Thema
Was lässt uns hoffen?
7 Thesen im Ausgang der Tagung des Katholischen Forums
1.
Die Bedrohungsszenarien und Krisenphänomene sind vielfältig und allgegenwärtig: die schleichende Erosion des sozialen Zusammenhalts, Kriege und Gewalterfahrungen, das Erstarken demokratiefeindlicher Kräfte, ein dramatischer Rückgang der Artenvielfalt und die Erhitzung der Erde, sozial zerstörerische technische Entwicklungen und eine zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Dürfen wir trotzdem hoffen? Warnende und eindringliche Stimmen in der Tradition der biblischen Propheten rufen uns auch heute aus Lethargie und Gleichgültigkeit heraus zur Umkehr. „Kehrt um!“ Dieser prophetische Zuruf lädt zur Hoffnung ein.
2.
Hoffnung baut auf den Anderen, den Nächsten. Sie unterscheidet sich von der heute so weit verbreiteten Erwartung. Erwartung verlässt sich auf die Ergebnisse technischer Machbarkeit, Planung und Optimierung, auf Organisationen und Institutionen. Erwartung gründet im Glauben an einen immer weitergehenden technischen Fortschritt. Hoffnung gründet in der Freundschaft, im Vertrauen auf den Anderen, im Mitgefühl für die Schwachen und Notleidenden, in der Aufmerksamkeit für den Anruf des Nächsten.
3.
Hoffnung lebt von der Güte und Schönheit der Schöpfung. Hoffnung hat einen Blick für das Schöne. Die Schönheit alles Geschaffenen, der belebten und der unbelebten Natur lässt uns immer von Neuem staunen. „Hoffnung ist das Auge der Liebe“, schreibt Hildegard von Bingen. Das Auge der Liebe sieht auf die Schönheit der Schöpfung, auf die Vielfalt und Besonderheit von Pflanzen und Tieren, von Landschaften und Lebensräumen. Nicht mit dem interessengeleiteten Blick, mit dem Blick auf den Nutzen für den Menschen, auch nicht mit dem Blick der ökonomischen Verwertbarkeit.
4.
Durch die Tätigkeit des Menschen sind die Lebensräume vieler Tiere und Pflanzen verändert, eingeengt oder zerstört worden. Durch Klimaveränderung, landwirtschaftliche Tätigkeit, aktive Vertreibung oder landschaftsverändernde Maßnahmen unterschiedlicher Art haben viele Tier- und Pflanzenarten ihr „Zuhause“ verloren. Sie sind gewissermaßen „Fremdlinge“ geworden. Ökologische Gastfreundschaft, Gastfreundschaft gegenüber Pflanzen und Tieren, kann viele Gesichter annehmen: vom einfachen Aufhängen von Nistkästen über das Erhalten alter Nutzpflanzensorten bis hin zur konkreten Umsetzung des Renaturierungsgesetzes. Ökologische Gastfreundschaft ist praktisches Tätigsein. Sie verändert den Blick des „Gastgebers“ auf konkrete Lebewesen und lässt so auf Auswege aus der Naturkrise hoffen.
5.
„Seid stets bereit, einem jedem Rechenschaft zu geben, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Die moderne Welt hat sich weitgehend von den religiös motivierten Hoffnungen befreit. Als Christinnen und Christen wissen wir, dass christliche Hoffnung auch Kreuz und Gericht kennt. Die christliche Hoffnung lebt „vom Herabsteigen Gottes auf das Niveau all jener, die zum Opfer werden. Und sie zeigt den einzigen Ausweg - die Auferweckung Jesu durch jenen Gott, der ein Gott des Lebens ist“ (Jozef Niewiadomski). Letztlich hat christliche Hoffnung in der Zusage Christi ihren Grund: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“.
6.
Der biblische Hiob wie der Jude im Warschauer Ghetto, Franz Jägerstätter, Dietrich Bonhoeffer oder Josef Mayr-Nusser: sie stehen beispielhaft für viele andere, die in ausweglosen Situationen ihre Hoffnung und ihren Glauben an einen rettenden Gott nicht aufgegeben haben. Die Erinnerung an sie hilft uns auch, mit einem anderen Blick auf die Krisen der Gegenwart zu schauen: „Wir akzeptieren sie als gegeben, ohne uns von ihnen entmutigen zu lassen. Gelassenheit und der Wille zum Engagement zeigen den christlichen Weg der Hoffnung an“ (Jozef Niewiadomski). Die zitternde Frage in Christine Lavants Gedicht: „Wird sich der Himmel niederknien, wenn wir zu schwach sind hinaufzusteigen?“ weiß trotz allem etwas von dieser Hoffnung.
7.
Jeder Moment ist, wie Walter Benjamin es ausdrückte, die kleine Pforte, durch die der Messias eintreten kann. Das bedeutet, offen zu sein für Überraschungen und wachsam zu sein. Offen zu sein für Überraschungen durch den Anderen, den Fremden, für die Unterbrechung des Gewohnten, für die ‚Verstörung‘ durch aufscheinende Schönheit in einer verplanten und entgrenzten Welt. Wachsam zu sein durch das Hüten der sinnlichen Wahrnehmung, durch einen nüchternen Weltbezug, durch die Offenheit für Freundschaft, durch ein offenes Ohr und ein offenes Auge für den Anderen und das Andere, diesseits und jenseits. Jeder Moment ist ein Moment der Hoffnung.