Präsidentin des Verbandes für Seniorenwohnheime und Geschäftsführerin des Vereins "Die Kinderwelt Onlus"
Wie sieht es derzeit mit der Betreuung für pflegebedürftige Senioren in Südtirol aus?
Die Südtiroler Seniorenwohnheime haben schwierige Zeiten hinter sich. Fehlende Fachkräfte haben dazu geführt, dass in der Spitze an die 600 Heimbetten nicht besetzt werden konnten. Mittlerweile können wir wieder einen Aufwärtstrend feststellen: es sind neue Mitarbeitende eingestellt worden und von den insgesamt ca. 4450 Betten sind nur mehr knapp 300 noch nicht nachbesetzt. Viele Seniorenwohnheime arbeiten mit voller Auslastung und sind wieder imstande, ihre gesamte Dienstleistungspalette anzubieten. Es ist unser großes Anliegen, dass wir so schnell als möglich wieder in allen Heimen die stationäre Betreuung und Pflege in vollem Umfang garantieren können. Dafür hat der Verband der Seniorenwohnheime als Interessensvertretung der Heime die politischen Weichen gestellt und wichtige Maßnahmen in Umsetzung gebracht, um die notwendigen 1000 neuen Mitarbeitenden in den nächsten 10 Jahren zu gewinnen.
Welche ersten Schritte hat man in Bezug auf den aktuellen Fachkräftemangel gesetzt?
Zum einen gibt es seit einem Jahr einen neuen Kollektivvertrag, der die besonderen Herausforderungen und Anforderungen der Arbeit in der stationären Betreuung und Pflege berücksichtigt und entsprechend finanziell anerkennt. Also, eine ganz konkrete wirtschaftliche Verbesserung für unsere Mitarbeitenden.
Zum anderen gibt uns dieser neue Vertrag die Möglichkeit eines neuen berufsbegleitenden Ausbildungsmodells zum Pflegehelfer und Sozialbetreuer. Mit unserem Partner, dem Bildungshaus Lichtenburg der Stiftung St. Elisabeth, sind wir im November 2022 mit den ersten beiden Lehrgängen gestartet. Damit sind zurzeit fast 50 Teilnehmende bereits in den Seniorenwohnheimen als Pflegehelfer in Ausbildung beschäftigt und werden zwischen Praxis und Theorie auf ihre Abschlussprüfung vorbereitet. Demnächst starten wir mit 3 weiteren Lehrgängen zum Pflegehelfer und Anfang nächsten Jahres mit dem 1. Lehrgang zum Sozialbetreuer. Damit ermöglichen wir 80 Mitarbeitenden die berufliche Qualifizierung. Nur so schaffen wir es, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Zukunft zu sichern.
Wolfgang Obwexer
Geschäftsleiter der Lebenshilfe und Präsident des Dachverbands für Soziales und Gesundheit
Mit welchen dringenden Anliegen kommen Menschen zur Lebenshilfe?
Die Lebenshilfe unterstützt Menschen mit Beeinträchtigung über verschiedene Dienstleistungen und Einrichtungen im ganzen Land, dies immer in enger Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten der öffentlichen Hand, also der Bezirksgemeinschaften, des Betriebs für Sozialdienste Bozen und der Landesabteilung Soziales. Da wir inhaltlich breit aufgestellt sind, wenden sich die Menschen mit unterschiedlichen Anliegen an die Lebenshilfe, die alle Lebensbereiche betreffen können. Sie suchen nach therapeutischen Angeboten im Kindes- und Jugendalter, nach spezifischer Beratung, nach personenzentrierter Unterstützung beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt, bei der Inklusion ins Arbeitsleben oder bei der Freizeitgestaltung, bei der Mobilität und schließlich beim vielleicht wichtigsten Thema für eine gute Lebensqualität, nämlich beim selbständigen und selbstbestimmten Wohnen. Beim letztgenannten Punkt geht es den betroffenen Menschen und ihren Angehörigen um maßgeschneiderte Lösungen, die ein selbstverständliches Miteinander in der Gemeinschaft ermöglichen. Für die Angehörigen, die manchmal schon ein hohes Alter erreicht haben, geht es außerdem um Entlastung nach Jahren der intensiven Betreuung.
Wie schaut es mit der Inklusion ins Erwerbsleben aus? Gibt es gute Beispiele, die Schule machen könnten?
Wir können von vielem erzählen, das gut gelingt. Aus Sicht der Lebenshilfe ist das Inklusionshotel & Restaurant Masatsch in Kaltern zu nennen. Rund ein Drittel des Teams sind Menschen mit Beeinträchtigung. Damit erhält das Hotel eine besondere Note, die von den Gästen sehr geschätzt wird. Wir können aber auch von vielen Betrieben erzählen, die erkannt haben, dass Menschen mit Beeinträchtigung wertvolle und motivierte Arbeitskräfte sind. Eine passgenaue Unterstützung der Arbeitseingliederungsdienste des Landes und der Bezirksgemeinschaften ist hier wichtig. Berichten kann man auch von den vielen Sozialgenossenschaften, die in verschiedensten Arbeitsfeldern tätig sind. Das geht beispielsweise vom Gastgewerbe über die Reinigung bis hin zu Gartenbau und Tischlerarbeiten.
Trotz aller gelungener Beispiele gibt es noch Verbesserungsbedarf. Beim Übergang von der Schule in den Beruf bedarf es noch gemeinsamer Anstrengung, dass die vom Landesgesetz „Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen“ aus dem Jahr 2015 vorgesehenen personenzentrierten Unterstützungsmaßnahmen in allen Schulen umgesetzt werden. Noch immer bleiben zu viele Menschen mit Beeinträchtigung nach Schulabschluss untätig zu Hause. Es braucht auch noch mehr aufgeschlossene Betriebe. Wir setzen zusammen mit dem Verein adlatus und dem Arbeitskreis Eltern Behinderter AEB auf Botschafter, also Betriebsverantwortliche, die andere Firmen ermutigen, Barrieren im Kopf abzubauen und die Vorteile einer Arbeitseingliederung zu erkennen. Anzudenken ist auch die Situation von Menschen in Arbeitsbeschäftigungsprojekten, die zwar in Betrieben oder geschützten Werkstätten arbeiten, aber nur ein geringes Entgelt erhalten. Ein würdiger Lohn ist für sie die zentrale Forderung. Es gibt dazu bereits Lösungsansätze in anderen europäischen Ländern.
Abschließend möchte ich noch an Menschen mit so genannter schwerer Beeinträchtigung erinnern, bei denen offiziell keine ausreichende Arbeitsfähigkeit für eine Arbeitsinklusion in Betrieben festgestellt wird. Diese Einstufung der nicht ausreichenden Arbeitsfähigkeit dient zwar ihrem Schutz, gleichzeitig ist aber daran zu erinnern, dass diese Menschen nicht untätig sind. In den pädagogischen Tagesstätten gestalten auch sie arbeitend ihr Leben, indem sie nach ihren eigenen individuellen Rhythmen beispielsweise verschiedene Produkte herstellen. Ein Beispiel ist die Tagesstätte für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen der Lebenshilfe in Bruneck, wo Menschen, die besonders schwer von diesem Phänomen betroffen sind, verschiedene Gegenstände herstellen, die dann zum Verkauf angeboten werden. Obwohl nicht klassische Erwerbsarbeit, ist es für die Menschen in diesen Einrichtungen trotzdem ihre tägliche sinnerfüllte Arbeit. Ähnliche Einrichtungen gibt es überall im Land, geführt von den Bezirksgemeinschaften, dem Betrieb für Sozialdienste Bozen oder von gemeinnützigen Trägern. Diese Einrichtungen müssen unbedingt weiterhin bedarfsgerecht ausgebaut werden.
Foto: Eurac Research - Ingrid Heiss
Robert Zampieri
Generaldirektor des Raiffeisenverbandes
Wie engagiert sich Raiffeisen in Südtirol für den sozialen Bereich?
Der soziale Bereich ist im Raiffeisenverband in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Wir haben sozusagen als Raiffeisenverband auch ein Haus geschaffen für sozialen Anliegen. Die Eurac-Studie schafft nun auch eine gute Grundlage nachzudenken, wie die Zukunft gestaltet werden soll. Dabei bin ich zutiefst überzeugt, dass die genossenschaftliche Organisation der öffentlichen Hand viel helfen kann. Heute haben wir ein Problem mit Fachkräften, aber hoffentlich nicht auch noch mit unseren Ehrenämtern. Denn unsere Gesellschaft in Südtirol fußt ja wesentlich auf dem freiwilligen Engagement. Wir als Raiffeisenverband sind da, um Netzwerke entstehen zu lassen, um Netzwerke zu gestalten und Genossenschaften sind per se solidarisch. Man hilft sich, einer für alle und alle für einen.
Stichwort Leistbares Wohnen?
Das leistbare Wohnen ist ein ganz konkretes Anliegen von uns. In meiner ersten Zeit in München habe ich dort das Kuratorium Wohnen im Alter, kurz KWA, kennengelernt. Ich war fasziniert, wie fortschrittlich man in Bayern für den Mittelstand das leistbare Wohnen gestalten kann. Denn letztendlich will niemand von uns in einem Altersheim seinen letzten Teil des Lebens verbringen. Jede und jeder will möglichst lange selbst aktiv bleiben. Hier hat das KWA ein Modell auf die Beine gestellt, mit unterschiedlichen Betreuungsformen. Ich habe eine Wohnresidenz, eine Altersresidenz oder eine Seniorenresidenz, die von außen aussieht wie ein ganz normales Wohnhaus und ich habe dann die Möglichkeit die Betreuung nach individuellen Bedürfnissen zu steigern. Das Angebot kann von einer Stiftung kommen, von einer Genossenschaft oder wie auch immer. Man könnte dann diese Angebote mit der Zusatzrente verbinden. Also im Laufe des Arbeitslebens kleine Beiträge einzahlen, dass ich mit Renteneintritt Anspruch auf betreutes Wohnen habe. Wenn man diesen Ansatz auch noch mit einer externen Finanzierungsquelle stärkt, könnten hier ganz neue Modelle entstehen, die auch über Generationen haltbar sind, also nachhaltig.
Interviews: Iris Pahl