In einem Gasthaus stand ich unlängst wieder einmal vor einem Aushang mit der werbenden Botschaft „Werde Teil unseres Teams!“. Eine Frau etwa meines Alters neben mir begann angesichts des ganz und gar nicht tollen Arbeitsangebots – es handelte sich um eine geringfügige Beschäftigung zu Abend- und Nachtzeiten - laut zu lamentieren über die jungen Leute, die ja heute nicht mehr arbeiten wollen. Überall zuwenig Personal! ‚Work-life-balance‘, sie könne das schon nicht mehr hören! 45 Jahre hätte sie gearbeitet, Vollzeit, trotz der Kinder! Und jetzt musste sie sich unlängst in der Straßenbahn anhören, dass die Jungen sie erhalten müssen, in ihrer Pension. Die wollen nur mehr Teilzeit und liegen dann lieber am See, als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten…! - Die Empörung über diese mangelnde Arbeits- und Leistungsbereitschaft war lautstark und der offensichtlich gut situierten Dame ins Gesicht geschrieben.
Über die heutige Jugend zu schimpfen ist wahrlich nichts Neues, dennoch hat mich dieser emotionale Ausbruch überrascht. Was mag wohl aus diesen Äußerungen sprechen? – Frust über das eigene vergangene Arbeitsleben? Angst vor der Zukunft als alter Mensch? Oder Trauer über nicht gelebte, weil nicht vorhandene Lebensmöglichkeiten?
Nun sind die Möglichkeiten, weniger zu arbeiten und trotzdem gut zu leben heute beileibe auch nicht für alle jungen Leute vorhanden. Der geografische und soziale Ort der Geburt entscheidet darüber. Für viele geht sich auch mit viel harter Arbeit ein angemessenes Leben nicht aus. Arm trotz Arbeit ist für prekär Beschäftigte Realität. Gut Ausgebildete werden nicht selten in überlange Arbeitszeiten gezwungen, um eine Chance auf einen fixen Posten zu haben. Einzelunternehmer:innen arbeiten oft überdurchschnittlich viel für wenig Geld. Aber ist das Ansinnen, der Anspruch auf Gute Arbeit, wie ihn die KAB mit vielen anderen sozialen Bewegungen seit Jahren fordert, unanständig und unsozial? Ist es nicht vielmehr ermutigend, wenn immer mehr Menschen versuchen Gutes Leben in die Praxis umzusetzen?
Ja, Teilzeitarbeit ist eine Armutsfalle, vor allem im Alter, vor allem für Frauen. Darauf wird seit Jahren hingewiesen. Aber Arbeit ist nicht nur Erwerbsarbeit. Zeit und Energie für Familienarbeit, Sorgearbeit und ehrenamtliches Engagement bleibt nur, wenn Erwerbsarbeit kürzer und besser verteilt wird.
Armut wird dann verhindert, wenn das soziale Sicherungssystem von allen Einkünften gerecht gespeist wird, auch von Finanzeinkommen, Vermögen, Erbschaften. Und wenn das Grundrecht auf Existenzsicherung allen zusteht.
Am aktuellen Arbeitskräftemangel sind nicht die Jungen schuld, nicht die Männer und Frauen, in deren Leben mehr Platz haben soll als Erwerbsarbeit. Demografische Veränderungen lassen sich berechnen und vorausschauen. Dennoch wurde aus populistischem und kurzsichtigem Kalkül jahrelang verhindert, dass etwa junge Menschen aus Kriegsländern hier eine Lehrausbildung machen und sich damit integrieren können. Genügend Fachkräfte gibt es nur, wenn man sie zeitgerecht und gut ausbildet und ihre Arbeit auch wertschätzt. Da ist gerade ganz viel Aufholbedarf, meine ich.
Text: Anna Wall-Strasser
Anna Wall- Strasser
Theologin, ehemalige Betriebsseelsorgerin, langjährig tätig im Bereich mensch&arbeit der Diözese Linz, ist Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer:innen Bewegung Österreich.