Soziales

Arbeitszeit: Nicht Qual, sondern Qualität!

Die meisten Berufstätigen verbringen ungefähr die Hälfte der wachen Zeit des Tages (also acht Stunden von 24) bei der Arbeit. Die Arbeitszeit ist folglich eine der wichtigsten Einflussgrößen im Leben der meisten Erwachsenen und vieler Jugendlicher. Da lohnt es sich, diese positiv zu gestalten.
Foto: unsplash / malvestida
Arbeitszeit wird grundsätzlich definiert als Zeitraum, in dem eine Arbeitsleistung ausgeführt wird: „Die Arbeitszeit umfasst die Zeit, in der ein Arbeitnehmer pro Tag, Woche, Monat, Jahr dem Unternehmen seine Arbeitskraft vertraglich gegen Entgelt zur Verfügung stellt.“1

Selbstständige hingegen können sich die Arbeitszeit frei einteilen. Selbstständig heißt aber eben auch selbst und ständig: In der gesamten Europaregion arbeiten Selbstständige durchschnittlich 46 Stunden in der Woche, Angestellte (Vollzeit und Teilzeit zusammengezählt) „nur“ durchschnittlich 36 Stunden.
Eine „Buckelbranche“ unter der Lupe
Die beiden Branchen mit den längsten Vollzeit-Arbeitszeiten sind die Landwirtschaft mit 55 Wochenstunden sowie Hotellerie und Gastronomie mit 54 Wochenstunden.

Während jedoch die Landwirtschaft in der gesamten Europaregion eine arbeitsintensive Branche ist, sticht letztere aus der Europaregionsreihe heraus.
Die Beschäftigten in Südtirols Hotellerie und Gastronomie arbeiten mit 54 Vollzeit-Wochenstunden nicht nur deutlich länger als die Kollegen nördlich des Brenners und südlich der Salurner Klause (jeweils 47 VZ-Wochenstunden), sondern kennen auch kaum Pause: Gearbeitet wird zu 54% an sechs, zu 25% an sieben Tagen in der Woche- die Kunden wollen eben gerade am Wochenende sich amüsieren und gut essen gehen. Ganz anders hingegen im Bundesland Tirol: Dort arbeiten nur 38% der Beschäftigten an sechs Tagen in der Woche und nur 7% arbeiten durch- wegen des Selbstständigenanteils: In Nord- und Osttirol sind nur 11% der Beschäftigten selbstständig, hierzulande sind es 29%.
Arbeitszeit und Qualität der Arbeit
Grundsätzlich gilt: Wer lange arbeitet, wird irgendwann müde und weniger leistungsfähig- das ist normal. Wichtig ist, ob man es schafft, in der Freizeit die Batterien wiederaufzuladen. Wer ständig zu lange arbeitet (und das an zu vielen Tagen in der Woche), ist irgendwann so erschöpft, dass seine sowieso schon knapp bemessene Freizeit nicht mehr reicht, um wieder zu Kräften zu kommen.

Das hat nicht nur Auswirkungen auf das körperliche und psychische Wohlbefinden des Einzelnen, sondern auch auf den Betrieb: Die Qualität der hergestellten Waren oder erbrachten Dienstleistungen sinkt nämlich deutlich. Außerdem steigen die Fehlerhäufigkeit und die Unfallgefahr.

Im wohlverstandenen Eigeninteresse sollten Unternehmen also darauf bedacht sein, die Arbeitszeiten nicht ausufern zu lassen.
Teilzeit und gute Beispiele
Wo aber die Arbeitskräfte hernehmen, die schon jetzt fehlen? Antwort: Spannt die Teilzeitkräfte mehr ein! In ihnen steckt großes Potenzial. Eine AFI-Studie2 hat 2022 nämlich ergeben, dass Teilzeitbeschäftigte in vielen Branchen gerne ein paar Stunden aufstocken würden.
1 Hans Jung (2008). Personalwirtschaft. Oldenbourg Wissenschaftsverlag: München.
2 Tobias Hölbling (2022) Euregio-Branchenbericht: Arbeitszeiten in den Südtiroler Wirtschaftszweigen. AFI: Bozen.
Hotellerie und Gastronomie: Übliche Wochenstunden (%)
Hotellerie und Gastronomie: Übliche Wochenstunden (Mittelwert)
Quelle: EWCS Europaregion 2021, © AFI 2024
Tobias Hölbling
ist Arbeitspsychologe beim AFI Arbeitsförderungsinstitut.

Kommentar

Nie wieder ist jetzt

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Unsere Zeit ist von Unsicherheit geprägt. Die Pandemie in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen noch nicht wirklich verarbeitet, dann der Überfall Putins auf die Ukraine, ein zunehmendes Gefühl abnehmender öffentlicher Sicherheit in unseren Städten, Zuwanderung aus fremden Ländern und Kulturen, drohender ökonomischer Verlust durch die hohe Inflation: dies nur einige Stichworte, die als Hintergrundfolie wachsender sozialer Verunsicherung dienen können. Verunsicherung und diffuse Ängste sind auch die Eintrittspforte für politische Rattenfänger. Als „harmlosere“ Variante treten Populisten verschiedener Couleur auf, die für komplexe Probleme einfache Lösungen - letztendlich gleichsam ungedeckte Schecks – anbieten. Als besonders große Herausforderung der freiheitlichen Gesellschaften des Westens zeigt sich allerdings das Erstarken offen rechtsextremer Positionen. Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Verächtlichmachung des demokratischen Rechtsstaats und unverhohlene Sympathie für völkische Ideologien sind Kennzeichen rechtsextremer politischer Gesinnung.


Sündenböcke ausfindig zu machen und darauf zu zeigen ist charakteristisch für ein solches Denken. Der französische Kulturanthropologe Renè Girard hat in seinen Studien in überzeugender Weise herausgearbeitet, wie der Sündenbockmechanismus funktioniert. Durch die Austreibung und Opferung des Sündenbocks werden innergesellschaftliche Konflikte und Rivalitäten eingegrenzt und für eine bestimmte Zeit sogar befriedet. Seit Jahren dienen vor allem Geflüchtete und Migranten als Sündenböcke, wie die von rechtsextremen Kreisen immer wieder in die gesellschaftliche Diskussion eingebrachte Forderung nach „Remigration“ zeigt. Es ist immer ein ausgrenzendes Denken, das von tiefer Menschenverachtung zeugt. Die Wahnvorstellungen von einem „gesunden Volkskörper“, von einer Heimat, die es vor Fremden, irgendwie Anderen, Unangepassten, Andersdenkenden zu schützen gilt, letztendlich auch die Vorstellung, mit kalter Rationalität alle ausgemachten Übel einer Gesellschaft „ausmerzen“ zu können, haben vor nicht allzu langer Zeit zum Holocaust geführt. An der Rampe von Auschwitz wurde „selektiert“, wer leben darf und wer nicht.


Noch sind wir – hoffentlich - weit von einem Rückfall in die barbarischen Zeiten des Nationalsozialismus entfernt. Trotzdem ist Achtsamkeit geboten. Achtsamkeit gegenüber der Sprache, die heute wieder salonfähig wird, wenn es um Ausgrenzung geht, Achtsamkeit, wenn es um das Zeigen auf Sündenböcke geht, Achtsamkeit, wenn es um eine menschenverachtende Politik gegenüber Schwachen, Fremden und Andersdenkenden geht.


Das Abdriften von Gesellschaft in rechtsextremes Denken erfolgt manchmal schleichend. Es sind vielleicht zunächst nur sprachliche Tabubrüche, provokante Wortmeldungen, die gezielt in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden. Aber damit werden auch die als „undenkbar“ geglaubten Vorstellungen und Vorhaben langsam denkmöglich und plausibel. Öffentliches Sprechen schafft irgendwann auch Wirklichkeit. Die Frage bleibt, wie man auf solche offen rassistischen und menschenverachtenden Aussagen eagieren soll. Mit Argumenten und im Dialog? Der griechische Philosoph Aristoteles hat vor mehr als 2000 Jahren dazu sinngemäß angemerkt: „Wer sagt, man dürfe auch die eigene Mutter töten, hat nicht Argumente, sondern Zurechtweisung verdient.“ Die Courage zu solcher Zurechtweisung wird in Zeiten wie diesen leider wieder wichtiger.
Text: Franz Tutzer
Franz Tutzer
geb. 1953, Studium der Agrarwissenschaften in Wien, 1985–2019 Direktor der Fachoberschule für Landwirtschaft in Auer, Co-Vorsitzender des Katholischen Forums.