel zu erreichen. Zieht man die Linie zu weit, wird das Ziel nicht erreichbar, weil wichtige Betriebe ausgeklammert werden. Welche Linie wählt Ihre Fraktion in dieser Frage?
Die Sorgfaltspflichten gelten für große EU-Unternehmen und für in der EU tätige Nicht-EU-Unternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die meist auf einem geografisch beschränkten Gebiet tätig sind, werden von der Anwendung der Vorschriften ausgenommen. Laut Kommissionsvorschlag gelten die Vorschriften für EU GmbHs mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. EUR weltweit, sowie für Gesellschaften mit mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Mio. EUR die in bestimmten ressourcenintensiven Branchen tätig sind. Auch in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten fallen unter die Regelung.
Während das Parlament eine strengere Auslegung der Vorgaben fordert und vorsieht, dass alle Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio EUR weltweit unter den Vorgaben fallen, fordern die Mitgliedsstaaten im Rat einen weniger restriktiven Zugang. Laut Rat sollen nur große Unternehmen mit mehr als 1 000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von 300 Mio. EUR den Sorgfaltspflichten nachkommen. Im Laufe der gemeinsamen Verhandlungen wird sich dazu noch ein Kompromiss finden müssen.
Kompass: Ein Gesetz hilft nichts, wenn es nicht auch einklagbar ist. Wie aber kann sich die Arbeiterin in einer Kleiderfabrik in Guatemala gegen einen europäischen Konzern wehren und wie soll sie den Prozess finanzieren bzw. wie kann sie den Beweis überhaupt erst antreten. Welche Überlegungen gibt es dazu bei der Initiative?
Die Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen soll Arbeitern in Drittstaaten, die für EU-Unternehmen tätig sind, die Möglichkeit geben, unter europäischem Recht gegen das Unternehmen zu klagen. Die faire Verteilung der Beweislast spielt dabei eine große Rolle. Im Rahmen der laufenden Verhandlungen im Parlament ist dieser Punkt noch offen.
Kompass: Wie geht es mit der Gesetzesinitiative jetzt weiter?
Die Gesetzesinitiative wird im Europäischen Parlament im Rechtsausschuss behandelt. Aktuell finden täglich Verhandlungen auf technischer und politischer Ebene statt, um zeitnah einen Kompromiss zwischen den verschiedenen politischen Fraktionen innerhalb des Ausschusses zu finden. Die Mitgliedsstaaten im Rat haben ihren Standpunkt im Dezember 2022 festgelegt. Sobald die Position des Parlaments gefunden ist, das soll noch jetzt im ersten Halbjahr 2023 geschehen, können die gemeinsamen Verhandlungen zwischen Parlament und Rat starten. Innerhalb dieser Amtszeit unseres Parlaments, also bis zum nächsten Frühjahr, sollte das Ganze dann eigentlich unter Dach und Fach sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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