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Südtirols politische Landschaft im Wandel

Herausforderungen nach den Landtagswahlen 2023
Foto: Brett Jordan - unsplash
Am 22. Oktober 2023 hat Südtirol einen neuen Landtag gewählt. 16 Listen sind bei dieser Wahl angetreten. Zwölf davon haben den Einzug in den Landtag geschafft. Ähnlich viele Parteien im Landtag gab es schon nach den Wahlen 1993 und 1998, nämlich zehn und elf, davon ein Großteil Fraktionen mit ein oder zwei Abgeordneten. Bisher reichten die Mandate der Südtiroler Volkspartei (SVP) immer aus, um mit italienischsprachigen Partnern eine Mehrheit zu bilden. Im neuen Landtag hat die SVP nur mehr 13 Abgeordnete. Um die Vertretung der italienischen Sprachgruppe zu gewährleisten, braucht die SVP einen Koalitionspartner mit Kandidaten aus der italienischen Sprachgruppe. Unter diesen gibt es aber keine Partei oder ideologischen Parteienblock mit ausreichend Mandaten für eine ausschließliche Koalition mit der SVP.

Die SVP muss den „Alleinvertret­ungsanspruch“ der deutschen und ladinischen Sprachgruppe aufgeben
Nach diesem Wahlergebnis muss die SVP zum ersten Mal eine weitere deutschsprachige oder interethnische Partei mit ins Boot holen, um eine Koalition zu bilden. Sie muss also den „Alleinvertretungsanspruch“ der deutschen und ladinischen Sprachgruppe, den sie historisch in Südtirol erhoben hatte, aufgeben. Die SVP erlebt einen Erosionsprozess wie andere Volksparteien in Europa. Die Bindungen zwischen Wählerinnen und Wählern und den Parteien werden schwächer und das Vertrauen in die etablierte Politik sinkt. Dieser Erosionsprozess ist erkennbar an am Verlust der Anziehungskraft als Sammelpartei und an der Schwächung der Ortsgruppen. Auch die Verzahnung aus Lobbys und Bezirken stößt bei abnehmenden Stimmanteilen zunehmend auf Grenzen. Mit dieser Erosion entstehen neue politische Kräfte.

Zersplitterung der deutschsprachigen Parteien und eine Anti-Establishment Haltung
Der neue Landtag zählt sieben deutschsprachige Parteien (die Liste Vita mitgezählt), so viele wie nie zuvor. Der Erfolg der neuen Parteien, allen voran der Listen JWA und Vita, ist eine Nachwirkung der Corona Pandemie. Gleichzeitig erleben wir eine verstärkte Ablehnung etablierter Kräfte, genährt durch das Gefühl ständiger politischer Streitereien und großer Verunsicherung bei zukunftspolitischen Fragen.
Eindeutiger und in diesem Ausmaß nicht erwarteter Wahlsieger unter den deutschsprachigen Listen ist die Südtiroler Freiheit (STF). Die STF und ihr Spitzenkandidat Sven Knoll haben einen erfolgreichen Wahlkampf geführt. Sie waren in den sozialen Medien und auch vor Ort sehr präsent und haben die zuletzt dominierenden Themen Migration und Sicherheit stark besetzt.

Stadt-Land-Gefälle und sink­ende Wahlbeteiligung bei der italienischsprachigen Bevölkerung
In den ländlichen Gebieten hat die STF stark abgeschnitten, während in den Städten Brixen, Meran und Bruneck die SVP, das Team K und die Grünen ganz vorne stehen. Somit zeigen diese Wahlen teilweise ein Stadt-Land-Gefälle, dem sich die Politik stärker widmen muss, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.
Ein weiteres Gefälle zeigt sich bei der Wahlbeteiligung. In Bozen, Leifers und Meran lag sie unter 60%, vor allem wegen der wieder sinkenden Wahlbeteiligung innerhalb der italienischen Sprachgruppe. Wie schon 2013 vertreten nur fünf Abgeordnete die italienische Sprachgruppe im Landtag. Der Proporz im Landtag und in der Landesregierung hängt von den Wählerinnen und Wählern ab. Bleiben diese der Wahl fern, kommt es zu einer Unterrepräsentation einer Sprachgruppe und zu einem Gefälle zwischen den Sprachgruppen.
Text: Alice Engl
Alice Engl
Politologin und Forschungsgruppenleiterin bei Eurac Research

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Was nun?

Ein Gespräch über Demokratie, die Wahlen, Parteipolitik und den KVW
Foto: Jon Tyson - unsplash
Die Wähler haben gesprochen, aber noch ist nicht klar wer in den kommenden Jahren unser Land durch herausfordernde Zeiten navigieren wird. Auch im größten Sozialverband des Landes hat man sich zum Ausgang der Wahlen, zur Umgang mit Demokratie, zur Eigenverantwortung Gedanken gemacht. Was ist die Rolle des KVW dabei? Was kann der größte Sozialverband beitragen? Ein Gespräch mit dem Landesvorsitzenden Werner Steiner und dem Geistlichen Assistenten des KVW Charly Brunner.
Seit Oktober stehen die neuen und alten Landtagsabgeordneten fest. Im Moment finden gerade Koalitionsverhandlungen statt. Was hat Sie bezüglich der Wahlen besonders überrascht Herr Steiner?
Werner Steiner: Überrascht weniger, aber besorgt bin ich über die geringe Wahlbeteiligung. Viele haben von diesem Recht der Mitbestimmung keinen Gebrauch gemacht. Was mir auch nicht klar war ist, dass die sozialen Medien, Tik Tok, X und… von vielen als Informationsquelle genutzt werden. Dabei ist es dort leider so, dass viele einfach aus dem Bauch heraus eine Meinung kundtun und diese dann einfach für bare Münze, ohne Faktencheck, übernehmen. Zudem ist es ja so, dass aufgrund der Algorithmen die Leserinnen und Leser dann in „ihrer“ Blase leben und es keine Auseinandersetzung mit jemandem anderer Meinung gibt.


Charly Brunner: Die Zuspitzung der Aggression im politischen Diskurs ist wirklich ein Problem. Ausgeprägt ist zum Beispiel die Angewohnheit alles bei anderen schnell und kritisch zu kommentieren. Vergessen wird dabei oft, dass jeder und jede Einzelne von uns gut daran täte, sich zu fragen: Was kann denn ich persönlich beitragen? Wie kann ich etwas für die Gesellschaft tun? Wir brauchen fähige politische Vertreter:innen, Leute die sich engagieren und Weitblick beweisen. Vielfach ist es jedoch schon so, dass sich viele die Politik nicht mehr antun wollen. Andere wiederum können sich die Wahlkampfkosten nicht leisten.

Werner Steiner: In der Tat ist es so, dass der Wähler eine große Verantwortung trägt. Als KVW ist es uns wichtig, nicht parteipolitisch einzugreifen. Sehr wohl aber sind wir ein politischer Akteure: wir agieren im vorpolitischen Raum, wir bilden Meinung und über unsere Ortsgruppen können wir auch Basisbildung vorantreiben und Haltung zeigen: beispielsweise die vielen Veranstaltungen zum Gemeindeentwicklungsprogramm im letzten Jahr, wenn ich auch sagen muss, mit durchwachsenem Erfolg.

Kompass: Was „leistet“ der KVW im politischen Sinne?
Charly Brunner: Der KVW steht beispielsweise für zwei Dinge: Einerseits bieten wir als Verband ein Forum der qualifizierten Meinungsbildung und andererseits, auch aufgrund seiner Tradition, haben wir Werte, die uns helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Diese geben Orientierung. Ich habe mich vor einigen Jahren bewusst für den Einsatz im KVW entschieden, weil er für einen Werteeinsatz steht!


Werner Steiner: Ja, wir orientieren uns an der christlichen Soziallehre, die wie ein Kompass fungiert. Es geht uns beim KVW nicht um Macht, es geht um Gemeinschaft und um die Menschenwürde. Diese ist für uns eine unverzichtbare Säule auf die wir bauen. Es ist das Recht jedes Menschen auf Achtung und Respekt. Daraus ergibt sich unser politisches Engagement in der Gestaltung unserer Gesellschaft. Wie gesagt, wir sind politisch, aber nicht parteipolitisch. Gerade das Resultat der Wahlen zeigt, dass es auch in Zukunft noch wichtiger wird, sich für Werte einzusetzen und einzustehen. Wir sind alle voneinander abhängig und der KVW kann beim Aufbau einer Gesellschaft, die sich durch bestimmte Werte auszeichnet, unterstützen.

Charly Brunner: Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Einzelnen und der Gemeinschaft, dem Ich und dem Wir. Die christliche Soziallehre löst diese Spannung nicht einfach auf, indem sie dem Ich oder dem WIR den absoluten Vorrang einräumt. Sie ist getragen von dem Bewusstsein, dass wir als freie Individuen in eine Gemeinschaft eingewoben sind. Wir profitieren alle unheimlich von diesem Miteinander und können uns auch erst aus dieser Verbundenheit heraus gut entwickeln und einbringen. Es gibt kein ICH ohne ein WIR und kein echtes WIR ohne freie ICHs. Und letztlich geht es bei der Demokratie gerade darum!

Demokratie: Wie kann sie funktionieren?
Werner Steiner: Die Demokratie braucht Verbände wie den unseren: wir brauchen Solidarität untereinander und Wohlwollen. Möglichst viel davon, damit die Spaltung, die Vereinsamung der Menschen und die Radikalisierung durch die sozialen Medien nicht Überhand nehmen. Noch einmal: wir denken politisch, mischen uns ein, machen Vorschläge und stehen an der Seite von jenen die Unterstützung brauchen. Unser Jahresmotto lautet „Miteinander in Bewegung - damit niemand zurückgelassen wird”. Die Mitgliedschaft im KVW verleiht dem Verband eine starke Stimme: die Querfinanzierung über Dienstleistungen erlaubt es uns geschlossen und stark aufzutreten. Das Patronat oder die Service ermöglichen es vielen zu ihrem Recht zu kommen und in unseren Dienstleistern finden alle professionelle Partner.


Charly Brunner: Für den KVW sind alle Vertreter:innen von Parteien wichtige Ansprechpartner, die die Würde des Menschen achten und die Gesellschaft in diesem Sinne weiterentwickeln wollen. Es gibt auch mit fast allen Parteien Schnittmengen in den Anliegen. Allgemein gilt für mich, dass Menschen, die sich der Wahl stellen und Verantwortung übernehmen wollen, dafür Respekt verdienen. Wir als KVW können auch einen wertvollen Beitrag leisten, dass Demokratie an sich gelingt: Basisbildung ist da beispielsweise ein wichtiges Stichwort. Lebenslanges Lernen und Bilden fördert Chancen- für jeden und bringt uns als Gesellschaft weiter.

Was werden wichtige Themen für die nächste Landesregierung sein?
Charly Brunner: Da gibt es eine lange Liste von Einzelthemen: An erster Stelle von den langfristigen Grundsatzthemen steht aber sicher das Klima. Die neue Landesregierung wird sich mit der ökologischen Umgestaltung auseinandersetzen müssen. Bei der Natur hat es sich „ausverhandelt“, da müssen rasche Entscheidungen her. Besonders herausfordernd wird es da sein, den Spagat zwischen Schutz der Natur, wirtschaftlicher Entwicklung und sozialer Teilhabe zu schaffen. Die Erreichung der Klimaziele darf nicht auf dem Rücken von Benachteiligten abgehandelt werden.


Werner Steiner: Weitere Themen die Jung und Alt beschäftigen sind Wohnen, soziale Grundsicherung, Sanität, Vereinsamung… Das sind keine neuen Themen für uns im KVW. Wir beschäftigen uns damit schon seit geraumer Zeit. Wir müssen schauen, gemeinsam mit den politischen Verantwortungsträgern:innen Antworten zu finden. Komplexe Fragen brauchen Zeit und Engagement, auch ehrenamtliches. Wir wollen durch unseren Einsatz zeigen, dass die Geldmittel in der Sozialpolitik nicht als reine Ausgaben gesehen werden können, sondern, dass sie eine lohnende Investition in eine gute Zukunft für alle Menschen sind.

Herzlichen Dank für das Gespräch!
Charly Brunner
Werner Steiner / Foto: Karin Micheli