Sonderthema

Muss ich heutzutage überhaupt noch heiraten?

Rechte und Pflichten bei unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens
Wenn das Schicksal zuschlägt – Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen
In Italien gibt es verschiedene Formen des Zusammenlebens, die rechtlich anerkannt sind: die Ehe, die eingetragene Lebensgemeinschaft für gleichgeschlechtliche Paare und die nichteheliche Lebensgemeinschaft.
Im Allgemeinen machen sich die Unterschiede im Alltag kaum bemerkbar. Doch was passiert in schwierigen, nicht vorhersehbaren Lebenssituationen, wie Krankheit oder Tod des nicht verheirateten Partners? Oder wie sieht es konkret in Trennungssituationen aus? Da werden die Betroffenen meist erstmals mit der knallharten Realität konfrontiert und die rechtlichen Unterschiede werden hautnah spürbar.
Wie erleben Sie die Situationen in der Praxis?
Schicksalsschläge treffen Familien meist aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung. Die Betroffenen sind zumeist unvorbereitet und unverheiratete Paare haben nach wie vor mit der bestehenden Gesetzgebung das Nachsehen. Mir fällt auf, dass die Menschen leider im Vorfeld zu wenig informiert sind und erst Hilfe suchen, wenn es meist zu spät ist. Das müssen wir als Gesellschaft ändern!
Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, Paare aufzuklären, dass speziell in schwierigen Lebenssituationen das Gesetz für Unverheiratete nach wie vor keinen ausreichenden Schutz bietet. Im Gegensatz hierzu begründet die Ehe automatisch eine Vielzahl an persönlichen und wirtschaftlichen Rechten (Pflicht zur Treue, zum geistigen und materiellen Beistand, zur gemeinsamen Planung und Finanzierung des Familienlebens usw.).
Was passiert im Todesfall?
Der unverheiratete Lebensgefährte erbt ex lege überhaupt nichts, es erben alles die nächsten Verwandten (Kinder, Eltern, Geschwister). Mit dem Schreiben eines Testaments kann der unverheiratete Lebensgefährte zumindest teilweise abgesichert werden. Der unverheiratete Partner geht aber meist leer aus – dieser kann nicht einmal Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente stellen, wodurch z.B. die weitere Finanzierung des Eigenheims oft schwierig wird. Es sind auch keine steuerlichen Begünstigungen in diesem Fall vorgesehen.
Was passiert, wenn mein Lebensgefährte auf der Intensivstation versorgt werden muss?
Unverheiratete haben grundsätzlich keine Rechte, da sie nach italienischem Recht nicht als Angehörige gelten. Sie haben weder das Recht Informationen über den Gesundheitszustand zu erhalten, noch werden sie in wichtige Entscheidungsprozesse mit einbezogen. In solchen Fällen werden die Eltern oder Geschwister des Betroffenen zur Rate gezogen. Um dem entgegenzuwirken kann bei der Gemeinde die Erklärung zur Gründung einer Lebensgemeinschaft abgegeben werden, wodurch der Partner zumindest in diesem Fall dieselben Rechte erhält.
Schwanger und nicht verheiratet – was passiert, wenn der Vater vor der Geburt verstirbt?
Nachdem die Vaterschaft nicht mehr zu Lebzeiten anerkannt werden kann, muss ein aufwendiges Gerichtsverfahren zur Feststellung der Vaterschaft eingeleitet werden. Erst nach Erlass eines entsprechenden Gerichtsurteils kann die Anerkennung eines außerehelichen Kinder erfolgen. Nur dann kann das Kind seine rechtlichen Ansprüche (Erbrecht, Anspruch auf Hinterbliebenenrente usw.) geltend machen. Bei verheirateten Eltern ist ein solches Verfahren nicht notwendig, nachdem das Kind in diesem Fall automatisch mit der Geburt sämtliche Rechte erwirbt.
Macht heiraten aus rechtlicher Sicht heute noch Sinn?
Ja, auch heute ist und bleibt die Ehe der wohl beste Schutz für eine Familie. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn beide Partner den Mut haben, offen über diese Themen miteinander zu sprechen. Das ist oft gar nicht so einfach! Es ist aber immer wieder schön zu sehen, wenn junge Paare sich Gedanken machen und Verantwortung übernehmen: Dies, wenn sie ihre Liebsten, und da meine ich nicht nur die gemeinsamen Kinder, sondern auch den/die Partner/In, durch bewusstes Handeln bestmöglich absichern.
Ehe
Die Ehe ist die traditionellste Form des Zusammenlebens und bietet umfassende rechtliche Absicherungen. Ehepartner haben Anspruch auf:
Erbrecht: Der überlebende Ehepartner ist gesetzlicher Erbe und erhält automatisch das lebenslängliche Wohnrecht an der Familienwohnung.
Hinterbliebenenrente: Der überlebende Ehepartner hat Anspruch auf die Hinterbliebenenrente und auf andere Sozialleistungen.
Vermögensgemeinschaft: ohne ausdrückliche Wahl gilt die Gütergemeinschaft, ansonsten die Gütertrennung.
Unterhalt: Im Falle einer Trennung könnte der finanziell schwächere Partner Ansprüche auf Unterhalt geltend machen.
Nichteheliche Lebensgemeinschaft - mit Erklärung zur Gründung einer Lebensgemeinschaft bei der Gemeinde
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist eine weniger formalisierte Form des Zusammenlebens.
Die rechtliche Anerkennung wurde mit dem Gesetz 76/2016 (bekannt als „Legge Cirinnà“) geregelt. Aber Vorsicht! Eine Lebensgemeinschaft wird NUR durch eine gemeinsame Erklärung beim Standesamt anerkannt, wenn beide den gleichen Wohnsitzhaben. Sie ist jedoch weit weniger formell als eine Ehe.
Erbrecht: Partner in einer Lebensgemeinschaft haben KEIN gesetzliches Erbrecht.
Hinterbliebenenrente: Partner in einer Lebensgemeinschaft haben KEINEN Anspruch auf Hinterbliebenenrente oder andere Sozialleistungen im Todesfall des Partners.
Vermögensrecht: Die Vermögensverhältnisse werden in diesem können in diesem Fall durch einen sogenannten „contratto di convivenza“ geregelt werden, der von einem Notar oder Rechtsanwalt beglaubigt werden muss.
Unterhaltsansprüche: Nach der Auflösung der Lebensgemeinschaft gibt es nur in Ausnahmesituationen Unterhaltsansprüche.
Eingetragene Lebensgemeinschaft für gleichgeschlechtliche Paare
Die eingetragene Lebensgemeinschaft wurde ebenso durch das Gesetz Cirinnà im Jahr 2016 eingeführt und steht NUR gleichgeschlechtlichen, also homosexuellen Paaren offen. Sie bietet ähnliche Rechte wie die Ehe:
Erbrecht: Der überlebende Partner hat Erbrechte, ähnlich wie ein Ehepartner.• Hinterbliebenenrente: Der überlebende Partner hat Anspruch auf die Rechte des verstorbenen Partners.
Vermögensgemeinschaft: Auch hier gilt die gesetzliche Gütergemeinschaft, sofern nicht Gütertrennung gewählt wurde.
Unterhaltsansprüche: Im Falle einer Trennung könnte der finanziell schwächere Partner Ansprüche auf Unterhalt geltend machen.
Verena Brunner
Jahrgang 1980, verheiratet und Mutter von 3 Kindern, Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei in Percha – Bruneck, mit Spezialisierung auf Familien- und Erbrecht, Studium der Rechtswissenschaften und der Psychologie in Innsbruck, Salzburg, Mailand und Murcia, Ausbildung zur Mediatorin in Innsbruck, verschiedene Publikationen und Vorträge, insbesondere zum Thema Familien- und Erbrecht.
TEXT: RA DDr. Verena Brunner

Editorial

Liebe Leserinnen, lieber Leser!

Wenn man die Zeitungen durchblättert, die Radionachrichten hört und noch die Abendnachrichten sieht, hat man manchmal wirklich das Gefühl, dass die ganze Welt voller Konflikte und Unruheherde ist. Den Menschen in der Ukraine steht der dritte Kriegswinter bevor, in Gaza und Israel tobt ein schrecklicher Krieg, Nordkorea bedroht Südkorea wieder offen,....
Dennoch gilt es, die Hoffnung nicht zu verlieren und eine Kultur des Friedens zu schaffen. Unser Leitartikel trägt diesmal den Titel „Mit aktiver Gewaltfreiheit für einen gerechten Frieden kämpfen“. Er stammt aus der Feder von Professor Wolfgang Palaver. Das Katholische Forum, in dem wir vom KVW Mitglied sind, hat sich kürzlich auf einer Tagung mit der Frage beschäftigt, was uns Hoffnung gibt. In sieben Thesen wird aufgezeigt, wie durch aktives Zuhören und das Bemühen, die Sichtweise des anderen zu verstehen, Konflikte entschärft und Missverständnisse vermieden werden können. Menschen machen Fehler. In vielen Situationen gibt es kein „richtig“ oder „falsch“, sondern unterschiedliche Sichtweisen. Ein Kompromiss ist oft der Schlüssel zum Frieden.
Auch unsere KVW-Ortsgruppen legen Wert auf ein gutes Miteinander. Auf mehreren Seiten sehen Sie, wie vielfältig und bunt die Vorträge, Wanderungen, Gebietsversammlungen, Treffen ... sind. Ein wertvoller Beitrag, um den Menschen ein Stück Unbeschwertheit, Freude, aber auch Zeit, Bildung und Gesundheit zu schenken. Ein herzliches Dankeschön an die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die das ganze Jahr über unzählige Stunden in die Planung und Durchführung der verschiedensten Aktionen investieren. Vergelt’s Gott!
Weitere Themen dieser Ausgabe sind „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, Migration und die Rechte und Pflichten in unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens. Eine gerechte und faire Behandlung aller Menschen in einer Gesellschaft sichert langfristig den Frieden.
Michail Gorbatschow hat einmal gesagt: „An den Frieden denken heißt, an die Kinder denken.“ Lasst uns das nicht vergessen, damit auch die nächsten Generationen noch eine friedliche Welt vorfinden.
Herzlich
Ihr Werner Atz