KVW Aktuell

Mit 1.364 Unterschriften & 28 Organisationen das Schweigen brechen

Obwohl es in Südtirol Einrichtungen und Organisationen gibt, die sich des Themas der sexualisierten Gewalt annehmen, braucht es dringend ein entschiedeneres und koordiniertes Vorgehen bei der Aufarbeitung und in der Prävention von sexuellem Missbrauch, fordern 28 Vereine, darunter auch der KVW. Sie haben im späten Frühjahr eine Petition gestartet und vor Kurzem 1.364 Unterschriften an Landeshauptmann Arno Kompatscher, an Landesrätin Waltraud Deeg, an die Präsidentin des Südtiroler Landtages Rita Mattei und die Mitglieder der Arbeitsgruppe zu Beschlussantrag 541/22 übergeben. Die breit aufgestellte Vereins-Plattform fordert Südtirols politisch Verantwortliche auf, endlich eine unabhängige und weisungsfreie Ombudsstelle für Fragen des sexuellen Missbrauchs einzurichten, eine wissenschaftliche Kommission zur Untersuchung und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch einzusetzen und laufend Sensibilisierungsarbeit und wirksame Prävention zu betreiben.
Weil die Umsetzung des Beschlussantrages nur langsam vorangeht, haben sich 28 Vereine und Verbände zu einer Plattform zusammengeschlossen und eine Petition formuliert, die die Inhalte des Beschlussantrags forciert. Unter dem Dach der Plattform „La Rete – Das Netzwerk – La Rëi“ wurden seit Mitte Mai Unterschriften gesammelt. Koordinatorin Judith Hafner sagte bei der Unterschriftenübergabe: „Das Thema ist sensibel, schmerzhaft und es drängt. Hinter jeder Unterschrift steht ein Mensch, der möchte, dass das Thema sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt in Südtirol endlich sichtbar und wirksam angegangen wird.“ Unterschrieben hätten auch zahlreiche von sexuellem Missbrauch betroffene Menschen. Die Unterstützung so vieler Organisationen sei ein Signal dafür, dass unsere Gesellschaft bereit ist, sich dem Thema zu stellen, sagte Psychologin und Psychotherapeutin Veronika Oberbichler. Sie hat vor einem Jahr das Buch „Wir brechen das Schweigen. Betroffene sprechen über sexuellen Missbrauch“ geschrieben. Das Thema der sexuellen Gewalt und des sexuellen Missbrauchs gebe es in allen Gesellschaftsschichten, in den unterschiedlichen Orten und Kontexten, erklärte die Psychologin. Es brauche endlich ein gemeinsames und entschiedenes Vorgehen, fachlichen Support und klare politische Weichenstellungen.

Soziales

Wir suchen Dich

„Wir suchen DICH!“ – steht auf überdimensionierten Werbetafeln, Autoaufklebern und Zeitungsannoncen. In allen Branchen werden derzeit Arbeitskräfte gesucht. Händeringend, so scheint es. Und in den Medien werden lange Wartezeiten bei Aufträgen an Handwerker:innen sowie verstärkte Schließzeiten von Geschäften und Lokalen beklagt oder angedroht, je nach Tonlage.
Foto: ben robbins - Unsplash
In einem Gasthaus stand ich unlängst wieder einmal vor einem Aushang mit der werbenden Botschaft „Werde Teil unseres Teams!“. Eine Frau etwa meines Alters neben mir begann angesichts des ganz und gar nicht tollen Arbeitsangebots – es handelte sich um eine geringfügige Beschäftigung zu Abend- und Nachtzeiten - laut zu lamentieren über die jungen Leute, die ja heute nicht mehr arbeiten wollen. Überall zuwenig Personal! ‚Work-life-balance‘, sie könne das schon nicht mehr hören! 45 Jahre hätte sie gearbeitet, Vollzeit, trotz der Kinder! Und jetzt musste sie sich unlängst in der Straßenbahn anhören, dass die Jungen sie erhalten müssen, in ihrer Pension. Die wollen nur mehr Teilzeit und liegen dann lieber am See, als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten…! - Die Empörung über diese mangelnde Arbeits- und Leistungsbereitschaft war lautstark und der offensichtlich gut situierten Dame ins Gesicht geschrieben.
Über die heutige Jugend zu schimpfen ist wahrlich nichts Neues, dennoch hat mich dieser emotionale Ausbruch überrascht. Was mag wohl aus diesen Äußerungen sprechen? – Frust über das eigene vergangene Arbeitsleben? Angst vor der Zukunft als alter Mensch? Oder Trauer über nicht gelebte, weil nicht vorhandene Lebensmöglichkeiten?
Nun sind die Möglichkeiten, weniger zu arbeiten und trotzdem gut zu leben heute beileibe auch nicht für alle jungen Leute vorhanden. Der geografische und soziale Ort der Geburt entscheidet darüber. Für viele geht sich auch mit viel harter Arbeit ein angemessenes Leben nicht aus. Arm trotz Arbeit ist für prekär Beschäftigte Realität. Gut Ausgebildete werden nicht selten in überlange Arbeitszeiten gezwungen, um eine Chance auf einen fixen Posten zu haben. Einzelunternehmer:innen arbeiten oft überdurchschnittlich viel für wenig Geld. Aber ist das Ansinnen, der Anspruch auf Gute Arbeit, wie ihn die KAB mit vielen anderen sozialen Bewegungen seit Jahren fordert, unanständig und unsozial? Ist es nicht vielmehr ermutigend, wenn immer mehr Menschen versuchen Gutes Leben in die Praxis umzusetzen?
Ja, Teilzeitarbeit ist eine Armutsfalle, vor allem im Alter, vor allem für Frauen. Darauf wird seit Jahren hingewiesen. Aber Arbeit ist nicht nur Erwerbsarbeit. Zeit und Energie für Familienarbeit, Sorgearbeit und ehrenamtliches Engagement bleibt nur, wenn Erwerbsarbeit kürzer und besser verteilt wird.
Armut wird dann verhindert, wenn das soziale Sicherungssystem von allen Einkünften gerecht gespeist wird, auch von Finanzeinkommen, Vermögen, Erbschaften. Und wenn das Grundrecht auf Existenzsicherung allen zusteht.
Am aktuellen Arbeitskräftemangel sind nicht die Jungen schuld, nicht die Männer und Frauen, in deren Leben mehr Platz haben soll als Erwerbsarbeit. Demografische Veränderungen lassen sich berechnen und vorausschauen. Dennoch wurde aus populistischem und kurzsichtigem Kalkül jahrelang verhindert, dass etwa junge Menschen aus Kriegsländern hier eine Lehrausbildung machen und sich damit integrieren können. Genügend Fachkräfte gibt es nur, wenn man sie zeitgerecht und gut ausbildet und ihre Arbeit auch wertschätzt. Da ist gerade ganz viel Aufholbedarf, meine ich.
Text: Anna Wall-Strasser
Anna Wall- Strasser
Theologin, ehemalige Betriebsseelsorgerin, langjährig tätig im Bereich mensch&arbeit der Diözese Linz, ist Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer:innen Bewegung Österreich.