Editorial

Liebe Leserinnen, lieber Leser!

Werner Atz
So ein Durcheinander! Die Wähler:innen haben gesprochen und mit dem Ergebnis muss möglichst bald eine tragfähige und stabile Koalition gebildet werden, damit die wirklich wichtigen Themen, die uns die nächsten Jahre beschäftigen werden, angegangen werden können: Klima, soziale Teilhabe, leistbares Wohnen, Bildung … Vorab gilt es aber das Wirrwarr zu entzerren und dann rasch vom Reden ins Tun zu kommen.

In dieser ersten Ausgabe des neuen Jahrs 2024 beschäftigen wir uns mit einer bunten Palette an Themen: eine politische Einordnung der Landtagswahlen, ein Gespräch zu Demokratie und dem Verband und seinen Aufgaben vom Vor­sitzenden Werner Steiner und dem Geistlichen Assistenten Charly Brunner, einige Zahlen zu den neuen Mitbürger:innen aus dem Statistischen Jahrbuch zur Einwanderung und im Spezialteil geht es um den organisch-biologischen Anbau.

Kein Durcheinander, aber ein Miteinander, ist das große Credo der vielen KVW Ortsgruppen. Aus insgesamt sechs Seiten kann man einen kleinen Eindruck gewinnen, wie vielfältig und unterschiedlich die Angebote in den einzelnen Dörfern und Städten sind. Es sind Fahrten, Vorträge, Adventfeiern… dabei. In der Sozialbilanz 2022 haben wir 1.953 ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen des KVW in den Landesgremien, Bezirksgremien und Ortsgruppengremien erfasst. Insgesamt waren diese 82.314 Stunden im Einsatz. Die ehrenamtlichen Mit­arbeiter:innen engagieren sich aus Überzeugung für ein soziales Miteinander- ein herzliches Danke dafür!

Seien Sie uns gewogen und bleiben Sie Mitglied im KVW. Wir werden weiterhin eine „soziale“ Stimme sein und uns einsetzen!

Ihr Werner Atz

Thema

Südtirols politische Landschaft im Wandel

Herausforderungen nach den Landtagswahlen 2023
Foto: Brett Jordan - unsplash
Am 22. Oktober 2023 hat Südtirol einen neuen Landtag gewählt. 16 Listen sind bei dieser Wahl angetreten. Zwölf davon haben den Einzug in den Landtag geschafft. Ähnlich viele Parteien im Landtag gab es schon nach den Wahlen 1993 und 1998, nämlich zehn und elf, davon ein Großteil Fraktionen mit ein oder zwei Abgeordneten. Bisher reichten die Mandate der Südtiroler Volkspartei (SVP) immer aus, um mit italienischsprachigen Partnern eine Mehrheit zu bilden. Im neuen Landtag hat die SVP nur mehr 13 Abgeordnete. Um die Vertretung der italienischen Sprachgruppe zu gewährleisten, braucht die SVP einen Koalitionspartner mit Kandidaten aus der italienischen Sprachgruppe. Unter diesen gibt es aber keine Partei oder ideologischen Parteienblock mit ausreichend Mandaten für eine ausschließliche Koalition mit der SVP.

Die SVP muss den „Alleinvertret­ungsanspruch“ der deutschen und ladinischen Sprachgruppe aufgeben
Nach diesem Wahlergebnis muss die SVP zum ersten Mal eine weitere deutschsprachige oder interethnische Partei mit ins Boot holen, um eine Koalition zu bilden. Sie muss also den „Alleinvertretungsanspruch“ der deutschen und ladinischen Sprachgruppe, den sie historisch in Südtirol erhoben hatte, aufgeben. Die SVP erlebt einen Erosionsprozess wie andere Volksparteien in Europa. Die Bindungen zwischen Wählerinnen und Wählern und den Parteien werden schwächer und das Vertrauen in die etablierte Politik sinkt. Dieser Erosionsprozess ist erkennbar an am Verlust der Anziehungskraft als Sammelpartei und an der Schwächung der Ortsgruppen. Auch die Verzahnung aus Lobbys und Bezirken stößt bei abnehmenden Stimmanteilen zunehmend auf Grenzen. Mit dieser Erosion entstehen neue politische Kräfte.

Zersplitterung der deutschsprachigen Parteien und eine Anti-Establishment Haltung
Der neue Landtag zählt sieben deutschsprachige Parteien (die Liste Vita mitgezählt), so viele wie nie zuvor. Der Erfolg der neuen Parteien, allen voran der Listen JWA und Vita, ist eine Nachwirkung der Corona Pandemie. Gleichzeitig erleben wir eine verstärkte Ablehnung etablierter Kräfte, genährt durch das Gefühl ständiger politischer Streitereien und großer Verunsicherung bei zukunftspolitischen Fragen.
Eindeutiger und in diesem Ausmaß nicht erwarteter Wahlsieger unter den deutschsprachigen Listen ist die Südtiroler Freiheit (STF). Die STF und ihr Spitzenkandidat Sven Knoll haben einen erfolgreichen Wahlkampf geführt. Sie waren in den sozialen Medien und auch vor Ort sehr präsent und haben die zuletzt dominierenden Themen Migration und Sicherheit stark besetzt.

Stadt-Land-Gefälle und sink­ende Wahlbeteiligung bei der italienischsprachigen Bevölkerung
In den ländlichen Gebieten hat die STF stark abgeschnitten, während in den Städten Brixen, Meran und Bruneck die SVP, das Team K und die Grünen ganz vorne stehen. Somit zeigen diese Wahlen teilweise ein Stadt-Land-Gefälle, dem sich die Politik stärker widmen muss, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.
Ein weiteres Gefälle zeigt sich bei der Wahlbeteiligung. In Bozen, Leifers und Meran lag sie unter 60%, vor allem wegen der wieder sinkenden Wahlbeteiligung innerhalb der italienischen Sprachgruppe. Wie schon 2013 vertreten nur fünf Abgeordnete die italienische Sprachgruppe im Landtag. Der Proporz im Landtag und in der Landesregierung hängt von den Wählerinnen und Wählern ab. Bleiben diese der Wahl fern, kommt es zu einer Unterrepräsentation einer Sprachgruppe und zu einem Gefälle zwischen den Sprachgruppen.
Text: Alice Engl
Alice Engl
Politologin und Forschungsgruppenleiterin bei Eurac Research